Einigkeit im Arbeitskampf: Zusammenarbeit institutioneller und aktivistischer Arbeiter*innen

von René Wolf

Im Sommer 2019 schlossen sich studentische Hilfskräfte an der Universität Potsdam unter dem Namen StudisGutBezahlt! zusammen, um sich gegen Lohndumping und unrechtmäßige Beschäftigungspraktiken zur Wehr zu setzen. Verschiedene gewerkschaftliche und hochschulpolitische Gruppen führten dafür eine gemeinsame Kampagne. In diesem Artikel blicke ich als Beteiligter dieser Basisorganisierung auf die Unterstützungsmöglichkeiten des Personalrats in solchen Arbeitskämpfen.

Ausgangssituation: Rechte von studentischen Hilfskräften

Werfen wir zuerst einen Blick auf die komplexe Ausgangssituation:

Für Studierende, die an Hochschulen als studentische Hilfskraft (SHK) arbeiten, gelten besondere rechtliche Bestimmungen:

1) die Länge und Häufigkeit ihrer Befristung ist im Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) geregelt,

2) SHK sind vom Tarifvertrag der Länder (TV-L) ausgenommen und werden nach Maßgabe des Bildungsministeriums knapp über Mindestlohn vergütet,

3) SHK-Tätigkeiten sind auf Wissenschaft und Lehre unterstützende Bereiche begrenzt.

Die Hochschulen nutzten diese Situation aus, verteilten jahrelang nicht-wissenschaftliche Aufgaben an SHK und sparten sich damit reguläre Stellen z.B. in den Bibliotheken, in der Verwaltung und im IT-Management.

Im Juni 2018 kam es zu einem folgenreichen Urteil vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Eine SHK, die mit der Betreuung von Webseiten beauftragt war, klagte und bekam Recht. Ihre Tätigkeiten wurden nicht als wissenschaftlich anerkannt und der Humboldt-Universität auferlegt, ihr einen unbefristeten Arbeitsvertrag auszustellen und sie nach TV-L zu vergüten. Damit schuf das Gericht einen Präzedenzfall für alle Hochschulen in Berlin und Brandenburg, so auch für Potsdam.

Die Universität Potsdam traf das Urteil unvorbereitet. Statt einer nachgeholten Abkehr von der rechtswidrigen Beschäftigungspolitik wurden Mittel und Wege gefunden, diese aufrechtzuerhalten. Auf Anregung der Freien Arbeiter*innen Union (FAU) schlossen sich daraufhin davon betroffene und organisierte Studierende von GEW, ver.di und studentischer Selbstverwaltung zusammen, um SHK-Stellen auch in Potsdam in ordentliche TV-L-Stellen zu überführen.

Die Etappen des Arbeitskampfes

Die ersten Schritte unserer Gruppe bestanden darin, sich in die aktuelle Rechtslage einzulesen und uns mit anderen Akteur*innen zu vernetzen. Dabei waren die studentischen TV-L-Gruppen aus Berlin mit ihrem Knowhow und ihren Organisierungsfähigkeiten aus dem Streik im Vorjahr eine große Hilfe. Aber auch die Kontaktaufnahme zum Personalrat (PR) der Universität Potsdam war wertvoll. Nach einer Änderung des Personalvertretungsgesetzes im Jahr zuvor war der PR auch für die Vertretung der SHK zuständig, hatte sich dieser Aufgabe jedoch bis dahin nicht angenommen. So bestand kaum Wissen über Arbeitsbedingungen von SHK und keine Ressourcen wie etwaige E-Mailverteiler oder sonstige Kontaktmöglichkeiten zu SHK.

