Buchvorstellung: „Rechtspopulismus in Gewerkschaften“

15 Prozent der an der Bundestagswahl 2017 beteiligten Gewerkschaftsmitglieder wählten die AfD. Parallel dazu sehen sich Gewerkschaften verstärkt mit Angriffen von Rechtspopulisten konfrontiert – Anlass für die Autor*innen Dieter Sauer, Ursula Stöger, Joachim Bischoff, Richard Detje und Bernhard Müller[1], sich auf eine „arbeitsweltliche Spurensuche“ zu begeben. Ihre Untersuchung basiert auf Gesprächen mit 114 haupt- und ehrenamtlichen Gewerkschafter*innen aus insgesamt 45 Betrieben der Organisationsbereiche von IG Metall und ver.di. Ihre Leitfrage lautet: Sind im betrieblichen und gewerkschaftlichen Zusammenhang Ursachen für eine Verbreitung von Rechtspopulismus auszumachen? Denn dann kommt nach Ansicht der Autor*innen Gewerkschaften eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung von Rechtspopulismus zu.

Rechte Orientierungen in Betrieb und Gewerkschaften

Alle Befragten berichten von einer Klimaveränderung seit der Fluchtbewegung 2015. Vorhandene rechte Einstellungen im Betrieb werden seitdem verstärkt offen geäußert. Relevante Plattformen sind besonders die sozialen Medien, denn hier findet Kommunikation ungesehen von der Betriebsöffentlichkeit im Schutz der Anonymität statt. Neu ist auch eine Enttabuisierung rechter Meinungen, seit die AfD in Parlamenten vertreten ist. Teilweise werden Interessenvertreter*innen aufgefordert, sich politisch neutral zu verhalten.

Befragte berichten von Gewerkschaftsaustritten aufgrund der Solidarisierung von Gewerkschaften mit Geflüchteten und ihrer Positionierung gegen Rechtspopulismus. Befragten Gewerkschafter*innen wird vorgeworfen, nicht bei ihrem „Geschäft“ zu bleiben, wenn sie sich politisch positionieren. Einige berichten, dass deshalb in ihren Betrieben das Thema Rechtspopulismus vermieden wird, andere Befragte berichten dagegen von klarer Positionierung. Die Gewerkschaftsaustritte deuten die Autor*innen u. a. als Folge einer verfehlten Gewerkschaftspolitik, die stärker an Mitgliederzahlen als an einer inhaltlichen Auseinandersetzung orientiert ist.

Ursachen für Rechtspopulismus in der Arbeitswelt

Alle Befragten nehmen eine krisenhafte Zuspitzung in der Arbeitswelt wahr. Diese Wahrnehmung basiert u. a. auf drohenden Arbeitsplatzverlusten durch Umstrukturierung; Unsicherheit und Überforderung durch Digitalisierung; Entwertung durch prekäre Beschäftigung; gestiegenem Zeit- und Leistungsdruck. Diese betrieblichen Zustände rufen Gefühle hervor, die, so die Autor*innen, rechte Einstellungen begünstigen. Es kommt zu Abstiegs- und Zukunftsängsten, dem Gefühl von Kontrollverlust und Abwertung. Gefühle von Machtlosigkeit, Resignation und Wut treten auf. Parallel dazu wird eine zunehmende innerbetriebliche Entsolidarisierung festgestellt, die durch die Verschärfung von Arbeitsstrukturen begünstigt wird. Gleichzeitig werden Gewerkschaften nicht als  kämpferisch erlebt, sondern als eine Institution wahrgenommen, die lediglich Schlimmeres verhindert.

Enttäuschung über Politik und Schwinden gewerkschaftlicher Macht

Die Befragungen ergeben einen Vertrauensverlust von Arbeitnehmer*innen in demokratische Institutionen, der auch die Gewerkschaften trifft. Diese werden teilweise nicht mehr als Interessenvertretung der Arbeitnehmer*innen wahrgenommen, sondern auf Arbeitgeberseite verortet. Arbeitnehmer*innen fühlen sich von demokratischen Institutionen nicht mehr vertreten, sondern erleben diese als Teil eines feindlichen Establishments, auf das sie keinen Einfluss haben. Es existiert die subjektive Wahrnehmung, ungerecht behandelt zu werden, das Gefühl, keinen Einfluss zu haben und durch die Politik nicht vertreten zu werden. Dies wird durch eine außerbetriebliche Lebenswelt, die durch Verunsicherung und Mangel gekennzeichnet ist (Rente, Gesundheitssystem etc.), noch verschärft.

