Erstes R+A Netzwerktreffen

Am 5. September 2018 fand das erste R+A Netzwerk- und Orientierungstreffen für Betriebsräte aus dem Textileinzelhandel statt. Die Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Soziales hatte die 3,5-stündige Veranstaltung zuvor als Schulungsveranstaltung nach dem Bildungsurlaubsgesetz sowie nach § 37 Abs. 7 Betriebsverfassungsgesetz anerkannt.

Kreis der Teilnehmer*innen und Schwerpunktthema

Es nahmen über 20 Betriebsratsmitglieder von großen Textilkonzernen wie Footlocker, Uniqlo, Zara, H&M und Weekday teil. In einer ausführlichen Vorstellungsrunde berichteten die einzelnen Betriebsräte von der Situation in ihren Betrieben – von Problemen, mit denen sie zu kämpfen haben und von Erfolgen, die sie verzeichnen konnten. Dabei wurde klar: Alle anwesenden Unternehmen sind von geplanten oder bereits vollzogenen Betriebsänderungen und Betriebsschließungen betroffen. Dies war das Schwerpunktthema des ersten Netzwerktreffens.

Vortrag 1: Langfristige Vorbereitung auf Betriebsänderungen

Rechtsanwalt Priyanthan Thilagaratnam schilderte in einem kurzen Inputvortrag verschiedene Möglichkeiten, wie Betriebsräte sich bereits vor der offiziellen Unterrichtung der*des Arbeitgeber*in auf Betriebsänderungen vorbereiten und ein Frühwarnsystem installieren können. Leider halten sich die meisten Arbeitgeber*innen nicht an die Vorgaben des BetrVG und informieren Betriebsräte viel zu spät, was ein proaktives Vorgehen der Betriebsräte noch viel wichtiger macht. Die Vorschläge des Rechtsanwalts wurden positiv aufgenommen. In der anschließenden Diskussion stellte sich jedoch heraus, dass das unternehmerische Vorgehen der Textilkonzerne oft unverständlich ist und teilweise trotz gegenteiliger Indikatoren Betriebsschließungen angekündigt werden.

Vortrag 2: Das Geschäftsmodell „Fast Fashion“

Im zweiten Vortrag des Tages erläuterte René Kluge, dass diese irrational erscheinende Unternehmenspraxis auf das besondere Geschäftsmodell „Fast Fashion“ zurückgeführt werden könnte. Fast Fashion als Managementkonzept wurde Ende der 1970er Jahre durch die Firma Inditex (die Konzernmutter des Zara-Labels) entwickelt und sehr schnell von H&M und später auch von Uniqlo übernommen und weiterentwickelt. Es basiert auf einem geschickten Ausnutzen globaler Unterschiede in Bezug auf Einkommens- und Arbeitsschutzstandards. Mittels eines engen Logistiknetzes sind die Unternehmen in der Lage, in so genannten Billiglohnländern zu produzieren und ihre Waren zu verhältnismäßig günstigen Preisen anzubieten. Zentral ist auch der breite Einsatz von Informationstechnologien, um ein konstantes Erfassen und Auswerten aller Absatzzahlen zu ermöglichen. Dadurch sind die Unternehmen permanent in der Lage, die exakte Nachfrage zu bestimmen und zu prognostizieren, so dass in kürzester Zeit genau die Kleidung entwickelt und produziert werden kann, die auch gekauft wird. Alle Unternehmen eint überdies, dass sie fast alle Unternehmensteile in das Hauptunternehmen integriert haben: Bis hin zum Verkauf in den einzelnen Läden werden die meisten Aspekte ihrer Unternehmenstätigkeit – wie Entwicklung, Marketing, Logistik und Vertrieb – zentral gesteuert. Ein Blick auf die Unternehmenszahlen zeigt, dass es sich um wirtschaftlich überaus erfolgreiche Konzerne mit einem weltumspannenden Ladennetzwerk handelt.

Diskussion, Praxisabgleich und Auswertung

Nach diesen thematischen Ausführungen entstand eine lebhafte Diskussion, in der die Betriebsräte kritische Bemerkungen zum Thema machten und vielfältige Praxiserfahrungen einbrachten. Vor allem wurde darüber diskutiert, ob H&M das Konzept „Fast Fashion“ immer noch erfolgreich betreibt oder ob es hinsichtlich Geschwindigkeit und Kundennähe nicht gerade immer weiter ins Hintertreffen gerät. Auch der Anteil, den das Online-Geschäft am Gesamtumsatz tatsächlich hat, wurde skeptisch hinterfragt. Die Integration des Online-Handels scheint vor allem bei H&M nur sehr schleppend voranzugehen. Zwar ist es vor allem das Unternehmen H&M, über das momentan häufig negativ berichtet wird, aber auch die Betriebsräte der anderen Unternehmen berichteten davon, trotz erfolgreicher Geschäftszahlen von drohenden Betriebsschließungen betroffen zu sein. Die Zusammensetzung der Verkaufsläden dieser Unternehmen in allen deutschen Städten ist ständigen Veränderungen und „Optimierungsprozessen“ unterlegen – eine Tatsache, die die Unternehmen in ihren Geschäftsberichten selbst anerkennen.

Selten in den Fokus gerät daneben das Problem, dass durch die starke zentrale Lenkung dieser Unternehmen die örtlichen Filialleitungen meist nur geringen Einfluss auf Ausstattung und Abläufe haben und damit oft nicht die richtigen Ansprechpartner*innen für die Betriebsräte sind. Für die Gremien bedeutet dies nichts anderes als eine Einschränkung ihrer Mitbestimmungsrechte. Die BR-Arbeit in Unternehmen ist dadurch sehr beschwerlich und alle Erfolge müssen mühsam erkämpft werden.

Wenn über den Textileinzelhandel im Allgemeinen und Fast Fashion im Besonderen geschrieben und gesprochen wird, kommt die Perspektive der Arbeitnehmer*innen und Betriebsräte meist nur am Rande oder gar nicht vor. Doch die dort beschäftigten Kolleg*innen verfügen aufgrund ihrer langjährigen Arbeitserfahrung über viel Hintergrundwissen, von dem auch wissenschaftliche Betrachtungen profitieren könnten. Es wurde angestrebt, im Rahmen von Arbeiter*innenforschungsgruppen dieses Wissen gemeinsamen zu sammeln und anderen Gremien zugänglich zu machen.

Insgesamt bewerteten alle Beteiligten die bei einem gemeinsamen Snack ausklingende Veranstaltung als sehr erfolgreich. Das nächste Netzwerktreffen für den Textileinzelhandel findet am 09. Januar 2019 statt.