Vier Thesen zur Belegschaftsarbeit des Betriebsrates

I Es gibt keine Belegschaft

In euren Betrieben arbeiten Menschen, die sich zum Teil kennen und zum Teil nicht. Sie üben oft ähnliche Tätigkeiten aus, manchmal aber auch ganz unterschiedliche. Das gemeinsame Arbeiten im selben Unternehmen und für denselben Arbeitgeber verbindet sie. Dadurch kann ein Gefühl von Solidarität entstehen, genauso aber auch von Konkurrenz.

Ihr habt im Betrieb einen Betriebsrat errichtet. Vielleicht existiert dieser auch schon recht lange. Das erfordert ein gewisses Maß an Organisation. In der Regel sind jedoch nur wenige Kolleg*innen aktiv daran beteiligt. Viele werden es begrüßen, dass es einen Betriebsrat gibt, aber viele werden sich auch nicht sehr intensiv damit beschäftigt haben. Auch wird es immer eine Gruppe von Personen geben, die dem Betriebsrat nichts Positives abgewinnen können.

Die Existenz eines Betriebsrats bedeutet nicht automatisch, dass ihr auch eine organisierte Belegschaft habt, die den Betriebsrat aktiv bei seiner Arbeit unterstützt. Die Wahl eines Betriebsrats ist zwar ein wichtiger Schritt, aber nur einer von vielen.

Wenn in eurem Betrieb eine Gewerkschaft mit vielen Mitgliedern aktiv ist, werden diese einen wesentlichen Beitrag zur Organisationsarbeit leisten, oft schon vor der ersten Wahl des Betriebsrats. Hier sollte sich der Betriebsrat den Bemühungen der Gewerkschaft anschließen. Wenn keine Gewerkschaft aktiv ist, wird die eigene Organisationsarbeit des Betriebsrats umso wichtiger.

Der Betriebsrat muss selbst dafür sorgen, dass seine Belegschaft organisiert ist: Alle Kolleg*innen sollten über den Betriebsrat und seine Arbeit informiert sein und die Rechte und Pflichten des Betriebsrats kennen. Vor allem sollten sie ihre eigenen Rechte im Rahmen der Betriebsverfassung und gegenüber dem Arbeitgeber kennen. Sie müssen sich selbst als handlungsfähige Personen im Betrieb sehen und nicht nur als Empfänger von Anweisungen. Sie sollten in der Lage sein, betriebliche Angelegenheiten kritisch und konstruktiv zu verfolgen und ihre Ziele und Interessen gegenüber dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber zu kommunizieren und einzufordern. Schließlich sollten sie sich miteinander verbunden fühlen und gemeinsam für ihre Interessen eintreten.

Alle Anstrengungen des Betriebsrats, seine Belegschaft in dieser Weise zu informieren, zu befähigen und zu vereinen, können als Belegschaftsarbeit bezeichnet werden.

II Es gibt keine Belegschaftsarbeit

Belegschaftsarbeit ist nicht von den anderen Aufgaben des Betriebsrates zu trennen. Belegschaftsarbeit ist immer Betriebsratsarbeit und der Betriebsrat muss seine Arbeit immer auch als Belegschaftsarbeit verstehen. Die gängige Redewendung „tue Gutes und rede darüber“ führt in die Irre. So hat man den Eindruck, der Betriebsrat solle zunächst gute und für die Belegschaft wichtige Vorhaben umsetzen und erst im zweiten Schritt den Kolleg*innen davon berichten. Wenn man seine Belegschaft aktivieren und befähigen will, dann reicht das nicht aus.

Stattdessen sollte der Betriebsrat seine Arbeit von der Basis aus planen. Jedes Vorhaben muss bei der Belegschaft beginnen. Die Kolleg*innen selbst sollen darüber entscheiden, welche Projekte der Betriebsrat überhaupt beginnt. Das Gremium und seine Mitglieder nutzten dann die Ressourcen des Betriebsrates wie Freistellung, Schulung, Sachmittel, Sachverständige und Zugang zu Informationen, um die Vorhaben der Belegschaft zu recherchieren, zu entwickeln und gegenüber dem Arbeitgeber zu vertreten. Viele konkrete Entscheidungen wird der Betriebsrat dabei selbst als Kollegialorgan fällen müssen. Bei den grundlegenden Fragen zur Ausrichtung des Projektes sollte er jedoch regelmäßig Rücksprache mit seiner Belegschaft halten. Die Kolleg*innen sind dadurch ständig beteiligt. Aus dem Vorhaben des Betriebsrates wird ein Vorhaben der gesamten Belegschaft

Oftmals präsentieren Betriebsräte der Belegschaft nur bereits abgeschlossene Ergebnisse. Das ist ein großer Fehler. So haben die Kolleg*innen keine Möglichkeit sich zu beteiligen. So macht der Betriebsrat seine eigene Belegschaft passiv und inaktiv. Wenn der Betriebsrat so agiert, kann er nicht erwarten, dass die Belegschaft sich von selbst einbringt und den Betriebsrat aktiv unterstützt.

