Trotz aller Unterschiede: Gemeinsame Interessen der gesamten Belegschaft erkennen und Spaltungen entgegenwirken

Maschinenfabrik in Chemnitz 1868

Bei Karl Marx liest es sich noch ganz einfach: „Die Großindustrie bringt eine Menge einander unbekannter Leute an einem Ort zusammen. Die Konkurrenz spaltet sie in ihren Interessen; aber die Aufrechterhaltung des Lohnes, dieses gemeinsame Interesse gegenüber ihrem Meister, vereinigt sie in einem gemeinsamen Gedanken des Widerstandes – Koalition.“[1] Erst  im Betrieb lernen sich die Arbeiter:innen kennen und entdecken die gemeinsamen Interessen. Es entsteht eine Koalition, die es ohne die kapitalistische Betriebsordnung nie gegeben hätte. „Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen.[2] Der Kapitalismus schafft damit also die Voraussetzung für den Zusammenschluss der Arbeiter:innen.

Aber wie sieht dies in modernen Betriebsstrukturen aus? Lernen sich die Beschäftigten dort noch wirklich kennen und tauschen sich über ihre gemeinsame Interessenlage aus? Tatsächlich erscheint die Klasse der arbeitenden Menschen heute so differenziert und gespalten wie nie zuvor.

Spaltung durch unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse

Im vergangenen Jahr wurden einer größeren Öffentlichkeit eklatante Unterschiede in Beschäftigungsverhältnissen am Beispiel der Fleischindustrie bekannt. Hier arbeiten festangestellte Kolleg:innen mit Leitungs- und Organisationsaufgaben neben Leiharbeits- und Werkvertragsbeschäftigten unterschiedlicher Entleiher und Subunternehmen zu teilweise katastrophalen Bedingungen. Letztere sind fast ausschließlich Wanderarbeiter:innen ohne deutschen Pass. Das Arbeitsschutzkontrollgesetz soll die Leiharbeits- und Werkvertragsbeschäftigung beenden – allerdings nur in den Kernbereichen. Beim Treiben, bei Reinigungsarbeiten und anderen Hilfsätigkeiten wird sich weiterhin Werkvertragsbeschäftigung unter inakzetablen Bedingungen finden lassen.

Auch in anderen Branchen zeigen sich Ungleichheiten bezüglich der Beschäftigungsverhältnisse, zum Beispiel an staatlichen Schulen in Berlin: Hier arbeiten verbeamtete Lehrer:innen neben angestellten Lehrer:innen und Referendar:innen. Über ein festes Budget können Schulen außerdem externe Aushilfslehrer:innen anstellen. Schon lange arbeiten Schulen überdies mit privaten Agenturen zusammen, die Lernförderlehrer:innen, Schulassistent:innen sowie Lehrkräfte für regulären Unterricht an die Schulen entsenden. Die schulische Hierarchie dieser verschiedenen Gruppen lässt sich ziemlich genau an den unterschiedlichen Entgelten nach unten durchdeklinieren.

Die Beispiele ließen sich sicherlich für jede Branche beliebig fortsetzen. Auch über die Unterschiede zwischen Teilzeit und Vollzeit, befristeten und unbefristeten Arbeitsverträgen sowie Praktikant:innen, 1-Euro-Jobber:innen und Solo-Selbstständigen im Betrieb müsste gesprochen werden. Schon Marx beschrieb solche Differenzierungsprozesse. Ihm war klar, dass „die vom Kapital eingeführte und stets vergrößerte Teilung der Arbeit die Arbeiter [zwingt] sich […] Konkurrenz zu machen“.[3] Eine nach Entgelt und Beschäftigtenstatus diversifizierte Belegschaft zu haben, ist im Interesse der Arbeitgeber:innen. Denn sie erschwert den Zusammenschluss der Beschäftigten untereinander und erhöht die Flexibiliät der Unternehmen.

Weitere Gründe für Belegschaftsspaltungen

Nicht nur das reine Beschäftigungsverhältnis spaltet die Belegschaften:

  • Frauen verdienen im Vergleich zu Männern immer noch 18 Prozent weniger, und  in Bezug auf Arbeitszeit, Aufstiegschancen und Betriebskultur finden sie meist schlechtere Bedingungen vor als ihre männlichen Kollegen.
  • Menschen mit transnationalen Backgrounds oder Nichtmuttersprachler:innen machen Ausgrenzungserfahrungen und haben einen erschwerten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.
  • In manchen Branchen fühlen sich Beschäftigte in ihrem Betrieb aufgrund der bloßen Tatsache ausgeschlossen, dass sie über wenige oder keine Englischkenntnisse verfügen.
  • Neben Geschlecht, Herkunft und Sprache spielt auch das Alter eine wichtige Rolle.
  • Nicht zuletzt wirkt sich die absolvierte Ausbildung auf die Höhe des individuellen Verdienstes aus.

In der Corona-Pandemie müssen viele Beschäftigte darüber hinaus noch eine andere, ganz konkrete Spaltungserfahrung machen: Die Arbeit im Homeoffice führt dazu, dass sich viele Kolleg:innen gar nicht mehr begegnen. Der Betrieb als sozialer Raum verschwindet mitunter vollständig. Übrig bleibt nur der formale Arbeitszusammenhang.

Eine zentrale Frage für jeden Betriebsrat

Wenn all das letztlich nur dem*der Arbeitgeber:in dient, müsste es dann nicht die zentrale Aufgabe des Betriebsrates als Interessenvertretung der gesamten Belegschaft sein, die Einheit und damit – in der marxschen Sprache – die Koalition der Kolleg:innen zu schützen und zu fördern? In der Liste der allgemeinen Aufgaben des Betriebsrates in § 80 BetrVG sucht man eine solche Aufgabe leider vergebens. Der Betriebsrat soll aber die tatsächliche  Gleichstellung der Geschlechter fördern (§ 80 Abs. 1 Nr. 2a), die Eingliederung schwerbehinderter Menschen (§ 80 Abs. 1 Nr. 4), die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer:innen (§ 80 Abs. 1 Nr. 6) sowie die Integration ausländischer Arbeitnehmer:innen (§ 80 Abs. 1 Nr. 7). In § 75 wird ihm außerdem aufgetragen, dass jede Benachteiligung unterbleibt und die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer:innen gefördert wird.

Will der Betriebsrat sich aktiv um die Einheit der Belegschaft bemühen, kann er sich also auf einige Stellen im BetrVG stützen. Nirgends wird er dagegen die Vorgabe finden, sich nur um die – wie auch immer geartete – Kernbelegschaft kümmern zu sollen. Die Möglichkeiten, sich aktiv um die Interessen von Leiharbeits- und Werkvertragsbeschäftigten im Betrieb zu bemühen, haben wir bereits in einer vergangenen Folge diskutiert.

Konkrete Maßnahmen für die Einheit der Belegschaft

Am Anfang sollte eine Analyse des eigenen Betriebes stehen: Aus welchen verschiedenen Gruppen besteht Eure Belegschaft? Welche Bedingungen spalten sie, und welche bringen sie zusammen? Dies kann von Betrieb zu Betrieb sehr unterschiedlich sein. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Mitglieder des Betriebsrates nicht alle Spaltungslinien kennen. Nicht alle Gruppen sind immer auch selbst im Gremium vertreten. Über die Möglichkeit aus § 80 Abs. 2 Satz 4 könnt Ihr mit einzelnen Vertreter:innen der verschiedenen Gruppen sprechen und Euch informieren lassen.

Oft übersehen wird die Vorgabe in § 15 Abs. 1 BetrVG, wonach der Betriebsrat sich möglichst aus Arbeitnehmer:innen der einzelnen Organisationsbereiche und der verschiedenen Beschäftigungsarten zusammensetzen soll. Wenn das bei Euch nicht der Fall sein sollte, könnt Ihr über die Heranziehung betrieblicher Sachverständiger und Nicht-BR-Mitglieder im Wirtschaftssausschuss weitere Kolleg:innen an der BR-Arbeit teilnehmen lassen. Partizipativ gestaltete Betriebsversammlungen, kollektive Sprechstunden und Betriebsbegehungen sind weitere Möglichkeiten, um alle Kolleg:innen zur Mitarbeit einzuladen und direkt von ihnen selbst zu hören.

Aktuell müssen sich viele Betriebsräte am dringlichsten um die Spaltung durch das Homeoffice kümmern. Die Methoden dazu müssen meist erst noch entwickelt und erprobt werden. Der Betriebsrat sollte sich nicht von vermeintlich fehlenden Mitbestimmungsrechten abschrecken lassen. Um neuen Problemen zu begegnen, müssen unweigerlich neue Lösungen gefunden werden. Virtuelle Betriebs- und Abteilungsversammlungen sind nur eine Möglichkeit, der Vereinzelung entgegenzuwirken. Sobald es epidemiologisch wieder möglich ist, könnte ein Rückkehrrecht in den Betrieb bzw. lediglich anteilige Arbeit im Homeoffice eingefordert werden. Über Betriebsvereinbarungen lassen sich Präsenzmeetings zu festen Zeiten oder Themen festschreiben. Auch betriebliche Veranstaltungen und soziale Events während der Arbeitszeit können geregelt werden – alles, was dazu beiträgt, den Betrieb als sozialen Raum zu erhalten oder wiederzubeleben.  

Neben der aktiven Partizipation der Verterter:innen verschiedener Gruppen ist es natürlich genauso wichtig, dass sich die Interessen aller Gruppen auch in Eurer konkreten Mitbestimmungsarbeit wiederfinden. Hier sind Abwägungsfragen notwendig. Das ist kein leichtes Geschäft, aber für leichte Geschäfte ist man ja auch nicht Betriebsrat geworden. Glaubt man Friedrich Engels, bleibt dies die wichtigste Aufgabe der Arbeiter:innenbewegung, denn „die Herrschaft der Bourgeosie beruht nur auf der Konkurrenz der Arbeiter unter sich. […] Der Arbeiter kann die Bourgeoisie und mit ihr die ganze bestehende Einrichtung der Gesellschaft an keinem wunderen Fleck angreifen als an diesem.“[4]


[1] MEW 4, Das Elend der Philosophie S. 180

[2] MEW 4, Das Elend der Philosophie S. 181

[3] MEW 6, Lohnarbeit und Kapital S. 420

[4] MEW 2, Die Lage der arbeitenden Klasse in England S. 436

Mitbestimmung bei der Personalbemessung?!

Verschiedene Studien belegen eine deutliche Arbeitsintensivierung in den vergangenen Jahren für viele Beschäftigte in fast allen Branchen.[1] Bei gleichbleibendem oder sinkendem Personalstand werden immer mehr und komplexere Aufgaben verlangt, wobei dieselbe Arbeitsleistung meist in kürzerer Zeit erbracht werden muss. Eine zu hohe Arbeitsintensität stellt nachweislich eine Gefährdung für die körperliche und psychische Gesundheit dar.[2] In den meisten Fällen ist die Antwort eindeutig: Es muss mehr Personal beschäftigt werden.

