Trotz aller Unterschiede: Gemeinsame Interessen der gesamten Belegschaft erkennen und Spaltungen entgegenwirken

Maschinenfabrik in Chemnitz 1868

Bei Karl Marx liest es sich noch ganz einfach: „Die Großindustrie bringt eine Menge einander unbekannter Leute an einem Ort zusammen. Die Konkurrenz spaltet sie in ihren Interessen; aber die Aufrechterhaltung des Lohnes, dieses gemeinsame Interesse gegenüber ihrem Meister, vereinigt sie in einem gemeinsamen Gedanken des Widerstandes – Koalition.“[1] Erst  im Betrieb lernen sich die Arbeiter:innen kennen und entdecken die gemeinsamen Interessen. Es entsteht eine Koalition, die es ohne die kapitalistische Betriebsordnung nie gegeben hätte. „Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen.[2] Der Kapitalismus schafft damit also die Voraussetzung für den Zusammenschluss der Arbeiter:innen.

Aber wie sieht dies in modernen Betriebsstrukturen aus? Lernen sich die Beschäftigten dort noch wirklich kennen und tauschen sich über ihre gemeinsame Interessenlage aus? Tatsächlich erscheint die Klasse der arbeitenden Menschen heute so differenziert und gespalten wie nie zuvor.

Spaltung durch unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse

Im vergangenen Jahr wurden einer größeren Öffentlichkeit eklatante Unterschiede in Beschäftigungsverhältnissen am Beispiel der Fleischindustrie bekannt. Hier arbeiten festangestellte Kolleg:innen mit Leitungs- und Organisationsaufgaben neben Leiharbeits- und Werkvertragsbeschäftigten unterschiedlicher Entleiher und Subunternehmen zu teilweise katastrophalen Bedingungen. Letztere sind fast ausschließlich Wanderarbeiter:innen ohne deutschen Pass. Das Arbeitsschutzkontrollgesetz soll die Leiharbeits- und Werkvertragsbeschäftigung beenden – allerdings nur in den Kernbereichen. Beim Treiben, bei Reinigungsarbeiten und anderen Hilfsätigkeiten wird sich weiterhin Werkvertragsbeschäftigung unter inakzetablen Bedingungen finden lassen.

Auch in anderen Branchen zeigen sich Ungleichheiten bezüglich der Beschäftigungsverhältnisse, zum Beispiel an staatlichen Schulen in Berlin: Hier arbeiten verbeamtete Lehrer:innen neben angestellten Lehrer:innen und Referendar:innen. Über ein festes Budget können Schulen außerdem externe Aushilfslehrer:innen anstellen. Schon lange arbeiten Schulen überdies mit privaten Agenturen zusammen, die Lernförderlehrer:innen, Schulassistent:innen sowie Lehrkräfte für regulären Unterricht an die Schulen entsenden. Die schulische Hierarchie dieser verschiedenen Gruppen lässt sich ziemlich genau an den unterschiedlichen Entgelten nach unten durchdeklinieren.

Die Beispiele ließen sich sicherlich für jede Branche beliebig fortsetzen. Auch über die Unterschiede zwischen Teilzeit und Vollzeit, befristeten und unbefristeten Arbeitsverträgen sowie Praktikant:innen, 1-Euro-Jobber:innen und Solo-Selbstständigen im Betrieb müsste gesprochen werden. Schon Marx beschrieb solche Differenzierungsprozesse. Ihm war klar, dass „die vom Kapital eingeführte und stets vergrößerte Teilung der Arbeit die Arbeiter [zwingt] sich […] Konkurrenz zu machen“.[3] Eine nach Entgelt und Beschäftigtenstatus diversifizierte Belegschaft zu haben, ist im Interesse der Arbeitgeber:innen. Denn sie erschwert den Zusammenschluss der Beschäftigten untereinander und erhöht die Flexibiliät der Unternehmen.

Weitere Gründe für Belegschaftsspaltungen

Nicht nur das reine Beschäftigungsverhältnis spaltet die Belegschaften:

  • Frauen verdienen im Vergleich zu Männern immer noch 18 Prozent weniger, und  in Bezug auf Arbeitszeit, Aufstiegschancen und Betriebskultur finden sie meist schlechtere Bedingungen vor als ihre männlichen Kollegen.
  • Menschen mit transnationalen Backgrounds oder Nichtmuttersprachler:innen machen Ausgrenzungserfahrungen und haben einen erschwerten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.
  • In manchen Branchen fühlen sich Beschäftigte in ihrem Betrieb aufgrund der bloßen Tatsache ausgeschlossen, dass sie über wenige oder keine Englischkenntnisse verfügen.
  • Neben Geschlecht, Herkunft und Sprache spielt auch das Alter eine wichtige Rolle.
  • Nicht zuletzt wirkt sich die absolvierte Ausbildung auf die Höhe des individuellen Verdienstes aus.

In der Corona-Pandemie müssen viele Beschäftigte darüber hinaus noch eine andere, ganz konkrete Spaltungserfahrung machen: Die Arbeit im Homeoffice führt dazu, dass sich viele Kolleg:innen gar nicht mehr begegnen. Der Betrieb als sozialer Raum verschwindet mitunter vollständig. Übrig bleibt nur der formale Arbeitszusammenhang.

Eine zentrale Frage für jeden Betriebsrat

Wenn all das letztlich nur dem*der Arbeitgeber:in dient, müsste es dann nicht die zentrale Aufgabe des Betriebsrates als Interessenvertretung der gesamten Belegschaft sein, die Einheit und damit – in der marxschen Sprache – die Koalition der Kolleg:innen zu schützen und zu fördern? In der Liste der allgemeinen Aufgaben des Betriebsrates in § 80 BetrVG sucht man eine solche Aufgabe leider vergebens. Der Betriebsrat soll aber die tatsächliche  Gleichstellung der Geschlechter fördern (§ 80 Abs. 1 Nr. 2a), die Eingliederung schwerbehinderter Menschen (§ 80 Abs. 1 Nr. 4), die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer:innen (§ 80 Abs. 1 Nr. 6) sowie die Integration ausländischer Arbeitnehmer:innen (§ 80 Abs. 1 Nr. 7). In § 75 wird ihm außerdem aufgetragen, dass jede Benachteiligung unterbleibt und die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer:innen gefördert wird.