III Es gibt nicht DIE Belegschaftsarbeit

Wie sieht eine gute und effektive Belegschaftsarbeit aus? Das muss jedes Gremium individuell entwickeln. Denn die Bedingungen variieren von Betrieb zu Betrieb: Die Belegschaftszusammensetzung, das Betriebsklima, die betriebliche Sozialordnung und -kultur, die Kommunikation im Betrieb, die Art der Tätigkeiten, die Arbeitsorganisation, das Arbeitszeitsystem, die räumlichen Gegebenheiten, die Ausstattung der Arbeitsplätze, die Affinität der Kolleg*innen zu digitalen Medien – all diese Faktoren und viele weitere bestimmen, wie der Betriebsrat am besten mit seinen Leuten in Kontakt treten kann. Methoden wie Betriebsversammlungen, Sprechstunden, das Schwarze Brett, Rundschreiben, Betriebsbegehungen, Einzelgespräche, Intranet-Präsenz, Social Media und Messenger-Dienste, sogar organisierte Freizeitveranstaltungen – all diese Ansätze funktionieren in einigen Betrieben ausgezeichnet, während sie in anderen überhaupt nicht wirksam sind.

Jeder Betriebsrat muss eine eigene Belegschaftsstrategie entwickeln. Dafür müssen die Bedingungen im Betrieb gut analysiert und auch verschiedene Methoden ausprobiert werden.

IV Jeder Betriebsrat hat Belegschaftsarbeit verdient

Die ersten Thesen klingen im ersten Moment so, als sollten Betriebsräte einfach noch mehr arbeiten. Anstatt betriebliche Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber zu führen – was bereits schon herausfordernd ist – soll er nun alle Fragen erst einmal mit der gesamten Belegschaft besprochen; Alle Kolleg*innen sollen aktiv in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Damit das gelingt, muss der Betriebsrat zuerst sicherstellen, dass möglichst viele Kolleg*innen verstehen, worum es geht, was durch betriebliche Mitbestimmung erreicht werden kann und was nicht. Zudem muss der Betriebsrat dafür auch noch die für seinen Betrieb passenden Methoden entwickeln. Betriebsräte haben jetzt schon viel zu tun, warum sollten sie sich nun auch noch solche Aufgaben ans Bein binden?

Belegschaftsarbeit ist im eigenen Interesse des Betriebsrates. Denn jeder Betriebsrat verdient eine interessierte, aktive und geeinte Belegschaft. Betriebsräte leisten eine erhebliche Arbeit. Die Betriebsratsmitglieder engagieren sich oft weit über ihre reguläre Arbeitszeit hinaus. Sie haben es verdient, dass die Belegschaft ihr Engagement wertschätzt, Interesse zeigt und den Betriebsrat in all seinen Bemühungen unterstützt:  indem sie zu den Betriebsversammlungen kommen, die Newsletter lesen, an Umfragen teilnehmen, interessierte Fragen an den Betriebsrat richten, Vorschläge einbringen und eigene Ideen vorstellen. Und wenn es nur ein ordentlicher Applaus am Ende der Betriebsversammlung oder ein Schulterklopfer bei der Betriebsbegehung ist. Der Betriebsrat braucht den Zuspruch seiner Leute.

Vor allem, wenn die Auseinandersetzungen mit der Arbeitgeberseite intensiver werden, braucht der Betriebsrat den Rückhalt seiner Kolleg*innen. Der Betriebsrat hat die zwar Mitbestimmungsrechte aus dem Betriebsverfassungsrecht auf seiner Seite. Das reicht aber oft nicht aus. Der Arbeitgeber muss spüren, dass er nicht nur den wenigen Betriebsratsmitglieder, sondern der gesamten Belegschaft gegenübersteht. Nur wenn die Belegschaft geschlossen hinter dem Betriebsrat steht, können in strittigen Fragen erfolgreiche Einigungen erzielt werden. Mit einer starken Belegschaft im Rücken kann der Betriebsrat auch Themen ansprechen, bei denen möglicherweise keine direkten Mitbestimmungsrechte bestehen.

Der Betriebsrat hat es verdient mit seiner Arbeit erfolgreich zu sein. Schließlich geht es darum den Betrieb im Interesse der Belegschaft zu verändern und zu verbessern. Am Verhandlungstisch wird der Betriebsrat sitzen, die Verantwortung dafür trägt aber die gesamte Belegschaft, die ihren Betriebsrat dabei so gut wie möglich unterstützen muss.

Belegschaftsarbeit ist daher nicht nur die Aufgabe des Betriebsrats, um die Belegschaft zu aktivieren, sondern auch die Arbeit, die die Belegschaft selbst leistet, um ihren Betriebsrat zu unterstützen. Für betriebspolitische Erfolge tragen beide Seiten Verantwortung.