Der Betriebsrat hat jedoch kein zwingendes Mitbestimmungsrecht bei der Personalbemessung – also bei der Frage, wie viele KollegInnen zu welchen Zeiten im Einsatz sind. Dies soll unter die unternehmerische Freiheit fallen und allein der Entscheidung des Managements überlassen sein. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Betriebsrat sich dieses Themas nicht annehmen kann. Ohne formale Mitbestimmungsrechte hat er allerdings nicht die Möglichkeit, auf eine Klärung in der Einigungsstelle abzuzielen. Er muss deswegen anders und kreativer vorgehen und noch stärker als bei anderen Fragen die Belegschaft aktivieren und beteiligen.

Informationen beschaffen und verbreiten

Die vorrangigste Aufgabe besteht meist darin, aufzudecken, dass überhaupt eine unzureichende Personalbemessung bzw. eine unakzeptable Aufgabenbemessung vorliegt. Eine Verschlechterung der Personalbemessung ist nichts, was die Arbeitgeberin öffentlich auf einer Personalversammlung ankündigen wird. Vielmehr vollzieht sich diese meist schleichend und verdeckt: So werden die Stellen von ausscheidenden KollegInnen nicht neu besetzt, Arbeitszeitkonten und Krankenstände steigen an, ohne dass weitere Kräfte eingestellt werden. Urlaubsstau und das kontinuierliche Übertragen neuer Aufgaben auf die bestehende Belegschaft sind weitere Indikatoren. Der Betriebsrat muss die vor sich gehende Intensivierung der Arbeit erkennen, sie für alle sichtbar machen und im besten Fall eine zukünftige Intensivierung bereits frühzeitig vorhersehen.

Er kann sich hierbei auf seine Unterrichtungsrechte aus § 92 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) beziehen. Die Arbeitgeberin ist verpflichtet, den Betriebsrat rechtzeitig und unter Vorlage entsprechender Unterlagen über alle Fragen der Personalplanung, insbesondere der Personalbemessung zu unterrichten. Der Betriebsrat soll in die Lage versetzt werden, den Planungsstand der Arbeitgeberin – noch bevor konkrete personelle Maßnahmen vorgenommen wurden – jederzeit nachvollziehen und kritisch kommentieren zu können.

Die erworbenen Informationen sollte der Betriebsrat auswerten, prüfen, umgehend in die Belegschaft kommunizieren und auf Betriebsversammlungen und bei anderen Gelegenheiten mit den KollegInnen diskutieren. Sofern es sich nicht um personenbezogene Informationen handelt, steht dem keine Geheimhaltungspflicht entgegen. Der Betriebsrat kann dadurch „Agenda-Setting“ betreiben und erreichen, dass im Betrieb kritisch über die Personalplanung gesprochen wird.

Arbeitsintensivierung sichtbar machen

Oftmals sind die Konsequenzen der Personalplanung weder der Arbeitgeberin noch den KollegInnen selbst wirklich bewusst. Meist machen die KollegInnen die Arbeitsverdichtung selbst unsichtbar, indem sie es irgendwie trotzdem schaffen, das erhöhte Pensum abzuleisten, und die daraus folgenden Konsequenzen für Körper und Psyche mit sich selbst ausmachen. Die Arbeitgeberin achtet meist nur darauf, ob die betrieblichen Ziele erreicht, die Regale gefüllt, die KlientInnen betreut, die Anrufe angenommen oder die Waren ausgeliefert wurden. Wenn die KollegInnen es trotz gesteigerter Intensität schaffen, die gestellten Anforderungen zu erfüllen, wird die Arbeitgeberin niemals Handlungsbedarf sehen – „es läuft doch!“

Schlimmer noch: Moderne Steuerungsmethoden führen dazu, dass ArbeitnehmerInnen sich selbst für den Erfolg unternehmerischer Planung verantwortlich fühlen. Unzureichende Personalplanung und Unterbesetzung erscheinen dann als persönliches Versagen.

Das darf der Betriebsrat nicht zulassen. Er muss deutlich machen, dass die Verantwortung bei der Arbeitgeberin liegt, denn sie disponiert das Personal und die Aufgaben. Der Betriebsrat kann gemeinsam mit den KollegInnen in kollektiven Aktionen versuchen, die Konsequenzen der Arbeitsverdichtung wieder sichtbar zu machen: Gemeinsame Überlastungsanzeigen müssen geschrieben, Überstunden verweigert werden und nicht zu schaffende Arbeit muss liegen bleiben! KundInnen werden dann nicht bedient, Telefonate und E-Mails nicht beantwortet. Bei tatsächlicher Arbeitsunfähigkeit müssen die KollegInnen sich krankschreiben lassen, anstatt angeschlagen zur Arbeit zu kommen. Der Arbeitgeberin muss aufgezeigt werden, welche Nachteile sich auch für sie aus einer zu dünnen Personaldecke ergeben.

Arbeits- und Gesundheitsschutz

Unterbesetzung und steigende Arbeitsintensität stellen ernsthafte Belastungsfaktoren dar, die krank machen können. Der Betriebsrat sollte die Frage der Personalbemessung deswegen auch als Frage des Arbeits- und Gesundheitsschutzes behandeln.

Positiv diskutiert wurde in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des Arbeitsgerichts in Kiel.[3] Der Betriebsrat hatte im Rahmen einer Einigungsstelle eine Betriebsvereinbarung durchsetzen können, die in verschiedenen Schichten Mindestbesetzungen vorsah. Die Arbeitgeberin klagte gegen diesen Einigungsstellenspruch. Das Arbeitsgericht entschied, dass eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit durch Mindestbesetzungen möglich sei, wenn dadurch das Recht der Beschäftigten auf körperliche und seelische Unversehrtheit geschützt würde. Ein beeindruckender Erfolg für den Betriebsrat.

Bietet sich damit eine Art Abkürzung, um über die Mitbestimmung beim Arbeits- und Gesundheitsschutz auch bei der Personalplanung mitzubestimmen? Vielleicht, aber leider nur unter bestimmten Voraussetzungen: Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat in der zweiten Instanz diese Abwägung grundgesetzlicher Rechte zwar nicht bemängelt, dafür aber dem gesamten Verfahren erhebliche Beschränkungen auferlegt.[4] Damit eine gegen den Willen der Arbeitgeberin Mindestbesetzungsregelung in Betracht kommen kann, müssen tatsächliche Gefährdungen im Rahmen einer ordentlichen Gefährdungsbeurteilung festgestellt worden sein, und auch dann kämen Mindestbesetzungen nur unter Umständen in Betracht.

Über die Frage des Arbeits- und Gesundheitsschutzes Einfluss auf die Personalbemessung zu nehmen, ist damit zwar möglich[5], aber allein die Durchsetzung einer ordentlichen Gefährdungsbeurteilung kann für sich bereits einen langwierigen Prozess darstellen.

Will der Betriebsrat Einfluss auf die Personalplanung nehmen, muss er mit starkem Widerstand durch die Arbeitgeberin rechnen und einen langen Atem haben. Dennoch sollte alles versucht werden, die Situation für die KollegInnen zu verbessern. Wenn der Betriebsrat es geschafft hat, die Probleme bei der Personal- und Aufgabenbemessung im Betrieb aufzudecken, kann er zusammen mit der Belegschaft der Arbeitgeberin die Dringlichkeit des Themas deutlich machen. Während die KollegInnen in kleinen oder großen kollektiven Aktionen die Konsequenzen der Unterbesetzung deutlich machen, strebt der Betriebsrat über sein Mitbestimmungsrecht beim Arbeits- und Gesundheitsschutz Abhilfe in der Einigungsstelle an. So ziehen alle an einem Strang und erhöhen den Druck auf die Arbeitgeberin gewaltig. Wird mit solcher Zielstrebigkeit und Vehemenz vorgegangen, dann wird der Betriebsrat Erfolge verzeichnen können, unabhängig davon, ob formale Mitbestimmungsrechte bestehen oder nicht.

[1] Vgl. z.B. Ahlers, E./Erol, S. (2019):  Arbeitsverdichtung in den Betrieben? Empirische Befunde aus der WSI-Betriebsrätebefragung. Policy Brief WSI, Nr. 33.

[2] Vgl. z.B. Siegrist, J. (2015): Arbeitswelt und stressbedingte Erkrankungen. Forschungsevidenz und präventive Maßnahmen, München.

[3] ArbG Kiel 26.7.2017 – 7 BV 67 c/16, NZA-RR 2017, 539. Vgl. hierzu auch Schoof, Ch./Gast, A. (2018): Personalbemessung mitbestimmt regeln, in: Gute Arbeit, Nr. 4.

[4] LAG Schleswig-Holstein, 25.04.2018 – 6 TaBV 21/17. Die Beschwerde beim BAG wurde zugelassen.

[5]Vgl. Kuster (2019): Was tun bei Unterbesetzung? Arbeitsrecht im Betrieb Nr. 10.

Warum es gerade jetzt wichtig ist, einen Betriebsrat zu gründen

Die Corona-Pandemie hat politische Möglichkeitsfenster geöffnet. Ein Beispiel: Die katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie sind seit Jahren bekannt. Aber erst die gehäuften Infektionsausbrüche in Schlachtereien in mehreren Bundesländern führten zu einer echten Kehrtwende in der Arbeitsschutzpolitik. Mitte Mai verkündete Arbeitsminister Heil ein geplantes Verbot von Werkvertrags- und Leiharbeitsbeschäftigung für die gesamte Branche. Auch wenn der Gesetzesentwurf noch nicht vorliegt und die Fleischkonzerne bereits an Umgehungsstrategien arbeiten, ist dies eine gewaltige Überraschung und ein großer Erfolg in dem jahrelangen Kampf um bessere Arbeitsbedingungen in einer der schlimmsten Branchen Europas.

Doch die Möglichkeitsfenster öffnen sich in beide Richtungen. Schon seit Beginn der Pandemie sind Betriebs- und Personalräte ins Fadenkreuz der Arbeitgeberlobby geraten: Betriebliche Mitbestimmung sei ein schwerfälliges, bürokratisches Modell, das man sich in dieser Form nicht mehr leisten könne. Gerade in Zeiten einer nationalen Notlage bräuchte es schnelles Handeln der Betriebsführungen. Die Mitbestimmungsgremien würden hier nur verlangsamen und verhindern.

