Vertretung für die gesamte Belegschaft sein – Möglichkeiten der Mitbestimmung bei Werkvertragsbeschäftigung

Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie

Als Antwort auf gehäufte COVID-19-Infektionen in Schlachtbetrieben hat die Bundesregierung einen Maßnahmenkatalog für die Fleischindustrie beschlossen. Im Kern steht das Verbot von Werkvertragsgestaltung und Arbeitnehmerüberlassung beim Schlachten und Verarbeiten von Fleisch in Betrieben der Fleischwirtschaft.[1] Ein bemerkenswerter Schritt. Die Gewerkschaft NGG, das Projekt Faire Mobilität und zum Beispiel auch der Konzernbetriebsrat der VION Food North GmbH hatten dies schon länger gefordert. Dass die Bundesregierung sich tatsächlich dazu durchringen würde, haben die wenigsten erwartet. Doch noch ist das Gesetz nicht geschrieben, geschweige denn verabschiedet. Die Lobbygruppen der Fleischindustrie haben sich bereits in Stellung gebracht. Sie beklagen abwechselnd eine nicht verfassungskonforme „Diskriminierung“[2] ihrer Branche oder ein faktisches Berufsverbot für die „anständigen“ Werkvertragsunternehmen.[3]

 

Werkverträge finden sich in allen Branchen

Die Debatte hat die Frage von Werkvertragsgestaltungen in allen Wirtschaftsbereichen neu belebt. In der Vergangenheit wurde das Problem noch unter dem Begriff „Outsourcing“ diskutiert – also dem Prozess des Auslagerns von Unternehmensaufgaben auf externe Dienstleister mit dem Ziel der Flexibilisierung und Kostenersparnis. Mittlerweile muss man feststellen, dass dieser Prozess bereits weitgehend abgeschlossen ist. 2011 ergab eine Betriebsrätebefragung der IG Metall, dass in rund einem Drittel der befragten Unternehmen Werkverträge eingesetzt werden – 2018 waren es bereits rund 80 Prozent.[4] Eine 2017 veröffentlichte Studie der Bundesregierung kam zu dem Ergebnis, dass sogar mehr als 90 Prozent der Unternehmen das Instrument Werkvertrag nutzen. Von diesen wiederum lagern „fast 90 Prozent mindestens einen Prozess aus, der zur Erfüllung des Unternehmenszwecks dient (Kernprozess) und nur 60 Prozent einen Prozess aus, der unterstützenden Charakter hat (Randprozess)“.[5] Werkverträge sind also allgegenwärtig. Sie beschränken sich nicht auf das Betreiben der Werkskantine, die Wartung der IT oder Sicherheitsdienste, sondern sind in allen Arbeitsbereichen anzutreffen. Sei es die Warenverräumung im Einzelhandel, seien es Schweißarbeiten im Schiffsbau oder die Guides in Museen und Gedenkstätten. Wer genau hinsieht, wird sogar an Regelschulen Lehrkräfte finden, die im Rahmen von Werkverträgen tätig sind. Alle Unternehmensprozesse können im Rahmen von Werkvertragskonstruktionen organisiert werden, bis hin zum Management und der Geschäftsführung.

 

Die Rolle von Betriebs- und Personalräten

Es steht außer Frage, dass sich Betriebs- und Personalräte mit der Frage von Werkverträgen in ihren eigenen Betrieben beschäftigen müssen. Werkvertragsbeschäftigung führt zur Spaltung von Belegschaften und Ungleichbehandlungen in Bezug auf Entgelt, Arbeitszeit, Urlaub, Kündigungsschutz, Sozialversicherung, Aufstiegsmöglichkeiten und viel zu oft auch beim Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Aber hat der Betriebsrat überhaupt die Möglichkeit, hier einzugreifen und aktiv mitzugestalten? Vertritt er nicht allein die Interessen der ArbeitnehmerInnen des Betriebes? Nun, die ArbeitnehmerInnen sind zwar das direkte Wahlklientel des Betriebsrates, doch angesichts der oben beschriebenen Situation muss er sein Mandat umfassender interpretieren. Tut er dies nicht, riskiert der Betriebsrat, entscheidende Entwicklungen im Betrieb nicht begleiten zu können und die unternehmerische Strategie der Diversifikation und Flexibilisierung der Belegschaft unkommentiert hinzunehmen.

Auch ist er bei Werkverträgen nicht ohne Rechte: „Bereits jetzt verfügt der Betriebsrat über eine Vielzahl von Kontroll- und Einflussmöglichkeiten“. So konstatiert das nicht etwa eine gewerkschaftliche Beratungsstelle, sondern der Arbeitgeberverband Nordmetall in einer aktuellen Broschüre.[6]

 

Informationsrechte

Der Betriebsrat hat ein weitgehendes Informations- und Beratungsrecht. Seit 2017 ist im Wortlaut des § 80 Abs. 2 BetrVG klargestellt, dass sich der Informationsanspruch des Betriebsrates auch auf die Beschäftigung von Personen bezieht, die nicht in einem direkten Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen. Der Betriebsrat kann sich also Unterlagen über den zeitlichen Umfang, den Ort und die Aufgaben von Werkvertragsbeschäftigten vorlegen lassen. Auch die Werkverträge selbst und Kontrolllisten über den tatsächlichen Einsatz gehören dazu. Der Betriebsrat hat also die Möglichkeit, sich ein umfassendes Bild über Werkvertragsbeschäftigung im eigenen Betrieb zu machen und zu prüfen, ob möglicherweise missbräuchliche Konstruktionen vorliegen.

