Wieviel Geheimrat muss Betriebsrat?

Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, Nichtöffentlichkeit, Vertraulichkeit – das klingt, als wären Betriebsräte per Gesetz dazu verpflichtet, über den Großteil ihrer Tätigkeit zu schweigen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Geheimhaltungspflicht wird in der Praxis oft überschätzt. Eine fundierte Informationspolitik gehört zum Kern basisnaher Betriebsratstätigkeit.

Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse

Die Geheimhaltungspflicht ist in § 79 BetrVG abschließend geregelt und gilt für Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse. Sie gilt nie gegenüber Mitgliedern des Betriebsrates, des Gesamtbetriebsrates, des Konzernbetriebsrats und allen weiteren, in Satz 4 aufgezählten innerbetrieblichen Institutionen. Damit ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis vorliegt, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Ist nur eine der Bedingungen nicht erfüllt, so liegt kein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis vor – und somit auch keine Geheimhaltungspflicht. Der Gesetzgeber stellt hier hohe Anforderungen, die selten erfüllt sind.

Die geheimzuhaltenden Tatsachen:

  1. … müssen wettbewerblich relevant im Zusammenhang mit dem technischen Betrieb oder der wirtschaftlichen Betätigung des Unternehmens sein.
  2. … dürfen nicht offenkundig sein. Sind sie einem größeren Kreis bekannt oder ist es problemlos möglich, an die Informationen zu gelangen, so sind diese kein Geheimnis, und die Geheimhaltungspflicht ist hinfällig.
  3. … müssen von der*dem Arbeitgeber*in explizit als „geheimhaltungsbedürftig“ bezeichnet werden – und nicht etwa nur als „vertraulich“.
  4. … müssen sich durch ein „berechtigtes wirtschaftliches Interesse“ des*der Arbeitgebers*in an der Geheimhaltung auszeichnen. Das ist der Fall, wenn eine Veröffentlichung einen Nachteil oder den Verlust eines Vorteils gegenüber der Konkurrenz zur Folge hätte.

Von der Pflicht zu Geheimhaltung ist ein gesetzeswidriges Verhalten immer ausgeschlossen. Das bedeutet, dass Arbeitszeitverstöße, Steuerhinterziehung, Unterschlagung von Sozialversicherungsbeiträgen etc. der Sache nach keine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sein können – auch wenn die*der ein oder andere Arbeitgeber*in das vielleicht gerne so hätte. Genauso wenig fallen die Folgen von unternehmerischen Maßnahmen für die Belegschaft darunter. Beruft sich ein*e Arbeitgeber*in hier auf die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, so hat er*sie meist schlichtweg kein Interesse daran, die Belegschaft zu informieren, da diese sich ja wehren könnte.

 „Nichtöffentlichkeit“ – ein missverstandener Begriff

Die Annahme einer weitreichenden Verschwiegenheitsverpflichtung resultiert oft aus einer Fehlinterpretation des Begriffs „nichtöffentlich“. In § 30 BetrVG und § 42 (1) BetrVG wird auf diesen Begriff Bezug genommen und die Nichtöffentlichkeit von Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen geregelt. Der Begriff Nichtöffentlichkeit bezieht sich ausschließlich auf den Kreis zugelassener Teilnehmer*innen zu Betriebsversammlung und Betriebsratssitzung. Bei Nichteinhaltung hat dies u. U. Folgen für die Wirksamkeit von Beschlüssen auf Betriebsratssitzungen. Nichtöffentlichkeit bedeutet kein Redeverbot über die Inhalte von Betriebsratssitzungen oder Betriebsversammlungen! Im Gegenteil! Es ist die Pflicht eines Betriebsrates, die Belegschaft so umfassend wie möglich zu informieren. Gleichzeitig stärkt eine umfassende Informationspolitik das Vertrauensverhältnis zwischen Betriebsrat und Belegschaft.

Worüber darf berichtet werden?