Zahlreiche Torpedierungsversuche

Die Änderung der Geschäftsführung von Betriebs- und Personalräten war der erste Anlass, um einen Rückbau der betrieblichen Demokratie zu fordern. Angesichts von Eindämmungsverordnungen und Betrieben im Lockdown stellte sich für viele Gremien die Frage, wie sie wirksame Beschlüsse fassen können. Sowohl das Betriebsverfassungsgesetz als auch das Personalvertretungsrecht sehen vor, dass die Mitglieder persönlich anwesend sein müssen und über die Tagesordnung gemeinsam beraten. War dies auch unter Corona-Bedingungen möglich? Die Arbeitgeberseite schlug eilig vor, dass Betriebsräte ihre Beschlüsse zukünftig nicht mehr in Sitzungen vor Ort, sondern im Rahmen von Video- oder Telefonkonferenzen fällen sollten. Der Deutsche Anwaltsverein (DAV) ging noch einen Schritt weiter: In seiner offiziellen Stellungnahme „zur Notwendigkeit, die Handlungsfähigkeit der Betriebspartner in der aktuellen Krise zu gewährleisten“ plädierte er dafür, die Betriebsratssitzung gleich ganz abzuschaffen und stattdessen im Umlaufverfahren zu beschließen. Auch sollte jeweils ein dreiköpfiger Notausschuss bestellt werden, der in Zukunft für alle Beteiligungsfragen zuständig sein sollte. Und nebenbei, ohne ersichtlichen Zusammenhang zur Pandemie, sollte auch noch die Mitbestimmung bei Einstellungen und Versetzungen ausgesetzt werden. Dem DAV sei es darum gegangen, die Handlungsfähigkeit der ArbeitgeberIn vorübergehend zu stärken und Insolvenzen möglichst zu verhindern. Das käme auch den ArbeitnehmerInnen zugute, wie der Arbeitgeberanwalt Jobst-Hubertus Bauer später beteuerte.

Zwar formierte sich hier schnell Widerstand und fast 400 arbeitnehmernahe RechtsanwältInnen forderten in einem offenen Brief den DAV dazu auf, die Stellungnahme zurückziehen. Aber der DAV ist mit knapp 63.000 Mitgliedern eine einflussreiche Institution, und die Stellungnahme ist weiterhin online. Wenige Tage später wurde ein Entwurf für eine Änderung des Personalvertretungsrechts aus dem Bundesministerium des Inneren bekannt, der prompt digitale Sitzungen und Beschlüsse im Umlaufverfahren vorsah. Zudem sollten die Änderungen nicht befristet werden, hätten also auch über die Pandemie hinaus Bestand gehabt.

Kollektive Interessenvertretung in Gefahr

Bei der geforderten Änderung des Beschlussverfahrens geht es nicht um eine reine Formalie. Die Form der Entscheidungsfindung im Gremium ist Ausdruck der demokratischen Verfasstheit von Betriebs- und Personalräten. Es gehört zum Charakter der Räte, dass sie gleichberechtigt und frei über die betrieblichen Themen beraten und jede/r sich gleichermaßen an der kollektiven Willensbildung beteiligen kann. Umlaufverfahren und Sitzungen per Videokonferenzen würden die Art des Zusammenkommens und Debattierens nachhaltig verändern. Betriebs- und Personalräte könnten ihre Eigenschaft als politische Gremien verlieren und zu reinen Entscheidungsinstanzen werden. Eine Schwächung der demokratischen Konstitution der Gremien schwächt auch ihre Bindung an die Belegschaften. Nur durch politische Interventionen an den richtigen Stellen konnte durchgesetzt werden, dass die Änderungen sowohl im Personalvertretungs- und später auch im Betriebsverfassungsrecht lediglich befristet gelten.

Im April versuchte es der CDU-Wirtschaftsrat dann mit einem Vorstoß, der vorsah, dass in Betrieben ohne Betriebsrat die Arbeitgeberin einseitig für alle ArbeitnehmerInnen Kurzarbeit anordnen könne. Es sei kein Angriff auf die Mitbestimmung, wurde als Beschwichtigung gleich mitgeliefert. Aber selbstverständlich ist es als solcher zu verstehen. Es ist Kern des Gedankens der Mitbestimmung, dass die kollektiven Interessen der Belegschaft durch ein gemeinsam gewähltes Gremium vertreten werden können. Zwischen Arbeitgeberin und Betriebsrat verhandelte Betriebsvereinbarungen sind höherwertiger als die individuellen Vereinbarungen zwischen Arbeitgeberin und einzelnen ArbeitnehmerInnen. Die Betriebsverfassung überschreitet an dieser Stelle das liberale Rechtssystem mit seiner individuellen Vertragsfreiheit. Gerade an der Frage von Kurzarbeitsvereinbarungen wurde die Bedeutung kollektiver Interessenvertretung für die Betriebe deutlich. Der CDU-Wirtschaftsrat wollte dieses demokratische Prinzip kurzerhand durch die Stärkung der Autorität der Arbeitgeberin aushebeln.

Die bisher größte Attacke kam jedoch vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall. In einem im Juni veröffentlichten Positionspapier mit dem Titel: „Wiederhochfahren und Wiederherstellung –Vorschläge für die 2. und 3. Phase der Corona-Krise“ wurde die gesamte Breite neoliberaler Forderungen nach Rückbau sozialstaatlicher Institutionen abgefeuert; erhebliche Einschnitte bei der betrieblichen Mitbestimmung inklusive. Selbst vor dem Herzstück der Betriebsverfassung – der erzwingbaren Mitbestimmung nach § 87 BetrVG – wurde kein Halt gemacht. Mitbestimmung bei Verkürzung und Verlängerung der Arbeitszeit, Gefährdungsbeurteilungen und anderen Fragen sollte für den Betriebsrat nur noch innerhalb festgelegter Fristen möglich sein. Die Mitbestimmung beim Arbeits- und Gesundheitsschutz solle gleich generell eingeschränkt werden. Das sei zeitgemäß und würde einer modernen Betriebsverfassung entsprechen. Natürlich sieht Gesamtmetall keinen Anlass, die Mitbestimmung bei akuten Themen wie Infektionsprophylaxe oder Digitalisierung auszuweiten.

Parlamentarische Kräfteverhältnisse könnten sich ändern

Noch sind die parlamentarischen Verhältnisse im Bundestag derart, dass ein Abbau der Mitbestimmungsrechte nicht ansteht. Aber das kann sich schnell ändern. In der Fraktion DIE LINKE spielt die Verteidigung und Ausweitung der Mitbestimmung eine vergleichsweise große Rolle. Auch Bündnis 90/Die Grünen haben kürzlich einen erfreulich weitgehenden Antrag zur Ausweitung der Mitbestimmung gestellt. Aber angesichts der Schwäche der SPD droht das linke parlamentarische Lager zu wackeln. CDU/CSU, FDP und AfD ist gemeinsam, dass sie den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit versuchen wegzudiskutieren. Interessenvertretungen würden ihre Arbeit dann gut machen, wenn im Betrieb alles harmonisch verlaufe. Von Konflikten zu sprechen und die Gremien dafür wappnen zu wollen, sei verfehlt und würde einen Klassenkampf beschwören, den es in deutschen Betrieben so nicht mehr gäbe.

Betriebliche Mitbestimmung verteidigen!

Tatsächlich sind die meisten Betriebsräte eher zurückhaltend beim Führen betrieblicher Konflikte. Es sind eher die ArbeitgeberInnen, die sich klassenkämpferisch betätigen und die Arbeit der Betriebsräte vehement attackieren. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass es betriebliche Mitbestimmung in Deutschland gibt und keine Selbstverständlichkeit, dass wir sie auch zukünftig in dieser Form weiter haben werden. Die beste Verteidigung ist, Mitbestimmung in so vielen Betrieben wie möglich zu realisieren. Gerade jetzt sollten neue Betriebsräte entstehen! Nur ein paar gute Gründe:

  • Mit der Corona-Pandemie wurde der betriebliche Gesundheitsschutz für ArbeitnehmerInnen und Betriebe zu einer Frage von herausragender Bedeutung. Es gibt trotzdem weiterhin keine verpflichtenden Vorgaben für ArbeitgeberInnen, was die Corona-Prophylaxe angeht. Der Betriebsrat hat beim Arbeits- und Gesundheitsschutz volles Mitbestimmungsrecht. Nur mit Betriebsrat wird es einen effektiven Infektionsschutz im Betrieb geben.
  • Kurzarbeit ist für viele Beschäftigte eine existentielle Frage. Nur Betriebs- und Personalräte sind in der Lage, mit der Arbeitgeberin entsprechende Vereinbarungen zu verhandeln und eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes durchzusetzen.
  • Viele Unternehmen drohen mit Betriebsänderungen und Personalabbau in Folge von Corona. Ohne Betriebsrat haben sie hier weitgehend freie Hand. Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss sind in der Lage zu prüfen, wie die wirtschaftliche Lage des Unternehmens wirklich ist und können mit der Arbeitgeberin einen Interessenausgleich und Sozialplan verhandeln.

Corona bedeutet keinerlei Einschränkung, was die Möglichkeit einer Betriebsratswahl angeht. Selbst in den ersten Wochen des Lockdowns in Kurzarbeit-Null haben sich in Deutschland mehrere neue Betriebsräte gewählt. Jeder neue Betriebsrat stärkt das Prinzip Mitbestimmung für alle Beschäftigten.

Gesundheitsschutz in der Corona-Pandemie – nur mit Betriebsrat!

Dieser Artikel erscheint gleichzeitig in der Ausgabe 05/2020 der Zeitschrift express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

COVID-19 gefährdet Beschäftigte

Der Arbeitsplatz ist ein zentraler Ort für die Ansteckung und Verbreitung von Krankheiten wie COVID-19. Außerhalb des Homeoffices teilen sich ArbeiterInnen unweigerlich Räume und Arbeitsmittel mit anderen KollegInnen. Viele kommen außerdem täglich in Kontakt mit KundInnen und KlientInnen. Eine US-amerikanische Studie kam im Februar dieses Jahres zu dem Ergebnis, dass fast 30 % aller Beschäftigten mindestens einmal pro Monat einer Infektion am Arbeitsplatz ausgesetzt sind; 10 % sogar einmal pro Woche. Zu den besonders gefährdeten Branchen gehören Polizei, Feuerwehr und Justizvollzug, aber auch BüroarbeiterInnen, Kuriere, ErzieherInnen, LehrerInnen, SozialarbeiterInnen und sogar das Baugewerbe.[1] Beschäftigte im Gesundheitsbereich sind speziell gefährdet. Doch gibt es dort meist auch bessere Hygienemaßnahmen. Viele anderen Branchen haben sich dagegen vor der Corona-Pandemie kaum mit Infektionsprophylaxe beschäftigt. Präsentismus – also das Phänomen, dass Beschäftigte trotz Symptomen krank zur Arbeit gehen – verstärkt die Problematik. Eine schriftliche Frage der Linksfraktion an die Bundesregierung ergab, dass über zwei Drittel aller ArbeitnehmerInnen mindestens einmal im Jahr krank zur Arbeit gehen. Präsentismus ist demnach gerade in sogenannten systemrelevanten Arbeitsbereichen besonders stark verbreitet.[2]

Spätestens mit der Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen besteht also dringender Handlungsbedarf. Beschäftigte in allen Bereichen der Wirtschaft müssen vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 am Arbeitsplatz geschützt werden. Die Infektion stellt dabei eine nicht nur körperliche Gefährdung dar. In Zeiten einer Pandemie unter risikobehafteten Bedingungen arbeiten zu müssen, ist auch eine nicht zu unterschätzende psychische Belastung. Damit zusammenhängende Sorgen und Stress können zu Depressionen und Schlafstörungen führen. Eine Studie in der chinesischen Stadt Chongqing kam zu dem Ergebnis, dass 10 % der an den Arbeitsplatz zurückkehrenden ArbeiterInnen Symptome hatten, die einer Posttraumatischen Belastungsstörung entsprachen.[3]

 

Gesundheitsschutz wird den Betrieben überlassen

Die politische Reaktion ist enttäuschend. Erst Mitte April, also fast drei Monate nach dem ersten Infektionsfall in Deutschland – der auch am Arbeitsplatz passierte –, veröffentlichte das Bundesarbeitsministerium einheitliche Arbeitsschutzstandards.[4] Die Standards wurden mittlerweile in Handlungsempfehlungen der verschiedenen Berufsgenossenschaften übersetzt. Inhaltlich sind diese Empfehlungen zu vertreten, sie sind jedoch nicht ausreichend. Außerdem handelt es sich eben lediglich um Empfehlungen. Im Gegensatz zum öffentlichen Raum, der durch die Eindämmungsverordnungen der Bundesländer stark reglementiert wurde, war der private Bereich des Betriebes während der gesamten Pandemie kaum neuen Regelungen unterworfen. In der Corona-Krise setzt sich die neoliberale Ausrichtung des deutschen Arbeitsschutzsystems weiter fort. Die gesundheitsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes wird selbst angesichts einer akuten Gefährdung durch eine Pandemie fast vollständig dem Regime der ArbeitgeberInnen überlassen.

