Mitbestimmung bei der Personalbemessung?!

Verschiedene Studien belegen eine deutliche Arbeitsintensivierung in den vergangenen Jahren für viele Beschäftigte in fast allen Branchen.[1] Bei gleichbleibendem oder sinkendem Personalstand werden immer mehr und komplexere Aufgaben verlangt, wobei dieselbe Arbeitsleistung meist in kürzerer Zeit erbracht werden muss. Eine zu hohe Arbeitsintensität stellt nachweislich eine Gefährdung für die körperliche und psychische Gesundheit dar.[2] In den meisten Fällen ist die Antwort eindeutig: Es muss mehr Personal beschäftigt werden.

Der Betriebsrat hat jedoch kein zwingendes Mitbestimmungsrecht bei der Personalbemessung – also bei der Frage, wie viele KollegInnen zu welchen Zeiten im Einsatz sind. Dies soll unter die unternehmerische Freiheit fallen und allein der Entscheidung des Managements überlassen sein. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Betriebsrat sich dieses Themas nicht annehmen kann. Ohne formale Mitbestimmungsrechte hat er allerdings nicht die Möglichkeit, auf eine Klärung in der Einigungsstelle abzuzielen. Er muss deswegen anders und kreativer vorgehen und noch stärker als bei anderen Fragen die Belegschaft aktivieren und beteiligen.

Informationen beschaffen und verbreiten

Die vorrangigste Aufgabe besteht meist darin, aufzudecken, dass überhaupt eine unzureichende Personalbemessung bzw. eine unakzeptable Aufgabenbemessung vorliegt. Eine Verschlechterung der Personalbemessung ist nichts, was die Arbeitgeberin öffentlich auf einer Personalversammlung ankündigen wird. Vielmehr vollzieht sich diese meist schleichend und verdeckt: So werden die Stellen von ausscheidenden KollegInnen nicht neu besetzt, Arbeitszeitkonten und Krankenstände steigen an, ohne dass weitere Kräfte eingestellt werden. Urlaubsstau und das kontinuierliche Übertragen neuer Aufgaben auf die bestehende Belegschaft sind weitere Indikatoren. Der Betriebsrat muss die vor sich gehende Intensivierung der Arbeit erkennen, sie für alle sichtbar machen und im besten Fall eine zukünftige Intensivierung bereits frühzeitig vorhersehen.

Er kann sich hierbei auf seine Unterrichtungsrechte aus § 92 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) beziehen. Die Arbeitgeberin ist verpflichtet, den Betriebsrat rechtzeitig und unter Vorlage entsprechender Unterlagen über alle Fragen der Personalplanung, insbesondere der Personalbemessung zu unterrichten. Der Betriebsrat soll in die Lage versetzt werden, den Planungsstand der Arbeitgeberin – noch bevor konkrete personelle Maßnahmen vorgenommen wurden – jederzeit nachvollziehen und kritisch kommentieren zu können.

Die erworbenen Informationen sollte der Betriebsrat auswerten, prüfen, umgehend in die Belegschaft kommunizieren und auf Betriebsversammlungen und bei anderen Gelegenheiten mit den KollegInnen diskutieren. Sofern es sich nicht um personenbezogene Informationen handelt, steht dem keine Geheimhaltungspflicht entgegen. Der Betriebsrat kann dadurch „Agenda-Setting“ betreiben und erreichen, dass im Betrieb kritisch über die Personalplanung gesprochen wird.

Arbeitsintensivierung sichtbar machen

Oftmals sind die Konsequenzen der Personalplanung weder der Arbeitgeberin noch den KollegInnen selbst wirklich bewusst. Meist machen die KollegInnen die Arbeitsverdichtung selbst unsichtbar, indem sie es irgendwie trotzdem schaffen, das erhöhte Pensum abzuleisten, und die daraus folgenden Konsequenzen für Körper und Psyche mit sich selbst ausmachen. Die Arbeitgeberin achtet meist nur darauf, ob die betrieblichen Ziele erreicht, die Regale gefüllt, die KlientInnen betreut, die Anrufe angenommen oder die Waren ausgeliefert wurden. Wenn die KollegInnen es trotz gesteigerter Intensität schaffen, die gestellten Anforderungen zu erfüllen, wird die Arbeitgeberin niemals Handlungsbedarf sehen – „es läuft doch!“

Schlimmer noch: Moderne Steuerungsmethoden führen dazu, dass ArbeitnehmerInnen sich selbst für den Erfolg unternehmerischer Planung verantwortlich fühlen. Unzureichende Personalplanung und Unterbesetzung erscheinen dann als persönliches Versagen.