Will der Betriebsrat sich aktiv um die Einheit der Belegschaft bemühen, kann er sich also auf einige Stellen im BetrVG stützen. Nirgends wird er dagegen die Vorgabe finden, sich nur um die – wie auch immer geartete – Kernbelegschaft kümmern zu sollen. Die Möglichkeiten, sich aktiv um die Interessen von Leiharbeits- und Werkvertragsbeschäftigten im Betrieb zu bemühen, haben wir bereits in einer vergangenen Folge diskutiert.

Konkrete Maßnahmen für die Einheit der Belegschaft

Am Anfang sollte eine Analyse des eigenen Betriebes stehen: Aus welchen verschiedenen Gruppen besteht Eure Belegschaft? Welche Bedingungen spalten sie, und welche bringen sie zusammen? Dies kann von Betrieb zu Betrieb sehr unterschiedlich sein. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Mitglieder des Betriebsrates nicht alle Spaltungslinien kennen. Nicht alle Gruppen sind immer auch selbst im Gremium vertreten. Über die Möglichkeit aus § 80 Abs. 2 Satz 4 könnt Ihr mit einzelnen Vertreter:innen der verschiedenen Gruppen sprechen und Euch informieren lassen.

Oft übersehen wird die Vorgabe in § 15 Abs. 1 BetrVG, wonach der Betriebsrat sich möglichst aus Arbeitnehmer:innen der einzelnen Organisationsbereiche und der verschiedenen Beschäftigungsarten zusammensetzen soll. Wenn das bei Euch nicht der Fall sein sollte, könnt Ihr über die Heranziehung betrieblicher Sachverständiger und Nicht-BR-Mitglieder im Wirtschaftssausschuss weitere Kolleg:innen an der BR-Arbeit teilnehmen lassen. Partizipativ gestaltete Betriebsversammlungen, kollektive Sprechstunden und Betriebsbegehungen sind weitere Möglichkeiten, um alle Kolleg:innen zur Mitarbeit einzuladen und direkt von ihnen selbst zu hören.

Aktuell müssen sich viele Betriebsräte am dringlichsten um die Spaltung durch das Homeoffice kümmern. Die Methoden dazu müssen meist erst noch entwickelt und erprobt werden. Der Betriebsrat sollte sich nicht von vermeintlich fehlenden Mitbestimmungsrechten abschrecken lassen. Um neuen Problemen zu begegnen, müssen unweigerlich neue Lösungen gefunden werden. Virtuelle Betriebs- und Abteilungsversammlungen sind nur eine Möglichkeit, der Vereinzelung entgegenzuwirken. Sobald es epidemiologisch wieder möglich ist, könnte ein Rückkehrrecht in den Betrieb bzw. lediglich anteilige Arbeit im Homeoffice eingefordert werden. Über Betriebsvereinbarungen lassen sich Präsenzmeetings zu festen Zeiten oder Themen festschreiben. Auch betriebliche Veranstaltungen und soziale Events während der Arbeitszeit können geregelt werden – alles, was dazu beiträgt, den Betrieb als sozialen Raum zu erhalten oder wiederzubeleben.  

Neben der aktiven Partizipation der Verterter:innen verschiedener Gruppen ist es natürlich genauso wichtig, dass sich die Interessen aller Gruppen auch in Eurer konkreten Mitbestimmungsarbeit wiederfinden. Hier sind Abwägungsfragen notwendig. Das ist kein leichtes Geschäft, aber für leichte Geschäfte ist man ja auch nicht Betriebsrat geworden. Glaubt man Friedrich Engels, bleibt dies die wichtigste Aufgabe der Arbeiter:innenbewegung, denn „die Herrschaft der Bourgeosie beruht nur auf der Konkurrenz der Arbeiter unter sich. […] Der Arbeiter kann die Bourgeoisie und mit ihr die ganze bestehende Einrichtung der Gesellschaft an keinem wunderen Fleck angreifen als an diesem.“[4]


[1] MEW 4, Das Elend der Philosophie S. 180

[2] MEW 4, Das Elend der Philosophie S. 181

[3] MEW 6, Lohnarbeit und Kapital S. 420

[4] MEW 2, Die Lage der arbeitenden Klasse in England S. 436

Vertretung für die gesamte Belegschaft sein – Möglichkeiten der Mitbestimmung bei Werkvertragsbeschäftigung

Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie

Als Antwort auf gehäufte COVID-19-Infektionen in Schlachtbetrieben hat die Bundesregierung einen Maßnahmenkatalog für die Fleischindustrie beschlossen. Im Kern steht das Verbot von Werkvertragsgestaltung und Arbeitnehmerüberlassung beim Schlachten und Verarbeiten von Fleisch in Betrieben der Fleischwirtschaft.[1] Ein bemerkenswerter Schritt. Die Gewerkschaft NGG, das Projekt Faire Mobilität und zum Beispiel auch der Konzernbetriebsrat der VION Food North GmbH hatten dies schon länger gefordert. Dass die Bundesregierung sich tatsächlich dazu durchringen würde, haben die wenigsten erwartet. Doch noch ist das Gesetz nicht geschrieben, geschweige denn verabschiedet. Die Lobbygruppen der Fleischindustrie haben sich bereits in Stellung gebracht. Sie beklagen abwechselnd eine nicht verfassungskonforme „Diskriminierung“[2] ihrer Branche oder ein faktisches Berufsverbot für die „anständigen“ Werkvertragsunternehmen.[3]

 

Werkverträge finden sich in allen Branchen

Die Debatte hat die Frage von Werkvertragsgestaltungen in allen Wirtschaftsbereichen neu belebt. In der Vergangenheit wurde das Problem noch unter dem Begriff „Outsourcing“ diskutiert – also dem Prozess des Auslagerns von Unternehmensaufgaben auf externe Dienstleister mit dem Ziel der Flexibilisierung und Kostenersparnis. Mittlerweile muss man feststellen, dass dieser Prozess bereits weitgehend abgeschlossen ist. 2011 ergab eine Betriebsrätebefragung der IG Metall, dass in rund einem Drittel der befragten Unternehmen Werkverträge eingesetzt werden – 2018 waren es bereits rund 80 Prozent.[4] Eine 2017 veröffentlichte Studie der Bundesregierung kam zu dem Ergebnis, dass sogar mehr als 90 Prozent der Unternehmen das Instrument Werkvertrag nutzen. Von diesen wiederum lagern „fast 90 Prozent mindestens einen Prozess aus, der zur Erfüllung des Unternehmenszwecks dient (Kernprozess) und nur 60 Prozent einen Prozess aus, der unterstützenden Charakter hat (Randprozess)“.[5] Werkverträge sind also allgegenwärtig. Sie beschränken sich nicht auf das Betreiben der Werkskantine, die Wartung der IT oder Sicherheitsdienste, sondern sind in allen Arbeitsbereichen anzutreffen. Sei es die Warenverräumung im Einzelhandel, seien es Schweißarbeiten im Schiffsbau oder die Guides in Museen und Gedenkstätten. Wer genau hinsieht, wird sogar an Regelschulen Lehrkräfte finden, die im Rahmen von Werkverträgen tätig sind. Alle Unternehmensprozesse können im Rahmen von Werkvertragskonstruktionen organisiert werden, bis hin zum Management und der Geschäftsführung.