Auf mehrere Arten versuchten wir als StudisGutBezahlt!, Kolleg*innen über ihre arbeitsrechtliche Situation zu informieren und SHK mit vorwiegend nicht-wissenschaftlichen Tätigkeiten einzubinden. Zu Beginn der Kampagne luden wir zu einer Versammlung ein, auf ein gemeinsamer Forderungskatalog ausgearbeitet und anschließend der Hochschulleitung überreicht wurde. Der ursprünglichen Idee, eine offizielle Personalversammlung während der Arbeitszeit einzuberufen, stimmte der PR leider nicht zu. Im späteren Verlauf veranstalteten wir gezielte Bürorundgänge an Orten, an denen laut unserer Recherche SHK Verwaltungsaufgaben nachgingen. Als sehr hilfreich erwiesen sich Fragebögen zu den konkreten Beschäftigungsverhältnissen, mit denen wir nicht nur ein besseres Bild der Lage zeichnen, sondern auch Aussagen der Hochschulleitung stets kritisch prüfen konnten. Größte Hürde unserer Aktivierungsstrategie war jedoch das fehlende Interesse der SHK. Das mag mehrere Gründe haben: Hoffnung auf Kontakte für späteren Arbeitsweg, wenig Interesse am Job über das Studium hinaus und ein Arbeitsumfeld nur aus Vorgesetzten und wenigen Verbündeten.

All unsere Aktionen waren von Pressearbeit begleitet. Der Konflikt wurde in mehreren regionalen Zeitungen thematisiert und so öffentlicher Druck auf die Hochschulleitung ausgeübt. Der PR wollte unser Anliegen nicht offiziell unterstützen.

Ein letzter großer Schritt war die Einladung des PR zu seinem monatlichen Gespräch mit der Hochschulleitung in den Räumlichkeiten des PR. Hier konnten wir den Universitätspräsidenten – umgeben von Personen, denen gegenüber er eine gesetzliche Pflicht zur Zusammenarbeit hat – mit unseren Forderungen konfrontieren. Auf dem Treffen sicherte uns die Hochschulleitung Stellenumwandlungen von SHK- in TVL-Stellen zu, allen voran im Bibliotheksbereich. Das war ein wichtiger Teilerfolg. Zahlreiche Stellen, an denen SHK nach wie vor nicht-wissenschaftlichen Tätigkeiten nachgehen, blieben jedoch unverändert und die Hochschulleitung sicherte lediglich eine Prüfung der Stellen zu. Aus den Bürorundgängen wussten wir aber, dass damit vielmehr die Grauzonen in den SHK-Tätigkeitsbeschreibungen ausgeweitet wurden.

Einer Begleitung dieser Stellenprüfung wollte sich der PR nicht annehmen und uns als selbstorganisierter Gruppe fehlten dafür die institutionellen Rechte. Weitere Versuche, die betroffenen SHK zu organisieren, schienen uns nicht zielführend und so trennte sich die Gruppe vorerst. Der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen für SHK geht jedoch weiter. Zur Zeit vernetzen sich bundesweit diverse Initiativen für einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte nach Berliner Vorbild. Außerdem bekommen Hochschulen in Brandenburg einen eigenen studentischen PR, der im Kampf für die Rechte von SHK maßgeblich unterstützen kann.

Fazit: Was bedeutet das für eine Zusammenarbeit?

Aus den Erfahrungen dieses konkreten Beispiels ziehe ich folgendes Fazit für die Zusammenarbeit zwischen Beschäftigten mit und ohne Vertretung:

Es zeigte sich, dass der PR nicht auf uns als Gruppe sowie der Vertretung von SHK vorbereitet war. Er überging damit gerade die schwächsten Glieder der akademischen Hierarchie. Als wir uns mit unserem Anliegen beim PR meldeten, begegnete man uns hilfsbereit und beriet uns zur Rechtslage und Taktiken der Universität. Besonders die Einladung zu dem monatlichen Gespräch mit der Hochschulleitung war eine ausgezeichnete Idee. Der PR ließ uns so an seinen institutionellen Rechten teilhaben und verschaffte unserem Anliegen Gehör.