Der Arbeitsminister verwies in seiner Vorstellung mehrfach auf die Kontroll- und Beratungsfunktion der Arbeitsschutzbehörden. Aber auch von dieser Seite ist leider keine nachhaltige Unterstützung zu erwarten. Die zuständigen Behörden wurden in den letzten 15 Jahren systematisch kaputtgespart. Die Bundesregierung gab auf eine Anfrage der LINKE-Abgeordneten Jutta Krellmann zu, dass sich der deutsche Arbeitsschutz in einer kritischen Gesamtsituation befindet. Mittlerweile werden Betriebe in Deutschland nur noch durchschnittlich alle 25 Jahre (!) besichtigt. Die meisten Bundesländer haben sich hierbei auf rein reaktives Arbeiten beschränkt und lassen Betriebe nur bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten besuchen.[5]

Das Ergebnis: teilweise dramatische Bedingungen in den Betrieben. Der von der express-Redaktion organisierte Blog corona@work dokumentiert einige der eklatantesten Fälle. Ohne diese Arbeit würde das Thema medial kaum Beachtung finden.

Die Schlussfolgerung ist klar: Wenn der Staat die wichtige Aufgabe des Arbeitsschutzes nicht angemessen ausfüllt, dann ist es die Pflicht der Betriebsräte und Interessenvertretungen, in diese Bresche zu springen und die erforderlichen Maßnahmen in ihren Betrieben durchzusetzen. Arbeits- und Gesundheitsschutz gehört zu den zentralen Aufgabenfeldern von Betriebs- und Personalräten. Dennoch ergab eine nicht repräsentative Umfrage unter Berliner Betriebsräten, dass nur die Hälfte der Gremien den betrieblichen Corona-Hygieneplan mitbestimmt hatte.

 

Mitbestimmungsrecht so schnell wie möglich durchsetzen

87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG gibt dem Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht im Rahmen aller gesetzlichen Vorschriften des Gesundheitsschutzes. Die einschlägige Rahmenvorschrift ist hierbei § 3 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, alle erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen. Hierbei spielt das Tempo eine entscheidende Rolle. Es braucht jetzt entsprechende Maßnahmen der Infektionsprophylaxe – im besten Falle noch vor der Wiedereröffnung der Betriebe. Der Betriebsrat sollte sich deswegen nicht damit abfinden, dass vor dem Maßnahmenplan erst einmal die Gefährdung im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG festgestellt werden soll. Arbeitnehmerorientierte Rechtsanwälte argumentieren zu Recht, dass im Falle von COVID-19 die Gefährdung bereits feststeht. Die Infektionsgefährdung und das hohe gesundheitliche Risiko sind allgemein anerkannt und müssen nicht erst festgestellt werden. Der Betriebsrat kann also direkt seine Maßnahmen im Rahmen einer Einigungsstelle durchsetzen lassen und muss keine Umwege akzeptieren. In Arbeitsbereichen, in denen auch mit strengen Maßnahmen kein wirksamer Infektionsschutz möglich ist, muss die Maßnahme zwingend darin bestehen, dass der Betrieb oder Betriebsteil nicht geöffnet werden kann und zumindest für Risikogruppen eine bezahlte Freistellung ausgehandelt wird.

Die oben zitierte Studie aus Chongqing ergab auch, dass ArbeiterInnen weniger unter psychischen Belastungen leiden, wenn sie die Hygienemaßnahmen am Arbeitsplatz als ausreichend und angemessen wahrnehmen. Die Belastungen steigen jedoch, wenn die Maßnahmen als mangelhaft angesehen werden. Es ist also nicht nur politisch, sondern sogar medizinisch von großer Bedeutung, dass der Betriebsrat mit der Belegschaft in Kontakt tritt und gemeinsam bespricht, welche konkreten Maßnahmen am Arbeitsplatz umgesetzt werden sollen. Nur mitbestimmte Hygienepläne können beides: einen wirksamen Infektionsschutz sicherstellen und den Kolleg*innen die nötige Sicherheit geben, ohne Bedenken an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren.

[1] Backer, Marissa; Peckham, Trevor; u. a.: Estimating the burden of United States workers exposed to infection or disease: A key factor in containing risk of COVID-19 infection. In: PLoS ONE 15(4): 2020.

[2] Vgl. Schriftliche Fragen an die Bundesregierung März 2020, Arbeitsnummer 196 bis 198.

[3] Tan Wanqiu, Hao Fengyi, u. a.; Is returning to work during the COVID-19 pandemic stressful? A study on

immediate mental health status and psychoneuroimmunity prevention measures of Chinese workforce. In: Brain, Behavior, and Immunity, April 2020.

[4] Der „SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandard“ kann auf der Webseite des Arbeitsministeriums www.bmas.de heruntergeladen werden.

[5] Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage: „Entwicklung der Arbeitsschutzkontrollen in Deutschland“ BT-Dr 17409

Schulungsanspruch bei Grund- und Spezialseminaren

Wissen ist Macht – Der Schulungsanspruch von Betriebsräten

Die meisten Betriebsräte finden sich nach der Wahl in einer ungewohnten Situation wieder. Auf einmal muss man sich mit verschiedenen Gesetzen, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen auseinandersetzen und auf die Einhaltung der vielfältigen arbeitsrechtlichen Vorschriften durch den Arbeitgeber achten. Aber wie soll die Einhaltung von Recht und Gesetz kontrolliert und gemeinsam mit dem Arbeitgeber betriebliche Regelungen verhandelt werden, wenn keine Kenntnis über die Rechtslage und die Mitbestimmungsrechte besteht?

Diese Problematik hat auch der Gesetzgeber gesehen und daher im Betriebsverfassungsgesetz einen gesetzlichen Anspruch auf Weiterbildung für Betriebsräte geschaffen. Geregelt ist dieser Anspruch im § 37 Abs. 6 BetrVG. Demnach haben Betriebsräte einen Anspruch auf Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Vermittlung von Kenntnissen dann erforderlich, wenn diese „unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse im Betrieb und im Betriebsrat notwendig sind, damit der Betriebsrat seinen gegenwärtigen oder in naher Zukunft anstehenden Aufgaben sach- und fachgerecht erfüllen kann (BAG 9.10.1973 – 1 ABR 6/73). Denn das einzelne Betriebsratsmitglied kann nicht auf ein Selbststudium oder eine Unterrichtung durch ein bereits geschultes Betriebsratsmitglied verwiesen werden (BAG 19.03.2008 – 7 ABR 2/07). Soweit die Erforderlichkeit der Schulung besteht, hat der Arbeitgeber alle in diesem Zusammenhang erforderlichen Kosten zu tragen (Seminarkosten, Reise- und Übernachtungskosten, Verpflegungskosten usw.) und für den Zeitraum der Schulung das reguläre Gehalt weiterzuzahlen.

Dabei besteht nicht nur ein Recht auf Schulung, sondern sogar eine betriebsverfassungsrechtliche Pflicht. Denn mit der Übernahme des Betriebsratsamtes haben die BR-Mitglieder neben der Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Aufgaben weitere Amtspflichten übernommen. Um dieses Amt verantwortungsgerecht ausüben zu können, sind spezielle Kenntnisse im Betriebsverfassungs- und im Arbeitsrecht notwendig. Jeder Betriebsrat hat sich daher auf sein Amt umfassend vorzubereiten und ist aus diesem Grund nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, sich die hierfür erforderlichen Kenntnisse durch entsprechende Seminare anzueignen (BAG 21.4.1983 – 6 ABR 70/82).

In der Praxis wird unterschieden zwischen Grundlagenseminaren und Spezialseminaren.

 

Grundlagenseminare

Soweit es sich um ein Grundlagenseminar handelt, muss nicht extra begründet werden, warum dieses Seminar erforderlich ist. Denn bei diesen Seminarinhalten handelt es sich um Grundlagenwissen, was grundsätzlich jedes Betriebsratsmitglied haben muss, um die Aufgaben im Betriebsrat ordnungsgemäß zu erfüllen. Daher werden Grundlagenseminare von der Rechtsprechung als stets erforderlich angesehen. Hier kommt es lediglich darauf an, dass bei der zeitlichen Festlegung des Seminartermins die betrieblichen Notwendigkeiten berücksichtigt werden (also wenn möglich nicht während des Weihnachtsgeschäftes oder während der Haupturlaubszeit auf Seminar fahren) und die Kosten im Rahmen bleiben (also nicht mit der 1. Klasse nach Mallorca zum Seminar fliegen, sondern sofern möglich lieber ortsnah). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass dem Betriebsrat ein eigener Beurteilungsspielraum zugestanden wird, wann welches Betriebsratsmitglied zu welchem Seminar entsendet wird. Dies gilt sowohl für den konkreten Inhalt des Seminars, als auch für deren Dauer und die Anzahl der entsendeten Teilnehmer (BAG 9.10.1973 – 1 ABR 6/73).

