Schulungsanspruch bei Grund- und Spezialseminaren

Wissen ist Macht – Der Schulungsanspruch von Betriebsräten

Die meisten Betriebsräte finden sich nach der Wahl in einer ungewohnten Situation wieder. Auf einmal muss man sich mit verschiedenen Gesetzen, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen auseinandersetzen und auf die Einhaltung der vielfältigen arbeitsrechtlichen Vorschriften durch den Arbeitgeber achten. Aber wie soll die Einhaltung von Recht und Gesetz kontrolliert und gemeinsam mit dem Arbeitgeber betriebliche Regelungen verhandelt werden, wenn keine Kenntnis über die Rechtslage und die Mitbestimmungsrechte besteht?

Diese Problematik hat auch der Gesetzgeber gesehen und daher im Betriebsverfassungsgesetz einen gesetzlichen Anspruch auf Weiterbildung für Betriebsräte geschaffen. Geregelt ist dieser Anspruch im § 37 Abs. 6 BetrVG. Demnach haben Betriebsräte einen Anspruch auf Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Vermittlung von Kenntnissen dann erforderlich, wenn diese „unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse im Betrieb und im Betriebsrat notwendig sind, damit der Betriebsrat seinen gegenwärtigen oder in naher Zukunft anstehenden Aufgaben sach- und fachgerecht erfüllen kann (BAG 9.10.1973 – 1 ABR 6/73). Denn das einzelne Betriebsratsmitglied kann nicht auf ein Selbststudium oder eine Unterrichtung durch ein bereits geschultes Betriebsratsmitglied verwiesen werden (BAG 19.03.2008 – 7 ABR 2/07). Soweit die Erforderlichkeit der Schulung besteht, hat der Arbeitgeber alle in diesem Zusammenhang erforderlichen Kosten zu tragen (Seminarkosten, Reise- und Übernachtungskosten, Verpflegungskosten usw.) und für den Zeitraum der Schulung das reguläre Gehalt weiterzuzahlen.

Dabei besteht nicht nur ein Recht auf Schulung, sondern sogar eine betriebsverfassungsrechtliche Pflicht. Denn mit der Übernahme des Betriebsratsamtes haben die BR-Mitglieder neben der Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Aufgaben weitere Amtspflichten übernommen. Um dieses Amt verantwortungsgerecht ausüben zu können, sind spezielle Kenntnisse im Betriebsverfassungs- und im Arbeitsrecht notwendig. Jeder Betriebsrat hat sich daher auf sein Amt umfassend vorzubereiten und ist aus diesem Grund nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, sich die hierfür erforderlichen Kenntnisse durch entsprechende Seminare anzueignen (BAG 21.4.1983 – 6 ABR 70/82).

In der Praxis wird unterschieden zwischen Grundlagenseminaren und Spezialseminaren.

 

Grundlagenseminare

Soweit es sich um ein Grundlagenseminar handelt, muss nicht extra begründet werden, warum dieses Seminar erforderlich ist. Denn bei diesen Seminarinhalten handelt es sich um Grundlagenwissen, was grundsätzlich jedes Betriebsratsmitglied haben muss, um die Aufgaben im Betriebsrat ordnungsgemäß zu erfüllen. Daher werden Grundlagenseminare von der Rechtsprechung als stets erforderlich angesehen. Hier kommt es lediglich darauf an, dass bei der zeitlichen Festlegung des Seminartermins die betrieblichen Notwendigkeiten berücksichtigt werden (also wenn möglich nicht während des Weihnachtsgeschäftes oder während der Haupturlaubszeit auf Seminar fahren) und die Kosten im Rahmen bleiben (also nicht mit der 1. Klasse nach Mallorca zum Seminar fliegen, sondern sofern möglich lieber ortsnah). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass dem Betriebsrat ein eigener Beurteilungsspielraum zugestanden wird, wann welches Betriebsratsmitglied zu welchem Seminar entsendet wird. Dies gilt sowohl für den konkreten Inhalt des Seminars, als auch für deren Dauer und die Anzahl der entsendeten Teilnehmer (BAG 9.10.1973 – 1 ABR 6/73).

Zu den Grundlagenseminaren gehören im Seminarprogramm u.a. die folgenden Themenbereiche:

Betriebsverfassungsrecht (Grundlagen I, II, III, IV, V)

Arbeitsrecht (Grundlagen I, II, III)

Arbeits- und Gesundheitsschutz  (Grundlagen)

Datenschutz (Grundlagen)

 