Das darf der Betriebsrat nicht zulassen. Er muss deutlich machen, dass die Verantwortung bei der Arbeitgeberin liegt, denn sie disponiert das Personal und die Aufgaben. Der Betriebsrat kann gemeinsam mit den KollegInnen in kollektiven Aktionen versuchen, die Konsequenzen der Arbeitsverdichtung wieder sichtbar zu machen: Gemeinsame Überlastungsanzeigen müssen geschrieben, Überstunden verweigert werden und nicht zu schaffende Arbeit muss liegen bleiben! KundInnen werden dann nicht bedient, Telefonate und E-Mails nicht beantwortet. Bei tatsächlicher Arbeitsunfähigkeit müssen die KollegInnen sich krankschreiben lassen, anstatt angeschlagen zur Arbeit zu kommen. Der Arbeitgeberin muss aufgezeigt werden, welche Nachteile sich auch für sie aus einer zu dünnen Personaldecke ergeben.

Arbeits- und Gesundheitsschutz

Unterbesetzung und steigende Arbeitsintensität stellen ernsthafte Belastungsfaktoren dar, die krank machen können. Der Betriebsrat sollte die Frage der Personalbemessung deswegen auch als Frage des Arbeits- und Gesundheitsschutzes behandeln.

Positiv diskutiert wurde in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des Arbeitsgerichts in Kiel.[3] Der Betriebsrat hatte im Rahmen einer Einigungsstelle eine Betriebsvereinbarung durchsetzen können, die in verschiedenen Schichten Mindestbesetzungen vorsah. Die Arbeitgeberin klagte gegen diesen Einigungsstellenspruch. Das Arbeitsgericht entschied, dass eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit durch Mindestbesetzungen möglich sei, wenn dadurch das Recht der Beschäftigten auf körperliche und seelische Unversehrtheit geschützt würde. Ein beeindruckender Erfolg für den Betriebsrat.

Bietet sich damit eine Art Abkürzung, um über die Mitbestimmung beim Arbeits- und Gesundheitsschutz auch bei der Personalplanung mitzubestimmen? Vielleicht, aber leider nur unter bestimmten Voraussetzungen: Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat in der zweiten Instanz diese Abwägung grundgesetzlicher Rechte zwar nicht bemängelt, dafür aber dem gesamten Verfahren erhebliche Beschränkungen auferlegt.[4] Damit eine gegen den Willen der Arbeitgeberin Mindestbesetzungsregelung in Betracht kommen kann, müssen tatsächliche Gefährdungen im Rahmen einer ordentlichen Gefährdungsbeurteilung festgestellt worden sein, und auch dann kämen Mindestbesetzungen nur unter Umständen in Betracht.

Über die Frage des Arbeits- und Gesundheitsschutzes Einfluss auf die Personalbemessung zu nehmen, ist damit zwar möglich[5], aber allein die Durchsetzung einer ordentlichen Gefährdungsbeurteilung kann für sich bereits einen langwierigen Prozess darstellen.

Will der Betriebsrat Einfluss auf die Personalplanung nehmen, muss er mit starkem Widerstand durch die Arbeitgeberin rechnen und einen langen Atem haben. Dennoch sollte alles versucht werden, die Situation für die KollegInnen zu verbessern. Wenn der Betriebsrat es geschafft hat, die Probleme bei der Personal- und Aufgabenbemessung im Betrieb aufzudecken, kann er zusammen mit der Belegschaft der Arbeitgeberin die Dringlichkeit des Themas deutlich machen. Während die KollegInnen in kleinen oder großen kollektiven Aktionen die Konsequenzen der Unterbesetzung deutlich machen, strebt der Betriebsrat über sein Mitbestimmungsrecht beim Arbeits- und Gesundheitsschutz Abhilfe in der Einigungsstelle an. So ziehen alle an einem Strang und erhöhen den Druck auf die Arbeitgeberin gewaltig. Wird mit solcher Zielstrebigkeit und Vehemenz vorgegangen, dann wird der Betriebsrat Erfolge verzeichnen können, unabhängig davon, ob formale Mitbestimmungsrechte bestehen oder nicht.

[1] Vgl. z.B. Ahlers, E./Erol, S. (2019):  Arbeitsverdichtung in den Betrieben? Empirische Befunde aus der WSI-Betriebsrätebefragung. Policy Brief WSI, Nr. 33.

[2] Vgl. z.B. Siegrist, J. (2015): Arbeitswelt und stressbedingte Erkrankungen. Forschungsevidenz und präventive Maßnahmen, München.

[3] ArbG Kiel 26.7.2017 – 7 BV 67 c/16, NZA-RR 2017, 539. Vgl. hierzu auch Schoof, Ch./Gast, A. (2018): Personalbemessung mitbestimmt regeln, in: Gute Arbeit, Nr. 4.

[4] LAG Schleswig-Holstein, 25.04.2018 – 6 TaBV 21/17. Die Beschwerde beim BAG wurde zugelassen.

[5]Vgl. Kuster (2019): Was tun bei Unterbesetzung? Arbeitsrecht im Betrieb Nr. 10.