 

Die Rolle von Betriebs- und Personalräten

Es steht außer Frage, dass sich Betriebs- und Personalräte mit der Frage von Werkverträgen in ihren eigenen Betrieben beschäftigen müssen. Werkvertragsbeschäftigung führt zur Spaltung von Belegschaften und Ungleichbehandlungen in Bezug auf Entgelt, Arbeitszeit, Urlaub, Kündigungsschutz, Sozialversicherung, Aufstiegsmöglichkeiten und viel zu oft auch beim Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Aber hat der Betriebsrat überhaupt die Möglichkeit, hier einzugreifen und aktiv mitzugestalten? Vertritt er nicht allein die Interessen der ArbeitnehmerInnen des Betriebes? Nun, die ArbeitnehmerInnen sind zwar das direkte Wahlklientel des Betriebsrates, doch angesichts der oben beschriebenen Situation muss er sein Mandat umfassender interpretieren. Tut er dies nicht, riskiert der Betriebsrat, entscheidende Entwicklungen im Betrieb nicht begleiten zu können und die unternehmerische Strategie der Diversifikation und Flexibilisierung der Belegschaft unkommentiert hinzunehmen.

Auch ist er bei Werkverträgen nicht ohne Rechte: „Bereits jetzt verfügt der Betriebsrat über eine Vielzahl von Kontroll- und Einflussmöglichkeiten“. So konstatiert das nicht etwa eine gewerkschaftliche Beratungsstelle, sondern der Arbeitgeberverband Nordmetall in einer aktuellen Broschüre.[6]

 

Informationsrechte

Der Betriebsrat hat ein weitgehendes Informations- und Beratungsrecht. Seit 2017 ist im Wortlaut des § 80 Abs. 2 BetrVG klargestellt, dass sich der Informationsanspruch des Betriebsrates auch auf die Beschäftigung von Personen bezieht, die nicht in einem direkten Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen. Der Betriebsrat kann sich also Unterlagen über den zeitlichen Umfang, den Ort und die Aufgaben von Werkvertragsbeschäftigten vorlegen lassen. Auch die Werkverträge selbst und Kontrolllisten über den tatsächlichen Einsatz gehören dazu. Der Betriebsrat hat also die Möglichkeit, sich ein umfassendes Bild über Werkvertragsbeschäftigung im eigenen Betrieb zu machen und zu prüfen, ob möglicherweise missbräuchliche Konstruktionen vorliegen.

  • 92 BetrVG verpflichtet den/die ArbeitgeberIn, den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die Personalplanung zu unterrichten. Auch diese Unterrichtung muss Werkvertragsbeschäftigung explizit mit einschließen. Der Betriebsrat kann dem/der ArbeitgeberIn Vorschläge für die Personalplanung machen. In einigen Betrieben existieren freiwillige Betriebsvereinbarungen, die die Beschäftigung von WerkvertragsarbeiterInnen regeln und dabei klar definieren, unter welchen Bedingungen Werkvertragsgestaltungen in Ordnung sind und wann nicht.

 

Mitbestimmungsrechte

Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Einstellung von Werkvertragsbeschäftigten wird oft verneint, weil angenommen wird, dass § 99 (Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen) für Personal anderer Unternehmen nicht gelte. Doch entgegen dieser Auffassung setzt die Neueinstellung aus § 99 Abs. 1 BetrVG kein Arbeitsverhältnis voraus. Es geht vielmehr um die Frage, ob jemand in den Betrieb eingegliedert wird. Das bedeutet, dass auch die Arbeitsaufnahme einer Werkvertragsbeschäftigten eine Neueinstellung sein kann, bei der der Betriebsrat entsprechend mitbestimmen kann. Ausschlaggebend ist, ob der/die ArbeitgeberIn zumindest teilweise die Personalhoheit über die Werkvertragsbeschäftigten innehat. Entscheidendes Kriterium dafür ist die Weisungsbefugnis im Hinblick auf Zeit, Ort und Art der Tätigkeit. Dies wird für den Betriebsrat jedoch meist schwer feststell- und noch schwerer durchsetzbar sein. In der Regel wird der/die ArbeitgeberIn den Betriebsrat noch nicht einmal ordentlich und rechtzeitig über die Einstellung unterrichten. Hinzu kommt: Erst nach der Aufnahme der Tätigkeit wird sichtbar, ob Weisungsbefugnis besteht. Zu diesem Zeitpunkt ist es für eine sinnvolle Nutzung der Rechte aus § 99 BetrVG allerdings meist zu spät. Deshalb muss der Betriebsrat seine oben genannten Informationsrechte bereits vorher aktiviert und eine Gesamtstrategie in Bezug auf Werkverträge entwickelt haben.

Zu dieser Gesamtstrategie kann dann auch die Ausübung der zwingenden Mitbestimmungsrechte aus § 87 BetrVG gehören. Zwar beziehen sich auch diese zuerst auf die ArbeitnehmerInnen des Betriebes, umfassen aber oft auch die Arbeitsbedingungen von Werkvertragsbeschäftigten. Offensichtlich wird dies beispielsweise bei Regelungen zu Zugangskontrollen, Videoüberwachung oder Rauchverbot. Auch im Arbeitsschutz muss es zwangsläufig einheitliche Maßnahmen für alle Beschäftigten auf dem Betriebsgelände geben. § 8 ArbSchG verpflichtet mehrere ArbeitgeberInnen ohnehin zur Zusammenarbeit.

Nicht zuletzt verpflichtet § 75 BetrVG den Betriebsrat, darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden.

