Betriebsräte für den Klimaschutz – Jetzt erst recht!

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 6 2021 der Zeitschrift express

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat Ende April einen richtungsweisenden Beschluss gefasst.[1] Klimaschutz ist nun einklagbar! Dies muss sich auch auf der betrieblichen Ebene niederschlagen.

Worum ging es in der Entscheidung des BVerfG?

2019 wurde das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) verabschiedet. Es legt fest, wie das so genannte 2-Grad-Ziel auf nationaler Ebene erreicht werden kann – eine Verpflichtung nach dem Übereinkommen von Paris. Demnach soll der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden. Bis 2050 soll Deutschland treibhausgasneutral sein. Das bedeutet: Es dürfen nur so viele Treibhausgase emittiert werden, wie durch andere Faktoren (Wälder, Moore etc.) wieder gebunden werden. Um das zu erreichen, sieht das KSG vor, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu mindern. Die Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft bekommen Zielvorgaben, die festlegen, wie viel Millionen Tonnen CO2 in jedem Jahr bis 2030 noch emittiert werden dürfen – so genannte Minderungsziele. Die zuständigen Ministerien müssen entsprechende Maßnahmen ergreifen, damit die jährlichen Minderungsziele tatsächlich erreicht werden.

Einzelne Personen, teilweise aus der „Fridays for Future“-Bewegung, sind der Auffassung, die Vorgaben des KSG seien nicht ambitioniert genug und würden nicht ausreichen, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Deshalb hatten sie dagegen geklagt.

Das Bundesverfassungsgericht hat ihnen Recht gegeben. Es hat die Ziele der Pariser Klimakonferenz als zulässige Konkretisierung des grundgesetzlichen Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen aus Artikel 20a anerkannt: „Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Klimaschutz.“ Damit muss Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden. Das KSG definiert konkrete Ziele aber nur bis zum Jahr 2030. Und selbst wenn diese Minderungsziele eingehalten würden, bedeutete dies, dass Deutschland sein CO2-Restbudget weitestgehend aufgebraucht hätte. Vergleichsweise moderaten Maßnahmen in den Jahren 2020 bis 2030 müssten dann sehr harte und tiefgreifende Maßnahmen in den Jahren danach folgen, um das Ziel „Klimaneutralität bis 2050“ noch erreichen zu können. Werden also heute keine strengeren Klimaschutzziele formuliert, würde das Recht auf Leben und Eigentum nachfolgender Generationen in Mitleidenschaft gezogen. Der Staat muss aber immer auch die Interessen künftiger Generationen im Blick haben und darf keine Gesetze erlassen, die zwingend dazu führen, dass sie unangemessen stark in ihren Freiheiten eingeschränkt werden. „Die Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen.“

Was bedeutet das Urteil für den Gesetzgeber?

Der Gesetzgeber muss das KSG bis zum 31.12.2022 ändern und konsequentere Ziele formulieren – nicht nur bis 2030, sondern für den gesamten Zeitraum bis 2050. Im Eiltempo hat die Große Koalition eine Gesetzesänderung formuliert, die zum Redaktionsschluss allerdings noch nicht vom Bundestag beschlossen war. Konsequentere Ziele müssen dann auch weitergehende Maßnahmen mit sich bringen. Die Dekarbonisierung aller Sektoren muss zwingend beschleunigt werden. Es wird ein erneutes Ringen darum geben, welche Sektoren in welchem Umfang und mit welchen Maßnahmen CO2-Emissionen reduzieren müssen. Alle Teile der Wirtschaft werden auf die eine oder andere Weise davon betroffen sein.

Betriebsräte als Akteure für den Klimaschutz

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil die Dringlichkeit des Klimaschutzes deutlich unterstrichen. Wenn Klimaschutz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, müssen wir auch alle gesellschaftlichen Akteur*innen in die Bewältigung dieser Aufgabe einbeziehen. Deshalb ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt, ein weitgehendes Mitbestimmungsrecht für Betriebsräte beim betrieblichen Klimaschutz zu fordern. Betriebsräte sind in der Lage, aus dem Inneren der Betriebe sinnvolle Maßnahmen der CO2-Reduzierung zu erkennen und dabei gleichzeitig die Interessen der Beschäftigten im Auge zu behalten. Das Betriebsverfassungsgesetz kennt bereits Beteiligungsrechte beim betrieblichen Umweltschutz und verpflichtet den Betriebsrat, die Einhaltung entsprechender Vorgaben im Betrieb zu überwachen. Leider wurde nie versucht, dies im Rahmen eines zwingenden Mitbestimmungsrechts auszugestalten. Ein solcher Vorschlag liegt nun aber vor: Die Linksfraktion fordert in ihrem Antrag zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes ein solches Recht des Betriebsrates.[2] Konkret sieht er vor, dass der Betriebsrat bei allen Maßnahmen, die zu einer höheren Umweltbelastung führen könnten, mitbestimmen kann. Dabei geht es nicht nur um die Produktion selbst, sondern auch um den Bezug von Gütern und Dienstleistungen entlang der gesamten Lieferkette. Gleichzeitig bekommt der Betriebsrat ein Initiativrecht, sofern er Maßnahmen vorschlägt, die betrieblich verursachte Treibhausgasemissionen senken können.