Zu den Grundlagenseminaren gehören im Seminarprogramm u.a. die folgenden Themenbereiche:

Betriebsverfassungsrecht (Grundlagen I, II, III, IV, V)

Arbeitsrecht (Grundlagen I, II, III)

Arbeits- und Gesundheitsschutz  (Grundlagen)

Datenschutz (Grundlagen)

 

Spezialseminare

Neben den Grundlagenseminaren gibt es noch die sogenannten Spezialseminare. Diese Seminare vermitteln Spezialwissen, welches nicht immer für alle Betriebsräte als erforderlich angesehen wird. Im Falle der Spezialseminare müssen Betriebsräte ggf. die Erforderlichkeit der Seminarteilnahme inhaltlich begründen. Nach Ansicht der Gerichte ist ein Spezialseminar immer dann erforderlich, „soweit nach den Verhältnissen des konkreten einzelnen Betriebes Fragen und Probleme anstehen oder in naher Zukunft anstehen werden, die der Beteiligung des BR unterliegen und bei denen im Hinblick auf den Wissensstand des konkreten BR eine Schulung von BR-Mitgliedern erforderlich erscheint, damit der BR seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben kann“ (BAG 20.08.2014 – 7 ABR 64/12). Etwas verständlicher ausgedrückt, muss also erstens eine konkrete Aufgabe des BR vorliegen. Zweitens müssen die zur Schulung entsendeten BR-Mitglieder mit dieser Aufgabe befasst sein (bspw. weil sie Mitglied der entsprechenden Verhandlungskommission bzw. des jeweiligen Ausschusses sind). Und Drittens muss den jeweiligen BR-Mitgliedern das notwendige Wissen zur sachgerechten Wahrnehmung ihrer Aufgaben fehlen und dieses Wissen im entsprechenden Seminar vermittelt werden. Auch hier hat der BR wieder einen Beurteilungsspielraum, welcher nur eingeschränkt gerichtlich zu überprüfen ist.

 

Sonderfall – Ersatzmitglieder und Wiederholungsschulungen

Sonderregelungen gelten für Ersatzmitglieder. Der Betriebsrat kann ein Ersatzmitglied zu einer Schulung entsenden, soweit dies erforderlich ist, „um die Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats zu gewährleisten (BAG 19.09.2001 – 7 ABR 32/00)“. Aber wann ist das der Fall? In der Praxis wird vor allem darauf abgestellt, wie oft das entsprechende Ersatzmitglied für verhinderte Kolleg*innen nachrücken muss. Soweit das Ersatzmitglied über einen längeren Zeitraum an mindestens einem Viertel aller Betriebsratssitzungen teilgenommen hat, kann ein Schulungsanspruch bestehen. Dies ist jedoch immer im konkreten Einzelfall festzustellen. Auch in dieser Frage ist von einem Beurteilungsspielraum des Betriebsrats auszugehen.

Ein andere Konfliktfall betrifft die sogenannten Wiederholungsschulungen, also Schulungen zur Auffrischung bzw. Wissensvertiefung zu Themen, zu denen bereits vor einiger Zeit ein Seminar besucht wurde. Auch solche Schulungen können erforderlich sein. Dies gilt vor allem für Bereiche, in denen eine schnelle Entwicklung/Veränderung stattfindet (also bspw. Computertechnik), bei Änderungen von Gesetzen oder der Rechtsprechung und bei neu auftretenden Konflikten im Betrieb. Der Betriebsrat muss jedoch in einem solchen Fall konkret darlegen, warum eine Schulung zu einem ähnlichen Thema aus Sicht des BR erneut erforderlich ist (LAG Nürnberg 1.9.2009 – 6 TaBV 18/09).

 

Stephan Puhlmann, Arbeitsrecht für Arbeitnehmer*innen

https://www.rechtsanwalt-puhlmann.de/

»Wie sag‘ ich es am besten?« – Erfolgreiche Gesprächsführung von Betriebsräten

Als Betriebsräte kommuniziert Ihr in vielen unterschiedlichen Situationen: in BR-Sitzungen, in Euren Sprechstunden, in Monatsgesprächen, bei Verhandlungen mit der*dem Arbeitgeber*in, bei BEM-Gesprächen, auf Betriebsversammlungen, auf Veranstaltungen, im Alltag mit Euren Kolleginnen und Kollegen, mit Gewerkschaftsvertreter*innen, anderen betrieblichen Akteur*innen usw.

 

Manchmal sind diese Gespräche leicht, und manchmal – darauf wette ich – rauben sie Euch den letzten Nerv. Da lohnt es sich zu fragen: Woran liegt es, dass einige Gespräche aus dem Ruder laufen? Wie kommt es, dass wir uns im Kreis drehen, nicht vorankommen und die ganze Angelegenheit ziemlich zäh und anstrengend wird? Warum haben wir mitunter das Gefühl, dass wir die Zügel aus der Hand gegeben haben und das Gespräch nicht mehr steuern können? Aus welchen Gründen finden wir zu bestimmten Gesprächspartner*innen einfach keinen Zugang? Wieso lief ein Gespräch schief, obwohl ich die viel besseren Argumente hatte? Ganz allgemein gefragt: Warum erreichen wir manchmal unser Gesprächsziel nicht?

 

Inhalt und Beziehung – Es gibt keine rein sachlichen Gespräche

 

Oft höre ich von Betriebsräten in Seminaren, dass es ja wohl möglich sein muss, ein sachliches Gespräch zu führen – schließlich sind wir alle erwachsen und könnten uns doch bitteschön mal für eine halbe Stunde zusammenreißen … Tja, so einfach ist das nicht. Eine wichtige Erkenntnis: Es gibt keine rein sachlichen Gespräche. Es gibt immer auch eine Beziehungsebene, und die ist gesprächsentscheidend. Jede*r Beteiligte ist in einer bestimmten emotionalen Verfassung, die sich im Verlaufe eines Gesprächs mehrfach ändern kann, denn alles, was gesagt wird, hat eine Wirkung – und zwar nicht nur eine inhaltliche. Es kann beispielsweise passieren, dass ich mit einem bestimmten Vorschlag oder einer Forderung meine*n Arbeitgeber*in während einer Verhandlung verärgere, schockiere, kränke, verunsichere, verlegen mache, enttäusche oder dergleichen. Dementsprechend reagiert er*sie dann auf mich. Spürbar ist das zum Beispiel am Tonfall, einer schnippischen Bemerkung oder einer bestimmten Geste (Augen rollen, auf den Tisch hauen, anhaltendes Kopfschütteln). Und was machen wir daraufhin? In der Regel: weiter argumentieren, denn das haben wir alle gelernt; darauf sind wir fokussiert. Doch leider fängt hier ein Teufelskreis an. Diesen gilt es geschickt zu durchbrechen, und dafür gibt es sehr hilfreiche Methoden, die Ihr erlernen könnt. Richtig angewendet, führen diese Methoden dazu, dass Euer Gegenüber nicht aus der inhaltlichen Auseinandersetzung aussteigt, sondern Ihr im Austausch bleibt. Also: Es gibt keine rein sachlichen Gespräche, aber es gibt Gespräche, in denen wir uns auf die Sache konzentrieren können. Das ist ein himmelweiter Unterschied – und es erfordert, immer auch die Beziehungsebene im Blick zu haben.

 

Die große Management-Trainerin Vera F. Birkenbihl brachte es einmal so auf den Punkt:

»Es ist nicht entscheidend, was ich sage, sondern was der andere hört.«

 

Wie könnt Ihr Gespräche grundsätzlich positiv beeinflussen?

 

Viele Dinge spielen eine Rolle, wenn es um erfolgreiche Kommunikation geht. Eure Körpersprache gehört genauso dazu wie alles, was Ihr sagt. Ziel sollte immer sein, das Vertrauen des Gegenübers zu erlangen, denn dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er*sie sich öffnet und bereit für einen konstruktiven Austausch, für Kritik und neue Wege ist. Dieses Vertrauen entsteht, wenn Ihr einerseits klar, echt und verlässlich Eure eigenen Standpunkte vertretet (Authentizität) und wenn es Euch gleichzeitig gelingt, glaubwürdiges Verständnis für Eure*n Gesprächspartner*in zu zeigen. Es geht nicht darum, die gleiche Sichtweise zu teilen! Es ist nämlich möglich, Verständnis zu zeigen und trotzdem anderer Meinung zu sein. Auch hier greifen wirksame Methoden und Techniken sowie »gute Fragen«, die immer hilfreich sind.

 

Wertschätzung ist die Basis für alles

 

Das große Stichwort in (schwierigen) Gesprächen lautet: Wertschätzung. Und die gute Nachricht ist: Wertschätzung könnt Ihr auch jemandem entgegenbringen, den Ihr nicht leiden könnt, mit dem Ihr schlechte Erfahrungen gemacht habt oder mit dem »die Chemie nicht stimmt«. Es ist eigentlich ganz einfach: Sobald ich einen Menschen im Gespräch nicht mehr wertschätzend behandele, wirkt sich das negativ auf den gesamten Verlauf aus. Der*die Andere blockt ab, stellt sich quer, hat keine Lust, mir entgegenzukommen usw. Das kann passieren, ohne dass es mir als Redner*in bewusst ist, weil ich eigentlich dachte, dass ich doch völlig normal rede und durchaus freundlich bin … So können eine BR-Sitzung, eine Verhandlung oder eine Beratung in die völlig falsche Richtung laufen, ohne dass mir klar ist, warum.

 

Was lernt Ihr in einem Kommunikationsseminar von Recht und Arbeit?

 

In dem Seminar lernt Ihr, wie Ihr Euch in herausfordernden Gesprächen als Betriebsräte verbal und nonverbal so verhalten könnt, dass es Eurem Gesprächsziel nutzt. Ganz nebenbei helfen Euch die Gesprächstechniken auch in allen anderen Situationen Eures Lebens, in denen Ihr Euch fragt: »Wie sag‘ ich es am besten?«

 

Wir schauen uns wichtige theoretische Grundlagen an, vor allem aber machen wir praktische Übungen zu konkreten Situationen aus Eurem Betriebsratsalltag. Ihr könnt alles auf den Tisch bringen, was Euch beschäftigt, alle Fragen stellen und mit mir und den anderen Teilnehmer*innen gern lebhaft diskutieren. Ich gebe im Seminar die Dinge als Tipps an Euch weiter, von deren positiver Wirkung ich überzeugt bin, weil sie mir in meinem eigenen Berufs- und Privatleben vielfach geholfen haben. Vielleicht überzeugen die Gesprächsmethoden auch Euch – einen Versuch ist es allemal wert. Übrigens, auch ich lerne in Seminaren immer etwas dazu. Und es wird gelacht, versprochen.