Eine öffentliche Positionierung des PR zu unseren Gunsten, etwa in einer Pressemitteilung, blieb leider aus. Damit hätte das Anliegen sowohl vor der Universitäts- als auch der Stadtöffentlichkeit an Legitimität gewonnen. Andererseits kann hier eine gezielte Aufgabenaufteilung auch von Vorteil sein: Die Basisgruppe übt öffentlich harsche Kritik, während der PR das konstruktive Gespräch mit der Hochschulleitung sucht.

Zuletzt bleibt das Thema nach einem Teilerfolg bedauerlicherweise liegen. Der PR nahm sich weder der kritischen Begleitung der SHK-Stellenprüfung an noch der Prüfung neu ausgeschriebener Stellen auf ihre Wissenschaftlichkeit oder der gezielten Kontaktaufnahme zu betroffenen SHK. Wie die Anliegen aktivistischer Beschäftigtengruppen auch in die institutionelle Praxis überführt und verankert werden können, bleibt offen.

Ein offizielles Vertretungsorgan wie ein Personalrat und gewerkschaftliche Basisgruppen ohne Vertretung haben natürlicherweise sehr verschiedene Arbeitsweisen, Selbstverständnisse und Ressourcen, auf die sie zurückgreifen können. Es eint sie jedoch das Anliegen, die eigenen Arbeitsbedingungen zu verbessern. Zu lernen, wie wir uns dabei gegenseitig unterstützen können und welche Rolle wir dabei jeweils einnehmen, ist unerlässlich für die Durchsetzung gerechterer Beschäftigungsverhältnisse.

Betriebsräte für den Klimaschutz – Jetzt erst recht!

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 6 2021 der Zeitschrift express

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat Ende April einen richtungsweisenden Beschluss gefasst.[1] Klimaschutz ist nun einklagbar! Dies muss sich auch auf der betrieblichen Ebene niederschlagen.

Worum ging es in der Entscheidung des BVerfG?

2019 wurde das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) verabschiedet. Es legt fest, wie das so genannte 2-Grad-Ziel auf nationaler Ebene erreicht werden kann – eine Verpflichtung nach dem Übereinkommen von Paris. Demnach soll der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden. Bis 2050 soll Deutschland treibhausgasneutral sein. Das bedeutet: Es dürfen nur so viele Treibhausgase emittiert werden, wie durch andere Faktoren (Wälder, Moore etc.) wieder gebunden werden. Um das zu erreichen, sieht das KSG vor, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu mindern. Die Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft bekommen Zielvorgaben, die festlegen, wie viel Millionen Tonnen CO2 in jedem Jahr bis 2030 noch emittiert werden dürfen – so genannte Minderungsziele. Die zuständigen Ministerien müssen entsprechende Maßnahmen ergreifen, damit die jährlichen Minderungsziele tatsächlich erreicht werden.

Einzelne Personen, teilweise aus der „Fridays for Future“-Bewegung, sind der Auffassung, die Vorgaben des KSG seien nicht ambitioniert genug und würden nicht ausreichen, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Deshalb hatten sie dagegen geklagt.

Das Bundesverfassungsgericht hat ihnen Recht gegeben. Es hat die Ziele der Pariser Klimakonferenz als zulässige Konkretisierung des grundgesetzlichen Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen aus Artikel 20a anerkannt: „Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Klimaschutz.“ Damit muss Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden. Das KSG definiert konkrete Ziele aber nur bis zum Jahr 2030. Und selbst wenn diese Minderungsziele eingehalten würden, bedeutete dies, dass Deutschland sein CO2-Restbudget weitestgehend aufgebraucht hätte. Vergleichsweise moderaten Maßnahmen in den Jahren 2020 bis 2030 müssten dann sehr harte und tiefgreifende Maßnahmen in den Jahren danach folgen, um das Ziel „Klimaneutralität bis 2050“ noch erreichen zu können. Werden also heute keine strengeren Klimaschutzziele formuliert, würde das Recht auf Leben und Eigentum nachfolgender Generationen in Mitleidenschaft gezogen. Der Staat muss aber immer auch die Interessen künftiger Generationen im Blick haben und darf keine Gesetze erlassen, die zwingend dazu führen, dass sie unangemessen stark in ihren Freiheiten eingeschränkt werden. „Die Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen.“

Was bedeutet das Urteil für den Gesetzgeber?

