Wie können Präsenzseminare unter Corona-Bedingungen stattfinden? – Das R+A Hygienekonzept

Online-Seminare haben viele Vorteile und eignen sich durchaus als Wissensvermittlung für die Betriebsratsarbeit. Aber sie können das Lernerlebnis von Präsenzseminaren, vor allem das gemeinsame Anwenden erlernter Methoden, nicht ersetzen. Präsenzveranstaltungen können auch in der Corona-Zeit stattfinden, es muss jedoch eine Reihe von Dingen berücksichtigt werden. Beim persönlichen Zusammenkommen von Menschen ist immer Achtsamkeit erforderlich. Das wird sicherlich noch eine Weile so sein.

Wie organisieren wir als Recht und Arbeit während der Corona-Zeit unsere Präsenzseminare? Wir stellen Euch hier unser Hygienekonzept vor. Auch für die Organisation des Infektionsschutzes in Eurem Betrieb werdet Ihr vielleicht ein paar Ideen finden.

Einhaltung der Eindämmungsverordnungen

Die meisten unserer Seminare finden in Berlin statt, weswegen wir vor jeder Schulung die aktuelle Version der Berliner Eindämmungsverordnung[1] prüfen und genau beachten. Hier ist unter anderem vorgeschrieben, dass bei allen Veranstaltungen ein individuelles Schutz- und Hygienekonzept erstellt werden muss. Sowohl die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts[2] als auch die der Arbeitsschutzaufsichten sollen berücksichtigt werden. Auch Abstandsregeln und das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen sind geregelt. Die Maximalanzahl von Teilnehmer*innen bei beruflichen Veranstaltungen in geschlossenen Räumen ist derzeit auf 20 festgelegt. Diese Gruppengröße wird bei unseren Seminaren immer unterschritten.

Die allermeisten Vorgaben betreffen das Verhalten im privaten und öffentlichen Raum. Für den Infektionsschutz bei beruflichen Veranstaltungen sind vergleichsweise wenige Regelungen getroffen. Umso wichtiger ist es, diese Vorgaben genau einzuhalten.

Die Verordnungen der Bundesländer unterscheiden sich voneinander. Prüft also zur Sicherheit auch die Verordnung Eures eigenen Bundeslandes.

Abstandsgebot

Das Abstandsgebot von mindestens 1,5 m gilt auch für unsere Seminare. Wir halten es ein, indem wir bei Tagungshotels größere Räume als sonst buchen, dabei orientieren wir uns an der Mindestfläche von 10 qm/Person aus der Corona-Arbeitsschutzpauschale – unsere Tagungspauschale hat sich trotzdem nicht erhöht. Bei Inhouse-Seminaren sprechen wir die Raumfrage mit dem jeweiligen Betriebsrat vorher ab. Auch die Sitzordnung und die Anordnung der Tische müssen entsprechend angepasst werden. Dadurch sind während des Seminars alle etwas weiter voneinander entfernt, was aber dem Erfolg des Seminars unserer Erfahrung nach nicht schadet.

Mund-Nasen-Bedeckung

In den Räumen der Veranstaltungsorte gilt überall eine Maskenpflicht, dies ist auch in der Berliner Eindämmungsverordnung so festgeschrieben. Am Sitzplatz, während des Seminars, muss jedoch keine Maske getragen werden. Wir haben uns aber seid November mit allen Teinehmer*innengruppen darauf geeinigt, dass alle – auch die Referent*innen immer eine Maske tragen. Sollten wir aber Gruppenübungen im Seminarraum bzw. Partner*innenarbeit machen, tragen alle Teilnehmer*innen in jedem Fall ihren Mund-Nasen-Schutz. Wir achten darauf, dass diese Übungen nicht zu lange dauern, so dass auch die Masken nicht zu lange getragen werden müssen. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) empfiehlt Tragezeitbegrenzungen und Erholungspausen entsprechend der DGUV-Regel 112-190 wie bei filtrierenden Halbmasken. Demnach sollten die Masken nur maximal 2 Stunden getragen werden, mit einer Erholungsdauer von 30 Minuten.