 

Weitere Unterstützungsmöglichkeiten durch den Betriebsrat

Der Betriebsrat kann auch durch weitergehende Maßnahmen etwas für die Gleichstellung von Werkvertragsbeschäftigten tun. So könnte er die KollegInnen zu seiner Betriebsversammlung einladen und die Sprechstunde auch für Werkvertragsbeschäftigte öffnen. Auch die Öffentlichkeitsarbeit des Betriebsrates kann die WerkvertragskollegInnen mit einschließen. Wahrscheinlich wird der/die ArbeitgeberIn dies kritisch sehen. Der Betriebsrat sollte sich diese Maßnahmen jedoch nicht verbieten lassen. Ebenso kann er versuchen, Kontakt zum Betriebsrat des Werkvertragsunternehmens aufzunehmen. Wenn es dort keinen Betriebsrat geben sollte, gibt es vielleicht gewerkschaftliche Netzwerke, über die der Austausch mit den KollegInnen direkt organisiert werden kann. Kontakt und Austausch zwischen den KollegInnen herzustellen, ist wahrscheinlich das wichtigste Instrument, das dem Betriebsrat beim Thema Werkverträge zur Verfügung steht.

[1] Vgl. Eckpunkte „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ 20. Mai 2020, auf der Webseite des Ministeriums, www.bmas.de.

[2] Vgl. Stellungnahme des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft auf seiner Webseite, https://zdg-online.de.

[3] Vgl. Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Werkverträge und Zeitarbeit auf ihrer Webseite, www.werkvertrag-zeitarbeit.de

[4] Vgl. Betriebsräte-Befragung 2018 zu Leiharbeit und Industrienahen Dienstleistungen (InDl)/Werkverträgen

[5] Verbreitung, Nutzung und mögliche Probleme von Werkverträgen – Quantitative Unternehmens- und Betriebsrätebefragung sowie wissenschaftliche Begleitforschung – Endbericht – 2017.

[6] Broschüre (o.J.): Werkverträge. Fakten und Argumente von AGV Nord und Nordmetall. Online unter: https://www.gesamtmetall.de/sites/default/files/downloads/broschuere_werkvertraege_nordmetall.pdf

Warum es gerade jetzt wichtig ist, einen Betriebsrat zu gründen

Die Corona-Pandemie hat politische Möglichkeitsfenster geöffnet. Ein Beispiel: Die katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie sind seit Jahren bekannt. Aber erst die gehäuften Infektionsausbrüche in Schlachtereien in mehreren Bundesländern führten zu einer echten Kehrtwende in der Arbeitsschutzpolitik. Mitte Mai verkündete Arbeitsminister Heil ein geplantes Verbot von Werkvertrags- und Leiharbeitsbeschäftigung für die gesamte Branche. Auch wenn der Gesetzesentwurf noch nicht vorliegt und die Fleischkonzerne bereits an Umgehungsstrategien arbeiten, ist dies eine gewaltige Überraschung und ein großer Erfolg in dem jahrelangen Kampf um bessere Arbeitsbedingungen in einer der schlimmsten Branchen Europas.

Doch die Möglichkeitsfenster öffnen sich in beide Richtungen. Schon seit Beginn der Pandemie sind Betriebs- und Personalräte ins Fadenkreuz der Arbeitgeberlobby geraten: Betriebliche Mitbestimmung sei ein schwerfälliges, bürokratisches Modell, das man sich in dieser Form nicht mehr leisten könne. Gerade in Zeiten einer nationalen Notlage bräuchte es schnelles Handeln der Betriebsführungen. Die Mitbestimmungsgremien würden hier nur verlangsamen und verhindern.

Zahlreiche Torpedierungsversuche

Die Änderung der Geschäftsführung von Betriebs- und Personalräten war der erste Anlass, um einen Rückbau der betrieblichen Demokratie zu fordern. Angesichts von Eindämmungsverordnungen und Betrieben im Lockdown stellte sich für viele Gremien die Frage, wie sie wirksame Beschlüsse fassen können. Sowohl das Betriebsverfassungsgesetz als auch das Personalvertretungsrecht sehen vor, dass die Mitglieder persönlich anwesend sein müssen und über die Tagesordnung gemeinsam beraten. War dies auch unter Corona-Bedingungen möglich? Die Arbeitgeberseite schlug eilig vor, dass Betriebsräte ihre Beschlüsse zukünftig nicht mehr in Sitzungen vor Ort, sondern im Rahmen von Video- oder Telefonkonferenzen fällen sollten. Der Deutsche Anwaltsverein (DAV) ging noch einen Schritt weiter: In seiner offiziellen Stellungnahme „zur Notwendigkeit, die Handlungsfähigkeit der Betriebspartner in der aktuellen Krise zu gewährleisten“ plädierte er dafür, die Betriebsratssitzung gleich ganz abzuschaffen und stattdessen im Umlaufverfahren zu beschließen. Auch sollte jeweils ein dreiköpfiger Notausschuss bestellt werden, der in Zukunft für alle Beteiligungsfragen zuständig sein sollte. Und nebenbei, ohne ersichtlichen Zusammenhang zur Pandemie, sollte auch noch die Mitbestimmung bei Einstellungen und Versetzungen ausgesetzt werden. Dem DAV sei es darum gegangen, die Handlungsfähigkeit der ArbeitgeberIn vorübergehend zu stärken und Insolvenzen möglichst zu verhindern. Das käme auch den ArbeitnehmerInnen zugute, wie der Arbeitgeberanwalt Jobst-Hubertus Bauer später beteuerte.

Zwar formierte sich hier schnell Widerstand und fast 400 arbeitnehmernahe RechtsanwältInnen forderten in einem offenen Brief den DAV dazu auf, die Stellungnahme zurückziehen. Aber der DAV ist mit knapp 63.000 Mitgliedern eine einflussreiche Institution, und die Stellungnahme ist weiterhin online. Wenige Tage später wurde ein Entwurf für eine Änderung des Personalvertretungsrechts aus dem Bundesministerium des Inneren bekannt, der prompt digitale Sitzungen und Beschlüsse im Umlaufverfahren vorsah. Zudem sollten die Änderungen nicht befristet werden, hätten also auch über die Pandemie hinaus Bestand gehabt.