  • 92 BetrVG verpflichtet den/die ArbeitgeberIn, den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die Personalplanung zu unterrichten. Auch diese Unterrichtung muss Werkvertragsbeschäftigung explizit mit einschließen. Der Betriebsrat kann dem/der ArbeitgeberIn Vorschläge für die Personalplanung machen. In einigen Betrieben existieren freiwillige Betriebsvereinbarungen, die die Beschäftigung von WerkvertragsarbeiterInnen regeln und dabei klar definieren, unter welchen Bedingungen Werkvertragsgestaltungen in Ordnung sind und wann nicht.

 

Mitbestimmungsrechte

Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Einstellung von Werkvertragsbeschäftigten wird oft verneint, weil angenommen wird, dass § 99 (Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen) für Personal anderer Unternehmen nicht gelte. Doch entgegen dieser Auffassung setzt die Neueinstellung aus § 99 Abs. 1 BetrVG kein Arbeitsverhältnis voraus. Es geht vielmehr um die Frage, ob jemand in den Betrieb eingegliedert wird. Das bedeutet, dass auch die Arbeitsaufnahme einer Werkvertragsbeschäftigten eine Neueinstellung sein kann, bei der der Betriebsrat entsprechend mitbestimmen kann. Ausschlaggebend ist, ob der/die ArbeitgeberIn zumindest teilweise die Personalhoheit über die Werkvertragsbeschäftigten innehat. Entscheidendes Kriterium dafür ist die Weisungsbefugnis im Hinblick auf Zeit, Ort und Art der Tätigkeit. Dies wird für den Betriebsrat jedoch meist schwer feststell- und noch schwerer durchsetzbar sein. In der Regel wird der/die ArbeitgeberIn den Betriebsrat noch nicht einmal ordentlich und rechtzeitig über die Einstellung unterrichten. Hinzu kommt: Erst nach der Aufnahme der Tätigkeit wird sichtbar, ob Weisungsbefugnis besteht. Zu diesem Zeitpunkt ist es für eine sinnvolle Nutzung der Rechte aus § 99 BetrVG allerdings meist zu spät. Deshalb muss der Betriebsrat seine oben genannten Informationsrechte bereits vorher aktiviert und eine Gesamtstrategie in Bezug auf Werkverträge entwickelt haben.

Zu dieser Gesamtstrategie kann dann auch die Ausübung der zwingenden Mitbestimmungsrechte aus § 87 BetrVG gehören. Zwar beziehen sich auch diese zuerst auf die ArbeitnehmerInnen des Betriebes, umfassen aber oft auch die Arbeitsbedingungen von Werkvertragsbeschäftigten. Offensichtlich wird dies beispielsweise bei Regelungen zu Zugangskontrollen, Videoüberwachung oder Rauchverbot. Auch im Arbeitsschutz muss es zwangsläufig einheitliche Maßnahmen für alle Beschäftigten auf dem Betriebsgelände geben. § 8 ArbSchG verpflichtet mehrere ArbeitgeberInnen ohnehin zur Zusammenarbeit.

Nicht zuletzt verpflichtet § 75 BetrVG den Betriebsrat, darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden.

 

Weitere Unterstützungsmöglichkeiten durch den Betriebsrat

Der Betriebsrat kann auch durch weitergehende Maßnahmen etwas für die Gleichstellung von Werkvertragsbeschäftigten tun. So könnte er die KollegInnen zu seiner Betriebsversammlung einladen und die Sprechstunde auch für Werkvertragsbeschäftigte öffnen. Auch die Öffentlichkeitsarbeit des Betriebsrates kann die WerkvertragskollegInnen mit einschließen. Wahrscheinlich wird der/die ArbeitgeberIn dies kritisch sehen. Der Betriebsrat sollte sich diese Maßnahmen jedoch nicht verbieten lassen. Ebenso kann er versuchen, Kontakt zum Betriebsrat des Werkvertragsunternehmens aufzunehmen. Wenn es dort keinen Betriebsrat geben sollte, gibt es vielleicht gewerkschaftliche Netzwerke, über die der Austausch mit den KollegInnen direkt organisiert werden kann. Kontakt und Austausch zwischen den KollegInnen herzustellen, ist wahrscheinlich das wichtigste Instrument, das dem Betriebsrat beim Thema Werkverträge zur Verfügung steht.

[1] Vgl. Eckpunkte „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ 20. Mai 2020, auf der Webseite des Ministeriums, www.bmas.de.

[2] Vgl. Stellungnahme des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft auf seiner Webseite, https://zdg-online.de.

[3] Vgl. Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Werkverträge und Zeitarbeit auf ihrer Webseite, www.werkvertrag-zeitarbeit.de

[4] Vgl. Betriebsräte-Befragung 2018 zu Leiharbeit und Industrienahen Dienstleistungen (InDl)/Werkverträgen

[5] Verbreitung, Nutzung und mögliche Probleme von Werkverträgen – Quantitative Unternehmens- und Betriebsrätebefragung sowie wissenschaftliche Begleitforschung – Endbericht – 2017.

[6] Broschüre (o.J.): Werkverträge. Fakten und Argumente von AGV Nord und Nordmetall. Online unter: https://www.gesamtmetall.de/sites/default/files/downloads/broschuere_werkvertraege_nordmetall.pdf