Hier kann sich die AfD als Sprachrohr etablieren. Sie präsentiert sich als Ansprechpartner für die „kleinen Leute“, die glauben, von der politischen Elite verraten zu werden. Geflüchtete dienen hier als Projektionsfläche für soziale Ängste. Die bestehende Krise wird nicht mehr klassenanalytisch als ein Konflikt zwischen Oben und Unten verstanden, sondern als ein Konflikt zwischen dem „Volk“ und den „Anderen“ empfunden, die in der Vorstellung von Rechtspopulisten begünstigt würden, wogegen das „Volk“ zu kurz käme.

Mangelnde Reichweite gewerkschaftlicher Politik

Die Autor*innen führen die Attraktivität der AfD u. a. darauf zurück, dass individuelle Gestaltungsmöglichkeiten in beruflichen und gesellschaftlichen Kontexten als gering empfunden werden und Sicherheiten wegfallen. Deshalb würden kollektive Identitäten wie die Zughörigkeit zu einem Volk wieder attraktiv.

Doch warum führen die krisenhaften Zustände nicht zu einer Stärkung der Gewerkschaften? Schließlich sind diese die direkten Ansprechpartner für Arbeitnehmer*innen. Als Gründe dafür nennen die Autor*innen das Ausbleiben von Antworten auf Abstiegs- und Zukunftsängste und ein Verharren in der Bestandssicherung von Seiten der Gewerkschaft. Es gebe eine Enttäuschung darüber, dass auch Tarifverträge nicht gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse schützen, dass trotz Gewerkschaften der Arbeitsplatz durch Umstrukturierungen verloren gehen kann und dass Gewerkschaften keinen Einfluss auf Faktoren wie Personalausstattung, Arbeitsorganisation und die Sicherung des Arbeitsplatzes hätten. Gewerkschaften bewegen sich innerhalb der Regeln einer marktorientierten Arbeitspolitik, aber setzen dieser nichts entgegen.

Gewerkschaften und die Systemfrage

Zugespitzte betriebliche Arbeitsverhältnisse in Kombination mit einer Schwächung von zivilgesellschaftlicher, gewerkschaftlicher Gegenmacht bieten einen Nährboden für Rechtspopulismus, so ein Ergebnis der Untersuchung. Hier sehen die Autor*innen eine Verantwortung von Gewerkschaften als betriebliche Akteure. Sie prognostizieren eine potentielle Bedrohung der gewerkschaftlichen Machtstellung, sollte sich der Rechtspopulismus verstärkt der sozialen Frage zuwenden. Rechtspopulismus wendet sich gegen die krisenhaften Auswirkungen des kapitalistischen Marktes. Deshalb müssten nach Ansicht der Autor*innen die Gewerkschaften diese Krise thematisieren und Antworten geben. Wollen Gewerkschaften eine Schutzfunktion für alle Beschäftigten wahrnehmen und eine Alternative zum rechtspopulistischen Angebot der AfD bieten, so müssen sie sich über eine Politik, die nur das Schlimmste abmildert, hinaus arbeitspolitisch neu positionieren, so die Schlussfolgerung.

Fazit: Eine der wenigen Publikationen, die es zu diesem Thema gibt und allein deshalb lesenswert. Der wissenschaftliche Stil und die umfangreichen Zitate sind Geschmackssache, da viel wiederholt wird. Doch die Ergebnisse der Studie sind derart alarmierend, dass sie Platz in jeder Diskussion über gewerkschaftliche Handlungsstrategien gegen Rechtspopulismus finden sollten.

Dieter Sauer, Ursula Stöger, Joachims Bischoff, Richard Detje, Bernhard Müller: Rechtspopulismus in Gewerkschaften. Eine arbeitsweltliche Spurensuche. VSA. Februar 2018

 

 

[1] Dieter Sauer und Ursula Stöger arbeiten im Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München (ISF), Joachim Bischoff, Richard Detje und Bernhard Müller sind unter anderem in der Wissenschaftlichen Vereinigung für Kapitalismusanalyse und Gesellschaftspolitik e.V. (WISSENTransfer) aktiv.