Betriebsratsmitglieder dürfen über fast alles berichten. Die einzigen Einschränkungen betreffen:

  • Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nach § 79 BetrVG
  • Vertrauliche personelle Angelegenheiten gemäß
    • 82 (2) BetrVG Begleitung von Entgeltverhandlungen von Arbeitnehmer*innen
    • 83 (1) BetrVG Begleitung von Arbeitnehmer*innen bei Einsicht in die Personalakte
    • 99 (1) BetrVG Persönliche Verhältnisse und Angelegenheiten von Arbeitnehmer*innen im Rahmen personeller Einzelmaßnahmen
  • Informationen, die dem Datenschutz unterliegen. Die Datenschutzgrundverordnung muss also beachtet werden.

Taktisches Stillschweigen

Manchmal ist es aus taktischen Gründen ratsam, dass ein Betriebsrat über eine Angelegenheit zeitweise Stillschweigen bewahrt, beispielsweise wenn eine frühe Veröffentlichung der*dem Arbeitgeber*in nützen kann – das heißt aber nicht, dass hier eine rechtliche Verpflichtung besteht. Und es bedeutet auch nicht, dass einzelne Betriebsratsmitglieder eine Schweigepflicht gegenüber ihrem Gremium haben oder die Absprache zum Stillschweigen als eine Verpflichtung gegenüber der*dem Arbeitgeber*in betrachtet wird. Eine Ausnahme gilt selbstverständlich, wenn die verschwiegenen Äußerungen Straftaten darstellen, wie beispielsweise Verletzung von Privatgeheimnissen, Beleidigung oder Verleumdung. Weiterhin darf durch die Äußerung die Funktionsfähigkeit des Betriebsrates oder seine Arbeit nicht beeinträchtigt werden.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Weiter gilt für Betriebsratsmitglieder das Recht auf freie Meinungsäußerung. Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht dürfen Betriebsratsmitglieder über Beschlüsse berichten – auch wenn sie beispielsweise in einem bestimmten Punkt von der Mehrheit abweichend beschlossen haben oder wenn sie eine andere Position als das Gremium vertreten bzw. sich das Gremium ihren Vorschlägen nicht anschließen wollte. Genauso wenig gilt eine Schweigepflicht, wenn ein Betriebsratsgremium gegen das Betriebsverfassungsgesetz verstößt und sich einzelne Betriebsratsmitglieder deshalb an einen Rechtsbeistand wenden und die Angelegenheit gegenüber Belegschaft und Gewerkschaft öffentlich machen möchten.

Schweigepflicht ist eher die Ausnahme

Wenn Ihr unsicher seid, ob ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis vorliegt, holt Euch Rat bei einer Gewerkschaft oder einem Rechtsbeistand. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Schweigepflicht rechtlich gesehen in der Betriebsratsarbeit eher die Ausnahme ist und im Sinne einer basisnahen Betriebsratsarbeit auch nicht zur Regel werden sollte. Das Bundesarbeitsgericht stellte bereits 1967 fest: „Im Allgemeinen besteht keine Pflicht der Betriebsratsmitglieder, über den Verlauf von Betriebsratssitzungen Stillschweigen zu bewahren. Eine solche Schweigepflicht ist vielmehr nur bei Vorliegen besonderer Umstände zu bejahen.“ https://www.jurion.de/urteile/bag/1967-09-05/1-abr-1_67/

Quellen:

http://www.sapler.igm.de/static/demokratie/079_BetrVG_Geheim_BR.pdf

https://msgler.verdi.de/der-betriebsrat/++co++b9473e36-3e0d-11e3-882f-52540059119e

https://betriebsgruppe-vattenfall.gewerkschaftverwaltungundverkehr.de/2017/10/14/ist-der-betriebsrat-ein-geheimrat/

https://www.bund-verlag.de/aktuelles~7-fragen-zur-geheimhaltungspflicht~

Die Wahl der Schwerbehindertenvertretung – Eine wichtige Ergänzung für die betriebliche Mitbestimmung

Vertrauenspersonen für schwerbehinderte Beschäftigte gibt es in Deutschland fast so lange wie Betriebsräte. Vertrauenspersonen fördern die Eingliederung schwerbehinderter Menschen im Betrieb und vertreten deren Interessen gegenüber der*dem Arbeitgeber*in.