Kollektive Interessenvertretung in Gefahr

Bei der geforderten Änderung des Beschlussverfahrens geht es nicht um eine reine Formalie. Die Form der Entscheidungsfindung im Gremium ist Ausdruck der demokratischen Verfasstheit von Betriebs- und Personalräten. Es gehört zum Charakter der Räte, dass sie gleichberechtigt und frei über die betrieblichen Themen beraten und jede/r sich gleichermaßen an der kollektiven Willensbildung beteiligen kann. Umlaufverfahren und Sitzungen per Videokonferenzen würden die Art des Zusammenkommens und Debattierens nachhaltig verändern. Betriebs- und Personalräte könnten ihre Eigenschaft als politische Gremien verlieren und zu reinen Entscheidungsinstanzen werden. Eine Schwächung der demokratischen Konstitution der Gremien schwächt auch ihre Bindung an die Belegschaften. Nur durch politische Interventionen an den richtigen Stellen konnte durchgesetzt werden, dass die Änderungen sowohl im Personalvertretungs- und später auch im Betriebsverfassungsrecht lediglich befristet gelten.

Im April versuchte es der CDU-Wirtschaftsrat dann mit einem Vorstoß, der vorsah, dass in Betrieben ohne Betriebsrat die Arbeitgeberin einseitig für alle ArbeitnehmerInnen Kurzarbeit anordnen könne. Es sei kein Angriff auf die Mitbestimmung, wurde als Beschwichtigung gleich mitgeliefert. Aber selbstverständlich ist es als solcher zu verstehen. Es ist Kern des Gedankens der Mitbestimmung, dass die kollektiven Interessen der Belegschaft durch ein gemeinsam gewähltes Gremium vertreten werden können. Zwischen Arbeitgeberin und Betriebsrat verhandelte Betriebsvereinbarungen sind höherwertiger als die individuellen Vereinbarungen zwischen Arbeitgeberin und einzelnen ArbeitnehmerInnen. Die Betriebsverfassung überschreitet an dieser Stelle das liberale Rechtssystem mit seiner individuellen Vertragsfreiheit. Gerade an der Frage von Kurzarbeitsvereinbarungen wurde die Bedeutung kollektiver Interessenvertretung für die Betriebe deutlich. Der CDU-Wirtschaftsrat wollte dieses demokratische Prinzip kurzerhand durch die Stärkung der Autorität der Arbeitgeberin aushebeln.

Die bisher größte Attacke kam jedoch vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall. In einem im Juni veröffentlichten Positionspapier mit dem Titel: „Wiederhochfahren und Wiederherstellung –Vorschläge für die 2. und 3. Phase der Corona-Krise“ wurde die gesamte Breite neoliberaler Forderungen nach Rückbau sozialstaatlicher Institutionen abgefeuert; erhebliche Einschnitte bei der betrieblichen Mitbestimmung inklusive. Selbst vor dem Herzstück der Betriebsverfassung – der erzwingbaren Mitbestimmung nach § 87 BetrVG – wurde kein Halt gemacht. Mitbestimmung bei Verkürzung und Verlängerung der Arbeitszeit, Gefährdungsbeurteilungen und anderen Fragen sollte für den Betriebsrat nur noch innerhalb festgelegter Fristen möglich sein. Die Mitbestimmung beim Arbeits- und Gesundheitsschutz solle gleich generell eingeschränkt werden. Das sei zeitgemäß und würde einer modernen Betriebsverfassung entsprechen. Natürlich sieht Gesamtmetall keinen Anlass, die Mitbestimmung bei akuten Themen wie Infektionsprophylaxe oder Digitalisierung auszuweiten.

Parlamentarische Kräfteverhältnisse könnten sich ändern

Noch sind die parlamentarischen Verhältnisse im Bundestag derart, dass ein Abbau der Mitbestimmungsrechte nicht ansteht. Aber das kann sich schnell ändern. In der Fraktion DIE LINKE spielt die Verteidigung und Ausweitung der Mitbestimmung eine vergleichsweise große Rolle. Auch Bündnis 90/Die Grünen haben kürzlich einen erfreulich weitgehenden Antrag zur Ausweitung der Mitbestimmung gestellt. Aber angesichts der Schwäche der SPD droht das linke parlamentarische Lager zu wackeln. CDU/CSU, FDP und AfD ist gemeinsam, dass sie den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit versuchen wegzudiskutieren. Interessenvertretungen würden ihre Arbeit dann gut machen, wenn im Betrieb alles harmonisch verlaufe. Von Konflikten zu sprechen und die Gremien dafür wappnen zu wollen, sei verfehlt und würde einen Klassenkampf beschwören, den es in deutschen Betrieben so nicht mehr gäbe.

Betriebliche Mitbestimmung verteidigen!

Tatsächlich sind die meisten Betriebsräte eher zurückhaltend beim Führen betrieblicher Konflikte. Es sind eher die ArbeitgeberInnen, die sich klassenkämpferisch betätigen und die Arbeit der Betriebsräte vehement attackieren. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass es betriebliche Mitbestimmung in Deutschland gibt und keine Selbstverständlichkeit, dass wir sie auch zukünftig in dieser Form weiter haben werden. Die beste Verteidigung ist, Mitbestimmung in so vielen Betrieben wie möglich zu realisieren. Gerade jetzt sollten neue Betriebsräte entstehen! Nur ein paar gute Gründe:

  • Mit der Corona-Pandemie wurde der betriebliche Gesundheitsschutz für ArbeitnehmerInnen und Betriebe zu einer Frage von herausragender Bedeutung. Es gibt trotzdem weiterhin keine verpflichtenden Vorgaben für ArbeitgeberInnen, was die Corona-Prophylaxe angeht. Der Betriebsrat hat beim Arbeits- und Gesundheitsschutz volles Mitbestimmungsrecht. Nur mit Betriebsrat wird es einen effektiven Infektionsschutz im Betrieb geben.
  • Kurzarbeit ist für viele Beschäftigte eine existentielle Frage. Nur Betriebs- und Personalräte sind in der Lage, mit der Arbeitgeberin entsprechende Vereinbarungen zu verhandeln und eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes durchzusetzen.
  • Viele Unternehmen drohen mit Betriebsänderungen und Personalabbau in Folge von Corona. Ohne Betriebsrat haben sie hier weitgehend freie Hand. Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss sind in der Lage zu prüfen, wie die wirtschaftliche Lage des Unternehmens wirklich ist und können mit der Arbeitgeberin einen Interessenausgleich und Sozialplan verhandeln.

Corona bedeutet keinerlei Einschränkung, was die Möglichkeit einer Betriebsratswahl angeht. Selbst in den ersten Wochen des Lockdowns in Kurzarbeit-Null haben sich in Deutschland mehrere neue Betriebsräte gewählt. Jeder neue Betriebsrat stärkt das Prinzip Mitbestimmung für alle Beschäftigten.

Gesundheitsschutz in der Corona-Pandemie – nur mit Betriebsrat!