 

Über welches Grundlagenwissen muss jedes BR-Mitglied verfügen?

Das Betriebsverfassungsgesetz regelt in § 37 Abs. 6, dass BR-Mitglieder für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellt werden müssen, sofern Inhalte vermittelt werden, die für die Arbeit im Betriebsrat erforderlich sind. § 40 BetrVG regelt weiter, dass die Arbeitgeberin die Kosten für diese Seminare zu übernehmen hat. Der Schulungsanspruch des Betriebsrates ist ein wichtiger Bestandteil der Betriebsverfassung. Betriebsräte sind keine technokratischen, sondern politische Gremien. Ihre Mitglieder werden nicht aufgrund besonderen Sachverstands gewählt, sondern weil die Kolleg*innen ihnen am ehesten zutrauen, ihre Interessen im Betrieb zu vertreten. BR-Mitglieder sind deswegen fast immer juristischen Laien. Das ist kein Mangel, sondern Teil der Idee betrieblicher Mitbestimmung. Umso wichtiger ist es, dass sie durch Schulungen in die Lage versetzt werden, die komplexen Fragen der BR-Arbeit bewältigen zu können. Schulungen helfen den Betriebsratsmitgliedern, gegenüber der Arbeitgeberin „intellektuelle Waffengleichheit“ herzustellen und auf Augenhöhe über alle betrieblichen Themen diskutieren und verhandeln zu können.

Aus dem Recht auf Schulungen wird damit auch eine Pflicht zur Schulung. Wie in allen anderen Bereichen, müssen sich auch BR-Mitglieder ein entsprechendes Wissen und Handwerkszeug aneignen, um in der Lage zu sein, ihre Aufgaben fach- und sachgerecht erfüllen zu können. Die Übernahme des BR-Amtes ist eine Verantwortung, der man nur dann gerecht werden kann, wenn man über das nötige Fach- und Methodenwissen verfügt. Sollten sich BR-Mitglieder konsequent weigern, an Schulungen teilzunehmen, kann dies sogar eine grobe Pflichtverletzung nach § 23 darstellen.[1]

Erforderliche Grundkenntnisse | Spezialkenntnisse

Aber welche Schulungen sind erforderlich? Diese Frage spielt in der betrieblichen Praxis eine wichtige Rolle. Die Rechtsprechung hat hier die hilfreiche Unterscheidung zwischen Grund- und Spezialkenntnissen entwickelt. Die Teilnahme an einer Schulung, auf der Spezialkenntnisse vermittelt werden, muss durch den Betriebsrat begründet werden. Er muss darlegen, dass das Thema aktuell ist oder in naher Zukunft im Betrieb relevant werden wird und das zu entsendende BR-Mitglied mit dem jeweiligen Thema betraut ist oder sein wird. Für Grundlagenschulungen muss die Erforderlichkeit hingegen nicht begründet werden. Jeder Betriebsrat hat ohne die Prüfung der konkreten betrieblichen Umstände immer Anspruch darauf, dass alle seine Mitglieder alle Grundlagenschulungen besuchen können.

Die Kenntnisse, die in Grundlagenschulungen vermittelt werden, sind also so wichtig und fundamental für die Arbeit im Betriebsrat, dass man ohne sie kaum in der Lage ist, sein Amt adäquat auszufüllen. Jedes Mitglied sollte sich diese Kenntnisse deswegen so schnell wie möglich aneignen. Sie sind die Grundlage dafür, der Verantwortung des BR-Amtes tatsächlich gerecht werden zu können.

Neben dem Betriebsverfassungsrecht gehören zu den Grundlagen vor allem auch Kenntnisse des allgemeinen Arbeitsrechts. Das individuelle Arbeitsrecht ist mit dem Betriebsverfassungsrecht in vielfacher Weise verwoben. Nicht nur im Rahmen seiner allgemeinen Überwachungspflicht (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) und der Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen (§ 99 BetrVG), sondern auch bei seinen Unterstützungsaufgaben (§ 82 Abs. 2 Satz 2, § 83 Abs. 1 Satz 2, § 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) und der Mitbestimmung bei sozialen Angelegenheiten (§ 87 BetrVG), hat der Betriebsrat quasi ständig mit dem Arbeitsrecht zu tun.[2] Es wäre fahrlässig, sich diesen Aufgaben zu stellen, ohne über das entsprechende Basiswissen zu verfügen.