Lüften

Seitdem bekannt ist, dass sich das Coronavirus auch über so genannte Aerosole verbreiten kann, hat Lüften eine große Bedeutung bei allen Treffen in Innenräumen und damit auch bei unseren Seminaren. Als Gradmesser für die Aerosolbelastung dient die Co2-Sättigung im Raum. Wir benutzen bei allen Seminaren ein Co2-Messgerät, um durch permanente Prüfung sicherstellen zu können, dass wir zu jeder Zeit unter dem Richtwert der Sars-Cov-2-Arbeitsschutzregel[3] von 1.000 ppm bleiben. Zu Beginn des Seminars nutzen wir außerdem die Lüftungs-App der DGUV[4], um zusammen mit den Teilnehmer*innen einen Lüftungsplan für das Seminar zu erstellen. Hier kommt es auf die Größe des Raumes, die Anzahl der Teilnehmer*innen und die Möglichkeit der Frischluftzufuhr an. Bis jetzt konnten wir damit immer unter 800 ppm und bei größeren Räumen sogar deutlich darunterbleiben.

Regelmäßiges Lüften von Arbeitsräumen war auch vor Corona schon wichtiger Teil des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Die Technische Regel ASR A3.6 “Lüftung” empfiehlt, Büroräume nach 60 min und Konferenzräume nach 20 Minuten zu lüften. Die Luftqualität sollte grundsätzlich der Außenluft entsprechen. In weniger stickigen und feuchten Räumen lässt es sich wesentlich besser arbeiten.[5]

Häufiges Lüften bedeutet nicht unbedingt, dass es in den Seminarräumen sofort sehr kalt werden muss. Da kalte Luft wesentlich schneller zirkuliert als warme Luft, reichen oft kurze Lüftungsintervalle schon aus. Für den Sommer empfiehlt die ASR A3.6 Stoßlüften von 10 Minuten, im Winter reichen jedoch schon 3 Minuten aus.

Das Hermann-Rietschel-Institut der TU Berlin führt einen lesenswerten Blog speziell zur Virenbelastung über Raumluft und die möglichen Gegenmaßnahmen.[6]

Symptome und Anwesenheit

Wenn angemeldete Teilnehmer*innen einschlägige Symptome wie Husten, Fieber, Geruchs- oder Geschmacksstörungen haben sollten, bitten wir sie, nicht zum Seminar zu erscheinen. Alle Teilnehmer*innen halten sich sehr verantwortungsvoll an diese Regeln, weswegen wir noch nie jemanden nach Hause schicken mussten. Wer aufgrund von Krankheit oder Corona-Symptomen nicht zum Seminar oder zu einzelnen Tagen kommen konnte, erhält von uns die Möglichkeit, diese Tage beim nächsten Termin ohne zusätzliche Seminarkosten nachzuholen (nur die Tagungspauschale muss der AG noch einmal bezahlen). Es ist zwar sehr schade, wenn jemand Seminarzeiten verpasst, aber so können wir zumindest sicherstellen, dass der- oder diejenige die Inhalte ohne große Probleme nachholen kann.

Auch wenn unsere Referent*innen Symptome haben sollten, werden sie nicht zum Seminar erscheinen, um niemanden zu gefährden. Wir sprechen dann kurzfristig mit den Teilnehmer*innen und finden entweder gemeinsam einen neuen Termin oder entscheiden zusammen, den Tag als Online-Seminar zu gestalten.

Sobald Antigen-Schnelltests zugelassen und in hoher Qualität verfügbar sind, werden wir allen Teilnehmer*innen zusätzliche solche Tests zur freiwilligen, zusätzlichen Prophylaxe zur Verfügung stellen.

Corona-Fälle und Nachverfolgung

Bisher hatten wir noch keine Corona-Fälle im Zusammenhang mit unseren Seminaren. Sollte es jedoch einmal dazu kommen, werden wir mit den zuständigen Gesundheitsämtern zusammenarbeiten und die Kontaktinformationen, die in unseren Anwesenheitslisten eingetragen sind, den Ämtern (ausschließlich) zum Zwecke der Kontaktnachverfolgung zur Verfügung stellen. Auch das ist in der Eindämmungsverordnung so geregelt.

Online-Seminare

Bei Inhouse-Seminaren mit ausschließlich Teilnehmer*innen eines Gremiums können wir auch von vornherein eine Online-Variante vereinbaren.  Wir verwenden dafür verschiedene Plattformen. Die Erfahrung zeigt, dass ein voller Seminartag mit acht Stunden online nicht zu empfehlen ist. Anders als bei Präsenzseminaren kann man sich bei Videokonferenzen nicht über einen so langen Zeitraum konzentrieren und fühlt sich danach oft übermäßig belastet. Hierzu gibt es bereits die ersten Studien[7]. Wir planen Online-Seminare deswegen in mehreren Blöcken von insgesamt maximal einem halben Seminartag – mit kurzen Bildschirmpausen nach maximal 45 Minuten. Den genauen Ablauf besprechen wir aber im Voraus immer gemeinsam mit dem Gremium.