Der Gesetzgeber muss das KSG bis zum 31.12.2022 ändern und konsequentere Ziele formulieren – nicht nur bis 2030, sondern für den gesamten Zeitraum bis 2050. Im Eiltempo hat die Große Koalition eine Gesetzesänderung formuliert, die zum Redaktionsschluss allerdings noch nicht vom Bundestag beschlossen war. Konsequentere Ziele müssen dann auch weitergehende Maßnahmen mit sich bringen. Die Dekarbonisierung aller Sektoren muss zwingend beschleunigt werden. Es wird ein erneutes Ringen darum geben, welche Sektoren in welchem Umfang und mit welchen Maßnahmen CO2-Emissionen reduzieren müssen. Alle Teile der Wirtschaft werden auf die eine oder andere Weise davon betroffen sein.

Betriebsräte als Akteure für den Klimaschutz

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil die Dringlichkeit des Klimaschutzes deutlich unterstrichen. Wenn Klimaschutz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, müssen wir auch alle gesellschaftlichen Akteur*innen in die Bewältigung dieser Aufgabe einbeziehen. Deshalb ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt, ein weitgehendes Mitbestimmungsrecht für Betriebsräte beim betrieblichen Klimaschutz zu fordern. Betriebsräte sind in der Lage, aus dem Inneren der Betriebe sinnvolle Maßnahmen der CO2-Reduzierung zu erkennen und dabei gleichzeitig die Interessen der Beschäftigten im Auge zu behalten. Das Betriebsverfassungsgesetz kennt bereits Beteiligungsrechte beim betrieblichen Umweltschutz und verpflichtet den Betriebsrat, die Einhaltung entsprechender Vorgaben im Betrieb zu überwachen. Leider wurde nie versucht, dies im Rahmen eines zwingenden Mitbestimmungsrechts auszugestalten. Ein solcher Vorschlag liegt nun aber vor: Die Linksfraktion fordert in ihrem Antrag zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes ein solches Recht des Betriebsrates.[2] Konkret sieht er vor, dass der Betriebsrat bei allen Maßnahmen, die zu einer höheren Umweltbelastung führen könnten, mitbestimmen kann. Dabei geht es nicht nur um die Produktion selbst, sondern auch um den Bezug von Gütern und Dienstleistungen entlang der gesamten Lieferkette. Gleichzeitig bekommt der Betriebsrat ein Initiativrecht, sofern er Maßnahmen vorschlägt, die betrieblich verursachte Treibhausgasemissionen senken können.

Ein Beispiel: Der Betrieb möchte eine Zweigstelle in einer anderen deutschen Stadt eröffnen. Dies wird unweigerlich dazu führen, dass eine Reihe von Beschäftigten mehr Dienstreisen unternehmen müssen, um zwischen den beiden Standorten zu pendeln. Da diese Reisen meist per Flugzeug absolviert werden, würden sie die Klimabelastung erhöhen. Der Betriebsrat hätte hier ein zwingendes Mitbestimmungsrecht, wenn seine Änderungsvorschläge darauf abzielen, die aus der geplanten Maßnahme resultierenden CO2-Emissionen zu reduzieren. Vielleicht würden Arbeitgeber*in und Betriebsrat sich darauf einigen, dass die Flüge auf ein absolut notwendiges Minimum beschränkt oder durch PKW- und Bahnfahrten ersetzt werden. Denkbar ist auch, dass am Ort der Zweigstelle mehr Neueinstellungen vorgenommen werden oder man verstärkt per Telefon- und Videokonferenzen kommuniziert. In größeren und energieintensiven Betrieben mit industrieller Produktion und internationalen Lieferketten sind noch viel weitreichendere Maßnahmen vorstellbar. Aber auch in kleineren Betrieben ist Emissionsreduzierung möglich. Der Betriebsrat könnte fordern, Strom nur noch von einem Ökostromanbieter zu beziehen, Papier immer beidseitig zu bedrucken, in der Kantine auf Plastikgeschirr zu verzichten oder ähnliches. In allen Branchen verfügen die Beschäftigten hinsichtlich der Betriebsabläufe über dezidierte Kenntnisse, die hilfreich sein können, CO2 einzusparen.

