Buchvorstellung: „Rechtspopulismus in Gewerkschaften“

15 Prozent der an der Bundestagswahl 2017 beteiligten Gewerkschaftsmitglieder wählten die AfD. Parallel dazu sehen sich Gewerkschaften verstärkt mit Angriffen von Rechtspopulisten konfrontiert – Anlass für die Autor*innen Dieter Sauer, Ursula Stöger, Joachim Bischoff, Richard Detje und Bernhard Müller[1], sich auf eine „arbeitsweltliche Spurensuche“ zu begeben. Ihre Untersuchung basiert auf Gesprächen mit 114 haupt- und ehrenamtlichen Gewerkschafter*innen aus insgesamt 45 Betrieben der Organisationsbereiche von IG Metall und ver.di. Ihre Leitfrage lautet: Sind im betrieblichen und gewerkschaftlichen Zusammenhang Ursachen für eine Verbreitung von Rechtspopulismus auszumachen? Denn dann kommt nach Ansicht der Autor*innen Gewerkschaften eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung von Rechtspopulismus zu.

Rechte Orientierungen in Betrieb und Gewerkschaften

Alle Befragten berichten von einer Klimaveränderung seit der Fluchtbewegung 2015. Vorhandene rechte Einstellungen im Betrieb werden seitdem verstärkt offen geäußert. Relevante Plattformen sind besonders die sozialen Medien, denn hier findet Kommunikation ungesehen von der Betriebsöffentlichkeit im Schutz der Anonymität statt. Neu ist auch eine Enttabuisierung rechter Meinungen, seit die AfD in Parlamenten vertreten ist. Teilweise werden Interessenvertreter*innen aufgefordert, sich politisch neutral zu verhalten.

Befragte berichten von Gewerkschaftsaustritten aufgrund der Solidarisierung von Gewerkschaften mit Geflüchteten und ihrer Positionierung gegen Rechtspopulismus. Befragten Gewerkschafter*innen wird vorgeworfen, nicht bei ihrem „Geschäft“ zu bleiben, wenn sie sich politisch positionieren. Einige berichten, dass deshalb in ihren Betrieben das Thema Rechtspopulismus vermieden wird, andere Befragte berichten dagegen von klarer Positionierung. Die Gewerkschaftsaustritte deuten die Autor*innen u. a. als Folge einer verfehlten Gewerkschaftspolitik, die stärker an Mitgliederzahlen als an einer inhaltlichen Auseinandersetzung orientiert ist.

Ursachen für Rechtspopulismus in der Arbeitswelt

Alle Befragten nehmen eine krisenhafte Zuspitzung in der Arbeitswelt wahr. Diese Wahrnehmung basiert u. a. auf drohenden Arbeitsplatzverlusten durch Umstrukturierung; Unsicherheit und Überforderung durch Digitalisierung; Entwertung durch prekäre Beschäftigung; gestiegenem Zeit- und Leistungsdruck. Diese betrieblichen Zustände rufen Gefühle hervor, die, so die Autor*innen, rechte Einstellungen begünstigen. Es kommt zu Abstiegs- und Zukunftsängsten, dem Gefühl von Kontrollverlust und Abwertung. Gefühle von Machtlosigkeit, Resignation und Wut treten auf. Parallel dazu wird eine zunehmende innerbetriebliche Entsolidarisierung festgestellt, die durch die Verschärfung von Arbeitsstrukturen begünstigt wird. Gleichzeitig werden Gewerkschaften nicht als  kämpferisch erlebt, sondern als eine Institution wahrgenommen, die lediglich Schlimmeres verhindert.

Enttäuschung über Politik und Schwinden gewerkschaftlicher Macht

Die Befragungen ergeben einen Vertrauensverlust von Arbeitnehmer*innen in demokratische Institutionen, der auch die Gewerkschaften trifft. Diese werden teilweise nicht mehr als Interessenvertretung der Arbeitnehmer*innen wahrgenommen, sondern auf Arbeitgeberseite verortet. Arbeitnehmer*innen fühlen sich von demokratischen Institutionen nicht mehr vertreten, sondern erleben diese als Teil eines feindlichen Establishments, auf das sie keinen Einfluss haben. Es existiert die subjektive Wahrnehmung, ungerecht behandelt zu werden, das Gefühl, keinen Einfluss zu haben und durch die Politik nicht vertreten zu werden. Dies wird durch eine außerbetriebliche Lebenswelt, die durch Verunsicherung und Mangel gekennzeichnet ist (Rente, Gesundheitssystem etc.), noch verschärft.