Auch und gerade in der Corona-Zeit muss Eure Betriebsratsarbeit weitergehen können, und dazu gehören selbstverständlich auch Schulungen. Wenn man sich gemeinsam konsequent an die rechtlichen Vorgaben und wissenschaftlichen Empfehlungen hält, sind auch Präsenzschulungen in sicherer Form weiterhin möglich. Wir nehmen den Infektionsschutz sehr ernst und aktualisieren dieses Hygienekonzept ständig. Hinweise und Wünsche von Euch nehmen wir gerne auf.

[1] https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/

[2] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/nCoV_node.html;jsessionid=6AD6EC64D2A0C64F1298E70F1D95E613.internet061

[3] https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/AR-CoV-2/AR-CoV-2.html

[4] https://www.dguv.de/de/mediencenter/pm/pressearchiv/2020/quartal_1/details_1_377742.jsp

[5] https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/ASR/ASR-A3-6.html

[6] https://blogs.tu-berlin.de/hri_sars-cov-2/

[7] https://www.ibe-ludwigshafen.de/zoom_fatigue/

Mitbestimmung bei der Personalbemessung?!

Verschiedene Studien belegen eine deutliche Arbeitsintensivierung in den vergangenen Jahren für viele Beschäftigte in fast allen Branchen.[1] Bei gleichbleibendem oder sinkendem Personalstand werden immer mehr und komplexere Aufgaben verlangt, wobei dieselbe Arbeitsleistung meist in kürzerer Zeit erbracht werden muss. Eine zu hohe Arbeitsintensität stellt nachweislich eine Gefährdung für die körperliche und psychische Gesundheit dar.[2] In den meisten Fällen ist die Antwort eindeutig: Es muss mehr Personal beschäftigt werden.

Der Betriebsrat hat jedoch kein zwingendes Mitbestimmungsrecht bei der Personalbemessung – also bei der Frage, wie viele KollegInnen zu welchen Zeiten im Einsatz sind. Dies soll unter die unternehmerische Freiheit fallen und allein der Entscheidung des Managements überlassen sein. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Betriebsrat sich dieses Themas nicht annehmen kann. Ohne formale Mitbestimmungsrechte hat er allerdings nicht die Möglichkeit, auf eine Klärung in der Einigungsstelle abzuzielen. Er muss deswegen anders und kreativer vorgehen und noch stärker als bei anderen Fragen die Belegschaft aktivieren und beteiligen.

Informationen beschaffen und verbreiten

Die vorrangigste Aufgabe besteht meist darin, aufzudecken, dass überhaupt eine unzureichende Personalbemessung bzw. eine unakzeptable Aufgabenbemessung vorliegt. Eine Verschlechterung der Personalbemessung ist nichts, was die Arbeitgeberin öffentlich auf einer Personalversammlung ankündigen wird. Vielmehr vollzieht sich diese meist schleichend und verdeckt: So werden die Stellen von ausscheidenden KollegInnen nicht neu besetzt, Arbeitszeitkonten und Krankenstände steigen an, ohne dass weitere Kräfte eingestellt werden. Urlaubsstau und das kontinuierliche Übertragen neuer Aufgaben auf die bestehende Belegschaft sind weitere Indikatoren. Der Betriebsrat muss die vor sich gehende Intensivierung der Arbeit erkennen, sie für alle sichtbar machen und im besten Fall eine zukünftige Intensivierung bereits frühzeitig vorhersehen.

Er kann sich hierbei auf seine Unterrichtungsrechte aus § 92 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) beziehen. Die Arbeitgeberin ist verpflichtet, den Betriebsrat rechtzeitig und unter Vorlage entsprechender Unterlagen über alle Fragen der Personalplanung, insbesondere der Personalbemessung zu unterrichten. Der Betriebsrat soll in die Lage versetzt werden, den Planungsstand der Arbeitgeberin – noch bevor konkrete personelle Maßnahmen vorgenommen wurden – jederzeit nachvollziehen und kritisch kommentieren zu können.

