Ausländer*innen in die Gremien!

Am 24. September wurde in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt. Laut Bundeswahlleiter hatten 61,5 Millionen Menschen an diesem Tag das aktive Wahlrecht. Nach letzten Daten leben in Deutschland jedoch 80,6 Millionen Menschen. Was ist also mit den über 19 Millionen Menschen, die hier leben, aber nicht wählen durften? Die größte Gruppe unter Ihnen bilden die unter 18-Jährigen. Aber auch Menschen, die einen gesetzlichen Betreuer in allen Angelegenheiten haben, dürfen nicht mehr wählen. In seltenen Fällen kann jemandem auch aufgrund einer Straftat das Wahlrecht entzogen werden.

Der Blog wahllos.de schätzt jedoch, dass es auch 6,4 Millionen Nicht-EU-Ausländer*innen in Deutschland gibt.[1] Sie dürfen nicht wählen, weil sie keine deutsche Staatsangehörigkeit haben. Die allermeisten von ihnen leben dauerhaft in Deutschland, haben ihren Lebensmittelpunkt hier, arbeiten, zahlen Steuern und nehmen auch sonst am gesellschaftlichen Leben teil. Aufgrund der Kopplung des Wahlrechts an die Staatsangehörigkeit dürfen sie jedoch nicht mitentscheiden, welche Parteien in den nächsten Jahren im Bundestag vertreten sein werden und welche Ausgaben mit den geleisteten Steuern getätigt werden.

In der Geschichte der BRD waren immer nur 68% bis 76% der Bevölkerung auch tatsächlich wahlberechtigt[2] und bei jeder Wahl verzichten 10% bis fast 30% der Wahlberechtigten auf die Ausübung dieses Rechts und gehen nicht zur Wahl. Dennoch ist es ein Problem für eine Demokratie, wenn sie so vielen Menschen strukturell die Partizipation verweigert. Wenn eine Demokratie sich als Demokratie ernst nimmt, dann kann man das so genannte „Wahlvolk“ nicht einfach auf den abstrakten Begriff der Staatsangehörigkeit reduzieren, sondern muss alle Menschen beteiligen, die hier leben.

Das Wahlrecht wird sich aber so schnell nicht ändern. Dafür ist der politische Mainstream immer noch zu sehr der Meinung, das Wahlrecht müsse man sich verdienen und nur ein „echter“ Deutscher, also einer mit Staatsangehörigkeit, dürfe auch wählen gehen. Die ehemalige rot-grüne-Regierung in Nordrhein-Westfalen wollte ein Ausländer*innenwahlrecht, zumindest für Kommunalwahlen festlegen, war damit aber vor kurzem erst gescheitert.[3]

Wenn man aber an andere Partizipationsmöglichkeiten denkt, dann fällt auf, dass das Betriebsverfassungsrecht in Deutschland lebende Ausländer*innen nicht in der Weise diskriminiert, wie es das Bundeswahlgesetz tut. Bei Betriebsratswahlen ist weder das aktive, noch das passive Wahlrecht die Staatsbürgerschaft gekoppelt. Für das Betriebsverfassungsrecht ist es egal, wo jemand herkommt, wichtig ist nur, dass er*sie Arbeitnehmer*in im Betrieb bist. Es gibt sogar einige Regelungen, die Ausländer*innen die Ausübung ihrer Beteiligungsrechte erleichtern sollen, zum Beispiel die Pflicht der Arbeitgeber*innen die Kosten für  Übersetzungen und Dolmetscher*innen für nicht-deutsch-Muttersprachler*innen zu tragen (§ 40 BetrVG), oder die Pflicht des Wahlvorstandes Arbeitnehmer*innen, die der deutsche Sprache nicht mächtig sind über das gesamte Wahlverfahren in geeigneter Weise und ggf. sogar in ihrer Muttersprache vorab zu informieren (§ 2 Abs. 5 WO) oder auch das allgemeine Diskriminierungsverbot in § 75 BetrVG. Der Betriebsrat hat nach § 80 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG die Aufgabe die Integration ausländischer Arbeitnehmer*innen im Betrieb zu fördern. Dazu muss auch die Integration in die betrieblichen Interessenvertretungsgremien gehören.

