Ein neues Gesetz zur Stärkung von Betriebsräten

Kurz vor Weihnachten hat das Bundesarbeitsministerium den Referentenentwurf für ein so genanntes Betriebsrätestärkungsgesetz vorgelegt. Der Entwurf befindet sich gerade in der Ressortabstimmung. Sicherlich werden aus dem Justiz-, dem Innen- und vor allem dem Wirtschaftsministerium noch Änderungswünsche kommen. Die Initiative geht zurück auf eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag, die im Kern Vereinfachungen im Wahlverfahren und die Ausweitung von Beratungs- und Mitbestimmungsrechten in der beruflichen Bildung vorsieht. Die überschießenden Teile der SPD-Initiative können von der CDU/CSU ohne große inhaltliche Begründungen, also rein formal, zurückgewiesen werden.

Welche Änderungen sieht der Referentenentwurf vor und was ist von ihnen zu halten?

Erleichterung von Betriebsratswahlen

Betriebsratswahlen und Betriebsratsgründungen sollen erleichtert werden: Das vereinfachte Wahlverfahren wäre nun in Betrieben mit bis zu 100 Arbeitnehmer*innen obligatorisch und bei bis zu 200 Arbeitnehmer*innen optional. Vorher betrugen die Grenzen 50 und 100 Arbeitnehmer*innen. Außerdem sollen in Betrieben mit bis zu 100 Arbeitnehmer*innen die Vorgaben für Stützunterschriften gesenkt werden. Bei bis zu 20 Arbeitnehmer*innen würde auf Stützunterschriften gänzlich verzichtet werden.

Zusätzlich soll die Wahlanfechtung erschwert werden: Haben Wahlberechtigte vor der Wahl keinen Einspruch gegen die Wählerliste eingelegt, dürften sie die Wahl im Nachhinein nicht mehr anfechten. Genauso dürfte die Arbeitgeberin keine Wahlanfechtung aufgrund von Fehlern in der Wählerliste beantragen, wenn die Fehler auf falschen Angaben von ihr selbst beruhen.

Kritische Einordnung der geplanten Änderungen

Es handelt sich um jeweils sinnvolle Änderungen. Aber es wäre falsch, sich zu viel von ihnen zu versprechen. Schon jetzt nutzen nur 50 Prozent der Betriebe mit 50 bis 100 Arbeitnehmer*innen das vereinfachte Wahlverfahren. Es ist zwar wesentlich schneller als das normale Wahlverfahren, aber nicht unbedingt einfacher. Für den Wahlvorstand stellt es meist eine größere Herausforderung dar: Rückwärtsberechnen von Fristen, nachträgliche schriftliche Stimmabgabe und kürzere Vorbereitungszeiten. Im zweistufigen Wahlverfahren besteht darüber hinaus keine Möglichkeit, eine Wahlvorstandsschulung zu besuchen.

Wenn das vereinfachte Wahlverfahren ausgebaut werden soll, warum hält man dann weiterhin daran fest, dass der Wahlvorstand bei der optionalen Anwendung die Zustimmung der Arbeitgeberin braucht? Dadurch kann die Arbeitgeberin direkten Einfluss auf das Wahlverfahren nehmen. Aus gutem Grund ist sie in keiner anderen Weise an den Betriebsratswahlen beteiligt – warum also an dieser Stelle? Nicht selten nutzen Arbeitgeberinnen diese Möglichkeit auch aus, um die Arbeit der Wahlvorstände zu behindern.

In kleineren Betrieben ist das Sammeln von Stützunterschriften nur eine Formalie, weil es meist ausreicht, wenn die Kandidat*innen sich selbst stützen. Man kann also auch darauf verzichten, ohne die Akzeptanz der BR-Wahlen zu gefährden.