Die erworbenen Informationen sollte der Betriebsrat auswerten, prüfen, umgehend in die Belegschaft kommunizieren und auf Betriebsversammlungen und bei anderen Gelegenheiten mit den KollegInnen diskutieren. Sofern es sich nicht um personenbezogene Informationen handelt, steht dem keine Geheimhaltungspflicht entgegen. Der Betriebsrat kann dadurch „Agenda-Setting“ betreiben und erreichen, dass im Betrieb kritisch über die Personalplanung gesprochen wird.

Arbeitsintensivierung sichtbar machen

Oftmals sind die Konsequenzen der Personalplanung weder der Arbeitgeberin noch den KollegInnen selbst wirklich bewusst. Meist machen die KollegInnen die Arbeitsverdichtung selbst unsichtbar, indem sie es irgendwie trotzdem schaffen, das erhöhte Pensum abzuleisten, und die daraus folgenden Konsequenzen für Körper und Psyche mit sich selbst ausmachen. Die Arbeitgeberin achtet meist nur darauf, ob die betrieblichen Ziele erreicht, die Regale gefüllt, die KlientInnen betreut, die Anrufe angenommen oder die Waren ausgeliefert wurden. Wenn die KollegInnen es trotz gesteigerter Intensität schaffen, die gestellten Anforderungen zu erfüllen, wird die Arbeitgeberin niemals Handlungsbedarf sehen – „es läuft doch!“

Schlimmer noch: Moderne Steuerungsmethoden führen dazu, dass ArbeitnehmerInnen sich selbst für den Erfolg unternehmerischer Planung verantwortlich fühlen. Unzureichende Personalplanung und Unterbesetzung erscheinen dann als persönliches Versagen.

Das darf der Betriebsrat nicht zulassen. Er muss deutlich machen, dass die Verantwortung bei der Arbeitgeberin liegt, denn sie disponiert das Personal und die Aufgaben. Der Betriebsrat kann gemeinsam mit den KollegInnen in kollektiven Aktionen versuchen, die Konsequenzen der Arbeitsverdichtung wieder sichtbar zu machen: Gemeinsame Überlastungsanzeigen müssen geschrieben, Überstunden verweigert werden und nicht zu schaffende Arbeit muss liegen bleiben! KundInnen werden dann nicht bedient, Telefonate und E-Mails nicht beantwortet. Bei tatsächlicher Arbeitsunfähigkeit müssen die KollegInnen sich krankschreiben lassen, anstatt angeschlagen zur Arbeit zu kommen. Der Arbeitgeberin muss aufgezeigt werden, welche Nachteile sich auch für sie aus einer zu dünnen Personaldecke ergeben.

Arbeits- und Gesundheitsschutz

Unterbesetzung und steigende Arbeitsintensität stellen ernsthafte Belastungsfaktoren dar, die krank machen können. Der Betriebsrat sollte die Frage der Personalbemessung deswegen auch als Frage des Arbeits- und Gesundheitsschutzes behandeln.

Positiv diskutiert wurde in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des Arbeitsgerichts in Kiel.[3] Der Betriebsrat hatte im Rahmen einer Einigungsstelle eine Betriebsvereinbarung durchsetzen können, die in verschiedenen Schichten Mindestbesetzungen vorsah. Die Arbeitgeberin klagte gegen diesen Einigungsstellenspruch. Das Arbeitsgericht entschied, dass eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit durch Mindestbesetzungen möglich sei, wenn dadurch das Recht der Beschäftigten auf körperliche und seelische Unversehrtheit geschützt würde. Ein beeindruckender Erfolg für den Betriebsrat.

Bietet sich damit eine Art Abkürzung, um über die Mitbestimmung beim Arbeits- und Gesundheitsschutz auch bei der Personalplanung mitzubestimmen? Vielleicht, aber leider nur unter bestimmten Voraussetzungen: Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat in der zweiten Instanz diese Abwägung grundgesetzlicher Rechte zwar nicht bemängelt, dafür aber dem gesamten Verfahren erhebliche Beschränkungen auferlegt.[4] Damit eine gegen den Willen der Arbeitgeberin Mindestbesetzungsregelung in Betracht kommen kann, müssen tatsächliche Gefährdungen im Rahmen einer ordentlichen Gefährdungsbeurteilung festgestellt worden sein, und auch dann kämen Mindestbesetzungen nur unter Umständen in Betracht.

Über die Frage des Arbeits- und Gesundheitsschutzes Einfluss auf die Personalbemessung zu nehmen, ist damit zwar möglich[5], aber allein die Durchsetzung einer ordentlichen Gefährdungsbeurteilung kann für sich bereits einen langwierigen Prozess darstellen.

