Gesundheitsschutz im Homeoffice – am Beispiel der Belastungen durch häufige Videokonferenzen

Am 20. Januar 2021 hat die Bundesregierung die neue SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung beschlossen. Nach zehn Monaten “epidemischer Lage von nationaler Tragweite” und einer Fülle von Corona-Rechtsakten ist dies die erste verpflichtende, nationale Regelung für Betriebe. Die Infektionsprophylaxe am Arbeitsplatz wurde bis dato allein den Arbeitgebern überlassen. Dabei wissen wir, dass Gesundheitsschutz dort in keinen guten Händen ist: Bereits vor der Pandemie haben nur fünf Prozent eine umfassende Gefährdungsbeurteilung durchgeführt. Aktuell geben 20 Prozent der Unternehmen selbst an, gar keine Corona-Maßnahmen im Betrieb umzusetzen.[1]

Auch die nun beschlossene Verordnung bleibt wirtschaftsfreundlich. Im Zentrum steht die Pflicht des Arbeitgebers, im Falle von Büroarbeit Homeoffice anzubieten. Das ist an sich sinnvoll. Homeoffice ist eine effektive Maßnahme im Kampf gegen Corona. Gleichzeitig arbeiten jedoch nur ca. 50 Prozent der Beschäftigten in einer Bürotätigkeit.[2] Auch für die andere Hälfte der arbeitenden Bevölkerung müssen infektionsschutzgerechte Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.

Aber auch Homeoffice selbst ist keine unproblematische Beschäftigungsform. Damit die Arbeit von zu Hause gesundheitsgerecht gestaltet werden kann, sind sowohl technische als auch organisatorische und personelle Voraussetzungen zu erfüllen. Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten im Zuge der Pandemie ins Homeoffice geschickt haben, haben sich meist keine Gedanken darüber gemacht. Sie konnten sich diesbezüglich auf die Dringlichkeit der Pandemie berufen. Sofern die Arbeitsleistung weiter erbracht wird, sehen sie wohl auch keinen Anlass, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen – ein leider bekanntes Phänomen. Im Zuge der Pandemie etablieren sich dadurch problematische Arbeitsbedingungen, die die Corona-Zeit zu überdauern drohen. Hier sei nur ein Beispiel besprochen: Videokonferenzen.

Besprechungen und Konferenzen online durchzuführen, verringert nicht nur Kontakte im Betrieb und macht Homeoffice meist erst möglich, es erspart auch Anreisekosten und erhöht das Tempo von internen und externen Absprachen. Videokonferenzen dienen der Effizienzsteigerung und sind auch jenseits der Pandemie interessant für Unternehmen. Bereits nach dem ersten Lockdown gaben 93 Prozent der Unternehmen an, dass sie im Zuge der Corona-Krise bei der Kommunikation vermehrt auf Videokonferenzen setzen.[3]

Was ist „Zoom-Fatigue“?

Bereits im September 2020 erschien die erste deutsche Studie, die das Phänomen „Zoom-Fatigue“ nachwies. „Zoom-Fatigue“ meint die besondere Erschöpfung, die Menschen empfinden, wenn sie längere Zeit in Videokonferenzen zugebracht haben. Fast 60 Prozent der Befragten Büroarbeiter*innen berichteten von Konzentrationsschwäche, Ungeduld, Kopfschmerzen, Gereiztheit, Schlafstörungen sowie Sehstörungen und Rückenschmerzen.[4]  Zoom-Fatigue wird noch erforscht. Einig ist man sich jedoch darin, dass Videokonferenzen im Vergleich zu Präsenzmeetings deutliche Unterschiede aufweisen. Die gesamte Kommunikation findet über ein Medium statt. Was ich sehe und höre, ist nicht mein Gegenüber, sondern eine Reihe von audio-visuellen Zeichen, die lediglich auf die andere Person verweisen. Normalerweise befinden sich alle Gesprächsteilnehmer*innen auch körperlich im selben Raum und können neben verbalen Äußerungen ein breites Spektrum non-verbaler Signale wahrnehmen, um sich kommunikativ zu orientieren. Viele dieser Signale fallen bei virtuellen Treffen weg oder sind gestört; direkter Augenkontakt ist nicht möglich, Hörersignale sind meist stumm gestellt. Aus diesen Gründen sind wir automatisch hyperfokussiert auf die wenigen Zeichen, die uns zur Verfügung stehen. Gleichzeitig sehen wir nicht nur ein Gegenüber, sondern viele Gesprächsteilnehmer*innen auf einmal, inklusive uns selbst. Dadurch besteht die Gefahr der Überstimulierung, die nicht selten umschlägt in Abgelenkt-Sein. Videokonferenzen laden dazu ein, nebenbei noch andere Sachen zu tun: im Netz recherchieren, E-Mails checken etc.[5]

Hinzu kommt, dass sich bei Online-Meetings meist eine andere Form der Gesprächskultur etabliert hat. Es wird wesentlich stringenter und zur Sache diskutiert. Small Talk fällt oft vollständig weg (obwohl er eine wichtige soziale Funktion erfüllt). Die Teilnehmer*innen reagieren viel sensibler auf Unterbrechungen und Störungen. Insgesamt herrscht eine strengere Gesprächsdisziplin. Weil es effizient erscheint, werden Videokonferenzen meist eng hintereinander getaktet. Weder zwischen noch während der Meetings sind Pausen eingeplant.

Was tun gegen Zoom-Fatigue?