Claudia Erler, Kommunikationstrainerin und Mediatorin

Die häufigsten Einwände der Arbeitgeberin gegen eine Betriebsratsschulung – Teil 1: Die Kosten seien zu hoch

Der Schulungsanspruch des Betriebsrates ist ein wichtiger Bestandteil der Betriebsverfassung. Betriebsräte sind keine technokratischen, sondern politische Gremien. Ihre Mitglieder werden nicht aufgrund besonderen Sachverstands gewählt, sondern weil die Kolleg*innen ihnen am ehesten zutrauen, ihre Interessen im Betrieb zu vertreten. BR-Mitglieder sind deswegen fast immer juristischen Laien. Das ist kein Makel, sondern Teil der Idee betrieblicher Mitbestimmung. Umso wichtiger ist es, dass sie durch Schulungen in die Lage versetzt werden, die komplexen Fragen der BR-Arbeit bewältigen zu können. Schulungen helfen den Betriebsratsmitgliedern, gegenüber der Arbeitgeberin „intellektuelle Waffengleichheit“ herzustellen und auf Augenhöhe über alle betrieblichen Themen diskutieren und verhandeln zu können. “Es gehört damit zu den Amtspflichten des Betriebsrats, sich das für seine Arbeit erforderliche Fachwissen anzueignen.”[1]

 

Viele BR-Gremien und BR-Mitglieder nehmen ihren Weiterbildungsanspruch jedoch nicht im erforderlichen Maß in Anspruch. Dies kann unterschiedlichste Gründe haben.[2] Oft liegt es aber an der Arbeitgeberin, die Einwände gegen den Seminarbesuch hat und die Seminarplanung für die Betriebsräte erschwert. Im Folgenden haben wir für Euch eine Liste der häufigsten Einwände zusammengestellt und erläutern, wie sie zu bewerten sind.

 

„Die Kosten sind zu hoch“

Eine arbeitgebernahe Studie hat im Jahr 2003 errechnet, dass in größeren Unternehmen pro Jahr und pro Arbeitnehmer*in 18,00 € für BR-Schulungen ausgegeben werden.[3] Dagegen steht, dass Unternehmen nach einer aktuellen Studie insgesamt bis zu 560,00 € pro Arbeitnehmer*in im Jahr für betriebliche Weiterbildung ausgeben.[4] BR-Schulungen werden also immer nur einen kleinen Teil des gesamten Weiterbildungsbudgets ausmachen. Dennoch kommt von Arbeitgeberinnenseite häufig das Argument, ein gebuchtes BR-Seminar sei zu teuer und könne deswegen nicht besucht werden. Oder der Betriebsrat müsse sich auf die Suche nach einem günstigeren Seminar machen. Was ist von diesem Argument zu halten?

Die Arbeitgeberin hat entsprechend § 40 BetrVG grundsätzlich die Kosten für erforderliche Seminare des Betriebsrates zu tragen. Neben der Erforderlichkeit muss der Betriebsrat jedoch auch beachten, dass der Preis verhältnismäßig ist.[5] Damit ist gemeint, dass der zeitliche Umfang, die Lage des Seminarortes, die Anzahl der entsendeten BR-Mitglieder und der Preis eines Seminars in einem nachvollziehbaren Verhältnis zum Schulungsziel des Betriebsrates stehen sollen. Mit anderen Worten: Der Betriebsrat soll nicht mehr Geld ausgeben als nötig, um sich das gewünschte Wissen anzueignen. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Betriebsrat gezwungen wäre, vor jedem Seminarbesuch eine ausführliche Marktanalyse vorzunehmen und immer das günstigste Seminar zu buchen.[6] Die Preise der meisten Anbieter von Betriebsratsschulungen unterscheiden sich nicht erheblich voneinander. Hier eine Reihe von Seminarpreisen, die im Rahmen von Arbeitsgerichtsverfahren explizit als verhältnismäßig anerkannt oder zumindest nicht beanstandet wurden:

  1. 4-tägige Wirtschaftsausschussschulung für 1.246,00 € pro Person – LAG Hessen v. 11.03.2019 – 16 TaBV 201/18
  2. 4-tägige Kompaktschulung zu BetrVG I und II für 1.350,00 € pro Person – LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 20.09.2016 – 5 TaBV 21/15
  3. 4-tägige Spezialschulung zu einer Personalplanungssoftware für 1.190,00 € pro Person – LAG Berlin-Brandenburg v. 20.04.2016 – 15 TaBV 52/16
  4. 4-tägiges Seminar zur Mobbing-Prävention für 1.188,00 € pro Person – BAG v. 14.01.2015 – 7 ABR 95/12
  5. 4-tägiges Inhouse-Seminar zur Mitbestimmung beim Arbeitsschutz für 9.180,00 € für ein 11-köpfiges Gremium – LAG Berlin-Brandenburg v. 28.02.2017 – 11 TaBV 1626/16
  6. 1-tägige Inhouse-Schulung zum normalen Wahlverfahren für 2.080,00 € für ein 5-köpfiges Gremium – LAG Hessen v. 26.03.2018 – 16 TaBVGa 57/1

Sofern sich Euer angestrebtes Seminar in etwa im Rahmen dieser marktüblichen Preise bewegt, kann die Arbeitgeberin keine Einwände gegen die Schulung haben. Auch seid Ihr bei zwei Seminarangeboten nicht gezwungen, immer das günstigere zu nehmen. Nur wenn es zwei Schulungen gibt, die zum selben Zeitpunkt stattfinden und vom Betriebsrat als qualitativ gleichwertig eingeschätzt werden, wäre der Betriebsrat im Hinblick auf die Kostenschonung der Arbeitgeberin dazu veranlasst, die günstigere Schulung zu buchen.[7] Grundsätzlich darf der Betriebsrat sich für jene Schulung entscheiden, die ihm am besten geeignet erscheint.

Arbeitgeberinnen führen manchmal ins Feld, dass die Kosten im Verhältnis zur Leistungsfähigkeit des Unternehmens stehen müssen. Dass ein Unternehmen tatsächlich wirtschaftlich nicht in der Lage ist, die Kosten des Rechtsanspruches auf Weiterbildung des Betriebsrates zu schultern, ist höchst selten und kann nur einen „Grenzfall“[8] darstellen. In jedem Fall kann die Arbeitgeberin dies nicht einfach behaupten und damit bereits den Schulungsanspruch des Betriebsrates beschneiden, sondern müsste es anhand konkreter betriebswirtschaftlicher Kennzahlen dem Betriebsrat gegenüber belegen.[9] Tatsächlich ist uns kein Fall bekannt, in dem ein Arbeitsgericht die Arbeitgeberin von der Pflicht zur Kostentragung entbunden hätte, weil die finanzielle Belastung zu groß gewesen wäre.[10]

 

Betriebsräte sind nicht an Vorgaben der Vergabeordnung gebunden

Häufiger sehen wir auch den Fall, dass Betriebsräte von ihrer Arbeitgeberin gebeten werden, mindestens drei Angebote verschiedener Anbieter für ein Seminar einzuholen und sich dann für das günstigste dieser Angebote zu entscheiden. Oftmals (aber nicht immer) handelt es sich hier um Unternehmen, die tatsächlich oder vermeintlich zu den öffentlichen Auftraggebern nach § 99 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) zählen. Das sind Unternehmen, die überwiegend durch die öffentliche Hand finanziert werden und im Allgemeininteresse liegende Aufgaben erfüllen. Diese Unternehmen unterliegen besonderen Vorgaben, wenn sie Aufträge vergeben. Bei kleineren Aufträgen ist dies die Pflicht, mindestens drei Bewerber*innen zur Angebotsabgabe aufzufordern.[11] Dies soll dem Zweck der sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Mittel dienen. Die Frage ist nun: Kann dies auch für in diesen Unternehmen gebildete Betriebsräte gelten? In welchem Verhältnis könnten die Vergabeordnung und das Betriebsverfassungsgesetz stehen?

Ein Urteil des Landesarbeitsgerichtes Berlin-Brandenburg stellt klar, dass der Betriebsrat nicht an die Vorgaben der Vergabeordnung gebunden ist. Auch wenn die Arbeitgeberin eine öffentliche Auftraggeberin ist, so ist der dort gebildete Betriebsrat dies noch lange nicht. „Die Aufgaben, Befugnisse und Kompetenzen eines Betriebsrates haben mit Ausnahme der im Betriebsverfassungsgesetz selbst geregelten Modalitäten (z. B. § 118 BetrVG) keine Relation zu den jeweiligen Aufgaben und Zielsetzungen des Arbeitgebers“.[12] Die Arbeitgeberin erfüllt Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge, der Betriebsrat hat dagegen die im BetrVG geregelten Aufgaben der Interessenvertretung der jeweiligen Belegschaft. Diese Trennung ist für die Arbeit des Betriebsrates sehr wichtig: „Die autonome Interessenwahrnehmung sowie die Unabhängigkeit des Betriebsrats vom Arbeitgeber ist demnach ein Strukturprinzip der Betriebsverfassung.“[13]

Das bedeutet also: Als Betriebsrat seid Ihr nie dazu gezwungen, mindestens drei Angebote für Schulungen einzuholen und Euch dann für das günstigste zu entscheiden. Auch an sonstige Vorgaben der Vergabeordnung müsst Ihr Euch nicht halten. Natürlich kann es trotzdem sinnvoll sein, mehrere Angebote einzusehen und sich aus den verschiedenen Ausschreibungen genau den Anbieter auszusuchen, der Euch am meisten zusagt. Aber das ist Eure freiwillige Entscheidung, keine Verpflichtung. Prinzipiell kann es hilfreich sein, der Arbeitgeberin gegenüber sichtbar zu machen, dass Ihr Eure Bildungsplanung professionell und überlegt durchführt und es somit Hand und Fuß hat, wenn Ihr Euch für ein bestimmtes Seminar entschieden habt.

Zusammenfassung:

Dass eine für den Betriebsrat erforderliche Schulung zu teuer sein könnte, ist ein absoluter Ausnahmefall. Zum einen ähneln sich die Preise der Anbieter und liegen in den allermeisten Fällen im marktüblichen Bereich. Zum anderen sind Unternehmen mit Betriebsrat grundsätzlich leistungsfähig genug, um den – vergleichsweise kleinen – Anteil für Betriebsratsschulungen aufzubringen.

In den folgenden Beiträgen werden wir uns außerdem mit folgenden Einwänden beschäftigen:

  1. Die Schulung ist nicht erforderlich.
  2. Der Zeitpunkt der Schulung ist ungeeignet.
  3. Die Schulung ist nicht zweckmäßig, sie hilft dem BR nicht, seine Arbeit erfolgreich zu machen.
  4. Reise-, Übernachtungs- und Tagungskosten können nicht übernommen werden.
  5. Nur ein Mitglied des Gremiums soll entsandt werden.
  6. Der Betriebsrat verfügt bereits über das entsprechende Wissen.

 

[1] Bundesarbeitsgericht, 21.04.1983 – 6 ABR 70/82.

[2] Ergebnis einer Befragung unter mehreren Tausend Betriebsräten war, das Gewerkschaftsmitglieder, BR-Vorsitzende und Freigestellte deutlich mehr Seminare besuchen. BR-Mitglieder mit Hochschulabschluss, Kolleg*innen in kleineren und mittleren Unternehmen und auch Frauen in den Gremien dagegen eher weniger Seminare. Eva Ahlene u.a.: Weiterbildungsverhalten von Betriebsräten – Ergebnisse einer repräsentativen Befragung. 2017.

[3] Horst-Udo Niedenhoff: Die direkten Kosten der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes. 2004.

[4] Susanne Seyda / Beate Placke: Die neunte IW-Weiterbildungserhebung. Kosten und Nutzen betrieblicher Weiterbildung. 2017.