Will der Betriebsrat Einfluss auf die Personalplanung nehmen, muss er mit starkem Widerstand durch die Arbeitgeberin rechnen und einen langen Atem haben. Dennoch sollte alles versucht werden, die Situation für die KollegInnen zu verbessern. Wenn der Betriebsrat es geschafft hat, die Probleme bei der Personal- und Aufgabenbemessung im Betrieb aufzudecken, kann er zusammen mit der Belegschaft der Arbeitgeberin die Dringlichkeit des Themas deutlich machen. Während die KollegInnen in kleinen oder großen kollektiven Aktionen die Konsequenzen der Unterbesetzung deutlich machen, strebt der Betriebsrat über sein Mitbestimmungsrecht beim Arbeits- und Gesundheitsschutz Abhilfe in der Einigungsstelle an. So ziehen alle an einem Strang und erhöhen den Druck auf die Arbeitgeberin gewaltig. Wird mit solcher Zielstrebigkeit und Vehemenz vorgegangen, dann wird der Betriebsrat Erfolge verzeichnen können, unabhängig davon, ob formale Mitbestimmungsrechte bestehen oder nicht.

[1] Vgl. z.B. Ahlers, E./Erol, S. (2019):  Arbeitsverdichtung in den Betrieben? Empirische Befunde aus der WSI-Betriebsrätebefragung. Policy Brief WSI, Nr. 33.

[2] Vgl. z.B. Siegrist, J. (2015): Arbeitswelt und stressbedingte Erkrankungen. Forschungsevidenz und präventive Maßnahmen, München.

[3] ArbG Kiel 26.7.2017 – 7 BV 67 c/16, NZA-RR 2017, 539. Vgl. hierzu auch Schoof, Ch./Gast, A. (2018): Personalbemessung mitbestimmt regeln, in: Gute Arbeit, Nr. 4.

[4] LAG Schleswig-Holstein, 25.04.2018 – 6 TaBV 21/17. Die Beschwerde beim BAG wurde zugelassen.

[5]Vgl. Kuster (2019): Was tun bei Unterbesetzung? Arbeitsrecht im Betrieb Nr. 10.

Gesundheitsschutz in der Corona-Pandemie – nur mit Betriebsrat!

Dieser Artikel erscheint gleichzeitig in der Ausgabe 05/2020 der Zeitschrift express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

COVID-19 gefährdet Beschäftigte

Der Arbeitsplatz ist ein zentraler Ort für die Ansteckung und Verbreitung von Krankheiten wie COVID-19. Außerhalb des Homeoffices teilen sich ArbeiterInnen unweigerlich Räume und Arbeitsmittel mit anderen KollegInnen. Viele kommen außerdem täglich in Kontakt mit KundInnen und KlientInnen. Eine US-amerikanische Studie kam im Februar dieses Jahres zu dem Ergebnis, dass fast 30 % aller Beschäftigten mindestens einmal pro Monat einer Infektion am Arbeitsplatz ausgesetzt sind; 10 % sogar einmal pro Woche. Zu den besonders gefährdeten Branchen gehören Polizei, Feuerwehr und Justizvollzug, aber auch BüroarbeiterInnen, Kuriere, ErzieherInnen, LehrerInnen, SozialarbeiterInnen und sogar das Baugewerbe.[1] Beschäftigte im Gesundheitsbereich sind speziell gefährdet. Doch gibt es dort meist auch bessere Hygienemaßnahmen. Viele anderen Branchen haben sich dagegen vor der Corona-Pandemie kaum mit Infektionsprophylaxe beschäftigt. Präsentismus – also das Phänomen, dass Beschäftigte trotz Symptomen krank zur Arbeit gehen – verstärkt die Problematik. Eine schriftliche Frage der Linksfraktion an die Bundesregierung ergab, dass über zwei Drittel aller ArbeitnehmerInnen mindestens einmal im Jahr krank zur Arbeit gehen. Präsentismus ist demnach gerade in sogenannten systemrelevanten Arbeitsbereichen besonders stark verbreitet.[2]