In Deutschland lebende Ausländer*innen sollten deswegen dazu eingeladen werden sich in Betriebsversammlungen, bei den Betriebsratswahlen, im Wahlvorstand und im Betriebsrat aktiv an der Betriebspolitik zu beteiligen. Es handelt sich um Kolleg*innen, denen durch das Betriebsverfassungsrecht die Möglichkeit der aktiven Partizipation und Einflussnahme auf ihre täglichen Lebensbedingungen gegeben wird. Eine Möglichkeit, die ihnen das Bundeswahlgesetz leider immer noch verwehrt.

René Kluge, ehem. BR-Vorsitzender Autismus Deutschland und tandem Autismus. Geschäftsführer R+A Recht und Arbeit GmbH

 

[1] http://wahllos.de/nicht-deutsch-genug-zum-waehlen/static,Akin_de.htm

[2] http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/bundestagswahlen/55604/wahlberechtigte-1949-2009

[3] http://www.n-tv.de/politik/NRW-aendert-Wahlgesetz-nicht-article19747644.html

Student*innen als Betriebsratsmitglieder und ihr Status in der gesetzlichen Krankenversicherung

Nach den Zahlen der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks arbeitet immer noch eine hohe Zahl von Student*innen, nämlich mittlerweile ganze 68% nebenbei, um sich ihr Studium ganz oder teilweise zu finanzieren. Der deutsche Staat unterstützt solche Finanzierungsmodelle indem er Student*innen von der Arbeitslosenversicherungs-, der Pflegeversicherungs- und auch der Krankenversicherungspflicht (letzteres § 6 SGB V) befreit hat. Als Arbeitnehmer*innen müssen Student*innen also weniger Sozialabgaben zahlen und auch die Arbeitgeber*in hat bei ihnen weniger Lohnnebenkosten.

Um nun aber in den Genuss dieses Vorteils zu kommen, reicht es nicht aus, einfach nur an einer Hochschule immatrikuliert zu sein, man muss auch „dem Erscheinungsbild nach“ ein*e Student*in sein. So zumindest formulierte es das Bundessozialgericht (BSG) in seinem abschließenden Urteil in dieser Sache im Jahr 2003 (Urteil vom 11. 11. 2003 – B 12 KR 24/03 R). Das bedeutet, man muss nicht nur eingeschrieben sein, sondern auch wirklich studieren. Das pragmatische Kriterium des BSG ist, dass man maximal 20 Stunden in der Woche arbeiten darf und den Rest der Zeit für sein Studium aufwenden muss. Liegt die Arbeitszeit aber zum Beispiel in den Abend- und Nachtstunden oder in den Semesterferien, so müssen diese 20h/Woche nicht so streng beachtet werden. Hieran erkennt man schon, dass es dem Gericht daran gelegen war eine praxisnahe Regelung zu finden und die Versicherungsfreiheit nur dann abzuerkennen, wenn der Umfang der Tätigkeit es gar nicht mehr zulässt tagsüber Seminare und Vorlesungen zu besuchen und man eigentlich keinem geregelten Studium mehr nachgeht.

Was ist nun aber, wenn eine Studentin in ihrem Betrieb in den Betriebsrat gewählt wird und aufgrund von Betriebsratstätigkeit eine Arbeitszeit von 20h in der Woche übersteigt? Diese Frage erreicht uns als Seminaranbieter natürlich immer wieder im Zusammenhang mit dem Besuch von Seminaren die ja oft eine gesamte Vollzeitwoche beanspruchen. Unserer Kenntnis nach gibt es zu dieser Frage bisher kein gerichtliches Urteil. Wir haben deswegen die großen Krankenversicherungsträger in Deutschland befragt. Sie haben uns einhellig bestätigt, dass es sich bei Betriebsratstätigkeit um einen Ausnahmefall handelt, der keinen Einfluss auf die Versicherungsfreiheit von Student*innen hat. Entscheidend ist hier das zu Grunde liegende Arbeitsverhältnis. Betriebsratstätigkeit ist ein Ehrenamt. Betriebsratsarbeit wird deswegen zwar wie Arbeitszeit vergütet, ist aber keine im engeren Sinne. Im Übrigen gelten für teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder ja auch die Regelung des § 37 Abs. 3 BetrVG, wonach solchen BR-Mitgliedern ein Freizeitanspruch entsteht, wenn sie BR-Tätigkeit außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit geleistet haben.