Auch die Klarstellungen bei der Wahlanfechtung gehen in die richtige Richtung. Wirklich hilfreich wäre es aber gewesen, der Arbeitgeberin das Recht der Anfechtung von Betriebsratswahlen zu entziehen, wenn sie zuvor ihren Pflichten zur Zuarbeit des Wahlvorstandes nicht nachgekommen ist. Dasselbe könnte gelten, wenn der Betriebsrat glaubhaft machen kann, dass die Arbeitgeberin zuvor versucht hat, die Wahlen zu behindern oder zu verzögern. Dies würde die Dynamik der Wahldurchführung erheblich zum Positiven verändern. Ein großes Problem besteht oft darin, dass die Arbeitgeberin dem Wahlvorstand Informationen über das Personal, Computer, Räume oder auch nur Umschläge und Briefmarken nicht oder nur verzögert zur Verfügung stellt und damit die Wahldurchführung erheblich verzögern kann.

Insgesamt ist von diesen Änderungen nicht zu erwarten, dass sie zur größeren Verbreitung von Betriebsräten beitragen werden. Ein wichtiges Zeichen ist jedoch der geplante Schutz von Wahlinitiator*innen. Kolleg*innen, die zur ersten Betriebsratswahl einladen oder andere Vorbereitungshandlungen unternommen haben, sollen schon vor Beginn der eigentlich BR-Wahl unter den außerordentlichen Kündigungsschutz fallen. In der Praxis werden solche Kündigungen zwar nicht überaus häufig ausgesprochen. Aber alle Kolleg*innen, die eine erstmalige Betriebsratswahl initiieren, berichten von Unsicherheiten und Befürchtungen, die diesen Prozess begleiten. Es kann nur von Vorteil sein, wenn der Gesetzgeber auf diesem Wege signalisiert, dass die Gründung von Betriebsräten gewollt ist und besser geschützt wird.

Virtuelle Betriebsratssitzungen

Die im Zuge der Corona-Krise befristet eingeführte Möglichkeit der Beschlussfassung per Video- oder Telefonkonferenz soll verstetigt werden. Der Normallfall „BR-Sitzungen in Präsenz“ wird dafür explizit festgeschrieben. Darüber hinaus muss der Betriebsrat für Beschlussfassungen im Rahmen von virtuellen oder hybriden Sitzungen seine Geschäftsordnung entsprechend ändern. Auch dann kann ein Viertel der BR-Mitglieder der Einberufung einer virtuellen Sitzung noch widersprechen.

Kritische Einordnung

Virtuelle Betriebsratssitzungen werden von vielen BR-Kolleg*innen und den Gewerkschaften als sehr problematisch angesehen. Tatsächlich waren es die Arbeitgeberverbände, die eine solche Möglichkeit bereits vor der Pandemie gefordert hatten. Dennoch erscheint die vorgeschlagene Regelung angemessen. Denn Präsenzsitzungen werden ausreichend geschützt, und Gremien, für die virtuelle Beschlussfassungen tatsächlich hilfreich sind, können diese individuell für sich regeln und nutzen.

Datenschutz

Nicht erst mit virtuellen BR-Sitzungen hat die Frage des Datenschutzes im BR-Büro an Bedeutung gewonnen. Der Betriebsrat soll nun explizit auf seine Pflichten zur Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorschriften hingewiesen werden. Gleichzeitig wird klargestellt, dass auch bei der Datenverarbeitung durch den Betriebsrat der Arbeitgeber der Verantwortliche im Sinne der DSGVO ist.

Sachverständige

Die Hinzuziehung von Sachverstand soll künftig immer dann erforderlich sein, wenn es um Fragen von Informations- und Kommunikationstechnik (IuK-Technik) geht. Damit könnten Betriebsräte jederzeit eine*n Sachverständige*n zu Digitalfragen heranziehen und müssten sich mit der Arbeitgeberin lediglich über Person und Kosten abstimmen.