Die Perspektive der Unternehmen – Vorsicht ist geboten

Klimaneutralität wird immer stärker zum Wettbewerbsfaktor. CO2-Emissionen verursachen Kosten, und die steigende öffentliche Aufmerksamkeit verspricht einen Imagegewinn, wenn man sich als grünes, klimafreundliches Unternehmen präsentieren kann. So hat fast zeitgleich mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes die Unternehmensberatung Roland Berger ein Konzeptpapier veröffentlicht, in dem Wettbewerbsvorsprünge durch Klimaschutz angepriesen werden.[3] Immer mehr Unternehmen werden von sich aus auf die Reduzierung der eigenen CO2-Emissionen drängen.

Dabei können Klimaschutzmaßnahmen zur Benachteiligung von Beschäftigten führen. Im oben genannten Beispiel stellen lange PKW-Fahrten und zusätzliche Videokonferenzen eine klare Belastung dar. Unter dem Vorwand des Klimaschutzes sind noch andere Maßnahmen denkbar, die Unternehmen gegen das Interesse der Beschäftigten umsetzen könnten. Vielleicht wird man die Klimaanlage drosseln, um Strom zu sparen oder mehr Beschäftigte zum Homeoffice drängen.

Klimaschutz und Schutz der Beschäftigten

Unternehmen müssen zweifelsohne zum Klimaschutz verpflichtet werden. Es ist aber nicht hinnehmbar, dass die entsprechenden Maßnahmen negative Konsequenzen für die dort arbeitenden Kolleg*innen haben. Die notwendige Transformation der Wirtschaft darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Sie muss so ablaufen, dass grundlegende Interessen von Arbeitnehmer*innen gewahrt bleiben. Auch deswegen dürfen die Interessenvertretungen hier nicht außen vor bleiben, sie müssen sich aktiv einmischen. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei Maßnahmen des Klimawandels würde genau das sicherstellen. Der Betriebsrat wäre damit als Klimaschutz-Korrektiv im Betrieb aktiv. Bisher gibt es ein solches Korrektiv nicht.


[1] BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 -, Rn. 1-270

[2] Demokratisierung der Arbeitswelt – Betriebliche Mitbestimmung ausweiten und modernisieren. Drucksache 19/27318, 04.03.2021. Disclaimer: Der Autor hat zusammen mit anderen Kolleg*innen an der Erstellung dieser Forderung mitgewirkt.

[3] Think:Act Roland Berger: Die neue Wettbewerbsfähigkeit – Dekarbonisierung als Chance für Unternehmen.

Oft unsichtbar und schwer zu fassen – Wo ist der Arbeitgeber?

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 7/8 2021 der Zeitschrift express

„Der Arbeitgeber“ ist ein beliebtes Feindbild: Machtverliebt und narzisstisch regiert er sein Unternehmen nach patriarchalen und antidemokratischen Wertvorstellungen. Historisches Beispiel par excellence ist Friedrich Krupp, der die Rede vom „Herr-im-Haus“ prägte. Mittlerweile kommen einem Namen wie Clemens Tönnies oder Dietrich Mateschitz in den Sinn; Berliner*innen erinnern sich vielleicht auch noch an Harald Ehlert von der Treberhilfe.

