Im Steinbruch der Betriebsverfassung – Debatten um Gesetzesänderungen für Betriebsräte

Wie können Betriebsräte die bestehende Rechtslage im Sinne einer belegschaftsnahen und wirksamen Interessenvertretung nutzen? Darum geht es in dieser Reihe.

Betriebsräte können es sich nicht leisten, auf hilfreiche Gesetzesänderungen zu warten. Sie müssen mit den Mitteln arbeiten, die ihnen aktuell zur Verfügung stehen. Zum Ende dieses Jahres lohnt es sich dennoch, einen Blick sowohl auf laufende als auch auf vergangene Diskussionen zur Überarbeitung des Betriebsverfassungsgesetzes zu werfen.

Aktuelle Debatten um eine Aktualisierung des BetrVG

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vom März 2018[1] enthält einige diesbezügliche Vorhaben. Nach langem Warten mehren sich die Hinweise, dass das Bundesarbeitsministerium in Kürze einen Entwurf für ein so genanntes „Betriebsrätestärkungsgesetz“ vorlegen wird. Leider sind davon keine grundlegenden Verbesserungen zu erwarten. Neben einer Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens auf Betriebe mit bis zu 200 wahlberechtigten Arbeitnehmer*innen ist lediglich eine Stärkung des Initiativrechts für Betriebsräte bei der betrieblichen Weiterbildung vorgesehen. Ein zwingendes Mitbestimmungsrecht bei Weiterbildungen soll es aber nicht geben. Statt der Einigungsstelle ist ein „Moderator“ vorgesehen – ein Einigungszwang besteht jedoch nicht .

Auch wenn die Große Koalition nicht viel vorlegen wird, scheint das Thema betriebliche Mitbestimmung an Fahrt aufzunehmen. Im November hat die SPD-Fraktion ein Positionspapier zur Mitbestimmung[2] vorgestellt. Es enthält die Forderungen, die gegen den Willen der CDU/CSU nicht umgesetzt werden konnten, darunter: eine nicht weiter ausgeführte Neudefinition des Betriebs- und Arbeitnehmerbegriffes, eine zusätzliche Vereinfachung des Wahlverfahrens, Mitbestimmung beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz, erleichterte Beratung durch Sachverständige und ein Initiativrecht für Gesundheits- und Präventionsfragen. Interessant ist auch die Idee, betriebliche und gewerkschaftliche Mitbestimmung als verpflichtenden Teil in die schulischen Rahmenpläne zu integrieren.

Die Grünen haben dieses Jahr bereits zwei Anträge[3] vorgelegt, in denen sie erfreulich weitgehende Forderungen zum Update des Betriebsverfassungsgesetzes formulieren. Es soll neue, erzwingbare Mitbestimmungsrechte bei der qualitativen Personalentwicklung und Personalplanung, der Arbeitsintensität, beim Homeoffice, bei der Erreichbarkeit, der Gleichstellung von Mann und Frau sowie bei der unternehmensweiten Klimabilanz geben. Auch ein Veto-Recht beim Einsatz von Werkvertragsbeschäftigten und digitale Zugangsrechte sind enthalten.

Die Linksfraktion arbeitet aktuell an einem umfassenden Konzept zur Reform des gesamten Betriebsverfassungsgesetzes (an dem der Autor teilweise beteiligt ist). In der Vergangenheit hatten die Linken bereits Forderungen vertreten, die mittlerweile von anderen Parteien übernommen wurden.[4]

Auch bei der IG Metall soll das Thema betriebliche Mitbestimmung in Zukunft wieder eine größere Rolle spielen. Nachdem man sich in den letzten Jahren mit Korrekturvorschlägen begnügt hatte, soll es nun die Runderneuerung statt des Facelifts sein. Ideengeber ist hier wohl Thomas Klebe, der im Mai dieses Jahres eine Reihe von Vorschlägen für eine Mitbestimmung 2030 entworfen hatte.[5] Neu dabei sind unter anderem: ein erzwingbarer Interessenausgleich bei Betriebsänderungen, ein Initiativrecht beim Umweltschutz und eine Reihe von Regelungen, die die Mitbestimmung in transnationalen Unternehmen erleichtern soll.

Ob und inwiefern sich einige dieser Forderungen zukünftig wirklich im Betriebsverfassungsgesetz wiederfinden werden, hängt wohl vom Ausgang der nächsten Bundestagswahl ab. Es ist aber sinnvoll, nicht nur in die Zukunft, sondern auch in die Vergangenheit zu schauen. Debatten um die Betriebsverfassung werden schließlich nicht erst seit gestern geführt. Dennoch orientieren sich alle vorliegenden Entwürfe am bestehenden Betriebsverfassungsgesetz. Die letzte große Novellierung aus dem Jahr 2001 ist das Ergebnis eines politischen Aushandlungsprozesses, der zu Recht von vielen abgelehnt wird. Warum sollte man sie dann als Gesprächsgrundlage akzeptieren?

Ein Blick zurück nach vorn

Die damalige Debatte wurde vom DGB mit einem umfassenden, eigenen Gesetzentwurf begleitet.[6] Am Ende konnten sich die Gewerkschaften damit zwar nicht durchsetzen, aber das bedeutet nicht, dass jene Forderungen nur noch von historischem Interesse sind. Im Gegenteil: Sie gehen in vielen Punkten über jetzige Entwürfe weit hinaus. Wolfgang Däubler hat sie deshalb als Steinbruch bezeichnet, aus dem man sich auch heute noch mit guten Ideen bedienen könne.[7] Vor allem für die Diskussion innerhalb der Gewerkschaften ist es wichtig, sich klar zu machen, dass der gewerkschaftliche Mainstream in der Vergangenheit progressiver war als heute.