Spätestens mit der Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen besteht also dringender Handlungsbedarf. Beschäftigte in allen Bereichen der Wirtschaft müssen vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 am Arbeitsplatz geschützt werden. Die Infektion stellt dabei eine nicht nur körperliche Gefährdung dar. In Zeiten einer Pandemie unter risikobehafteten Bedingungen arbeiten zu müssen, ist auch eine nicht zu unterschätzende psychische Belastung. Damit zusammenhängende Sorgen und Stress können zu Depressionen und Schlafstörungen führen. Eine Studie in der chinesischen Stadt Chongqing kam zu dem Ergebnis, dass 10 % der an den Arbeitsplatz zurückkehrenden ArbeiterInnen Symptome hatten, die einer Posttraumatischen Belastungsstörung entsprachen.[3]

 

Gesundheitsschutz wird den Betrieben überlassen

Die politische Reaktion ist enttäuschend. Erst Mitte April, also fast drei Monate nach dem ersten Infektionsfall in Deutschland – der auch am Arbeitsplatz passierte –, veröffentlichte das Bundesarbeitsministerium einheitliche Arbeitsschutzstandards.[4] Die Standards wurden mittlerweile in Handlungsempfehlungen der verschiedenen Berufsgenossenschaften übersetzt. Inhaltlich sind diese Empfehlungen zu vertreten, sie sind jedoch nicht ausreichend. Außerdem handelt es sich eben lediglich um Empfehlungen. Im Gegensatz zum öffentlichen Raum, der durch die Eindämmungsverordnungen der Bundesländer stark reglementiert wurde, war der private Bereich des Betriebes während der gesamten Pandemie kaum neuen Regelungen unterworfen. In der Corona-Krise setzt sich die neoliberale Ausrichtung des deutschen Arbeitsschutzsystems weiter fort. Die gesundheitsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes wird selbst angesichts einer akuten Gefährdung durch eine Pandemie fast vollständig dem Regime der ArbeitgeberInnen überlassen.

Der Arbeitsminister verwies in seiner Vorstellung mehrfach auf die Kontroll- und Beratungsfunktion der Arbeitsschutzbehörden. Aber auch von dieser Seite ist leider keine nachhaltige Unterstützung zu erwarten. Die zuständigen Behörden wurden in den letzten 15 Jahren systematisch kaputtgespart. Die Bundesregierung gab auf eine Anfrage der LINKE-Abgeordneten Jutta Krellmann zu, dass sich der deutsche Arbeitsschutz in einer kritischen Gesamtsituation befindet. Mittlerweile werden Betriebe in Deutschland nur noch durchschnittlich alle 25 Jahre (!) besichtigt. Die meisten Bundesländer haben sich hierbei auf rein reaktives Arbeiten beschränkt und lassen Betriebe nur bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten besuchen.[5]

Das Ergebnis: teilweise dramatische Bedingungen in den Betrieben. Der von der express-Redaktion organisierte Blog corona@work dokumentiert einige der eklatantesten Fälle. Ohne diese Arbeit würde das Thema medial kaum Beachtung finden.

Die Schlussfolgerung ist klar: Wenn der Staat die wichtige Aufgabe des Arbeitsschutzes nicht angemessen ausfüllt, dann ist es die Pflicht der Betriebsräte und Interessenvertretungen, in diese Bresche zu springen und die erforderlichen Maßnahmen in ihren Betrieben durchzusetzen. Arbeits- und Gesundheitsschutz gehört zu den zentralen Aufgabenfeldern von Betriebs- und Personalräten. Dennoch ergab eine nicht repräsentative Umfrage unter Berliner Betriebsräten, dass nur die Hälfte der Gremien den betrieblichen Corona-Hygieneplan mitbestimmt hatte.

 

Mitbestimmungsrecht so schnell wie möglich durchsetzen

87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG gibt dem Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht im Rahmen aller gesetzlichen Vorschriften des Gesundheitsschutzes. Die einschlägige Rahmenvorschrift ist hierbei § 3 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, alle erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen. Hierbei spielt das Tempo eine entscheidende Rolle. Es braucht jetzt entsprechende Maßnahmen der Infektionsprophylaxe – im besten Falle noch vor der Wiedereröffnung der Betriebe. Der Betriebsrat sollte sich deswegen nicht damit abfinden, dass vor dem Maßnahmenplan erst einmal die Gefährdung im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG festgestellt werden soll. Arbeitnehmerorientierte Rechtsanwälte argumentieren zu Recht, dass im Falle von COVID-19 die Gefährdung bereits feststeht. Die Infektionsgefährdung und das hohe gesundheitliche Risiko sind allgemein anerkannt und müssen nicht erst festgestellt werden. Der Betriebsrat kann also direkt seine Maßnahmen im Rahmen einer Einigungsstelle durchsetzen lassen und muss keine Umwege akzeptieren. In Arbeitsbereichen, in denen auch mit strengen Maßnahmen kein wirksamer Infektionsschutz möglich ist, muss die Maßnahme zwingend darin bestehen, dass der Betrieb oder Betriebsteil nicht geöffnet werden kann und zumindest für Risikogruppen eine bezahlte Freistellung ausgehandelt wird.