Ein Beispiel: Der Betrieb möchte eine Zweigstelle in einer anderen deutschen Stadt eröffnen. Dies wird unweigerlich dazu führen, dass eine Reihe von Beschäftigten mehr Dienstreisen unternehmen müssen, um zwischen den beiden Standorten zu pendeln. Da diese Reisen meist per Flugzeug absolviert werden, würden sie die Klimabelastung erhöhen. Der Betriebsrat hätte hier ein zwingendes Mitbestimmungsrecht, wenn seine Änderungsvorschläge darauf abzielen, die aus der geplanten Maßnahme resultierenden CO2-Emissionen zu reduzieren. Vielleicht würden Arbeitgeber*in und Betriebsrat sich darauf einigen, dass die Flüge auf ein absolut notwendiges Minimum beschränkt oder durch PKW- und Bahnfahrten ersetzt werden. Denkbar ist auch, dass am Ort der Zweigstelle mehr Neueinstellungen vorgenommen werden oder man verstärkt per Telefon- und Videokonferenzen kommuniziert. In größeren und energieintensiven Betrieben mit industrieller Produktion und internationalen Lieferketten sind noch viel weitreichendere Maßnahmen vorstellbar. Aber auch in kleineren Betrieben ist Emissionsreduzierung möglich. Der Betriebsrat könnte fordern, Strom nur noch von einem Ökostromanbieter zu beziehen, Papier immer beidseitig zu bedrucken, in der Kantine auf Plastikgeschirr zu verzichten oder ähnliches. In allen Branchen verfügen die Beschäftigten hinsichtlich der Betriebsabläufe über dezidierte Kenntnisse, die hilfreich sein können, CO2 einzusparen.

Die Perspektive der Unternehmen – Vorsicht ist geboten

Klimaneutralität wird immer stärker zum Wettbewerbsfaktor. CO2-Emissionen verursachen Kosten, und die steigende öffentliche Aufmerksamkeit verspricht einen Imagegewinn, wenn man sich als grünes, klimafreundliches Unternehmen präsentieren kann. So hat fast zeitgleich mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes die Unternehmensberatung Roland Berger ein Konzeptpapier veröffentlicht, in dem Wettbewerbsvorsprünge durch Klimaschutz angepriesen werden.[3] Immer mehr Unternehmen werden von sich aus auf die Reduzierung der eigenen CO2-Emissionen drängen.

Dabei können Klimaschutzmaßnahmen zur Benachteiligung von Beschäftigten führen. Im oben genannten Beispiel stellen lange PKW-Fahrten und zusätzliche Videokonferenzen eine klare Belastung dar. Unter dem Vorwand des Klimaschutzes sind noch andere Maßnahmen denkbar, die Unternehmen gegen das Interesse der Beschäftigten umsetzen könnten. Vielleicht wird man die Klimaanlage drosseln, um Strom zu sparen oder mehr Beschäftigte zum Homeoffice drängen.

Klimaschutz und Schutz der Beschäftigten

Unternehmen müssen zweifelsohne zum Klimaschutz verpflichtet werden. Es ist aber nicht hinnehmbar, dass die entsprechenden Maßnahmen negative Konsequenzen für die dort arbeitenden Kolleg*innen haben. Die notwendige Transformation der Wirtschaft darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Sie muss so ablaufen, dass grundlegende Interessen von Arbeitnehmer*innen gewahrt bleiben. Auch deswegen dürfen die Interessenvertretungen hier nicht außen vor bleiben, sie müssen sich aktiv einmischen. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei Maßnahmen des Klimawandels würde genau das sicherstellen. Der Betriebsrat wäre damit als Klimaschutz-Korrektiv im Betrieb aktiv. Bisher gibt es ein solches Korrektiv nicht.


[1] BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 -, Rn. 1-270

[2] Demokratisierung der Arbeitswelt – Betriebliche Mitbestimmung ausweiten und modernisieren. Drucksache 19/27318, 04.03.2021. Disclaimer: Der Autor hat zusammen mit anderen Kolleg*innen an der Erstellung dieser Forderung mitgewirkt.

[3] Think:Act Roland Berger: Die neue Wettbewerbsfähigkeit – Dekarbonisierung als Chance für Unternehmen.