Der DGB-Entwurf sah unter anderem vor:

Wahl von Betriebsräten:

Schon ab 3 Arbeitnehmer*innen (AN*) sollte ein Betriebsrat gewählt werden. Ein vereinfachtes Wahlverfahren war für bis zu 100 Arbeitnehmer*innen obligatorisch vorgesehen. Es war tatsächlich vereinfacht, der Betriebsrat sollte nämlich auf einer einzigen Wahlversammlung gewählt werden. Für die Einladung zur Wahlversammlung in Betrieben ohne Betriebsrat sollte bei bis zu 100 AN* eine einzige Person ausreichen. Betriebe ohne Betriebsrat hätten sich zudem in ein von den Berufsgenossenschaften geführtes Verzeichnis eintragen müssen.

Arbeit von Betriebsräten:

BR-Mitglieder sollten von der betrieblichen Tätigkeit freigestellt werden, sofern sie dies selbst als erforderlich ansehen. Schulungen hätten nicht mehr zwingend „erforderlich“, sondern lediglich „geeignet“ sein müssen, um die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers auszulösen – auch für alle Ersatzmitglieder. Beides eine erhebliche Erleichterung für Betriebsräte. Zusätzlich war der Austausch von Betriebsräten verschiedener Betriebe und Unternehmen explizit vorgesehen.

Mitbestimmung des Betriebsrates:

Der Betriebsrat sollte ein umfassendes, erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei allen sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten haben. Dies beinhaltete natürlich auch ein Initiativrecht des Betriebsrates in all diesen Fragen, verbunden mit der sinnvollen Regelung, dass der Betriebsrat zuerst einen schriftlichen Vorschlag vorlegen sollte. Im Ergebnis wären Betriebsräte weitaus einflussreicher gewesen, als es alle aktuellen Forderungen vorsehen. Bei personellen Einzelmaßnahmen beispielsweise hätte es nicht einfach nur ein Veto-Recht oder gebundene Mitbestimmung gegeben, sondern ein volles, erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei allen Einstellungen und Versetzungen.

Auch ein volles Mitbestimmungsrecht beim Umweltschutz wurde damals gefordert; dies hätte dem Betriebsrat ein allgemeines umweltpolitisches Mandat gegeben. Hier waren auch die Grünen 1987[8] weiter, als sie es heute sind: Sie forderten ein Mitbestimmungsrecht in allen die Umwelt betreffenden Angelegenheiten, insbesondere bei Maßnahmen, die über gesetzliche und behördliche Mindeststandards hinausgehen.

Die damaligen Entwürfe haben eine ausführlichere Würdigung verdient, als sie im Rahmen dieser kleinen Zusammenfassung möglich ist. Für die kommenden Debatten um die Mitbestimmung sollten sie von allen Beteiligten gelesen und diskutiert werden. Will man hinter die damaligen Forderungen zurückfallen, muss man Folgendes nachvollziehbar erklären können: Was konkret hat sich in den Betrieben mittlerweile derart geändert, dass infolgedessen eine verbesserte Arbeitsgrundlage und mehr Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte nicht mehr nötig sind? Aus welchen Gründen sollte das, was 1998 bereits Beschlusslage war, heute nicht mehr gefordert werden?

Das Entscheidende bleibt weiterhin die betriebliche Praxis. Durch das Rütteln von Betriebsräten an allen Seiten der bestehenden Betriebsverfassung wird am deutlichsten, wo genau gesetzlicher Neuregelungsbedarf besteht und wie dringend er ist.


[1] Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode – Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land.

[2] Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion: Mehr Mitbestimmung und mehr Teilhabe – 100 Jahre Betriebsverfassung und Schwerbehindertenrecht. 27. Oktober 2020.

[3] Drucksache 19/16843 Digitalisierung – Update für die Mitbestimmung und Drucksache 19/17521 Mehr Sicherheit für Beschäftigte im Wandel.

[4]  z. B. Drucksache 18/5327 Die Wahl von Betriebsräten erleichtern und die betriebliche

Interessenvertretung sicherstellen.

[5] Thomas Klebe: Betriebsverfassung 2030: Zukunftsanforderungen und Weiterentwicklung. In: Arbeit und Recht 5/2020.

[6] Vorschläge des DGB zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes. 1998.

[7] Vgl. Wolfgang Däubler, Michael Kittner: Geschichte der Betriebsverfassung. 2020.

[8] Drucksache 11/3630.

Ein neues Gesetz zur Stärkung von Betriebsräten

Kurz vor Weihnachten hat das Bundesarbeitsministerium den Referentenentwurf für ein so genanntes Betriebsrätestärkungsgesetz vorgelegt. Der Entwurf befindet sich gerade in der Ressortabstimmung. Sicherlich werden aus dem Justiz-, dem Innen- und vor allem dem Wirtschaftsministerium noch Änderungswünsche kommen. Die Initiative geht zurück auf eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag, die im Kern Vereinfachungen im Wahlverfahren und die Ausweitung von Beratungs- und Mitbestimmungsrechten in der beruflichen Bildung vorsieht. Die überschießenden Teile der SPD-Initiative können von der CDU/CSU ohne große inhaltliche Begründungen, also rein formal, zurückgewiesen werden.

Welche Änderungen sieht der Referentenentwurf vor und was ist von ihnen zu halten?