Dieser Artikel erscheint gleichzeitig in der Ausgabe 05/2020 der Zeitschrift express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

COVID-19 gefährdet Beschäftigte

Der Arbeitsplatz ist ein zentraler Ort für die Ansteckung und Verbreitung von Krankheiten wie COVID-19. Außerhalb des Homeoffices teilen sich ArbeiterInnen unweigerlich Räume und Arbeitsmittel mit anderen KollegInnen. Viele kommen außerdem täglich in Kontakt mit KundInnen und KlientInnen. Eine US-amerikanische Studie kam im Februar dieses Jahres zu dem Ergebnis, dass fast 30 % aller Beschäftigten mindestens einmal pro Monat einer Infektion am Arbeitsplatz ausgesetzt sind; 10 % sogar einmal pro Woche. Zu den besonders gefährdeten Branchen gehören Polizei, Feuerwehr und Justizvollzug, aber auch BüroarbeiterInnen, Kuriere, ErzieherInnen, LehrerInnen, SozialarbeiterInnen und sogar das Baugewerbe.[1] Beschäftigte im Gesundheitsbereich sind speziell gefährdet. Doch gibt es dort meist auch bessere Hygienemaßnahmen. Viele anderen Branchen haben sich dagegen vor der Corona-Pandemie kaum mit Infektionsprophylaxe beschäftigt. Präsentismus – also das Phänomen, dass Beschäftigte trotz Symptomen krank zur Arbeit gehen – verstärkt die Problematik. Eine schriftliche Frage der Linksfraktion an die Bundesregierung ergab, dass über zwei Drittel aller ArbeitnehmerInnen mindestens einmal im Jahr krank zur Arbeit gehen. Präsentismus ist demnach gerade in sogenannten systemrelevanten Arbeitsbereichen besonders stark verbreitet.[2]

Spätestens mit der Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen besteht also dringender Handlungsbedarf. Beschäftigte in allen Bereichen der Wirtschaft müssen vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 am Arbeitsplatz geschützt werden. Die Infektion stellt dabei eine nicht nur körperliche Gefährdung dar. In Zeiten einer Pandemie unter risikobehafteten Bedingungen arbeiten zu müssen, ist auch eine nicht zu unterschätzende psychische Belastung. Damit zusammenhängende Sorgen und Stress können zu Depressionen und Schlafstörungen führen. Eine Studie in der chinesischen Stadt Chongqing kam zu dem Ergebnis, dass 10 % der an den Arbeitsplatz zurückkehrenden ArbeiterInnen Symptome hatten, die einer Posttraumatischen Belastungsstörung entsprachen.[3]

 

Gesundheitsschutz wird den Betrieben überlassen

Die politische Reaktion ist enttäuschend. Erst Mitte April, also fast drei Monate nach dem ersten Infektionsfall in Deutschland – der auch am Arbeitsplatz passierte –, veröffentlichte das Bundesarbeitsministerium einheitliche Arbeitsschutzstandards.[4] Die Standards wurden mittlerweile in Handlungsempfehlungen der verschiedenen Berufsgenossenschaften übersetzt. Inhaltlich sind diese Empfehlungen zu vertreten, sie sind jedoch nicht ausreichend. Außerdem handelt es sich eben lediglich um Empfehlungen. Im Gegensatz zum öffentlichen Raum, der durch die Eindämmungsverordnungen der Bundesländer stark reglementiert wurde, war der private Bereich des Betriebes während der gesamten Pandemie kaum neuen Regelungen unterworfen. In der Corona-Krise setzt sich die neoliberale Ausrichtung des deutschen Arbeitsschutzsystems weiter fort. Die gesundheitsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes wird selbst angesichts einer akuten Gefährdung durch eine Pandemie fast vollständig dem Regime der ArbeitgeberInnen überlassen.

Der Arbeitsminister verwies in seiner Vorstellung mehrfach auf die Kontroll- und Beratungsfunktion der Arbeitsschutzbehörden. Aber auch von dieser Seite ist leider keine nachhaltige Unterstützung zu erwarten. Die zuständigen Behörden wurden in den letzten 15 Jahren systematisch kaputtgespart. Die Bundesregierung gab auf eine Anfrage der LINKE-Abgeordneten Jutta Krellmann zu, dass sich der deutsche Arbeitsschutz in einer kritischen Gesamtsituation befindet. Mittlerweile werden Betriebe in Deutschland nur noch durchschnittlich alle 25 Jahre (!) besichtigt. Die meisten Bundesländer haben sich hierbei auf rein reaktives Arbeiten beschränkt und lassen Betriebe nur bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten besuchen.[5]

Das Ergebnis: teilweise dramatische Bedingungen in den Betrieben. Der von der express-Redaktion organisierte Blog corona@work dokumentiert einige der eklatantesten Fälle. Ohne diese Arbeit würde das Thema medial kaum Beachtung finden.

Die Schlussfolgerung ist klar: Wenn der Staat die wichtige Aufgabe des Arbeitsschutzes nicht angemessen ausfüllt, dann ist es die Pflicht der Betriebsräte und Interessenvertretungen, in diese Bresche zu springen und die erforderlichen Maßnahmen in ihren Betrieben durchzusetzen. Arbeits- und Gesundheitsschutz gehört zu den zentralen Aufgabenfeldern von Betriebs- und Personalräten. Dennoch ergab eine nicht repräsentative Umfrage unter Berliner Betriebsräten, dass nur die Hälfte der Gremien den betrieblichen Corona-Hygieneplan mitbestimmt hatte.

 

Mitbestimmungsrecht so schnell wie möglich durchsetzen

87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG gibt dem Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht im Rahmen aller gesetzlichen Vorschriften des Gesundheitsschutzes. Die einschlägige Rahmenvorschrift ist hierbei § 3 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, alle erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen. Hierbei spielt das Tempo eine entscheidende Rolle. Es braucht jetzt entsprechende Maßnahmen der Infektionsprophylaxe – im besten Falle noch vor der Wiedereröffnung der Betriebe. Der Betriebsrat sollte sich deswegen nicht damit abfinden, dass vor dem Maßnahmenplan erst einmal die Gefährdung im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG festgestellt werden soll. Arbeitnehmerorientierte Rechtsanwälte argumentieren zu Recht, dass im Falle von COVID-19 die Gefährdung bereits feststeht. Die Infektionsgefährdung und das hohe gesundheitliche Risiko sind allgemein anerkannt und müssen nicht erst festgestellt werden. Der Betriebsrat kann also direkt seine Maßnahmen im Rahmen einer Einigungsstelle durchsetzen lassen und muss keine Umwege akzeptieren. In Arbeitsbereichen, in denen auch mit strengen Maßnahmen kein wirksamer Infektionsschutz möglich ist, muss die Maßnahme zwingend darin bestehen, dass der Betrieb oder Betriebsteil nicht geöffnet werden kann und zumindest für Risikogruppen eine bezahlte Freistellung ausgehandelt wird.