Prinzipiell ist es so, dass es die Pflicht der Arbeitgeber*in ist, die Einhaltung der Sozialversicherungspflicht im Betrieb zu überwachen und die entsprechenden Beiträge an die Träger abzuführen. Ihr als Betriebsratsmitglieder müsst Euch um diese Sachlage erst einmal keine Gedanken machen. Ihr müsst auch selbst keine Anzeige bei Eurer Krankenkasse machen oder ähnliches. Wäre die Arbeitgeber*in der Meinung, dass keine Versicherungsfreiheit mehr besteht, so müsste sie dies selbst bei der Krankenkasse anzeige. Das würde allerdings bedeuten, dass für die Arbeitgeber*in selbst die Lohnnebenkosten steigen würden. Dies ist vielleicht auch der Grund, warum uns die Krankenkassen berichteten, dass sie bis jetzt noch von keiner derartigen Anzeige gehört hätten.

Neben vielen anderen Gesetzen und Verordnungen haben die Arbeitgeber*innen vor allem auf die korrekte Abfuhr der Sozialabgaben zu achten. Nicht selten nutzen sie diese Pflicht jedoch, um Arbeitnehmer*innen und Betriebsräte mit zweifelhaften Forderungen zu begegnen die auf unklarem oder falschem Verständnis der Gesetzes- und Sachlage basieren. Auch im Falle des Datenschutzes begegnet uns dies immer wieder. Bitte lasst Euch davon nicht irritieren. Prüft die Sachen lieber selbst oder lasst sie von jemandem prüfen. Obwohl es von ihnen erwartet werden kann, sind die meisten Arbeitgeber*innen und Personalabteilungen nicht mit allen gesetzlichen Regelungen wirklich gut vertraut.

Wenn Ihr aber ganz konkret das Problem habt, ein Seminar bei uns besuchen zu wollen, in der fraglichen Woche aber zum Beispiel auch eine Uni-Veranstaltung oder eine Prüfung habt, dann meldet Euch einfach bei uns und wir finden eine Lösung.

Gemeinsam stark! Gewerkschaftspolitische Herausforderungen nach der Bundestagswahl – Aktionskonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Bundesfraktion DIE LINKE. 20.Oktober 2017, Kassel

Rund 250 aktive Betriebsräte, Gewerkschaftssekretär*innen und andere Aktive versammelten sich am 20. Oktober in Kassel, um zusammen mit Vertreter*innen aus Politik und Gewerkschaften die Ergebnisse der Bundestagswahlen, ihre Gründe und auch Perspektiven daraus zu diskutieren und ihre Forderungen an die Politik zu stellen.