Der Herr-im-Haus-Standpunkt ist heute zunehmend im Rückzug. Doch Vorsicht: In der Regel ist es ein Pseudo-Rückzug. Die Arbeitgeberseite wurde nicht etwa eines Besseren belehrt, sondern „der Arbeitgeber“ ist schlichtweg nicht mehr im Haus. Arbeitgeber*innen als Organisationsmacht machen sich heutzutage häufig unsichtbar, verstecken sich und werden durch undurchsichtige Entscheidungs-Netzwerke ersetzt. Ergebnis: Betriebliche Interessenvertretungen finden keine*n klare*n Gegenspieler*in und Verhandlungspartner*in mehr vor. Für die wirksame Arbeit von Betriebs- und Personalräten ist das ein großes Problem.

Neu ist es allerdings nicht: Vor genau 20 Jahren hatte der damalige Präsident des Bundesarbeitsgerichts Helmut Wißman in einem immer noch lesenswerten Artikel[1] dieses Problem und seine häufigsten Erscheinungsformen bereits eindeutig benannt.

Offensichtlichstes Beispiel: Leiharbeit

Im Bereich der Leiharbeit ist die Arbeitgeberfunktion zwischen dem Verleiher und dem Entleiher aufgeteilt. Bestimmte Fragen der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten kann nur der Betriebsrat nur im Entleihbetrieb regeln, andere dagegen nur im Verleihbetrieb. Vorausgesetzt, dass beide Betriebe überhaupt mitbestimmt sind, werden die jeweiligen Gremien immer an Grenzen stoßen und wichtige Fragen nicht mitregeln können. Das ist besonders deshalb problematisch, weil Leiharbeiter*innen nur Mitglied im BR des Verleihbetriebes werden können.

Die Krux von Werkverträgen

Noch schwieriger ist es bei Werkvertragskonstruktionen, in denen die Beschäftigten eines*r Arbeitgebers*in im Rahmen von Onsite-Werkverträgen in anderen Unternehmen arbeiten. Die Arbeitgeberfunktion des übernehmenden Unternehmens wird meist explizit ausgeschlossen. Die Verantwortung verbleibt komplett bei dem*der Vertragsarbeitgeber*in. Diese*r ist aber gar nicht anwesend und oftmals nur im Moment der Vertragsunterzeichnung sichtbar. Vor Ort sind die Beschäftigten dann ganz auf sich gestellt. Eine Untersuchung ergab, dass 45 Prozent der Onsite-Beschäftigten ihre Weisungen arbeitsvertragswidrig vom Werkbesteller bekommen, in 19 Prozent der Betriebe sogar ausschließlich von diesem[2]. Solche Konstruktionen finden sich häufig in verarbeitenden Betrieben. Im letzten Jahr wurde vor allem über die Werkvertragskonstruktionen in der Fleischindustrie gesprochen. Aber auch in anderen Branchen existieren solche Beschäftigungsverhältnisse – zum Beispiel an Berliner Regelschulen, wo Schulassistenzen, Lehrkräfte für Lernförderungen und Erzieher*innen von externen Trägern entsandt werden. Die Träger üben ihr Weisungsrecht kaum oder gar nicht aus, sie haben ja auch keinen Einfluss auf die Organisation der Schulen. Die bei den Trägern gegründeten Betriebsräte haben deshalb enorme Probleme, die Arbeitsbedingungen ihrer an die Schulen entsandten Kolleg*innen mitzubestimmen.

Wirrwarr der Verantwortlichkeiten

Die Beispiele, die Wißman vor 20 Jahre erörterte, haben gemeinsam, dass der*die Arbeitgeber*in des einen Betriebes die Weisungsaufgaben an andere Stellen abgibt. Aber auch innerhalb desselben Betriebes werden die Strukturen immer unübersichtlicher. Im Einzelhandel soll fast immer die örtliche Leitung, die Marktleiterin oder der Store Manager – die Arbeitgeberrolle gegenüber dem Betriebsrat einnehmen. In Wirklichkeit haben sie aber nur sehr beschränkte Befugnisse. Elementare unternehmerische Entscheidungen, wie Zielvorgaben, Budget oder Personalplanung, werden nicht von den Leitungskräften vor Ort getroffen. Sie müssen sich bei den jeweils höheren Stellen rückversichern.