Erleichterung von Betriebsratswahlen

Betriebsratswahlen und Betriebsratsgründungen sollen erleichtert werden: Das vereinfachte Wahlverfahren wäre nun in Betrieben mit bis zu 100 Arbeitnehmer*innen obligatorisch und bei bis zu 200 Arbeitnehmer*innen optional. Vorher betrugen die Grenzen 50 und 100 Arbeitnehmer*innen. Außerdem sollen in Betrieben mit bis zu 100 Arbeitnehmer*innen die Vorgaben für Stützunterschriften gesenkt werden. Bei bis zu 20 Arbeitnehmer*innen würde auf Stützunterschriften gänzlich verzichtet werden.

Zusätzlich soll die Wahlanfechtung erschwert werden: Haben Wahlberechtigte vor der Wahl keinen Einspruch gegen die Wählerliste eingelegt, dürften sie die Wahl im Nachhinein nicht mehr anfechten. Genauso dürfte die Arbeitgeberin keine Wahlanfechtung aufgrund von Fehlern in der Wählerliste beantragen, wenn die Fehler auf falschen Angaben von ihr selbst beruhen.

Kritische Einordnung der geplanten Änderungen

Es handelt sich um jeweils sinnvolle Änderungen. Aber es wäre falsch, sich zu viel von ihnen zu versprechen. Schon jetzt nutzen nur 50 Prozent der Betriebe mit 50 bis 100 Arbeitnehmer*innen das vereinfachte Wahlverfahren. Es ist zwar wesentlich schneller als das normale Wahlverfahren, aber nicht unbedingt einfacher. Für den Wahlvorstand stellt es meist eine größere Herausforderung dar: Rückwärtsberechnen von Fristen, nachträgliche schriftliche Stimmabgabe und kürzere Vorbereitungszeiten. Im zweistufigen Wahlverfahren besteht darüber hinaus keine Möglichkeit, eine Wahlvorstandsschulung zu besuchen.

Wenn das vereinfachte Wahlverfahren ausgebaut werden soll, warum hält man dann weiterhin daran fest, dass der Wahlvorstand bei der optionalen Anwendung die Zustimmung der Arbeitgeberin braucht? Dadurch kann die Arbeitgeberin direkten Einfluss auf das Wahlverfahren nehmen. Aus gutem Grund ist sie in keiner anderen Weise an den Betriebsratswahlen beteiligt – warum also an dieser Stelle? Nicht selten nutzen Arbeitgeberinnen diese Möglichkeit auch aus, um die Arbeit der Wahlvorstände zu behindern.

In kleineren Betrieben ist das Sammeln von Stützunterschriften nur eine Formalie, weil es meist ausreicht, wenn die Kandidat*innen sich selbst stützen. Man kann also auch darauf verzichten, ohne die Akzeptanz der BR-Wahlen zu gefährden.

Auch die Klarstellungen bei der Wahlanfechtung gehen in die richtige Richtung. Wirklich hilfreich wäre es aber gewesen, der Arbeitgeberin das Recht der Anfechtung von Betriebsratswahlen zu entziehen, wenn sie zuvor ihren Pflichten zur Zuarbeit des Wahlvorstandes nicht nachgekommen ist. Dasselbe könnte gelten, wenn der Betriebsrat glaubhaft machen kann, dass die Arbeitgeberin zuvor versucht hat, die Wahlen zu behindern oder zu verzögern. Dies würde die Dynamik der Wahldurchführung erheblich zum Positiven verändern. Ein großes Problem besteht oft darin, dass die Arbeitgeberin dem Wahlvorstand Informationen über das Personal, Computer, Räume oder auch nur Umschläge und Briefmarken nicht oder nur verzögert zur Verfügung stellt und damit die Wahldurchführung erheblich verzögern kann.

Insgesamt ist von diesen Änderungen nicht zu erwarten, dass sie zur größeren Verbreitung von Betriebsräten beitragen werden. Ein wichtiges Zeichen ist jedoch der geplante Schutz von Wahlinitiator*innen. Kolleg*innen, die zur ersten Betriebsratswahl einladen oder andere Vorbereitungshandlungen unternommen haben, sollen schon vor Beginn der eigentlich BR-Wahl unter den außerordentlichen Kündigungsschutz fallen. In der Praxis werden solche Kündigungen zwar nicht überaus häufig ausgesprochen. Aber alle Kolleg*innen, die eine erstmalige Betriebsratswahl initiieren, berichten von Unsicherheiten und Befürchtungen, die diesen Prozess begleiten. Es kann nur von Vorteil sein, wenn der Gesetzgeber auf diesem Wege signalisiert, dass die Gründung von Betriebsräten gewollt ist und besser geschützt wird.

Virtuelle Betriebsratssitzungen

Die im Zuge der Corona-Krise befristet eingeführte Möglichkeit der Beschlussfassung per Video- oder Telefonkonferenz soll verstetigt werden. Der Normallfall „BR-Sitzungen in Präsenz“ wird dafür explizit festgeschrieben. Darüber hinaus muss der Betriebsrat für Beschlussfassungen im Rahmen von virtuellen oder hybriden Sitzungen seine Geschäftsordnung entsprechend ändern. Auch dann kann ein Viertel der BR-Mitglieder der Einberufung einer virtuellen Sitzung noch widersprechen.

Kritische Einordnung

Virtuelle Betriebsratssitzungen werden von vielen BR-Kolleg*innen und den Gewerkschaften als sehr problematisch angesehen. Tatsächlich waren es die Arbeitgeberverbände, die eine solche Möglichkeit bereits vor der Pandemie gefordert hatten. Dennoch erscheint die vorgeschlagene Regelung angemessen. Denn Präsenzsitzungen werden ausreichend geschützt, und Gremien, für die virtuelle Beschlussfassungen tatsächlich hilfreich sind, können diese individuell für sich regeln und nutzen.