[5] Dies geht auf ein älteres Urteil des BAG zurück, BAG, 31.10.1972 – 1 ABR 7/72.

[6] Bundesarbeitsgericht, 19. März 2008 – 7 ABR 2/07.

[7] Fitting 27. Aufl. § 40 Rn. 74.

[8] Christoph Domernicht: Kosten und Sachaufwand des Betriebsrates. 2018.

[9] LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 20.09.2016 – 5 TaBV 21/15.

[10] In einem Verfahren vor dem LAG Hamm wurde es z.B. als unbeachtlich angesehen, dass der Betriebsrat im fraglichen Jahr bereits über 17.000 € an Seminarkosten verursacht und dass das Unternehmen im Vorjahr mit einem negativen Betriebsergebnis von 1,8 Millionen € abgeschlossen hatte. LAG Hamm v. 08.07.2005 – 10 Sa 2053/04

[11] Vgl. § 3 Abs. 1 Vergabe-und Vertragsordnung für Leistungen (VOL) 2009.

[12]LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.03.2016, 24 TaBV 1939 / 15 D.

[13] Bundesarbeitsgericht, 11.11.1997 – 1 ABR 21/97.

 

Betriebsratsarbeit in Teilzeit

Als Teilzeitbeschäftigte gelten alle Kolleg*innen, deren regelmäßige Wochenarbeitszeit kürzer ist als die tarifliche oder betriebsübliche Vollzeitarbeit. Der Anteil der Menschen, die in Teilzeit arbeiten, ist deutschlandweit seit dem Jahr 2000 von 19,8 % auf aktuell 28,8 % deutlich gestiegen.[1] Die höhere Anzahl an Teilzeitkräften in den Betrieben bedeutet zwangsläufig auch immer mehr teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder in den Gremien. In vielen Branchen gibt es mittlerweile Gremien, bei denen Teilzeit nicht etwa die Ausnahme, sondern der Regelfall ist.

 

Teilzeitbeschäftigte sind gesetzlich geschützt: § 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) stellt klar, dass teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer*innen gegenüber Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter gestellt werden dürfen. Demnach ist es beispielsweise rechtswidrig, Teilzeitbeschäftigte genauso häufig zu Arbeitseinsätzen an Samstagen und Sonntagen einzusetzen wie Vollzeitbeschäftigte, denn dies würde bedeuten, dass sie überproportional zu ihrer Arbeitszeit Wochenendzeit opfern müssten.[2]

 

Anspruch auf Freizeitausgleich

 

Die wichtigste Regelung für teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder ist § 37 Abs. 3 BetrVG, wonach BR-Mitglieder einen Anspruch auf Freizeitausgleich für BR-Arbeit außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit haben, sofern diese betrieblich begründet ist. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn die Betriebsratssitzungen außerhalb der persönlichen Arbeitszeit liegen. Es trifft bei allen Situationen zu, die direkt oder indirekt durch den*die Arbeitgeber*in oder die betriebliche Organisation bedingt sind.

Unproblematisch wird die BR-Arbeit in Teilzeit dadurch freilich nicht. Denn es hat meist gute Gründe, warum jemand in Teilzeit arbeitet. Andere Verpflichtungen, wie ein zweiter Job, ein Studium, Kinder oder zu pflegende Angehörige schränken die Planungsfreiheit ein. Die gemeinsame BR-Arbeit zu koordinieren, wird dadurch zu einer besonderen Herausforderung.

 

Zwischen Arbeits- und Amtspflicht

 

Für Teilzeit-BRs ergeben sich noch weitere Schwierigkeiten: Lässt sich ein in Vollzeit beschäftigtes Betriebsratsmitglied für einen Teil seiner Arbeitszeit freistellen, um in dieser Zeit BR-Arbeit zu leisten, dann verbleibt meist noch Zeit, in der er*sie anschließend seiner*ihrer arbeitsvertraglichen Arbeit nachgehen kann. Bei Teilzeitbeschäftigten – und vor allem solchen mit geringen Stundensätzen von 20 Stunden oder weniger – ist es häufig der Fall, dass durch die Freistellungszeiten die arbeitsvertragliche Arbeit nicht mehr vollumfänglich leistbar ist. Wichtige Arbeit bleibt liegen, ganze Projekte treten auf der Stelle, Klienten werden nicht betreut, und das betroffene BR-Mitglied läuft Gefahr, nicht mehr gut in die betrieblichen Abläufe integriert zu sein. Unternimmt der*die Arbeitgeber*in nach den Betriebsratswahlen keine entsprechende Reorganisation, so stehen die BRs oft vor der problematischen Entscheidung zwischen Arbeits- und Amtspflicht.

 

Auch das BAG hat bereits 2014 anerkannt, dass teilzeitbeschäftigte BR-Mitglieder mit geringen Stundensätzen unter Umständen über einen längeren Zeitraum vollständig von ihrer Arbeit freizustellen sind.[3] In einigen Betrieben kann dies so weit gehen, dass teilzeitbeschäftigte BR-Mitglieder permanent den Stundenumfang ihrer persönlichen Arbeitszeit überschreiten müssten, weil die BR-Arbeit so viel Einsatz erfordert, dass die vertraglich geregelte Arbeitszeit schlichtweg nicht ausreichen würde. Sind vor allem in kleineren Gremien von drei bis sieben Mitgliedern viele Mitglieder in Teilzeit beschäftigt, reicht das gemeinsame Stundenvolumen eventuell grundsätzlich nicht aus, um die BR-Arbeit in sachgemäßer Weise zu verrichten. Denn das gesetzliche Aufgabenspektrum der Betriebsräte ist bekanntlich gewaltig.

 

Was könnt Ihr tun, wenn Eure Freistellungszeit nicht ausreicht?

 

Wenn Ihr diese vorab beschriebene Situation im Gremium habt, ist es wichtig, dass Ihr sie als erstes als ein Problem identifiziert, das nicht mehr allein durch die Regelungen von § 37 Abs. 3 BetrVG gelöst werden kann. Dann solltet Ihr als Gremium besprechen, ob die interne Arbeitsaufteilung verändert werden kann. Vielleicht ist es möglich, dass die teilzeitbeschäftigten BR-Mitglieder bestimmte Aufgaben an andere Mitglieder abgeben. Denkbar wäre auch, eine Reihe von Aufgaben durch Büropersonal erledigen zu lassen. Sollten diese Möglichkeiten ausfallen oder ausgereizt sein, solltet Ihr versuchen, in Absprache mit der*dem Arbeitgeber*in eine individuelle Lösung für das Problem zu finden. Dies könnte zum Beispiel in einer (ggf. für die Dauer der Amtszeit befristeten) Erhöhung der arbeitsvertraglichen Stunden bestehen, die dann für die BR-Arbeit genutzt werden können. Bereitet diese Gespräche mit der*dem Arbeitgeber*in gut vor und lasst Euch nach Möglichkeit dabei von einem*r RA*in beraten, die*der sich sowohl mit dem individuellen als auch dem kollektiven Arbeitsrecht sehr gut auskennt, denn Ihr habt keinen zwingenden Rechtsanspruch auf eine solche Erhöhung. Der*die Arbeitgeber*in muss davon überzeugt werden, dass eine solche Regelung die beste Lösung für alle Beteiligten darstellt. Auch wenn es sich um die Situation von einzelnen BR-Mitgliedern handeln sollte, so betrifft sie letztlich das gesamte Gremium. Deshalb solltet Ihr auch als gesamtes Gremium diese Angelegenheit klären und gemeinsam sicherstellen, dass alle BR-Kolleg*innen die Bedingungen vorfinden, die ihnen ermöglichen, ihre BR-Arbeit frei von unangemessenen Widerständen und Schlechterstellung zu leisten – egal ob in Vollzeit oder Teilzeit.

 

 

[1] Statistisches Bundesamt (zuletzt 2019)

[2] Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 20.08.2015 – 26 Sa 2340/14.

[3] Bundesarbeitsgericht vom 19.03.2014 – 7 AZR 480/12

Betriebsrat sein – eine der komplexesten Aufgaben überhaupt!

Denkt man an Berufe mit einer großen Aufgabenfülle, viel Verantwortung und komplexen Anforderungen fällt einem wahrscheinlich das Management von großen Unternehmen, Spitzenpolitiker oder andere Jobs mit hohen Zugangsvoraussetzungen ein. Es spricht jedoch einiges dafür, dass das Amt des Betriebsrats eine der komplexesten und anspruchsvollsten Tätigkeiten überhaupt darstellt. Betriebsräte setzen sich in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten mit schwierigen und wechselnden Sachproblematiken auseinander und vertreten dabei die Rechte und Interessen von kleinen und großen, meist sehr gemischten Belegschaften. Im Umgang mit den Kolleg*innen und dem Arbeitgeber brauchen sie soziales und rhetorisches Geschick und Durchsetzungsvermögen. In allen Fragen müssen sie sich zudem erst im eigenen Gremium einigen und ein gemeinsames Vorgehen festlegen. Dies erfordert nicht nur eine gute Arbeits- und Zeitorganisation, sondern auch Kompromissbereitschaft und die Fähigkeit anderen zuhören zu können.

Für alle die, die die Aufgaben des Betriebsrates unterschätzen, kritische Kolleg*innen und Arbeitergeber*innen, die mal wieder die Erforderlichkeit von Freistellung infrage stellen ist es sinnvoll sich anhand des Betriebsverfassungsgesetzes einmal alle Aufgaben des Betriebsrates und was damit zusammenhängt zu vergegenwärtigen. Eine – sicherlich, nicht abschließende Liste:

 

Gremieninterne Aufgaben:

  • BR-Sitzungen durchführen (Tagesordnung festlegen, Beschlussfähigkeit sicherstellen, Protokoll erstellen, Sitzung leiten).
  • Inhaltliches vorbereiten der Sitzungen (Literaturrecherche, Unterlagen lesen, Vorbesprechungen in Ausschüssen oder Fraktionen).
  • Organisation des Gremiums (Gründung von Ausschüssen, Überblick über Urlaub und Abwesenheitszeiten, Vereinbarkeit von BR-Arbeit mit beruflichen und privaten Verpflichtungen gewährleisten, Ersatzmitglieder laden und in die BR-Arbeit integrieren).
  • Büro-Organisation (Ablagesystem sowohl physisch als auch digital, Datenschutz im BR-Büro sicherstellen, Informationsfluss im gesamten Gremium möglich machen, Materialbestand aufrechterhalten (Papier, Stifte, Ordner, aktuelle Technik, etc.)).
  • Schriftverkehr und Korrespondenz des Betriebsrates erledigen und organisieren (Briefe, E-Mails inklusive Ablage).
  • Teilnahme an Seminare organisieren (Anbieter recherchieren, Fortbildungsplan für alle BR-Mitglieder machen, Kostenübernahmen einholen).
  • Teambuilding (Konflikte innerhalb des Gremiums vermeiden bzw. lösen, Integration aller Mitglieder sicherstellen, etc., “Beziehungsarbeit” leisten).
  • Eigene Amtszeit prüfen und ggf. Wahlvorstand einsetzen.