Unklarheiten sind kein Zufall, sondern Machtstrategie

Wißman lag falsch darin anzunehmen, dass es sich bei den genannten Problemen um eine natürliche Entwicklung unternehmerischen Agierens handelt. Wenn Unternehmen outsourcen und spezifische Leitungsstrukturen entwickeln, haben sie auch das Betriebsverfassungsgesetz im Blick. Die Aufspaltung und Zersplitterung der Arbeitgeberfunktion ist oft genug bewusste Machtstrategie der Unternehmen. Es ist eine perfide Form der Behinderung der Betriebsratsarbeit, wenn dem Betriebsrat nicht der*die eigentliche Entscheidungsträger*in als Ansprechpartner*in zur Verfügung steht.

Betriebsräte werden gewählt, um die Weisungen und Entscheidungen ihres Gegenübers mitzubestimmen. Je weniger Entscheidungsmacht dieses Gegenüber hat, desto schwächer ist auch der Zugriff des Betriebsrates. Es ist ein kalkulierter Schachzug von Unternehmen, dem Betriebsrat Personen aus der mittleren oder unteren Führungsebene als Ansprechpartner*innen zur Verfügung zu stellen. Genauso gering wie deren Einfluss bleibt damit auch der Einfluss des BR. Solche Personen dienen dem Unternehmen als Prellbock: Sie fangen Konflikte auf den unteren Ebenen ab und verhindern, dass höhere Entscheidungsebenen sich damit beschäftigen müssen.

Herausfordernd, aber machbar: Gegenstrategie entwickeln

Was können Betriebsräte tun, wenn der*die Arbeitgeber*in „verschwindet“? Rechtlich ist der Weg schwierig. Die meisten Kommentare beziehen sich immer noch auf ein Urteil des BAG aus dem Jahr 1991[3], wonach der Arbeitgeber sich je nach Mitbestimmungstatbestand und Beratungsstand durch unterschiedliche Personen vertreten lassen kann. Diese müssen zwar kompetent, aber nicht unbedingt auch selbst entscheidungsbefugt sein. Wenn der*die Arbeitgeber*in sich hier grob falsch verhalten sollte, könnte dies zwar eine Pflichtverletzung nach § 23 Abs. 3 BetrVG darstellen. Ein solches Verfahren vor dem Arbeitsgericht zu führen, ist dem Betriebsrat aber meist nicht zu empfehlen. Nicht nur, weil es langwierig wäre. Es würde außerdem bedeuten, dass der Betriebsrat die Kommunikation mit Ansprechpartner*innen verweigert und dabei riskiert, eigene Mitbestimmungsprojekte zu verzögern. Es ist gerade der Betriebsrat, der auf die Kommunikation mit der Leitung angewiesen ist.

Analyse, Flexibilität und Durchhaltevermögen

Es gibt Betriebsräte, die die Organisation ihres Unternehmens sehr genau beobachten und dadurch gut verstehen, welche Personen für welche Entscheidungen zuständig sind. Je nach Mitbestimmungstatbestand sucht man sich dann den*die entsprechende*n Ansprechpartner*in. Das kann die örtliche Leitung sein, die Regionalleitung, die Deutschlandführung oder sogar Abteilungen in der ausländischen Zentrale des Unternehmens. Diese Strategie ist vielversprechend, aber auch sehr voraussetzungsreich. Die jeweiligen Personen werden sich als „nicht zuständig“ erklären und versuchen, den Betriebsrat abzuwimmeln. Der Betriebsrat muss hier Durchhaltevermögen beweisen und dranbleiben. Die Struktur wird sich gegen solche Versuche wehren. Ein Beispiel aus eigenem Erleben: Es ist kein Zufall, dass die erste und einzige Abmahnung, die gegen mich als aktiven Betriebsrat ausgesprochen wurde, damit begründet wurde, dass ich meine Kompetenzen überschätzt und die falsche Person angesprochen hätte. Je heftiger die Reaktion, desto sicherer kann man sich sein, dass man an der richtigen Stelle nachgefragt hat. Selbstverständlich war eine solche Abmahnung rechtswidrig. Es ist das Recht des Betriebsrates, sich um die Erfüllung seiner Unterrichtungs- und Beratungsrechte zu kümmern.