Datenschutz

Nicht erst mit virtuellen BR-Sitzungen hat die Frage des Datenschutzes im BR-Büro an Bedeutung gewonnen. Der Betriebsrat soll nun explizit auf seine Pflichten zur Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorschriften hingewiesen werden. Gleichzeitig wird klargestellt, dass auch bei der Datenverarbeitung durch den Betriebsrat der Arbeitgeber der Verantwortliche im Sinne der DSGVO ist.

Sachverständige

Die Hinzuziehung von Sachverstand soll künftig immer dann erforderlich sein, wenn es um Fragen von Informations- und Kommunikationstechnik (IuK-Technik) geht. Damit könnten Betriebsräte jederzeit eine*n Sachverständige*n zu Digitalfragen heranziehen und müssten sich mit der Arbeitgeberin lediglich über Person und Kosten abstimmen.

Kritische Einordnung

Grundsätzlich ist das sehr positiv. Betriebsräte brauchen mehr Unterstützung durch Expert*innen und Berater*innen, müssen dafür aber meist lange kämpfen. Aber ist es gerechtfertigt, IuK-Technik gegenüber allen anderen Mitbestimmungstatbeständen, wie zum Beispiel Arbeits- und Gesundheitsschutz oder Arbeitszeit, herauszuheben? Es wird dazu führen, dass Betriebsräte sich vorrangig mit diesen Fragen beschäftigen werden, weil es sehr wertvoll ist, Sachverstand an seiner Seite zu haben. Gleichzeitig sind IuK-Fragen meist Themen, die keinen großen Widerhall in der Belegschaft finden. Auch im Gremium selbst sind häufig nicht alle Mitglieder dafür zu begeistern. Dies könnte zur Folge haben, dass sich Betriebsräte noch weiter professionalisieren und einzelne Interessierte zusammen mit Sachverständigen Betriebsvereinbarungen aushandeln, die zwar positive Veränderungen für die Belegschaft bringen, aber die Kolleg*innen nicht wirklich mitreißen. Der Betriebsrat wird dann noch mehr zum Spezialgremium, und beteiligungsorientiertes Arbeiten tritt eher in den Hintergrund.

Auch wenn Digitalthemen massiv an Bedeutung im betrieblichen Alltag gewonnen haben und unbedingt stärker mitbestimmt werden müssen, sind sie nicht per se wichtiger als andere Fragen. Die Hinzuziehung von Sachverständigen sollte insgesamt erleichtert werden. Der Betriebsrat muss sich zu jedem Thema beraten lassen können. Im Zweifelsfall könnte die Arbeitgeberin die Möglichkeit haben, die Beauftragung des Betriebsrates im Rahmen einer Einigungsstelle überprüfen zu lassen. So würde es auch weiterhin der Entscheidungsfindung im Gremium überlassen bleiben, mit welchen Themen der Betriebsrat sich vorrangig befasst.

Mobile Arbeit

Es soll ein neues Mitbestimmungsrecht bei “der Ausgestaltung von mobiler Arbeit” geben. Das ist sehr zu begrüßen. Bisher mussten Betriebsräte sich auf die verschiedenen anderen Tatbestände beziehen und sich Mitbestimmung bei mobiler Arbeit selbst zusammenbauen. Die Neuregelung wird einiges erleichtern und zugleich der Tatsache gerecht werden, dass mobile Arbeit in Zukunft noch wesentlich verbreiteter werden wird und unbedingt geregelt und mitbestimmt gehört. Zudem umfasst mobiles Arbeiten nicht nur Homeoffice, sondern alle Tätigkeiten, die mittels Kommunikationstechnologie außerhalb der eigentlichen Betriebsstätte stattfinden. Eine sichere Beurteilung dieses neuen Mitbestimmungstatbestandes ist erst dann möglich, wenn nach der Ressortabstimmung klar ist, was das Mitbestimmungsfeld „mobile Arbeit“ konkret beinhaltet und welche Rechte der Betriebsrat dabei hat.

Berufsbildung

Auch bei der Berufsbildung soll das Mitbestimmungsrecht gestärkt werden. Maßnahmen der Berufsbildung könnten demnach nun auch in der Einigungsstelle verhandelt werden. Allerdings soll die Einigungsstelle hier keinen Spruch fällen dürfen. Das bedeutet, dass die Arbeitgeberin jeden Vorstoß am Ende einfach ignorieren könnte. Mitbestimmung bei der Berufsbildung spielt aktuell noch eine vergleichsweise kleine Rolle bei der Arbeit von Betriebsräten. Es ist nicht ersichtlich, warum man hier kein umfassendes Mitbestimmungsrecht zulassen sollte. Rechtspolitisch fahrlässig ist es, dass hier eine Schneise für eine „Einigungsstelle light“ geschlagen wird.

Fazit

Die geplanten Änderungen gehen zwar in die richtige Richtung, aber keineswegs weit genug. Es sind lediglich kleinere Korrekturen eines Systems, das Betriebsräte weiterhin als zusätzlichen Produktionsfaktor sieht. Das Gesetzesvorhaben muss von Betriebsräten und Gewerkschaften kritisch begleitet werden. Sinnvolle Änderungen sollten umgesetzt werden. Wichtiger bleibt aber, eine progressive und beteiligungsorientierte Mitbestimmungspraxis zu pflegen und damit die demokratische Idee der Betriebsräte weiter zu stärken. Die Diskussion dazu beginnt jetzt wieder neu.