Hier kann sich die AfD als Sprachrohr etablieren. Sie präsentiert sich als Ansprechpartner für die „kleinen Leute“, die glauben, von der politischen Elite verraten zu werden. Geflüchtete dienen hier als Projektionsfläche für soziale Ängste. Die bestehende Krise wird nicht mehr klassenanalytisch als ein Konflikt zwischen Oben und Unten verstanden, sondern als ein Konflikt zwischen dem „Volk“ und den „Anderen“ empfunden, die in der Vorstellung von Rechtspopulisten begünstigt würden, wogegen das „Volk“ zu kurz käme.

Mangelnde Reichweite gewerkschaftlicher Politik

Die Autor*innen führen die Attraktivität der AfD u. a. darauf zurück, dass individuelle Gestaltungsmöglichkeiten in beruflichen und gesellschaftlichen Kontexten als gering empfunden werden und Sicherheiten wegfallen. Deshalb würden kollektive Identitäten wie die Zughörigkeit zu einem Volk wieder attraktiv.

Doch warum führen die krisenhaften Zustände nicht zu einer Stärkung der Gewerkschaften? Schließlich sind diese die direkten Ansprechpartner für Arbeitnehmer*innen. Als Gründe dafür nennen die Autor*innen das Ausbleiben von Antworten auf Abstiegs- und Zukunftsängste und ein Verharren in der Bestandssicherung von Seiten der Gewerkschaft. Es gebe eine Enttäuschung darüber, dass auch Tarifverträge nicht gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse schützen, dass trotz Gewerkschaften der Arbeitsplatz durch Umstrukturierungen verloren gehen kann und dass Gewerkschaften keinen Einfluss auf Faktoren wie Personalausstattung, Arbeitsorganisation und die Sicherung des Arbeitsplatzes hätten. Gewerkschaften bewegen sich innerhalb der Regeln einer marktorientierten Arbeitspolitik, aber setzen dieser nichts entgegen.

Gewerkschaften und die Systemfrage

Zugespitzte betriebliche Arbeitsverhältnisse in Kombination mit einer Schwächung von zivilgesellschaftlicher, gewerkschaftlicher Gegenmacht bieten einen Nährboden für Rechtspopulismus, so ein Ergebnis der Untersuchung. Hier sehen die Autor*innen eine Verantwortung von Gewerkschaften als betriebliche Akteure. Sie prognostizieren eine potentielle Bedrohung der gewerkschaftlichen Machtstellung, sollte sich der Rechtspopulismus verstärkt der sozialen Frage zuwenden. Rechtspopulismus wendet sich gegen die krisenhaften Auswirkungen des kapitalistischen Marktes. Deshalb müssten nach Ansicht der Autor*innen die Gewerkschaften diese Krise thematisieren und Antworten geben. Wollen Gewerkschaften eine Schutzfunktion für alle Beschäftigten wahrnehmen und eine Alternative zum rechtspopulistischen Angebot der AfD bieten, so müssen sie sich über eine Politik, die nur das Schlimmste abmildert, hinaus arbeitspolitisch neu positionieren, so die Schlussfolgerung.

Fazit: Eine der wenigen Publikationen, die es zu diesem Thema gibt und allein deshalb lesenswert. Der wissenschaftliche Stil und die umfangreichen Zitate sind Geschmackssache, da viel wiederholt wird. Doch die Ergebnisse der Studie sind derart alarmierend, dass sie Platz in jeder Diskussion über gewerkschaftliche Handlungsstrategien gegen Rechtspopulismus finden sollten.

Dieter Sauer, Ursula Stöger, Joachims Bischoff, Richard Detje, Bernhard Müller: Rechtspopulismus in Gewerkschaften. Eine arbeitsweltliche Spurensuche. VSA. Februar 2018

 

 

[1] Dieter Sauer und Ursula Stöger arbeiten im Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München (ISF), Joachim Bischoff, Richard Detje und Bernhard Müller sind unter anderem in der Wissenschaftlichen Vereinigung für Kapitalismusanalyse und Gesellschaftspolitik e.V. (WISSENTransfer) aktiv.