Die oben zitierte Studie aus Chongqing ergab auch, dass ArbeiterInnen weniger unter psychischen Belastungen leiden, wenn sie die Hygienemaßnahmen am Arbeitsplatz als ausreichend und angemessen wahrnehmen. Die Belastungen steigen jedoch, wenn die Maßnahmen als mangelhaft angesehen werden. Es ist also nicht nur politisch, sondern sogar medizinisch von großer Bedeutung, dass der Betriebsrat mit der Belegschaft in Kontakt tritt und gemeinsam bespricht, welche konkreten Maßnahmen am Arbeitsplatz umgesetzt werden sollen. Nur mitbestimmte Hygienepläne können beides: einen wirksamen Infektionsschutz sicherstellen und den Kolleg*innen die nötige Sicherheit geben, ohne Bedenken an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren.

[1] Backer, Marissa; Peckham, Trevor; u. a.: Estimating the burden of United States workers exposed to infection or disease: A key factor in containing risk of COVID-19 infection. In: PLoS ONE 15(4): 2020.

[2] Vgl. Schriftliche Fragen an die Bundesregierung März 2020, Arbeitsnummer 196 bis 198.

[3] Tan Wanqiu, Hao Fengyi, u. a.; Is returning to work during the COVID-19 pandemic stressful? A study on

immediate mental health status and psychoneuroimmunity prevention measures of Chinese workforce. In: Brain, Behavior, and Immunity, April 2020.

[4] Der „SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandard“ kann auf der Webseite des Arbeitsministeriums www.bmas.de heruntergeladen werden.

[5] Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage: „Entwicklung der Arbeitsschutzkontrollen in Deutschland“ BT-Dr 17409

Ausländer*innen in die Gremien!

Am 24. September wurde in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt. Laut Bundeswahlleiter hatten 61,5 Millionen Menschen an diesem Tag das aktive Wahlrecht. Nach letzten Daten leben in Deutschland jedoch 80,6 Millionen Menschen. Was ist also mit den über 19 Millionen Menschen, die hier leben, aber nicht wählen durften? Die größte Gruppe unter Ihnen bilden die unter 18-Jährigen. Aber auch Menschen, die einen gesetzlichen Betreuer in allen Angelegenheiten haben, dürfen nicht mehr wählen. In seltenen Fällen kann jemandem auch aufgrund einer Straftat das Wahlrecht entzogen werden.

Der Blog wahllos.de schätzt jedoch, dass es auch 6,4 Millionen Nicht-EU-Ausländer*innen in Deutschland gibt.[1] Sie dürfen nicht wählen, weil sie keine deutsche Staatsangehörigkeit haben. Die allermeisten von ihnen leben dauerhaft in Deutschland, haben ihren Lebensmittelpunkt hier, arbeiten, zahlen Steuern und nehmen auch sonst am gesellschaftlichen Leben teil. Aufgrund der Kopplung des Wahlrechts an die Staatsangehörigkeit dürfen sie jedoch nicht mitentscheiden, welche Parteien in den nächsten Jahren im Bundestag vertreten sein werden und welche Ausgaben mit den geleisteten Steuern getätigt werden.

In der Geschichte der BRD waren immer nur 68% bis 76% der Bevölkerung auch tatsächlich wahlberechtigt[2] und bei jeder Wahl verzichten 10% bis fast 30% der Wahlberechtigten auf die Ausübung dieses Rechts und gehen nicht zur Wahl. Dennoch ist es ein Problem für eine Demokratie, wenn sie so vielen Menschen strukturell die Partizipation verweigert. Wenn eine Demokratie sich als Demokratie ernst nimmt, dann kann man das so genannte „Wahlvolk“ nicht einfach auf den abstrakten Begriff der Staatsangehörigkeit reduzieren, sondern muss alle Menschen beteiligen, die hier leben.

Das Wahlrecht wird sich aber so schnell nicht ändern. Dafür ist der politische Mainstream immer noch zu sehr der Meinung, das Wahlrecht müsse man sich verdienen und nur ein „echter“ Deutscher, also einer mit Staatsangehörigkeit, dürfe auch wählen gehen. Die ehemalige rot-grüne-Regierung in Nordrhein-Westfalen wollte ein Ausländer*innenwahlrecht, zumindest für Kommunalwahlen festlegen, war damit aber vor kurzem erst gescheitert.[3]

Wenn man aber an andere Partizipationsmöglichkeiten denkt, dann fällt auf, dass das Betriebsverfassungsrecht in Deutschland lebende Ausländer*innen nicht in der Weise diskriminiert, wie es das Bundeswahlgesetz tut. Bei Betriebsratswahlen ist weder das aktive, noch das passive Wahlrecht die Staatsbürgerschaft gekoppelt. Für das Betriebsverfassungsrecht ist es egal, wo jemand herkommt, wichtig ist nur, dass er*sie Arbeitnehmer*in im Betrieb bist. Es gibt sogar einige Regelungen, die Ausländer*innen die Ausübung ihrer Beteiligungsrechte erleichtern sollen, zum Beispiel die Pflicht der Arbeitgeber*innen die Kosten für  Übersetzungen und Dolmetscher*innen für nicht-deutsch-Muttersprachler*innen zu tragen (§ 40 BetrVG), oder die Pflicht des Wahlvorstandes Arbeitnehmer*innen, die der deutsche Sprache nicht mächtig sind über das gesamte Wahlverfahren in geeigneter Weise und ggf. sogar in ihrer Muttersprache vorab zu informieren (§ 2 Abs. 5 WO) oder auch das allgemeine Diskriminierungsverbot in § 75 BetrVG. Der Betriebsrat hat nach § 80 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG die Aufgabe die Integration ausländischer Arbeitnehmer*innen im Betrieb zu fördern. Dazu muss auch die Integration in die betrieblichen Interessenvertretungsgremien gehören.