Gesundheitsschutz im Homeoffice – am Beispiel der Belastungen durch häufige Videokonferenzen

Am 20. Januar 2021 hat die Bundesregierung die neue SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung beschlossen. Nach zehn Monaten “epidemischer Lage von nationaler Tragweite” und einer Fülle von Corona-Rechtsakten ist dies die erste verpflichtende, nationale Regelung für Betriebe. Die Infektionsprophylaxe am Arbeitsplatz wurde bis dato allein den Arbeitgebern überlassen. Dabei wissen wir, dass Gesundheitsschutz dort in keinen guten Händen ist: Bereits vor der Pandemie haben nur fünf Prozent eine umfassende Gefährdungsbeurteilung durchgeführt. Aktuell geben 20 Prozent der Unternehmen selbst an, gar keine Corona-Maßnahmen im Betrieb umzusetzen.[1]

Auch die nun beschlossene Verordnung bleibt wirtschaftsfreundlich. Im Zentrum steht die Pflicht des Arbeitgebers, im Falle von Büroarbeit Homeoffice anzubieten. Das ist an sich sinnvoll. Homeoffice ist eine effektive Maßnahme im Kampf gegen Corona. Gleichzeitig arbeiten jedoch nur ca. 50 Prozent der Beschäftigten in einer Bürotätigkeit.[2] Auch für die andere Hälfte der arbeitenden Bevölkerung müssen infektionsschutzgerechte Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.

Aber auch Homeoffice selbst ist keine unproblematische Beschäftigungsform. Damit die Arbeit von zu Hause gesundheitsgerecht gestaltet werden kann, sind sowohl technische als auch organisatorische und personelle Voraussetzungen zu erfüllen. Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten im Zuge der Pandemie ins Homeoffice geschickt haben, haben sich meist keine Gedanken darüber gemacht. Sie konnten sich diesbezüglich auf die Dringlichkeit der Pandemie berufen. Sofern die Arbeitsleistung weiter erbracht wird, sehen sie wohl auch keinen Anlass, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen – ein leider bekanntes Phänomen. Im Zuge der Pandemie etablieren sich dadurch problematische Arbeitsbedingungen, die die Corona-Zeit zu überdauern drohen. Hier sei nur ein Beispiel besprochen: Videokonferenzen.

Besprechungen und Konferenzen online durchzuführen, verringert nicht nur Kontakte im Betrieb und macht Homeoffice meist erst möglich, es erspart auch Anreisekosten und erhöht das Tempo von internen und externen Absprachen. Videokonferenzen dienen der Effizienzsteigerung und sind auch jenseits der Pandemie interessant für Unternehmen. Bereits nach dem ersten Lockdown gaben 93 Prozent der Unternehmen an, dass sie im Zuge der Corona-Krise bei der Kommunikation vermehrt auf Videokonferenzen setzen.[3]

Was ist „Zoom-Fatigue“?

Bereits im September 2020 erschien die erste deutsche Studie, die das Phänomen „Zoom-Fatigue“ nachwies. „Zoom-Fatigue“ meint die besondere Erschöpfung, die Menschen empfinden, wenn sie längere Zeit in Videokonferenzen zugebracht haben. Fast 60 Prozent der Befragten Büroarbeiter*innen berichteten von Konzentrationsschwäche, Ungeduld, Kopfschmerzen, Gereiztheit, Schlafstörungen sowie Sehstörungen und Rückenschmerzen.[4]  Zoom-Fatigue wird noch erforscht. Einig ist man sich jedoch darin, dass Videokonferenzen im Vergleich zu Präsenzmeetings deutliche Unterschiede aufweisen. Die gesamte Kommunikation findet über ein Medium statt. Was ich sehe und höre, ist nicht mein Gegenüber, sondern eine Reihe von audio-visuellen Zeichen, die lediglich auf die andere Person verweisen. Normalerweise befinden sich alle Gesprächsteilnehmer*innen auch körperlich im selben Raum und können neben verbalen Äußerungen ein breites Spektrum non-verbaler Signale wahrnehmen, um sich kommunikativ zu orientieren. Viele dieser Signale fallen bei virtuellen Treffen weg oder sind gestört; direkter Augenkontakt ist nicht möglich, Hörersignale sind meist stumm gestellt. Aus diesen Gründen sind wir automatisch hyperfokussiert auf die wenigen Zeichen, die uns zur Verfügung stehen. Gleichzeitig sehen wir nicht nur ein Gegenüber, sondern viele Gesprächsteilnehmer*innen auf einmal, inklusive uns selbst. Dadurch besteht die Gefahr der Überstimulierung, die nicht selten umschlägt in Abgelenkt-Sein. Videokonferenzen laden dazu ein, nebenbei noch andere Sachen zu tun: im Netz recherchieren, E-Mails checken etc.[5]

Hinzu kommt, dass sich bei Online-Meetings meist eine andere Form der Gesprächskultur etabliert hat. Es wird wesentlich stringenter und zur Sache diskutiert. Small Talk fällt oft vollständig weg (obwohl er eine wichtige soziale Funktion erfüllt). Die Teilnehmer*innen reagieren viel sensibler auf Unterbrechungen und Störungen. Insgesamt herrscht eine strengere Gesprächsdisziplin. Weil es effizient erscheint, werden Videokonferenzen meist eng hintereinander getaktet. Weder zwischen noch während der Meetings sind Pausen eingeplant.

Was tun gegen Zoom-Fatigue?