Entsprechendes gilt auch für den Bereich des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung. Durch das BetrVG und eine Vielzahl anderer gesetzlicher Bestimmungen ist eine ständige Beteiligung des Betriebsrates in allen Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes angeordnet. Diese Aufgaben nimmt der Betriebsrat also nicht nur ab und zu wahr, sondern es handelt sich um eine Konstante, die sich durch die gesamte Arbeit des Gremiums zieht. Insofern ist auch hier eine Schulung aller BR-Mitglieder erforderlich.

Welche Schulungen Grundlagenwissen vermitteln, ist Gegenstand einer anhaltenden Diskussion. Die betrieblichen Gegebenheiten verändern sich und werden immer komplexer – und damit auch die Aufgaben der Betriebsräte. Auch gesetzliche Änderungen erweitern den Zuständigkeitsbereich der Gremien. So sollten auch Themen wie Beschäftigungssicherung und Beschäftigungsförderung, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), der im Betrieb geltende Tarifvertrag und der Datenschutz im Betrieb und BR-Büro unter das jeder Zeit erforderliche Grundwissen fallen.[3]

Spezialseminare umfassen eine große Bandbreite verschiedener anderer Themen sowie Vertiefungswissen. Um konkrete Fragen im Betrieb sachgerecht bearbeiten zu können, sind gezielt ausgewählte Spezialseminare unabdingbar. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es in vielen Gremien Mitglieder gibt, die sich noch nicht einmal das erforderliche Grundlagenwissen angeeignet haben. Im Sinne einer erfolgreichen und verantwortungsvollen BR-Arbeit sollte dies geprüft und gegebenenfalls so schnell wie möglich nachgeholt werden.

Grundlagenschulungen Spezialschulungen
Betriebsverfassungsrecht Verschiedene Arbeitszeit- und Entlohnungsmodelle
Arbeitsrecht Berufsbildung
Arbeits- und Gesundheitsschutz „Burn-Out“
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Frauenförderung und Gleichstellung
Im Betrieb geltender Tarifvertrag Suchtprävention
Datenschutz EDV in der BR-Arbeit
  u. v. a. …

 

 

[1] GK-BetrVG – Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz § 37 Rn. 171.

[2] Vgl. u. a. auch Bundesarbeitsgericht

Beschl. v. 16.10.1986, Az.: 6 ABR 14/84

[3] Vgl. jeweils Däubler BetrVG § 37 Rn. 112ff.

Die Geschäftsordnung des Betriebsrates – Basis und Handlungssicherheit für alle Gremien

Eine lesenswerte Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2007[1] hatte ergeben, dass zwar viele Betriebsräte über eine Geschäftsordnung verfügen, die meisten jedoch eine der zahlreich im Internet verfügbaren Vorlagen verwendet haben. Diese Vorlagen geben meist nur ohnehin geltende Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes wieder und helfen dem Betriebsrat deswegen kaum, die Arbeit des eigenen Gremiums individuell zu gestalten. Das Ergebnis ist, dass die meisten Geschäftsordnungen als solche wenig genutzt werden. Daneben existieren häufig mündliche Vereinbarungen und Routinen, die die BR-Arbeit zwar prägen, aber nie schriftlich fixiert wurden.

Wir möchten hier nachdrücklich dafür werben, dass sich alle Betriebsräte eine schriftliche Geschäftsordnung geben, wie es in § 36 BetrVG vorgesehen ist. Dies ist jedoch nicht damit getan, eine Vorlage zu verabschieden, sei sie auch noch so gut. Vielmehr sollte das gesamte Gremium einen Diskussions- und Findungsprozess starten, in dem gemeinsam erarbeitet wird, welche Regelungen für die eigene Arbeit hilfreich und sinnvoll sind. Was braucht Ihr als Betriebsrat im konkreten Umfeld Eures Betriebes, um gut zusammen arbeiten zu können? Dieses gemeinsame Besprechen, Diskutieren und Verhandeln über die eigene Geschäftsordnung muss der Kern jedes Regelwerks sein.