Die oben zitierte Studie aus Chongqing ergab auch, dass ArbeiterInnen weniger unter psychischen Belastungen leiden, wenn sie die Hygienemaßnahmen am Arbeitsplatz als ausreichend und angemessen wahrnehmen. Die Belastungen steigen jedoch, wenn die Maßnahmen als mangelhaft angesehen werden. Es ist also nicht nur politisch, sondern sogar medizinisch von großer Bedeutung, dass der Betriebsrat mit der Belegschaft in Kontakt tritt und gemeinsam bespricht, welche konkreten Maßnahmen am Arbeitsplatz umgesetzt werden sollen. Nur mitbestimmte Hygienepläne können beides: einen wirksamen Infektionsschutz sicherstellen und den Kolleg*innen die nötige Sicherheit geben, ohne Bedenken an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren.

[1] Backer, Marissa; Peckham, Trevor; u. a.: Estimating the burden of United States workers exposed to infection or disease: A key factor in containing risk of COVID-19 infection. In: PLoS ONE 15(4): 2020.

[2] Vgl. Schriftliche Fragen an die Bundesregierung März 2020, Arbeitsnummer 196 bis 198.

[3] Tan Wanqiu, Hao Fengyi, u. a.; Is returning to work during the COVID-19 pandemic stressful? A study on

immediate mental health status and psychoneuroimmunity prevention measures of Chinese workforce. In: Brain, Behavior, and Immunity, April 2020.

[4] Der „SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandard“ kann auf der Webseite des Arbeitsministeriums www.bmas.de heruntergeladen werden.

[5] Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage: „Entwicklung der Arbeitsschutzkontrollen in Deutschland“ BT-Dr 17409

Hitze im Betrieb – was kann der Betriebsrat tun?

Metereolog*innen gehen davon aus, dass auch der Sommer 2019 außergewöhnlich heiß werden könnte. Hohe Temperaturen sind am Arbeitsplatz ein Problem und können zu erheblichen Belastungen und sogar gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen.

Leider versäumen Arbeitgeber*innen es oft vorzubeugen und einzelne Arbeitnehmer*innen haben kaum Möglichkeiten Abhilfe zu schaffen. Was kann der Betriebsrat tun, um die heißen Sommerwochen für alle Kolleg*innen im Betrieb erträglich zu machen?

Die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) verpflichtet den Arbeitgeber in § 3a die Arbeitsstätten so einzurichten, dass eine Gefährdung für die Gesundheit der Beschäftigten möglichst vermieden wird. Im Anhang der Verordnung wird in Ziffer 3.5 konkretisiert, dass sich dies auch auf die Raumtemperatur bezieht und nicht nur die Arbeits-, sondern auch die Pausenräume betrifft.

Aber was sind gesundheitlich zuträgliche Raumtemperaturen? Die gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse dazu finden sich in der Arbeitsstättenregel Nummer 3.5 (ASR 3.5). Danach sollte die Lufttemperatur 26 °C nicht überschreiten. Bei höheren Außentemperaturen sind spätestens ab 30 °C kühlende Maßnahmen anzuwenden. Bei Temperaturen über 35 °C sollte in den betroffenen Räumen nicht mehr gearbeitet werden.

Die ASR 3.5 liefert damit wichtige Anhaltspunkte, ist aber keine zwingende Vorschrift. Wichtig ist hier vor allem, dass sich der Begriff „Raumklima“ nicht nur auf die messbaren Temperaturen, sondern auch auf andere Faktoren wie Luftfeuchtigkeit, Luftgeschwindigkeit und Wärmestrahlung bezieht. Ziel muss es sein, für die Beschäftigten einen Zustand der Behaglichkeit zu erreichen, also eine Klimasituation, die als optimal empfunden wird. Jeder Betrieb ist anders: Architektur, Gestaltung und Nutzung der Räume, Maschinen und technische Geräte, die konkrete Tätigkeit, Anzahl der Beschäftigten und Kund*innen und die Arbeitskleidung.[1] Ein erster Schritt muss deswegen sein, die Kolleg*innen dazu zu befragen, wie sie die Klimafaktoren im Betrieb tatsächlich wahrnehmen. Auch wenn die gemessenen Temperaturen den Vorgaben entsprechen, kann es trotzdem zu subjektiven Unbehaglichkeitsgefühlen der Beschäftigten kommen. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) stellt hierzu mehrere hilfreiche Handreichungen zur Verfügung.