Wenn tägliche mehre Stunden Videokonferenzen zum Arbeitsalltag werden, bringt dies nachgewiesene Belastungen mit sich. Allerdings kann diesen Belastungen leicht begegnet werden:

Technische Maßnahmen:

Alle beschriebenen Probleme werden durch knackende Mikrofone, körnige Kamerabilder und flackerndes Internet noch weiter verstärkt. Mangelnde technische Ausstattung schadet nicht nur dem*der Nutzer*in, sondern auch allen anderen Teilnehmer*innen. Es muss Sache des Arbeitgebers sein, angemessene Technik für Videokonferenzen zur Verfügung zu stellen und diese regelmäßig zu warten.  Im Betrieb und im Homeoffice sollte mit jedem*jeder Beschäftigten der Videoarbeitsplatz von einer sachkundigen Person technisch eingerichtet werden.

Organisatorische Maßnahmen:

Es braucht eine Obergrenze von Online-Meetings pro Tag und eine maximale Länge der Konferenzen. Zwischen und während der Konferenzen müssen angemessene Pausen eingeplant werden. Leitende Angestellte und alle Beschäftigten, die Videokonferenzen einberufen, müssen auf diese Vorgaben hingewiesen und für die auftretenden Belastungen sensibilisiert werden. Auch sollte intern besprochen und festgelegt werden, welche Art von Meetings im Rahmen von Videokonferenzen stattfinden können und welche Gespräche nur Präsenztreffen vorbehalten sein sollen.

Auch müssen Arbeitszeiten und Aufgabenlast der Beschäftigten so gestaltet sein, dass sie zu bewältigen sind, ohne während der Videokonferenz an anderen Aufgaben arbeiten zu müssen. Meist nehmen an Online-Meetings zu viele Personen teil, die nicht unbedingt beteiligt werden müssten. Eine Videokonferenz auszusetzen, ist manchmal die beste Methode, um Belastungen zu vermeiden.

Personelle Maßnahmen:

Die Qualität von Videokonferenzen hängt stark von der Moderation ab. Diese folgt bei Online-Meetings anderen Regeln als bei Präsenzveranstaltungen. Alle Moderator*innen sollten die Möglichkeit bekommen, sich für Online-Meetings schulen zu lassen, in denen wichtige Fragen geklärt werden, z. B.: Wie kann ich durch entsprechende Gesprächsführung die Konferenz für alle Beteiligten angenehmer machen? Wie können Räume für Small Talk und zwischenmenschlichen Austausch geschaffen werden?

Keine dieser Maßnahmen ist besonders aufwendig, keine würde die betrieblichen Abläufe stören. Im Gegenteil: Vermutlich würden Arbeitsabläufe und Effizienz sogar davon profitieren. Dennoch finden sich aktuell wohl in kaum einem Betrieb vergleichbare Regelungen.

Betriebs- und Personalräte können und sollten aktiv werden

Auch bei diesem Thema bleibt es an den Betriebs- und Personalräten, gemeinsam mit den Kolleg*innen entsprechende Maßnahmen zu entwickeln und einzufordern. Wenn Staat und Arbeitgeber den betrieblichen Gesundheitsschutz ignorieren, müssen die Beschäftigten ihn selbst in die Hand nehmen. Schließlich steht die eigene Gesundheit auf dem Spiel. Wir können nicht zulassen, dass unternehmerische Interessen über der Gesundheit der Kolleg*innen stehen – auch dann nicht, wenn es um die vermeintlich kleine Frage von Zoom-Fatigue geht.

Betriebsräte fragen sich eventuell, ob sie hier überhaupt mitbestimmen können. Nun, die erste Frage muss sein, ob der Betriebsrat mitbestimmen will. Wenn ja, kann er sich immer einmischen und beim Arbeitgeber auf Abhilfe drängen. Zuerst ist jedoch zu prüfen, ob der Arbeitgeber versucht hat, sich mit dem Betriebsrat über die Einführung von Videokonferenzen und die Auswirkungen auf die Beschäftigten zu beraten. Präsenz- durch Online-Meetings zu ersetzen, ist nämlich offensichtlich ein neues Arbeitsverfahren nach § 90 Nr. 3 BetrVG. Aber auch jenseits dessen bestehen klare Mitbestimmungsmöglichkeiten aufgrund der hier greifenden Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, technischer Überwachungseinrichtungen und der Arbeitszeit.

Zu diesem Thema bieten wir aktuell ein kostenloses Online-Seminar an:

Sicheres und gesundes Arbeiten in der Corona-Pandemie

Donnerstag, 25. Februar 2021 14:30 bis 16:00 Uhr

Anmeldung zur Zoom-Veranstaltung über diesen Link.


[1] Vgl. Strobel/Kluge: In Betrieb und Parlament für gesunde Arbeit kämpfen. Februar 2021, in: https://www.betriebundgewerkschaft.de/in-betrieb-und-parlament-fuer-gesunde-arbeit-kaempfen/.

[2] Vgl. Kleine Anfrage „Büroarbeit und körperliche Gesundheit“ (BT-Drs. 19/23247) von Jutta Krellmann u.a. und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

[3] Vgl. Fraunhofer-Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation IAO: Arbeiten in der Corona-Pandemie – Auf dem Weg zum New Normal.

[4] Rump/Brandt: Zoom-Fatigue, September 2020. Institut für Beschäftigung und Employability.

[5] Vgl. Lepschy: Videokonferenz – Sprechwissenschaftliche Analyse eines viralen Phänomens. In: sprechen. Zeitschrift für Sprechwissenschaft, Heft 70, 2020.