Was ist das Ziel einer Geschäftsordnung?

Der Betriebsrat ist ein demokratisches ­– und kein technokratisches – Gremium. Das bedeutet, dass es nicht darum geht, die einzig wahre, “richtige” Entscheidung zu fällen. Denn was die „richtige“ Entscheidung ist, hängt immer von jeweiligen Interessen, Meinungen und Neigungen ab. Vielmehr geht es darum, Entscheidungen zu treffen, an deren Entstehung sich möglichst alle Mitglieder des Gremiums in gleicher Weise beteiligen konnten. Auf dem Weg dorthin wird es Diskussionen, Auseinandersetzungen und vielleicht sogar Streitigkeiten geben. Das darf auch so sein. Schließlich handelt es sich um politische Entscheidungen, um die verhandelt und gerungen werden muss. Wichtig ist dabei jedoch, dass interne Diskussionen fruchtbar bleiben und die Arbeit des BR nicht lähmen, so dass der Betriebsrat trotz unterschiedlicher interner Positionen nach Außen immer aktiv und handlungsfähig ist. Das Betriebsverfassungsgesetz versammelt hier bereits eine Reihe von hilfreichen Regelungen, um dies zu ermöglichen. Je nach betrieblicher Situation kann es jedoch sinnvoll sein, diese Regelungen noch durch eigene Vorgaben zu ergänzen – und hier kommt die Geschäftsordnung ins Spiel.

Was kann in einer Geschäftsordnung geregelt werden?

  • Deklaratorische Inhalte, also Fragen, die im BetrVG bereits zwingend geregelt sind, die aber in der Geschäftsordnung noch einmal wiederholt werden. Der Vorteil: Dies führt allen Mitgliedern des Gremiums sämtliche Vorgaben klar vor Augen. Im Mittelpunkt sollten aber die vom Gremium selbst erarbeiteten Regeln stehen. Wie bereits erwähnt, basieren die meisten Vorlagen auf eben solchen deklaratorischen Inhalten, was auch zu erwarten ist, denn Außenstehende können die besonderen Erfordernisse einzelner Gremien nicht kennen.

Der Betriebsrat kann im Übrigen in der Geschäftsordnung nicht von jenen Regelungen abweichen, die im BetrVG bereits zwingend festgeschrieben sind.

  • BR-Sitzungen: Wann finden die regelmäßigen BR-Sitzungen statt, wann und wie soll dazu eingeladen werden und in welcher Form? Wann und wie müssen sich BR-Mitglieder abmelden, falls sie verhindert sind? Gibt es feste Tagesordnungspunkte? Wie kann die Tagesordnung verändert oder ergänzt werden? Wer darf an der Sitzung teilnehmen, und wie verhält es sich mit dem Einladen von Gästen?
  • Vertretung: Was passiert, wenn sowohl Vorsitz als auch die Stellvertretung verhindert sind? Eine ausreichende Liste von Stellvertreter*innen sollte festgelegt werden.
  • Sitzungsordnung: Wer hat wann Rederecht? Gibt es eine Redner*innenliste? Ist die Redezeit festgelegt? Wie wird abgestimmt? Gibt es vielleicht Verhaltensregeln für die BR-Sitzung in Bezug auf Redeverhalten, Essen während der Sitzung, Nutzung des Smartphones etc.? Wie sind Pausen geregelt?
  • Was ist unter „laufenden Geschäften“ zu verstehen? Welche Handlungen kann der*die Vorsitzende in alleiniger Verantwortung ausführen, und was unterliegt der Aufsicht und dem Beschluss des gesamten Gremiums?
  • Schriftführung: Wer übernimmt die Schriftführung und Protokollerstellung? Nach welchem System wird protokolliert? Wie werden die Unterlagen des BR sortiert und verwahrt? Wer hat wann Zugriff auf diese Unterlagen?
  • Ausschüsse: Welche Ausschüsse gibt es? Wie setzen sich diese zusammen und welche Aufgaben bearbeiten sie?
  • Wie versteht der Betriebsrat die ihn und seine Mitglieder betreffende Verschwiegenheitspflicht und die Achtung des Datenschutzes bei der Verarbeitung von personenbezogenen Daten im Gremium? Welche konkreten Maßnahmen werden jeweils unternommen, um beides zu gewährleisten?
  • Integration aller BR-Mitglieder: Wie geht der Betriebsrat mit Mitgliedern verschiedenen Geschlechts und Alters, verschiedener Herkunft, Religion und Muttersprachen um? Was unternimmt der BR, um auch Mitglieder mit Kindern oder Pflegeverpflichtungen, körperlich beeinträchtigte und nicht neurotypische BR-Mitglieder problemlos in die Arbeit des Gremiums zu integrieren? Welche Maßnahmen werden getroffen, um einen Konflikt zwischen regulärer Arbeits- und Betriebsratstätigkeit zu verhindern?