Spezialseminare

Neben den Grundlagenseminaren gibt es noch die sogenannten Spezialseminare. Diese Seminare vermitteln Spezialwissen, welches nicht immer für alle Betriebsräte als erforderlich angesehen wird. Im Falle der Spezialseminare müssen Betriebsräte ggf. die Erforderlichkeit der Seminarteilnahme inhaltlich begründen. Nach Ansicht der Gerichte ist ein Spezialseminar immer dann erforderlich, „soweit nach den Verhältnissen des konkreten einzelnen Betriebes Fragen und Probleme anstehen oder in naher Zukunft anstehen werden, die der Beteiligung des BR unterliegen und bei denen im Hinblick auf den Wissensstand des konkreten BR eine Schulung von BR-Mitgliedern erforderlich erscheint, damit der BR seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben kann“ (BAG 20.08.2014 – 7 ABR 64/12). Etwas verständlicher ausgedrückt, muss also erstens eine konkrete Aufgabe des BR vorliegen. Zweitens müssen die zur Schulung entsendeten BR-Mitglieder mit dieser Aufgabe befasst sein (bspw. weil sie Mitglied der entsprechenden Verhandlungskommission bzw. des jeweiligen Ausschusses sind). Und Drittens muss den jeweiligen BR-Mitgliedern das notwendige Wissen zur sachgerechten Wahrnehmung ihrer Aufgaben fehlen und dieses Wissen im entsprechenden Seminar vermittelt werden. Auch hier hat der BR wieder einen Beurteilungsspielraum, welcher nur eingeschränkt gerichtlich zu überprüfen ist.

 

Sonderfall – Ersatzmitglieder und Wiederholungsschulungen

Sonderregelungen gelten für Ersatzmitglieder. Der Betriebsrat kann ein Ersatzmitglied zu einer Schulung entsenden, soweit dies erforderlich ist, „um die Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats zu gewährleisten (BAG 19.09.2001 – 7 ABR 32/00)“. Aber wann ist das der Fall? In der Praxis wird vor allem darauf abgestellt, wie oft das entsprechende Ersatzmitglied für verhinderte Kolleg*innen nachrücken muss. Soweit das Ersatzmitglied über einen längeren Zeitraum an mindestens einem Viertel aller Betriebsratssitzungen teilgenommen hat, kann ein Schulungsanspruch bestehen. Dies ist jedoch immer im konkreten Einzelfall festzustellen. Auch in dieser Frage ist von einem Beurteilungsspielraum des Betriebsrats auszugehen.

Ein andere Konfliktfall betrifft die sogenannten Wiederholungsschulungen, also Schulungen zur Auffrischung bzw. Wissensvertiefung zu Themen, zu denen bereits vor einiger Zeit ein Seminar besucht wurde. Auch solche Schulungen können erforderlich sein. Dies gilt vor allem für Bereiche, in denen eine schnelle Entwicklung/Veränderung stattfindet (also bspw. Computertechnik), bei Änderungen von Gesetzen oder der Rechtsprechung und bei neu auftretenden Konflikten im Betrieb. Der Betriebsrat muss jedoch in einem solchen Fall konkret darlegen, warum eine Schulung zu einem ähnlichen Thema aus Sicht des BR erneut erforderlich ist (LAG Nürnberg 1.9.2009 – 6 TaBV 18/09).

 

Stephan Puhlmann, Arbeitsrecht für Arbeitnehmer*innen

https://www.rechtsanwalt-puhlmann.de/

Solidaritätsstreiks – grundsätzlich zulässig und rechtens

In Deutschland kommt es selten vor, dass Gewerkschaften zu einem Solidaritätsstreik aufrufen. Im Februar diesen Jahres war es allerdings wieder soweit: Der Öffentliche Dienst wurde zum Streik aufgerufen, nachdem die Verhandlungsrunde am 6./7. Februar erwartungsgemäß gescheitert war. Zu diesem — auch als “Hauptarbeitskampf” — bezeichneten Streik sollten nun auch die studentischen Beschäftigten der Berliner Hochschulen zusammenkommen und ebenfalls streiken. Interessant ist jedoch, dass die beiden verantwortlichen Gewerkschaften in diesem Bereich, ver.di und GEW, jeweils zu anderen Ergebnissen bezüglich eines offiziellen Streikaufrufs kamen. Während die GEW in einer Mail an die studentischen Beschäftigten zu Solidarität appellierte, rief ver.di zum Solidaritätsstreik auf, “da die studentisch Beschäftigten im Tarifbereich des TV Stud III [dem Tarifvertrag der studentischen Beschäftigten] Seite an Seite mit den hauptberuflich Beschäftigten arbeiten und durch Arbeitsniederlegung deren Kampfkraft erhöhen […]”

Damit war jedoch besonders für die auch als studentische Hilfskräfte (SHK) bezeichneten Beschäftigten die Frage offen, ob und wann ein Solidaritätsstreik rechtlich zulässig sei. War der Aufruf zum Solidaritätsstreik nun rechtens oder nicht?

 

Die grundsätzlichen Bedingungen

Die Frage der Rechtmäßigkeit eines Streiks ist von entscheidender Bedeutung, da das bestreikte Unternehmen bei einem unzulässigen Streik Schadensersatzforderungen geltend machen kann. Diese möglichen (zivilrechtlichen) Schadensersatzforderungen wirken wie eine Drohkulisse vor fast jedem Streik, da das Unternehmen theoretisch gesehen nach jedem Streikaufruf vor Gericht klagen könnte, um die etwaige Unzulässigkeit eines Streiks feststellen zu lassen und den Streik damit zu beenden. Und in der Tat wird auch fleißig mit den juristischen Mitteln gedroht und in einigen Fällen wie bei den Fluglotsenstreiks auch mal die Unzulässigkeit des Streiks festgestellt.