Kritische Einordnung

Grundsätzlich ist das sehr positiv. Betriebsräte brauchen mehr Unterstützung durch Expert*innen und Berater*innen, müssen dafür aber meist lange kämpfen. Aber ist es gerechtfertigt, IuK-Technik gegenüber allen anderen Mitbestimmungstatbeständen, wie zum Beispiel Arbeits- und Gesundheitsschutz oder Arbeitszeit, herauszuheben? Es wird dazu führen, dass Betriebsräte sich vorrangig mit diesen Fragen beschäftigen werden, weil es sehr wertvoll ist, Sachverstand an seiner Seite zu haben. Gleichzeitig sind IuK-Fragen meist Themen, die keinen großen Widerhall in der Belegschaft finden. Auch im Gremium selbst sind häufig nicht alle Mitglieder dafür zu begeistern. Dies könnte zur Folge haben, dass sich Betriebsräte noch weiter professionalisieren und einzelne Interessierte zusammen mit Sachverständigen Betriebsvereinbarungen aushandeln, die zwar positive Veränderungen für die Belegschaft bringen, aber die Kolleg*innen nicht wirklich mitreißen. Der Betriebsrat wird dann noch mehr zum Spezialgremium, und beteiligungsorientiertes Arbeiten tritt eher in den Hintergrund.

Auch wenn Digitalthemen massiv an Bedeutung im betrieblichen Alltag gewonnen haben und unbedingt stärker mitbestimmt werden müssen, sind sie nicht per se wichtiger als andere Fragen. Die Hinzuziehung von Sachverständigen sollte insgesamt erleichtert werden. Der Betriebsrat muss sich zu jedem Thema beraten lassen können. Im Zweifelsfall könnte die Arbeitgeberin die Möglichkeit haben, die Beauftragung des Betriebsrates im Rahmen einer Einigungsstelle überprüfen zu lassen. So würde es auch weiterhin der Entscheidungsfindung im Gremium überlassen bleiben, mit welchen Themen der Betriebsrat sich vorrangig befasst.

Mobile Arbeit

Es soll ein neues Mitbestimmungsrecht bei “der Ausgestaltung von mobiler Arbeit” geben. Das ist sehr zu begrüßen. Bisher mussten Betriebsräte sich auf die verschiedenen anderen Tatbestände beziehen und sich Mitbestimmung bei mobiler Arbeit selbst zusammenbauen. Die Neuregelung wird einiges erleichtern und zugleich der Tatsache gerecht werden, dass mobile Arbeit in Zukunft noch wesentlich verbreiteter werden wird und unbedingt geregelt und mitbestimmt gehört. Zudem umfasst mobiles Arbeiten nicht nur Homeoffice, sondern alle Tätigkeiten, die mittels Kommunikationstechnologie außerhalb der eigentlichen Betriebsstätte stattfinden. Eine sichere Beurteilung dieses neuen Mitbestimmungstatbestandes ist erst dann möglich, wenn nach der Ressortabstimmung klar ist, was das Mitbestimmungsfeld „mobile Arbeit“ konkret beinhaltet und welche Rechte der Betriebsrat dabei hat.

Berufsbildung

Auch bei der Berufsbildung soll das Mitbestimmungsrecht gestärkt werden. Maßnahmen der Berufsbildung könnten demnach nun auch in der Einigungsstelle verhandelt werden. Allerdings soll die Einigungsstelle hier keinen Spruch fällen dürfen. Das bedeutet, dass die Arbeitgeberin jeden Vorstoß am Ende einfach ignorieren könnte. Mitbestimmung bei der Berufsbildung spielt aktuell noch eine vergleichsweise kleine Rolle bei der Arbeit von Betriebsräten. Es ist nicht ersichtlich, warum man hier kein umfassendes Mitbestimmungsrecht zulassen sollte. Rechtspolitisch fahrlässig ist es, dass hier eine Schneise für eine „Einigungsstelle light“ geschlagen wird.

Fazit

Die geplanten Änderungen gehen zwar in die richtige Richtung, aber keineswegs weit genug. Es sind lediglich kleinere Korrekturen eines Systems, das Betriebsräte weiterhin als zusätzlichen Produktionsfaktor sieht. Das Gesetzesvorhaben muss von Betriebsräten und Gewerkschaften kritisch begleitet werden. Sinnvolle Änderungen sollten umgesetzt werden. Wichtiger bleibt aber, eine progressive und beteiligungsorientierte Mitbestimmungspraxis zu pflegen und damit die demokratische Idee der Betriebsräte weiter zu stärken. Die Diskussion dazu beginnt jetzt wieder neu.