Ganz hervorragend ist es, wenn das Gremium ein eigenes Programm und Selbstverständnis als Betriebsrat entwirft und dieses als Präambel der Geschäftsordnung voranstellt.

Was nebensächlich ist, ist die sprachliche Gestaltung der Geschäftsordnung. Nicht alle Regelungen müssen in juristischer Sprache gefasst sein. Wichtig ist, dass Ihr als Gremium versteht, was Ihr regeln wollt und warum. Wenn Ihr die Möglichkeit habt, ist es sicherlich dennoch hilfreich, Eure fertige Geschäftsordnung einem*r Rechtsanwält*in zu zeigen und mit ihm*ihr zu diskutieren.

[1] Martin Renker: Geschäftsordnung von Betriebs- und Personalräten. Analyse und Handlungsempfehlungen. Frankfurt am Main: 2007. Online abrufbar unter: https://www.boeckler.de/pdf/p_mbf_bvd_go_br_u_personalraeten.pdf

Erstes R+A Netzwerktreffen

Am 5. September 2018 fand das erste R+A Netzwerk- und Orientierungstreffen für Betriebsräte aus dem Textileinzelhandel statt. Die Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Soziales hatte die 3,5-stündige Veranstaltung zuvor als Schulungsveranstaltung nach dem Bildungsurlaubsgesetz sowie nach § 37 Abs. 7 Betriebsverfassungsgesetz anerkannt.

Kreis der Teilnehmer*innen und Schwerpunktthema

Es nahmen über 20 Betriebsratsmitglieder von großen Textilkonzernen wie Footlocker, Uniqlo, Zara, H&M und Weekday teil. In einer ausführlichen Vorstellungsrunde berichteten die einzelnen Betriebsräte von der Situation in ihren Betrieben – von Problemen, mit denen sie zu kämpfen haben und von Erfolgen, die sie verzeichnen konnten. Dabei wurde klar: Alle anwesenden Unternehmen sind von geplanten oder bereits vollzogenen Betriebsänderungen und Betriebsschließungen betroffen. Dies war das Schwerpunktthema des ersten Netzwerktreffens.

Vortrag 1: Langfristige Vorbereitung auf Betriebsänderungen

Rechtsanwalt Priyanthan Thilagaratnam schilderte in einem kurzen Inputvortrag verschiedene Möglichkeiten, wie Betriebsräte sich bereits vor der offiziellen Unterrichtung der*des Arbeitgeber*in auf Betriebsänderungen vorbereiten und ein Frühwarnsystem installieren können. Leider halten sich die meisten Arbeitgeber*innen nicht an die Vorgaben des BetrVG und informieren Betriebsräte viel zu spät, was ein proaktives Vorgehen der Betriebsräte noch viel wichtiger macht. Die Vorschläge des Rechtsanwalts wurden positiv aufgenommen. In der anschließenden Diskussion stellte sich jedoch heraus, dass das unternehmerische Vorgehen der Textilkonzerne oft unverständlich ist und teilweise trotz gegenteiliger Indikatoren Betriebsschließungen angekündigt werden.