Raumklima ist ein recht komplexes Thema. Deswegen ist es auch Teil der vom Arbeitgeber nach § 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) durchzuführenden Gefährdungsbeurteilung (konkretisiert in ASR V3). Der Betriebsrat hat bei der Gefährdungsbeurteilung grundsätzlich mitzubestimmen (vgl. Fitting: BetrVG § 87 Rn. 299). Er sollte durchsetzen, dass alle Klimafaktoren in angemessener Weise in die Gefährdungsbeurteilung mit einbezogen werden und die Wirksamkeitsprüfung auch anhand der subjektiven Wahrnehmung der Kolleg*innen vorgenommen wird. Die (nicht verbindliche) Information der gesetzlichen Unfallversicherung zum Thema Raumklima (DGVU 215-510) gibt in exemplarischen Fragebögen dafür gute Hinweise.

Die Gefährdungsbeurteilung kann ergeben, dass grundlegende, bauliche Veränderungen der Arbeitsstätte erforderlich sind, um das Raumklima zu verbessern. Vielleicht sind Sonnensegel oder auch weitergehende Raumlufttechnik (RLT) einzubauen. Für die heißen Monate können in einer gesonderten Betriebsvereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber aber auch besondere technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen vereinbart werden. Die Temperaturvorgaben der ASR 3.5 können als Anhaltspunkt genommen werden. Sie können für jeden Betrieb aber auch anders definiert werden. Auch sollte geregelt werden, wann und wie die Temperaturen gemessen werden. Konkrete Maßnahmen unterscheiden sich von Betrieb zu Betrieb, denn jede Betriebsstätte ist anders. Beispiele sind:

  • das Aufstellen von Ventilatoren,
  • Anwenden von Nachtauskühlung,
  • Vermeiden von direkter Sonneneinstrahlung,
  • das Ausschalten bestimmter wärmetreibender Geräte,
  • Bereitstellen von Getränken zum freien Verbrauch,
  • Lockern der Kleiderordnung,
  • mithilfe von Klimasplitgeräten in den Pausenräumen Kühlzonen errichten und vermehrte Abkühlpausen ermöglichen oder
  • Anpassen der Arbeits- und Pausenzeiten – Arbeitszeitverlagerung, sowie der Einsatz von mehr Personal.[2]

Der Betriebsrat kann und sollte im Rahmen seines Initiativrechts beim Thema Hitze bereits aktiv werden, wenn das Thermometer nicht schon 26 °C überschritten hat. Ein Mitbestimmungsrecht besteht bereits bevor feststeht, ob der Sommer wirklich so heiß wird wie vermutet. [3] Wenn es erst mal unerträglich heiß ist, ist es meist zu spät.

Hitze am Arbeitsplatz betrifft die allermeisten Tätigkeiten und macht die Bedeutung eines nachhaltigen Arbeits- und Gesundheitsschutzes für jede*n physische erlebbar. Es ist deswegen ein guter Startpunkt für Belegschaft und Betriebsrat, um sich intensiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen und dafür zu kämpfen die eigenen Arbeitsbedingungen in allen Aspekten gesundheitsgerecht zu gestalten.

Unser Grundlagenseminar „Einführung in den Arbeits- und Gesundheitsschutz“ bespricht die Mitbestimmung beim Arbeits- und Gesundheitsschutz, verschafft einen Überblick, nicht nur über das Thema Raumklima und hilft bei der Wahl der nächsten Schritte. Ebenso wie die Seminare zum Betriebsverfassungsgesetz zählt dieses Seminar zu den Grundlagen für die Betriebsratsarbeit und ist prinzipiell für jedes BR-Mitglied erforderlich.

[1] Es gibt sogar Studien wonach eine Wechselwirkung zwischen dem thermischen Raumklima und der „Arbeitsatmosphäre“, also der psychischen Belastung besteht.

[2] Für die letzten beiden Maßnahmen finden sich konkrete Beispiele in einer von der Hans-Böckler-Stifung herausgegebenen Sammlung vom Betriebsvereinbarungen. 

[3] vgl. Einen Artikel des Bund-Verlages zu diesem Thema.