Die Turnuswahlen im Oktober und November letzten Jahres haben viele Betriebe genutzt, um bei sich das erste Mal eine Schwerbehindertenvertretung (SBV) zu installieren. Schon ab fünf schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten ist eine SBV zu wählen. Kleinere Betriebe können mit anderen Betrieben zusammengeschlossen werden, so dass in sehr vielen Betrieben die Wahl einer SBV möglich ist. Zudem haben Betriebsräte nach § 176 SGB IX die Pflicht, auf die Wahl einer Vertrauensperson hinzuwirken.

Sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, sollten in allen Betrieben Schwerbehindertenvertretungen gewählt werden. Sie sind ein wichtiger Teil der betrieblichen Mitbestimmung, schützen die Rechte schwerbehinderter Menschen und tragen zu einem gesünderen Arbeitsumfeld für alle Beschäftigten bei.

Die Wahl einer SBV unterscheidet sich nur in wenigen Punkten von der Wahl des Betriebsrates. Wenn Ihr schon mal eine BR-Wahl organisiert habt, sollte die SBV-Wahl für Euch kein Problem darstellen. Worin bestehen die wesentlichen Unterschiede?

 

Wer darf wählen?

Das aktive Wahlrecht haben nur die schwerbehinderten und gleichgestellten Beschäftigten im Betrieb. Dies ist der wichtigste Unterschied zur BR-Wahl. Die SBV vertritt die Interessen der Schwerbehinderten und ist deswegen nur von Ihnen zu wählen. Übrigens haben auch schwerbehinderte leitende Angestellte und schwerbehinderte Beschäftigte unter 18 Jahren das aktive Wahlrecht.

Im Gegensatz dazu dürfen sich auch nicht-schwerbehinderte Beschäftigte als Kandidat*innen für die SBV aufstellen lassen. Das passive Wahlrecht haben alle Betriebsangehörigen – hiervon werden leitende Angestellte und die*der Integrationsbeauftragte des*der Arbeitgebers*in allerdings ausgenommen.

 

Wie ist es mit den Stellvertreter*innen?

Die Stellvertretung der Vertrauensperson wird in einem eigenen Wahlgang gewählt. Im Gegensatz zur BR-Wahl werden Kandidat*innen mit zu wenigen Stimmen also nicht automatisch Ersatzmitglieder, sondern müssen dafür extra kandidieren. Die Stellvertretung der SBV ist ein eigenes Amt. In Betrieben mit über 100 Schwerbehinderten kann die Stellvertretung sogar mit eigenen Aufgaben betraut werden. Der Wahlvorstand (WV) kann darüber entscheiden, wie viele Stellvertreter*innen gewählt werden. Sollten alle Stellvertreter*innen ausgeschieden sein, ist auch eine Nachwahl der Stellvertretung möglich.

 

Gibt es ein vereinfachtes Wahlverfahren?

Für Betriebe mit weniger als 50 schwerbehinderten Beschäftigten ist ein vereinfachtes Wahlverfahren vorgesehen. Im Unterschied zur BR-Wahl stellt dieses Verfahren wirklich eine Vereinfachung dar. Die Bestellung eines WV, Wahlausschreiben, Wählerliste und schriftliche Wahlvorschläge werden nicht benötigt. Die SBV und ihre Stellvertretung werden auf einer Wahlversammlung mittels eines*r Wahlleiters*in gewählt. Der Betriebsrat kann die Wahlberechtigten zu dieser Versammlung einladen, so dass in kleineren Betrieben innerhalb kürzester Zeit eine SBV installiert werden kann.

Das förmliche Wahlverfahren dauert etwas länger – es sind dieselben Fristen zu beachten wie beim normalen Wahlverfahren des BR. Um den Kolleg*innen unnötige Wege zu ersparen, kann der Wahlvorstand hier aber für alle Beschäftigten die Briefwahl beschließen.

Eine SBV auch in Eurem Betrieb zu installieren, ist also keine große Hürde. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter hat hierzu überdies ein hilfreiches Arbeitsheft herausgegeben.[1] Und natürlich stehen wir Euch als Recht und Arbeit bei allen Fragen zur Wahl einer SBV jederzeit zur Seite.

 

 

 

 

[1] https://www.integrationsaemter.de/wahl/484c/index.html