Neue Kandidat*innen für den Betriebsrat gewinnen – Sechs Ideen, wie es gelingen kann

In manchen Betrieben sind Betriebsratswahlen und Listenplätze hart umkämpft. Jede*r will in den Betriebsrat, weil es eine tolle Sache ist. In anderen Betrieben wiederum scheitern Wahlen nicht selten daran, dass sich keine Kandidat*innen finden lassen. Gremien verschwinden wieder oder werden erst gar nicht gegründet. Dies hat vor allem damit zu tun, wie tief Mitbestimmung in der betrieblichen Sozialordnung, der Betriebskultur verankert ist.

Der Wahlvorstand, Vertrauensleute, der amtierende Betriebsrat und einzelne Beschäftigte können und sollten dazu beitragen, dass sich möglichst viele Personen für BR-Wahlen aufstellen lassen. Hier sind sechs Ideen, wie Ihr neue Kandidat*innen für Euren Betriebsrat gewinnen könnt. Das Wichtigste zuerst:

  1. Macht auf allen Kanälen Werbung!

Der Wahlvorstand bzw. der Betriebsrat sollte alle denkbaren Kommunikationswege nutzen, um unter den Kolleg*innen die Information zu verbreiten, dass ein neuer Betriebsrat gewählt wird. Die Wahlordnung sieht vor, ein Wahlausschreiben auszuhängen und gibt auch den notwendigen Inhalt dafür vor. Jeder Wahlvorstand muss das also selbstverständlich tun. Nüchtern betrachtet wird aber kaum jemand dieses Wahlausschreiben lesen. Umso wichtiger ist es, zusätzlich über andere Kanäle zu informieren. Hier kann der WV dann auch konkret dazu aufrufen, für den Betriebsrat zu kandidieren.

Welche Verbreitungsmöglichkeiten könnt Ihr außerdem nutzen?

  • Das schwarze Brett: Hier solltet Ihr nach Möglichkeit kein DIN A4-Blatt mit Schriftgröße 11 aufhängen. Größere Formate, bunte Farben, handgeschriebene Texte, aufgeklebte und individuell gestaltete Elemente – alles, was Aufmerksamkeit erzeugt, neugierig macht, interessant oder auch lustig ist, führt dazu, dass Euer Aushang gelesen wird!
  • Auf Betriebsversammlungen kann der Wahlvorstand einen eigenen Tagesordnungspunkt bekommen. Wenn es keinen Betriebsrat gibt, kann man den AG trotzdem bitten, eine Personalversammlung einzuberufen oder dem Wahlvorstand auf Meetings ein eigenes Zeitfenster zur freien Gestaltung einzuräumen. Wichtig ist, dass der Wahlvorstand ungestört berichtet, ohne Einmischung des Arbeitgebers. Mit Hilfe der Gewerkschaft oder ganz privat können auch Treffen außerhalb der Arbeitszeit organisiert werden. Dort wird zwar nie die gesamte Belegschaft erscheinen, trotzdem werden die Informationen viele Leute erreichen.
  • Intranet und interne Maillisten dürfen genauso bespielt werden. Der Wahlvorstand kann auch hier einen eigenen Bereich haben und/oder den Aushang des Wahlausschreibens durch E-Mails flankieren.
  • Warum sollte der Wahlvorstand nicht auch Messengerdienste, wie WhatsApp, Threema, Signa etc. nutzen?! In vielen Betrieben werden unter den Beschäftigten Messengergruppen informell organisiert und genutzt. Natürlich muss man davon ausgehen, dass auch Dritte diese Informationen mitlesen. Aber so ist es auch bei anderen Kommunikationswegen. Wenn viele Kolleg*innen über Messenger kommunizieren, dann sollte der Wahlvorstand auch hier aktiv werden, um auf die Wahl und die Möglichkeit zu kandidieren hinzuweisen. Trotz aller Kommunikationswege, die zur Verfügung stehen, lautet die wirkungsvollste Methode immer noch:

  1. Sucht das persönliche Gespräch.

Sprecht all jene Personen im Betrieb persönlich an, die Ihr Euch gut im Betriebsrat vorstellen könnt. Ermuntert Eure Kolleg*innen, das ebenfalls zu tun. Auf diese Weise werden sicherlich einige neue Kandidat*innen entdeckt. E-Mails und Aushänge werden von vielen Kolleg*innen – trotz aller Mühe, die Ihr investiert – im betrieblichen Alltag oft doch nicht gelesen. Wenn Ihr jemanden direkt ansprecht, könnt Ihr Euch hingegen sicher sein, dass Ihr auch gehört werdet. Im persönlichen Gespräch spürt Ihr außerdem sofort, wie die*der Angesprochene reagiert, welche Bedenken oder Einwände er*sie möglicherweise hat. Ihr habt dann sofort die Chance, darauf einzugehen. Das erfordert:

  1. Nehmt die Bedenken der Kolleg*innen ernst.

Eure Kolleg*innen werden Euch vielleicht erzählen, was sie daran hindert, für den Betriebsrat zu kandidieren. Ihr solltet diese Bedenken unbedingt ernst nehmen und berücksichtigen. Es geht in diesen Gesprächen nicht darum, jemanden von etwas zu überzeugen, dass er*sie eigentlich gar nicht will. Davon hätte niemand etwas, weder der*die potentielle Kandidat*in, noch das zukünftige Gremium. Es gibt gute Gründe, warum jemand glaubt, dass Betriebsratsarbeit nicht in sein*ihr Leben passt. Vielleicht ist er*sie mit Betreuungsaufgaben, Kindern, Pflege, Studium, Zweitjob, Selbstständigkeit etc. zeitlich und gedanklich stark eingebunden. Vielleicht gibt es auch betriebliche Gründe: Befristung, Aufstiegswünsche, bestehende Konflikte oder Angst vor Konflikten, betriebliche Tätigkeiten, die auf den ersten Blick nicht mit der BR-Arbeit zusammengehen wollen etc. Mit Eurem Wissen über die BR-Arbeit könnt Ihr die jeweiligen Bedenken gemeinsam besprechen. Gut möglich, dass Ihr dabei feststellt, dass sie unbegründet sind oder dass der neu gewählte Betriebsrat ihnen gut begegnen kann. Vielleicht stellt Ihr aber auch gemeinsam fest, dass es tatsächlich schwierig wäre, wenn er*sie im Gremium wäre. In diesem Fall ist es ehrlich und fair, von einer Kandidatur abzuraten. Für den Betriebsrat zu kandidieren, muss aber keine unverrückbare Lebensentscheidung sein. Ihr könnt den Kolleg*innen die Entscheidung leichter machen, indem Ihr Folgendes berücksichtigt:

  1. Hängt die Hürde nicht so hoch.

Eine Kandidatur für den Betriebsrat darf wohlüberlegt sein. Aber sie ist keine Entscheidung für den Rest des Arbeitslebens. Nach der Wahl springen in den ersten Wochen und Monaten üblicherweise immer ein paar BR-Mitglieder wieder ab, weil sie gemerkt haben, dass es doch nichts für sie ist. Gerade deshalb braucht man viele Kandidat*innen. Wenn die Kolleg*innen um diese Ausstiegsmöglichkeit wissen, senkt das die Hürde für eine Kandidatur. Oft wird auch gefragt, ob man als Ersatzmitglied kandidieren kann. Im Gegensatz zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung, geht dies beim Betriebsrat nicht. Es ist aber absolut legitim, wenn man die Belegschaft darüber informiert, dass ein*e bestimmte*r Kandidat*in den Betriebsrat am liebsten als Ersatzmitglied unterstützen möchte. Die Kolleg*innen sollten diese Person dann am besten nicht wählen. Er*Sie wählt sich allerdings selbst, so dass er*sie im Ergebnis mit einer Stimme als Ersatzmitglied gewählt wird. Bei Listenwahl kann er*sie natürlich auf einem hinteren Platz kandidieren. Wenn alle Beteiligten Bescheid wissen, ist dies eine viel bessere und fairere Variante, als wenn sich jemand mit vielen Stimmen ins Gremium wählen lässt und nach kurzer Zeit wieder verschwindet. Möglicherweise wollte die Person nur vom außerordentlichen Kündigungsschutz profitieren. Das ist nicht so schön. Trotzdem spricht nichts dagegen, dass Ihr auch die individuellen Vorzüge einer Kandidatur klar benennt:

  1. Weist auf die persönlichen Vorteile hin.

Es ist absolut in Ordnung, auf die subjektiven Vorteile einer Kandidatur hinzuweisen. Betriebsratsarbeit soll weder Nach- noch Vorteile für die BR-Mitglieder bedeuten. Dennoch bringt die Amtsübernahme Dinge mit sich, die viele Betriebsräte als positiv und reizvoll empfinden: der außerordentliche Kündigungsschutz; die Möglichkeit, an Schulungen teilzunehmen und sich weiterzubilden; das Unternehmen ganz neu kennenzulernen und Abwechslung von der normalen arbeitsvertraglich geregelten Tätigkeit zu haben. Viele Kolleg*innen wissen vielleicht auch gar nicht, dass sie sich für die BR-Tätigkeit freistellen lassen können und diese Arbeit nicht in ihrer Freizeit leisten müssen. Am interessantesten ist es natürlich, dass man als Betriebsrat Einfluss auf die Organisation und die Bedingungen der Arbeit nehmen und direkt versuchen kann, eigene Verbesserungsideen umzusetzen. Deswegen ist besonders wichtig:

6. Stellt die Mitbestimmungsmöglichkeiten des Betriebsrats heraus.

Natürlich ist es attraktiv, wenn man erfährt, dass man als BR die Möglichkeit hat, die Arbeitsbedingungen im Unternehmen tatsächlich zu verändern und Ideen für Verbesserungen in die Tat umsetzen kann. Fragt Euch, was der Betriebsrat, speziell in Eurem Unternehmen, alles tun bzw. bewirken könnte: Ist es bei Euch vielleicht besonders spannend, dass die Personaleinsatzpläne mitbestimmungspflichtig sind? Oder die Urlaubspläne? Vielleicht beschweren sich die Kolleg*innen schon lange über den löchrigen Datenschutz oder veraltete Bürostühle? Bei den meisten Fragen hat der Betriebsrat die Möglichkeit, direkt einzugreifen. Viele Kolleg*innen werden das so genau nicht wissen. Erzählt es ihnen,  dann kriegen sie von ganz allein Lust auf die Betriebsratsarbeit.

In jedem Fall solltet Ihr die positiven Seiten der BR-Arbeit betonen. Wenn es in der Vergangenheit mal Probleme in der Kommunikation mit dem Arbeitgeber gab, so sollte das nicht verschwiegen werden. Aber wenn Ihr Kolleg*innen für das Amt des Betriebsrates gewinnen wollt, dann ist es sinnvoll und legitim, als erstes von Euren Erfolgen zu berichten. Immerhin seid Ihr ja selbst im Betriebsrat und überzeugt von Eurer Arbeit. Also: Warum seid Ihr im Betriebsrat? Was fasziniert Euch an der Arbeit? Was macht Euch besonderen Spaß? Was motiviert Euch? Erzählt den Kolleg*innen davon, und Eure Euphorie wird überspringen.