In der Regel sind jedoch die von den Gewerkschaften aufgerufenen Streiks zulässig und von daher unproblematisch. Die Frage könnte sich bei Solidaritätsstreiks anders darstellen, da diese Streiks der Natur der Sache nach Arbeitsniederlegungen sind, die einen anderen Streik unterstützen sollen. Auch deshalb wird gerne von “Unterstützungs- oder Sympathiestreiks” gesprochen.

In diesem Rahmen gab es bislang zwei Grundsatzurteile seitens des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Im ersten wegweisenden Urteil aus dem Jahre 1985 wurden grundsätzlich nur solche Streiks als zulässig erachtet, die sich gegen das Unternehmen richteten, welches unmittelbar an der Tarifauseinandersetzung beteiligt war. Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail und so kann auch aus dem Wörtchen “grundsätzlich” abgeleitet werden, dass nicht in allen Fällen Solidaritätsstreiks von vornherein unzulässig wären.

Klarheit brachte das zweite entscheidende Urteil des BAG im Jahre 2007. In den zwei Leitsätzen stellte das BAG folgendes fest:

  1. Gewerkschaftliche Streiks, die der Unterstützung eines in einem anderen räumlichen oder fachlichen Tarifgebiet geführten Hauptarbeitskampfs dienen, fallen unter die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Betätigungsfreiheit von Gewerkschaften.
  2. Die Zulässigkeit solcher Unterstützungsstreiks richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie sind rechtswidrig, wenn sie zur Unterstützung des Hauptarbeitskampfes offensichtlich ungeeignet, offensichtlich nicht erforderlich oder unangemessen sind.

 

Konsequenzen

Im zweiten Urteil ging es um einen Arbeitskampf von Redakteur*innen, zu deren Unterstützung auch die Druckerei zum Streik aufgerufen wurde. Interessant am Urteil von 2007 ist, dass er nicht nur die grundsätzliche rechtliche Zulässigkeit von Solidaritätsstreiks (wie sie auch schon 1985 festgestellt wurde) unterstreicht, sondern Solidaritätsstreiks grundsätzlich als zulässig betrachtet. Das ist von erheblicher Bedeutung, denn nun muss die Unzulässigkeit eines Solidaritätsstreiks erst festgestellt werden und nicht umgekehrt die Zulässigkeit eines Solidaritätsstreiks bewiesen werden. In einem gewissen Sinne findet also eine Art Beweislastumkehr statt.

Das bedeutet nun freilich nicht, dass jeder Solidaritätsstreiks quasi automatisch rechtmäßig wäre. Es muss eine z.B. eine wirtschaftliche Verbindung zwischen den beiden Arbeitsniederlegungen bestehen. Das BAG fasst dabei diese Verbindung sogar relativ weit: “Eine enge wirtschaftliche Verbindung kann außer durch konzernrechtliche Bindungen auch durch Produktions-, Dienstleistungs- oder Lieferbeziehungen entstehen.”

Es ist ferner zu beachten, dass zwischen den beiden Streiks eine Akzessorietät besteht, sodass regelmäßig von einem unrechtmäßigen Solidaritätsstreik auszugehen ist, wenn der Hauptarbeitskampf unzulässig ist. In allen Fällen eines Solidaritätsstreiks muss aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden; als Beispiel mag hier aufgeführt werden, dass der Schwerpunkt des Streiks stets beim Hauptarbeitskampf bleiben muss.

Zurück zum Ausgangsfall: Wie auch das BAG betont, fällt den Gewerkschaften ob der Entscheidung einen Solidaritätsstreik aufzurufen oder nicht, die Einschätzungsprärogative zu. In diesem Fall konnte die Rechtmäßigkeit des Solidaritätsstreiks der studentischen Beschäftigten eindeutig bejaht werden, da der TV-Stud III sich auf den Tarifvertrag der Länder der Berliner Hochschulen bezieht. So sollen sich die Entgeltanpassungen perspektivisch ab 1. Juli 2023 nach dem TV-L richten und von diesem übernommen werden. Das ist nur eines von vielen Beispielen für die tariflichen Verflechtungen zwischen den beiden Bereichen, sodass dementsprechend der Solidaritätsstreik vom Frühjahr rechtens war und dazu beitrug, die Kampfkraft beider Sektoren zusammenzuführen.

 

BAG, Urteil vom 05.03.1985 – 1 AZR 468/83

BAG, Urteil vom 19. Juni 2007 – 1 AZR 396/06

 

Hovhannes Hayrapetyan, Diplom-Jurist und Personalrat der studentischen Beschäftigten an der FU Berlin