Betriebsratsgehälter: Zu hoch oder zu niedrig?

„P. verwies den Angeklagten zuständigkeitshalber an H. Dieser war bereit, V. eine Gehaltserhöhung zu bewilligen, da er dessen Arbeit als Betriebsratsvorsitzender schätzte. Er wollte sich dadurch dessen Wohlwollen erhalten, weil er davon ausging, dass dies der VW AG zugutekommen würde.“

„P.“ steht für Ferdinand Piëch, der von 1993 bis 2002 Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG war, „H.“ ist der damalige Personalvorstand Peter Hartz und „V.“ Klaus Volkert, zu dieser Zeit Vorsitzender des Gesamt- und Konzernbetriebsrats. Hinter diesen dünnen Sätzen aus der Urteilsbegründung des Bundesgerichtshofs von 2009 gegen Klaus Volkert verbirgt sich die so genannte VW-Affäre. Volkert hatte überzogene Gehälter und Zahlungen für Flüge, Hotels, Maßanzüge, Zweitwohnungen und Prostituierte in Millionenhöhe von VW eingefordert und kassiert. Zusammen mit den verantwortlichen Managern hat er damit einen katastrophalen Präzedenzfall geschaffen; ein fatales Beispiel, das allen Betriebsräten in Deutschland geschadet hat.

Kein Wunder, dass auch jetzt die Aufmerksam wieder groß war: Vor dem Landgericht Braunschweig mussten sich vier VW Top-Manager gegen den Vorwurf der Untreue verteidigen. Erneut ging es um überhöhte Gehaltszahlungen an Betriebsräte. Volkerts Nachfolger Bernd Osterloh hatte in Spitzenjahren 500.000 bis über 750.000 € kassiert. Ursprünglich war er als gelernter Industriekaufmann mit einem monatlichen Gehalt von umgerechnet 2.500 € gestartet. Die Manager wurden Ende September freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hat Revision eingelegt. VW hatte während des Verfahrens die Gehälter zahlreicher Betriebsratsmitglieder gedeckelt. Osterloh selbst ist im Mai von all seinen Ämtern als Betriebsrat zurückgetreten und in eine hochbezahlte Managementposition gewechselt. Anscheinend war ihm das gedeckelte Gehalt zu niedrig.

Ehrenamt, Lohnausfallprinzip … und trotzdem horrende Bezahlung für Einige

Wie kann es sein, dass Betriebsratsmitglieder überhaupt so hohe Gehälter bekommen? Als Mitglied des Betriebsrates wird man für seine Arbeit im Gremium nicht bezahlt. Es handelt sich um ein Ehrenamt. Für dessen Ausübung muss die Arbeitgeberin die BR-Mitglieder unter Fortzahlung aller Bezüge von ihrer üblichen Tätigkeit freistellen. Sie können dann BR-Arbeit erledigen und bekommen in dieser Zeit ihr normales Gehalt weiterbezahlt. Nach § 78 BetrVG dürfen Betriebsräte wegen ihrer Tätigkeit weder benachteiligt noch begünstigt werden. § 37 Abs. 4 BetrVG regelt deshalb, dass BR-Mitglieder auch von Gehaltserhöhungen profitieren können. Nämlich dann, wenn sie ohne BR-Amt nach betriebsüblicher Entwicklung mit einer Beförderung hätten rechnen können. Betriebsräte sollen sich nicht zwischen Amt und Karriere entscheiden müssen.

Vielfach wird argumentiert, dass Betriebsräte wie Osterloh ganz zwangsläufig so viel verdienen müssen. Schließlich verhandeln sie auf hochbezahlten Ebenen; ihre Gegenüber auf Arbeitgeberseite verdienen genauso viel oder teilweise noch deutlich mehr. Sie treffen Entscheidungen, die Millionen von Unternehmensgeldern und das Schicksal Tausender Beschäftigter betreffen. Osterloh war seit 1990 freigestellter Betriebsrat und hat sich 30 Jahre lang zahlreiche Qualifikationen und Fähigkeiten angeeignet. Ist es da nicht gerechtfertigt und vielleicht sogar erforderlich, dass er entsprechend bezahlt wird?

Gleichzeitig liegt die Vermutung nahe, dass diese hohen Vergütungen nicht „einfach so“ gezahlt werden. Osterloh, „der König von Wolfsburg“, hat immer, genau wie Volkert, betont, dass seine Arbeit als Betriebsrat in keiner Weise von seiner Vergütung beeinflusst wäre. Aber ist das glaubhaft? Wenn die Übernahme eines Amtes innerhalb der betrieblichen Interessenvertretung Reichtum bedeutet, dann muss das Einfluss auf die Mitbestimmungskultur haben. Es geht hier noch nicht mal um Käuflichkeit, sondern um den Verlust von Bodenhaftung und Kollegialität – und um die Frage: Kann ich weiterhin Menschen vertreten, mit deren materiellen Lebensbedingungen ich nichts mehr gemeinsam habe und nie mehr haben werde?

Das entscheidende Problem bei der Betriebsratsvergütung

Das wesentliche Problem liegt jedoch woanders: Was ist mit einer Kollegin aus dem Lebensmitteleinzelhandel, die – genau wie Osterloh – über 30 Jahre Betriebsratserfahrung hat? Seit der Eröffnung ihres Marktes ist sie Mitglied des Gremiums, hat es mitgegründet. Sie verdient keine 500.000 € im Jahr, sondern bis zur Rente ihr normales Gehalt als Verkäuferin. Sie hat die letzten 30 Jahre nicht damit verbracht, für eine Erhöhung ihres eigenen Gehalts zu kämpfen, sondern für Verbesserungen, von denen die gesamte Belegschaft profitieren konnte.