Wenn tägliche mehre Stunden Videokonferenzen zum Arbeitsalltag werden, bringt dies nachgewiesene Belastungen mit sich. Allerdings kann diesen Belastungen leicht begegnet werden:

Technische Maßnahmen:

Alle beschriebenen Probleme werden durch knackende Mikrofone, körnige Kamerabilder und flackerndes Internet noch weiter verstärkt. Mangelnde technische Ausstattung schadet nicht nur dem*der Nutzer*in, sondern auch allen anderen Teilnehmer*innen. Es muss Sache des Arbeitgebers sein, angemessene Technik für Videokonferenzen zur Verfügung zu stellen und diese regelmäßig zu warten.  Im Betrieb und im Homeoffice sollte mit jedem*jeder Beschäftigten der Videoarbeitsplatz von einer sachkundigen Person technisch eingerichtet werden.

Organisatorische Maßnahmen:

Es braucht eine Obergrenze von Online-Meetings pro Tag und eine maximale Länge der Konferenzen. Zwischen und während der Konferenzen müssen angemessene Pausen eingeplant werden. Leitende Angestellte und alle Beschäftigten, die Videokonferenzen einberufen, müssen auf diese Vorgaben hingewiesen und für die auftretenden Belastungen sensibilisiert werden. Auch sollte intern besprochen und festgelegt werden, welche Art von Meetings im Rahmen von Videokonferenzen stattfinden können und welche Gespräche nur Präsenztreffen vorbehalten sein sollen.

Auch müssen Arbeitszeiten und Aufgabenlast der Beschäftigten so gestaltet sein, dass sie zu bewältigen sind, ohne während der Videokonferenz an anderen Aufgaben arbeiten zu müssen. Meist nehmen an Online-Meetings zu viele Personen teil, die nicht unbedingt beteiligt werden müssten. Eine Videokonferenz auszusetzen, ist manchmal die beste Methode, um Belastungen zu vermeiden.

Personelle Maßnahmen:

Die Qualität von Videokonferenzen hängt stark von der Moderation ab. Diese folgt bei Online-Meetings anderen Regeln als bei Präsenzveranstaltungen. Alle Moderator*innen sollten die Möglichkeit bekommen, sich für Online-Meetings schulen zu lassen, in denen wichtige Fragen geklärt werden, z. B.: Wie kann ich durch entsprechende Gesprächsführung die Konferenz für alle Beteiligten angenehmer machen? Wie können Räume für Small Talk und zwischenmenschlichen Austausch geschaffen werden?

Keine dieser Maßnahmen ist besonders aufwendig, keine würde die betrieblichen Abläufe stören. Im Gegenteil: Vermutlich würden Arbeitsabläufe und Effizienz sogar davon profitieren. Dennoch finden sich aktuell wohl in kaum einem Betrieb vergleichbare Regelungen.

Betriebs- und Personalräte können und sollten aktiv werden

Auch bei diesem Thema bleibt es an den Betriebs- und Personalräten, gemeinsam mit den Kolleg*innen entsprechende Maßnahmen zu entwickeln und einzufordern. Wenn Staat und Arbeitgeber den betrieblichen Gesundheitsschutz ignorieren, müssen die Beschäftigten ihn selbst in die Hand nehmen. Schließlich steht die eigene Gesundheit auf dem Spiel. Wir können nicht zulassen, dass unternehmerische Interessen über der Gesundheit der Kolleg*innen stehen – auch dann nicht, wenn es um die vermeintlich kleine Frage von Zoom-Fatigue geht.

Betriebsräte fragen sich eventuell, ob sie hier überhaupt mitbestimmen können. Nun, die erste Frage muss sein, ob der Betriebsrat mitbestimmen will. Wenn ja, kann er sich immer einmischen und beim Arbeitgeber auf Abhilfe drängen. Zuerst ist jedoch zu prüfen, ob der Arbeitgeber versucht hat, sich mit dem Betriebsrat über die Einführung von Videokonferenzen und die Auswirkungen auf die Beschäftigten zu beraten. Präsenz- durch Online-Meetings zu ersetzen, ist nämlich offensichtlich ein neues Arbeitsverfahren nach § 90 Nr. 3 BetrVG. Aber auch jenseits dessen bestehen klare Mitbestimmungsmöglichkeiten aufgrund der hier greifenden Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, technischer Überwachungseinrichtungen und der Arbeitszeit.

Zu diesem Thema bieten wir aktuell ein kostenloses Online-Seminar an:

Sicheres und gesundes Arbeiten in der Corona-Pandemie

Donnerstag, 25. Februar 2021 14:30 bis 16:00 Uhr

Anmeldung zur Zoom-Veranstaltung über diesen Link.


[1] Vgl. Strobel/Kluge: In Betrieb und Parlament für gesunde Arbeit kämpfen. Februar 2021, in: https://www.betriebundgewerkschaft.de/in-betrieb-und-parlament-fuer-gesunde-arbeit-kaempfen/.

[2] Vgl. Kleine Anfrage „Büroarbeit und körperliche Gesundheit“ (BT-Drs. 19/23247) von Jutta Krellmann u.a. und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

[3] Vgl. Fraunhofer-Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation IAO: Arbeiten in der Corona-Pandemie – Auf dem Weg zum New Normal.

[4] Rump/Brandt: Zoom-Fatigue, September 2020. Institut für Beschäftigung und Employability.

[5] Vgl. Lepschy: Videokonferenz – Sprechwissenschaftliche Analyse eines viralen Phänomens. In: sprechen. Zeitschrift für Sprechwissenschaft, Heft 70, 2020.