In Deutschland lebende Ausländer*innen sollten deswegen dazu eingeladen werden sich in Betriebsversammlungen, bei den Betriebsratswahlen, im Wahlvorstand und im Betriebsrat aktiv an der Betriebspolitik zu beteiligen. Es handelt sich um Kolleg*innen, denen durch das Betriebsverfassungsrecht die Möglichkeit der aktiven Partizipation und Einflussnahme auf ihre täglichen Lebensbedingungen gegeben wird. Eine Möglichkeit, die ihnen das Bundeswahlgesetz leider immer noch verwehrt.

René Kluge, ehem. BR-Vorsitzender Autismus Deutschland und tandem Autismus. Geschäftsführer R+A Recht und Arbeit GmbH

 

[1] http://wahllos.de/nicht-deutsch-genug-zum-waehlen/static,Akin_de.htm

[2] http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/bundestagswahlen/55604/wahlberechtigte-1949-2009

[3] http://www.n-tv.de/politik/NRW-aendert-Wahlgesetz-nicht-article19747644.html

Gemeinsam stark! Gewerkschaftspolitische Herausforderungen nach der Bundestagswahl – Aktionskonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Bundesfraktion DIE LINKE. 20.Oktober 2017, Kassel

Rund 250 aktive Betriebsräte, Gewerkschaftssekretär*innen und andere Aktive versammelten sich am 20. Oktober in Kassel, um zusammen mit Vertreter*innen aus Politik und Gewerkschaften die Ergebnisse der Bundestagswahlen, ihre Gründe und auch Perspektiven daraus zu diskutieren und ihre Forderungen an die Politik zu stellen.

Zu Beginn der Veranstaltung erwartete uns Jutta Krellmann (MdB, Fraktion DIE LINKE) mit einem Vortrag zur Stärkung der Gewerkschaften und der Ausweitung der Mitbestimmung für Betriebsräte. Sie rief dazu auf, gewerkschaftlich solidarisch gegen Neoliberalismus und Faschismus aufzutreten. Nur so lässt sich eine Front gegen den gesellschaftlichen und politischen Rechtsruck bilden. Sybille Stamm (Vorstand Rosa-Luxemburg-Stiftung) verwies auf die Herausforderungen gewerkschaftlicher Erneuerung angesichts des zunehmenden Mitgliederschwunds und forderte die Gewerkschaften auf, sich auch gesellschaftlich einzumischen und ihr politisches Mandat zu nutzen. Vor der Mittagspause hielt  Prof. Dr. Nicole Mayer-Ahuja (Direktorin am SOFI Göttingen) einen Vortrag mit anschließender Diskussionsrunde über den Stand und die Perspektiven der Arbeiter*innenbewegung und das „neue Normalarbeitsverhältnis“. Dabei ging es um Veränderungen in der Arbeitswelt. Sie stellte das früher klassische Normalarbeitsverhältnis (unbefristete Vollzeit, dauerhafte Perspektive, , Existenzsicherung, regelmäßige Arbeitszeiten,  etc.) der Prekarisierung seit Mitte der 80er Jahre gegenüber. Zunehmende Unterschreitungen des Normalarbeitsverhältnisses und prekäre Arbeitsbedingungen verdrängten langsam typische Arbeitsverhältnisse.  So z.B. weg vom 8-Stunden-Tag hin zu flexiblen Arbeitszeiten, dem Verschwimmen von Arbeits- und Privatleben, Outsourcing, Leiharbeit und der einhergehenden Vielfältigkeit der Beschäftigten. Daraus geht  ein Mangel an Zusammengehörigkeit hervor, der u.a. Grund für schwindende Mitgliederzahlen in Gewerkschaften ist. Ihre Forderung an DIE LINKE und die Gewerkschaften ist, sich damit auseinanderzusetzen. Sie müssen sich  für ein „wir“ im 21. Jahrhundert einsetzen, in dem die allgemeine Verunsicherung wächst und Menschen weltweit von Prekarisierung betroffen sind. Gefordert ist  die Suche nach gemeinsamen Zielen aller Arbeitenden der heute divergenten Arbeitswelt, die  Zusammenarbeit in einem breiten Bündnis von Gewerkschaften und Partei als linke Alternative zur Politik des Neoliberalismus und der Mut zur Utopie – eine neue Politik der Arbeit auf Basis von Demokratie und Gleichheit .

Wir hatten nach der Mittagspause außerdem die Gelegenheit in kleineren Arbeitsgruppen über einige wichtige Themen zu diskutieren. Zur Auswahl standen Rente, Arbeitszeit, prekäre Beschäftigung und Tarifflucht, Sparpolitik stoppen – öffentliche Daseinsvorsorge stärken und Gesellschaftlicher Rechtsruck – sozialen Spaltungen und Rassismus entgegentreten.

Den Abschluss des Tages bildete die Podiumsdiskussion „Gewerkschaftliche und politische Kämpfe verbinden- das politische Mandat der Einheitsgewerkschaft“ mit Bernd Riexinger, Dr. Hans-Jürgen Urban (IGM Vorstand) und Andreas Keller (stellv. Vorsitzender GEW). Dort wurden Themen wie der Umgang mit der AfD, wie auch die konkrete Bedeutung einer Jamaika-Koalition für Arbeitnehmer*innen und die Schwächung der Gewerkschaften besonders thematisiert.

Aus meiner Sicht war die Konferenz  sinnvoll, da ich als Mitglied eines Betriebsrats direkt im großen Plenum mit Vertretern aus Politik und den Gewerkschaften genau das diskutieren konnte, was die Kolleg*innen in meinem Betrieb täglich betrifft und so nach Lösungen gesucht wurde um den Problemen entgegenzutreten. Ich stimme prinzipiell mit der Forderung überein, dass Gewerkschaften gesellschaftspolitisch aktiver werden sollten, allerdings ist die Grundvoraussetzung dafür, die bessere Zusammenarbeit der Gewerkschaften selbst. Ohne gemeinsam gesetzte Ziele und einen Plan wie diese erreicht werden sollen, nützt gesellschaftspolitisches Engagement der Einzelgewerkschaften nichts. Ich betrachte die Konferenz in Kassel  aber als gelungenen Anfang für eine bessere Zusammenarbeit auch zwischen den Gewerkschaften, da Vertreter*innen  verschiedener DGB-Gewerkschaften anwesend waren und so der Grundstein für eine gemeinsame Zielsetzung zusammen mit der Partei DIE LINKE gelegt wurde.

Carolin Fischer, Betriebsratsvorsitzende bei Uniqlo Europe Ltd.,Berlin.