Kolleg*innen aus prekär bezahlten Branchen, wie z. B. Einzelhandel, soziale Dienste, Call-Center oder Pflege, müssen auf Basis sehr geringer Gehälter ihre BR-Arbeit leisten. Sie können sich nur schwer auf § 37 Abs. 4 BetrVG beziehen, weil es meist keine betriebsübliche Entwicklung, also kaum Aufstiegschancen in ihren Tätigkeitsbereichen gibt, von denen sie profitieren könnten. Abgesehen davon gehen die Arbeitsgerichte davon aus, dass die Darlegungs- und Beweislast beim Betriebsrat liegt. Das BR-Mitglied muss beweisen können, dass er*sie ohne Betriebsratsamt befördert worden wäre.  Solche Kolleg*innen sind engagiert und für ihre Tätigkeit nicht selten überqualifiziert. Sie hätten gute Möglichkeiten, in anderen Unternehmen eine neue Anstellung zu bekommen und mehr Geld zu verdienen. Wenn sie sich dennoch dafür entscheiden, weiter ihre BR-Arbeit zu machen, zahlen sie faktisch dafür drauf. Nicht nur jetzt, sondern auch noch während der Rente. Wenn sie irgendwann doch eine andere Anstellung suchen, kann man ihnen das nicht verübeln. Häufig kommen diese Kolleg*innen dann bei Gewerkschaften, Parteien oder NGOs unter. Das Gremium und die Belegschaft verlieren damit aber aktive Kolleg*innen, die bei besserer Bezahlung weiter im Betrieb geblieben wären. Und das gerade in den Branchen, in denen mutige Leute dringend gebraucht werden.

Eine Gesetzesreform ist bisher gescheitert

2017 hatte die SPD unter der damaligen Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles einen Gesetzentwurf vorgelegt, um die Betriebsratsvergütung zu reformieren. Nicht mehr nur die betriebsübliche Entwicklung, sondern auch „die zur Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen wie auch regelmäßig wahrgenommenen Aufgaben“ sollten berücksichtigt werden. Die Staatsanwaltschaft hatte in dem oben beschriebenen Fall bereits Ermittlungen aufgenommen. Die Hausdurchsuchungen, auch des Büros von Osterloh, folgten wenige Wochen später. Der Gesetzentwurf wurde deswegen als Lex Osterloh kritisiert – nur geschaffen, um die überhöhten Gehälter von einigen wenigen Betriebsräten aus der Automobilindustrie zu legalisieren. Gescheitert ist er aber nicht an diesem Vorwurf, sondern am Widerstand der Wirtschaftsvertreter*innen in der CDU. Sie hatten verstanden, dass vor allem Betriebsräte in kleinen und mittleren Unternehmen von der Reform profitieren würden. Die damit einhergehende Stärkung von betrieblichen Mitbestimmungsstrukturen sollte verhindert werden.

Die Linke hat eine ähnliche Forderung erhoben: Betriebsräte, die viel Erfahrung im Gremium gesammelt, Verantwortung in Ausschüssen oder als Vorsitz übernommen und sich in vielen Schulungen weitergebildet haben, sollen die Möglichkeit haben, mehr zu verdienen. Wichtig ist ein klarer Rechtsanspruch auf diese Vergütung. Er muss leicht einklagbar sein und darf nicht vom guten Willen der Arbeitgeberin abhängen. Nur dann kann der Betriebsrat seine Unabhängigkeit wahren.

Transparenz muss Pflicht sein

Wenn Betriebsräte infolgedessen nun mehr verdienen als ihre Kolleg*innen, die dieselbe Tätigkeit ausüben, besteht dann nicht weiterhin das Problem, dass sich der Betriebsrat von der Belegschaft abhebt und sich eine Betriebsrats-Elite im Betrieb bildet? Um das zu verhindern, muss die Gehaltsstruktur der BR-Mitglieder offen und transparent gegenüber den Kolleg*innen kommuniziert werden. Hinterzimmer-Deals zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung müssen ausgeschlossen werden. Die Bezahlung für ein (betriebs)öffentliches Amt ist keine Privatsache. Die Kolleg*innen haben ein Recht zu erfahren, was ihr Betriebsrat verdient. Sie sollten ein Interesse daran haben, dass ihre Betriebsräte nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig verdienen. Bei der Offenlegung von Gehältern sollte nicht nur der Betriebsrat in den Blick genommen werden. Die Transparenzpflicht muss sich genauso auf die Führungsebene beziehen. Auch hier besteht ein berechtigtes Interesse. Sollte nur der Betriebsrat verpflichtet sein, seine Vergütung öffentlich zu machen, würde auch das wieder eine unangemessene Benachteiligung darstellen. Es wäre wichtig, dass es hier zügig zu einer entsprechenden Änderung im BetrVG kommt. Das Schicksal von Bernd Osterloh und anderen Co-Manager*innen sollte uns dabei weniger interessieren als die vielen Betriebsrats-Kolleg*innen, die für ihre betriebspolitische Arbeit auf verdiente Gehälter verzichten.