 

Den Arbeitgeber betreffend:

  • Austausch mit dem Arbeitgeber (Monatsgespräche organisieren und durchführen).
  • Betriebsvereinbarungen verhandeln und als Beisitzer*innen in Einigungsstellen tätig sein.
  • Grobe Verstöße des Arbeitgebers gegen das BetrVG gerichtlich ahnden lassen Die Einhaltung von Gesetzen, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarung überwachen.

 

Einzelne Arbeitnehmer*innen betreffend:

  • Sprechstunden durchführen und Eingaben/Beschwerden der Belegschaft bzw. von einzelnen Kolleg*innen bearbeiten.
  • Kolleg*innen bei Personalgesprächen begleiten.
  • Beteiligung an BEM-Fällen und ggf. Mitgliedschaft in Integrationsteams.

 

Die gesamte Belegschaft betreffend:

  • Betriebs- und Abteilungsversammlungen organisieren (Raum und Technik organisieren, Einladung an Belegschaft AG und Gäste, inhaltliche Vorbereitung und Präsentation).
  • Transparenz: Betriebsöffentlichkeit auf dem Laufenden halten (schwarze Bretter, Internet, Intranet, Betriebszeitung, etc.).
  • Regelmäßige Betriebsbegehungen durchführen.

 

Personelle Angelegenheiten:

  • Vorschläge zur Personalplanung und Beschäftigungssicherung machen.
  • Auf Personelle Einzelmaßnahmen (Kündigung, Neueinstellung, Versetzung, Ein- und Umgruppierung) des Arbeitgebers reagieren (Vorgang prüfen, mit Betroffenen sprechen, diskutieren und beschließen).
  • Die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer*innen im Betrieb fördern.
  • Förderung von Berufsbildung und Ausübung von Mitbestimmung bei der konkreten Durchführung von Bildungsmaßnahmen.
  • Die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer*innen im Betrieb schützen und fördern, Diskriminierung im Betrieb entgegenwirken und Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bekämpfen.
  • Die Gleichstellung von Mann und Frau und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Betrieb fördern.

 

Soziale Angelegenheiten:

  • Urlaubspläne prüfen bzw. Mitbestimmungsrechte ausüben.
  • Arbeitszeitkonten und Personaleinsatzpläne prüfen bzw. Mitbestimmung ausüben.
  • Organisation betrieblicher Sozialeinrichtungen.
  • Ausübung der Mitbestimmung in anderen sozialen Angelegenheiten.

 

Zusammenarbeit mit anderen Stellen:

  • Zusammenarbeit mit der SBV bzw. auf die Wahl der SBV hinwirken und die Eingliederung von Schwerbehinderten im Betrieb fördern.
  • Teilnahme an Gesprächen mit dem Sicherheitsbeauftragten und Mitgliedschaft im Arbeitssicherheitsausschuss (ASA).
  • Stellungnahme zu Anträgen auf Gleichstellung beim Integrationsamt.
  • Unterzeichnung von Unfallanzeigen von den Unfallversicherungsträgern.
  • Zusammenarbeit mit der Jugend- und Auszubildendenvertretung.
  • Zusammenarbeit mit dem GBR und GWA (Übertragungen prüfen, Mitglieder entsenden, Anfragen stellen).
  • Kontakt zur Gewerkschaft (Einladung zu BR-Sitzungen, Austausch mit Betriebsgruppe, Info über zuständige*n Sekretär*in, Teilnahme an Vernetzungstreffen, etc.).
  • Beauftragung von RA*innen und Sachverständigen (Recherche, Terminabsprache, Treffen, Korrespondenz).

 

Weiteres:

  • Einsatz für den betrieblichen Umweltschutz.
  • Im Falle von Betriebsänderungen Interessenausgleich und Sozialpläne mit dem Arbeitgeber verhandeln.

 

Nicht umsonst hält auch die herrschende Kommentierung des Betriebsverfassungsgesetzes neben inhaltlichen Schulungen auch Veranstaltungen zum effektiven BR-Management für erforderlich (vgl. Fitting, BetrVG § 37 Rn. 152). Auch wir bieten Seminare zu diesem Thema und geführte Klausurtagungen an.

Hitze im Betrieb – was kann der Betriebsrat tun?

Metereolog*innen gehen davon aus, dass auch der Sommer 2019 außergewöhnlich heiß werden könnte. Hohe Temperaturen sind am Arbeitsplatz ein Problem und können zu erheblichen Belastungen und sogar gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen.

Leider versäumen Arbeitgeber*innen es oft vorzubeugen und einzelne Arbeitnehmer*innen haben kaum Möglichkeiten Abhilfe zu schaffen. Was kann der Betriebsrat tun, um die heißen Sommerwochen für alle Kolleg*innen im Betrieb erträglich zu machen?

Die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) verpflichtet den Arbeitgeber in § 3a die Arbeitsstätten so einzurichten, dass eine Gefährdung für die Gesundheit der Beschäftigten möglichst vermieden wird. Im Anhang der Verordnung wird in Ziffer 3.5 konkretisiert, dass sich dies auch auf die Raumtemperatur bezieht und nicht nur die Arbeits-, sondern auch die Pausenräume betrifft.

Aber was sind gesundheitlich zuträgliche Raumtemperaturen? Die gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse dazu finden sich in der Arbeitsstättenregel Nummer 3.5 (ASR 3.5). Danach sollte die Lufttemperatur 26 °C nicht überschreiten. Bei höheren Außentemperaturen sind spätestens ab 30 °C kühlende Maßnahmen anzuwenden. Bei Temperaturen über 35 °C sollte in den betroffenen Räumen nicht mehr gearbeitet werden.

Die ASR 3.5 liefert damit wichtige Anhaltspunkte, ist aber keine zwingende Vorschrift. Wichtig ist hier vor allem, dass sich der Begriff „Raumklima“ nicht nur auf die messbaren Temperaturen, sondern auch auf andere Faktoren wie Luftfeuchtigkeit, Luftgeschwindigkeit und Wärmestrahlung bezieht. Ziel muss es sein, für die Beschäftigten einen Zustand der Behaglichkeit zu erreichen, also eine Klimasituation, die als optimal empfunden wird. Jeder Betrieb ist anders: Architektur, Gestaltung und Nutzung der Räume, Maschinen und technische Geräte, die konkrete Tätigkeit, Anzahl der Beschäftigten und Kund*innen und die Arbeitskleidung.[1] Ein erster Schritt muss deswegen sein, die Kolleg*innen dazu zu befragen, wie sie die Klimafaktoren im Betrieb tatsächlich wahrnehmen. Auch wenn die gemessenen Temperaturen den Vorgaben entsprechen, kann es trotzdem zu subjektiven Unbehaglichkeitsgefühlen der Beschäftigten kommen. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) stellt hierzu mehrere hilfreiche Handreichungen zur Verfügung.

Raumklima ist ein recht komplexes Thema. Deswegen ist es auch Teil der vom Arbeitgeber nach § 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) durchzuführenden Gefährdungsbeurteilung (konkretisiert in ASR V3). Der Betriebsrat hat bei der Gefährdungsbeurteilung grundsätzlich mitzubestimmen (vgl. Fitting: BetrVG § 87 Rn. 299). Er sollte durchsetzen, dass alle Klimafaktoren in angemessener Weise in die Gefährdungsbeurteilung mit einbezogen werden und die Wirksamkeitsprüfung auch anhand der subjektiven Wahrnehmung der Kolleg*innen vorgenommen wird. Die (nicht verbindliche) Information der gesetzlichen Unfallversicherung zum Thema Raumklima (DGVU 215-510) gibt in exemplarischen Fragebögen dafür gute Hinweise.

Die Gefährdungsbeurteilung kann ergeben, dass grundlegende, bauliche Veränderungen der Arbeitsstätte erforderlich sind, um das Raumklima zu verbessern. Vielleicht sind Sonnensegel oder auch weitergehende Raumlufttechnik (RLT) einzubauen. Für die heißen Monate können in einer gesonderten Betriebsvereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber aber auch besondere technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen vereinbart werden. Die Temperaturvorgaben der ASR 3.5 können als Anhaltspunkt genommen werden. Sie können für jeden Betrieb aber auch anders definiert werden. Auch sollte geregelt werden, wann und wie die Temperaturen gemessen werden. Konkrete Maßnahmen unterscheiden sich von Betrieb zu Betrieb, denn jede Betriebsstätte ist anders. Beispiele sind:

  • das Aufstellen von Ventilatoren,
  • Anwenden von Nachtauskühlung,
  • Vermeiden von direkter Sonneneinstrahlung,
  • das Ausschalten bestimmter wärmetreibender Geräte,
  • Bereitstellen von Getränken zum freien Verbrauch,
  • Lockern der Kleiderordnung,
  • mithilfe von Klimasplitgeräten in den Pausenräumen Kühlzonen errichten und vermehrte Abkühlpausen ermöglichen oder
  • Anpassen der Arbeits- und Pausenzeiten – Arbeitszeitverlagerung, sowie der Einsatz von mehr Personal.[2]

Der Betriebsrat kann und sollte im Rahmen seines Initiativrechts beim Thema Hitze bereits aktiv werden, wenn das Thermometer nicht schon 26 °C überschritten hat. Ein Mitbestimmungsrecht besteht bereits bevor feststeht, ob der Sommer wirklich so heiß wird wie vermutet. [3] Wenn es erst mal unerträglich heiß ist, ist es meist zu spät.

Hitze am Arbeitsplatz betrifft die allermeisten Tätigkeiten und macht die Bedeutung eines nachhaltigen Arbeits- und Gesundheitsschutzes für jede*n physische erlebbar. Es ist deswegen ein guter Startpunkt für Belegschaft und Betriebsrat, um sich intensiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen und dafür zu kämpfen die eigenen Arbeitsbedingungen in allen Aspekten gesundheitsgerecht zu gestalten.

Unser Grundlagenseminar „Einführung in den Arbeits- und Gesundheitsschutz“ bespricht die Mitbestimmung beim Arbeits- und Gesundheitsschutz, verschafft einen Überblick, nicht nur über das Thema Raumklima und hilft bei der Wahl der nächsten Schritte. Ebenso wie die Seminare zum Betriebsverfassungsgesetz zählt dieses Seminar zu den Grundlagen für die Betriebsratsarbeit und ist prinzipiell für jedes BR-Mitglied erforderlich.

[1] Es gibt sogar Studien wonach eine Wechselwirkung zwischen dem thermischen Raumklima und der „Arbeitsatmosphäre“, also der psychischen Belastung besteht.

[2] Für die letzten beiden Maßnahmen finden sich konkrete Beispiele in einer von der Hans-Böckler-Stifung herausgegebenen Sammlung vom Betriebsvereinbarungen. 

[3] vgl. Einen Artikel des Bund-Verlages zu diesem Thema.