Zu Beginn der Veranstaltung erwartete uns Jutta Krellmann (MdB, Fraktion DIE LINKE) mit einem Vortrag zur Stärkung der Gewerkschaften und der Ausweitung der Mitbestimmung für Betriebsräte. Sie rief dazu auf, gewerkschaftlich solidarisch gegen Neoliberalismus und Faschismus aufzutreten. Nur so lässt sich eine Front gegen den gesellschaftlichen und politischen Rechtsruck bilden. Sybille Stamm (Vorstand Rosa-Luxemburg-Stiftung) verwies auf die Herausforderungen gewerkschaftlicher Erneuerung angesichts des zunehmenden Mitgliederschwunds und forderte die Gewerkschaften auf, sich auch gesellschaftlich einzumischen und ihr politisches Mandat zu nutzen. Vor der Mittagspause hielt  Prof. Dr. Nicole Mayer-Ahuja (Direktorin am SOFI Göttingen) einen Vortrag mit anschließender Diskussionsrunde über den Stand und die Perspektiven der Arbeiter*innenbewegung und das „neue Normalarbeitsverhältnis“. Dabei ging es um Veränderungen in der Arbeitswelt. Sie stellte das früher klassische Normalarbeitsverhältnis (unbefristete Vollzeit, dauerhafte Perspektive, , Existenzsicherung, regelmäßige Arbeitszeiten,  etc.) der Prekarisierung seit Mitte der 80er Jahre gegenüber. Zunehmende Unterschreitungen des Normalarbeitsverhältnisses und prekäre Arbeitsbedingungen verdrängten langsam typische Arbeitsverhältnisse.  So z.B. weg vom 8-Stunden-Tag hin zu flexiblen Arbeitszeiten, dem Verschwimmen von Arbeits- und Privatleben, Outsourcing, Leiharbeit und der einhergehenden Vielfältigkeit der Beschäftigten. Daraus geht  ein Mangel an Zusammengehörigkeit hervor, der u.a. Grund für schwindende Mitgliederzahlen in Gewerkschaften ist. Ihre Forderung an DIE LINKE und die Gewerkschaften ist, sich damit auseinanderzusetzen. Sie müssen sich  für ein „wir“ im 21. Jahrhundert einsetzen, in dem die allgemeine Verunsicherung wächst und Menschen weltweit von Prekarisierung betroffen sind. Gefordert ist  die Suche nach gemeinsamen Zielen aller Arbeitenden der heute divergenten Arbeitswelt, die  Zusammenarbeit in einem breiten Bündnis von Gewerkschaften und Partei als linke Alternative zur Politik des Neoliberalismus und der Mut zur Utopie – eine neue Politik der Arbeit auf Basis von Demokratie und Gleichheit .

Wir hatten nach der Mittagspause außerdem die Gelegenheit in kleineren Arbeitsgruppen über einige wichtige Themen zu diskutieren. Zur Auswahl standen Rente, Arbeitszeit, prekäre Beschäftigung und Tarifflucht, Sparpolitik stoppen – öffentliche Daseinsvorsorge stärken und Gesellschaftlicher Rechtsruck – sozialen Spaltungen und Rassismus entgegentreten.

Den Abschluss des Tages bildete die Podiumsdiskussion „Gewerkschaftliche und politische Kämpfe verbinden- das politische Mandat der Einheitsgewerkschaft“ mit Bernd Riexinger, Dr. Hans-Jürgen Urban (IGM Vorstand) und Andreas Keller (stellv. Vorsitzender GEW). Dort wurden Themen wie der Umgang mit der AfD, wie auch die konkrete Bedeutung einer Jamaika-Koalition für Arbeitnehmer*innen und die Schwächung der Gewerkschaften besonders thematisiert.

Aus meiner Sicht war die Konferenz  sinnvoll, da ich als Mitglied eines Betriebsrats direkt im großen Plenum mit Vertretern aus Politik und den Gewerkschaften genau das diskutieren konnte, was die Kolleg*innen in meinem Betrieb täglich betrifft und so nach Lösungen gesucht wurde um den Problemen entgegenzutreten. Ich stimme prinzipiell mit der Forderung überein, dass Gewerkschaften gesellschaftspolitisch aktiver werden sollten, allerdings ist die Grundvoraussetzung dafür, die bessere Zusammenarbeit der Gewerkschaften selbst. Ohne gemeinsam gesetzte Ziele und einen Plan wie diese erreicht werden sollen, nützt gesellschaftspolitisches Engagement der Einzelgewerkschaften nichts. Ich betrachte die Konferenz in Kassel  aber als gelungenen Anfang für eine bessere Zusammenarbeit auch zwischen den Gewerkschaften, da Vertreter*innen  verschiedener DGB-Gewerkschaften anwesend waren und so der Grundstein für eine gemeinsame Zielsetzung zusammen mit der Partei DIE LINKE gelegt wurde.

Carolin Fischer, Betriebsratsvorsitzende bei Uniqlo Europe Ltd.,Berlin.