Vortrag 2: Das Geschäftsmodell „Fast Fashion“

Im zweiten Vortrag des Tages erläuterte René Kluge, dass diese irrational erscheinende Unternehmenspraxis auf das besondere Geschäftsmodell „Fast Fashion“ zurückgeführt werden könnte. Fast Fashion als Managementkonzept wurde Ende der 1970er Jahre durch die Firma Inditex (die Konzernmutter des Zara-Labels) entwickelt und sehr schnell von H&M und später auch von Uniqlo übernommen und weiterentwickelt. Es basiert auf einem geschickten Ausnutzen globaler Unterschiede in Bezug auf Einkommens- und Arbeitsschutzstandards. Mittels eines engen Logistiknetzes sind die Unternehmen in der Lage, in so genannten Billiglohnländern zu produzieren und ihre Waren zu verhältnismäßig günstigen Preisen anzubieten. Zentral ist auch der breite Einsatz von Informationstechnologien, um ein konstantes Erfassen und Auswerten aller Absatzzahlen zu ermöglichen. Dadurch sind die Unternehmen permanent in der Lage, die exakte Nachfrage zu bestimmen und zu prognostizieren, so dass in kürzester Zeit genau die Kleidung entwickelt und produziert werden kann, die auch gekauft wird. Alle Unternehmen eint überdies, dass sie fast alle Unternehmensteile in das Hauptunternehmen integriert haben: Bis hin zum Verkauf in den einzelnen Läden werden die meisten Aspekte ihrer Unternehmenstätigkeit – wie Entwicklung, Marketing, Logistik und Vertrieb – zentral gesteuert. Ein Blick auf die Unternehmenszahlen zeigt, dass es sich um wirtschaftlich überaus erfolgreiche Konzerne mit einem weltumspannenden Ladennetzwerk handelt.

Diskussion, Praxisabgleich und Auswertung

Nach diesen thematischen Ausführungen entstand eine lebhafte Diskussion, in der die Betriebsräte kritische Bemerkungen zum Thema machten und vielfältige Praxiserfahrungen einbrachten. Vor allem wurde darüber diskutiert, ob H&M das Konzept „Fast Fashion“ immer noch erfolgreich betreibt oder ob es hinsichtlich Geschwindigkeit und Kundennähe nicht gerade immer weiter ins Hintertreffen gerät. Auch der Anteil, den das Online-Geschäft am Gesamtumsatz tatsächlich hat, wurde skeptisch hinterfragt. Die Integration des Online-Handels scheint vor allem bei H&M nur sehr schleppend voranzugehen. Zwar ist es vor allem das Unternehmen H&M, über das momentan häufig negativ berichtet wird, aber auch die Betriebsräte der anderen Unternehmen berichteten davon, trotz erfolgreicher Geschäftszahlen von drohenden Betriebsschließungen betroffen zu sein. Die Zusammensetzung der Verkaufsläden dieser Unternehmen in allen deutschen Städten ist ständigen Veränderungen und „Optimierungsprozessen“ unterlegen – eine Tatsache, die die Unternehmen in ihren Geschäftsberichten selbst anerkennen.

Selten in den Fokus gerät daneben das Problem, dass durch die starke zentrale Lenkung dieser Unternehmen die örtlichen Filialleitungen meist nur geringen Einfluss auf Ausstattung und Abläufe haben und damit oft nicht die richtigen Ansprechpartner*innen für die Betriebsräte sind. Für die Gremien bedeutet dies nichts anderes als eine Einschränkung ihrer Mitbestimmungsrechte. Die BR-Arbeit in Unternehmen ist dadurch sehr beschwerlich und alle Erfolge müssen mühsam erkämpft werden.

Wenn über den Textileinzelhandel im Allgemeinen und Fast Fashion im Besonderen geschrieben und gesprochen wird, kommt die Perspektive der Arbeitnehmer*innen und Betriebsräte meist nur am Rande oder gar nicht vor. Doch die dort beschäftigten Kolleg*innen verfügen aufgrund ihrer langjährigen Arbeitserfahrung über viel Hintergrundwissen, von dem auch wissenschaftliche Betrachtungen profitieren könnten. Es wurde angestrebt, im Rahmen von Arbeiter*innenforschungsgruppen dieses Wissen gemeinsamen zu sammeln und anderen Gremien zugänglich zu machen.

Insgesamt bewerteten alle Beteiligten die bei einem gemeinsamen Snack ausklingende Veranstaltung als sehr erfolgreich. Das nächste Netzwerktreffen für den Textileinzelhandel findet am 09. Januar 2019 statt.