Teilweise fordern Betriebsräte auch, dass ihre örtliche Leitung mehr Macht bekommt. Damit würde auch wieder der Einfluss des Betriebsrates steigen, denn er wäre wieder näher dran an den mitbestimmungsrelevanten Entscheidungen. Es könnte für den Betriebsrat Sinn ergeben, mit der oft ungeliebten unteren und mittleren Führungsebene zusammenzuarbeiten. Die Interessen beider Gruppen überschneiden sich.

Denkbar ist auch die Gründung von alternativen, eventuell unternehmensübergreifenden Mitbestimmungsorganen nach § 3 BetrVG. Wißman konnte diese Option noch nicht diskutieren. Sie wurde erst kurz nach Erscheinen seines Artikels mit der letzten Reform des Betriebsverfassungsgesetzes geschaffen. Auch das ist ein weiter Weg, kann aber im Rahmen von Tarifverträgen erkämpft werden.

Für den Betriebsrat muss der erste Schritt immer darin bestehen, die eigene Unternehmensorganisation zu analysieren und sich zu fragen, ob der*die eigene Ansprechpartner*in wirklich „der Arbeitgeber“ ist. Falls er es nicht ist, dann muss sich der Betriebsrat genau diese Frage stellen: Wo ist der Arbeitgeber?


[1] Wißmann, Helmut: Die Suche nach dem Arbeitgeber in der Betriebsverfassung NZA 2001, 409.

[2] Hertwig, Markus, u. a.: Onsite-Werkverträge. Verbreitung und Praktiken im Verarbeitenden Gewerbe. WSI Mitteilungen 6/2015.

[3] BAG, Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 7 ABR 16/91

Trotz aller Unterschiede: Gemeinsame Interessen der gesamten Belegschaft erkennen und Spaltungen entgegenwirken

Maschinenfabrik in Chemnitz 1868

Bei Karl Marx liest es sich noch ganz einfach: „Die Großindustrie bringt eine Menge einander unbekannter Leute an einem Ort zusammen. Die Konkurrenz spaltet sie in ihren Interessen; aber die Aufrechterhaltung des Lohnes, dieses gemeinsame Interesse gegenüber ihrem Meister, vereinigt sie in einem gemeinsamen Gedanken des Widerstandes – Koalition.“[1] Erst  im Betrieb lernen sich die Arbeiter:innen kennen und entdecken die gemeinsamen Interessen. Es entsteht eine Koalition, die es ohne die kapitalistische Betriebsordnung nie gegeben hätte. „Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen.[2] Der Kapitalismus schafft damit also die Voraussetzung für den Zusammenschluss der Arbeiter:innen.

Aber wie sieht dies in modernen Betriebsstrukturen aus? Lernen sich die Beschäftigten dort noch wirklich kennen und tauschen sich über ihre gemeinsame Interessenlage aus? Tatsächlich erscheint die Klasse der arbeitenden Menschen heute so differenziert und gespalten wie nie zuvor.

Spaltung durch unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse

Im vergangenen Jahr wurden einer größeren Öffentlichkeit eklatante Unterschiede in Beschäftigungsverhältnissen am Beispiel der Fleischindustrie bekannt. Hier arbeiten festangestellte Kolleg:innen mit Leitungs- und Organisationsaufgaben neben Leiharbeits- und Werkvertragsbeschäftigten unterschiedlicher Entleiher und Subunternehmen zu teilweise katastrophalen Bedingungen. Letztere sind fast ausschließlich Wanderarbeiter:innen ohne deutschen Pass. Das Arbeitsschutzkontrollgesetz soll die Leiharbeits- und Werkvertragsbeschäftigung beenden – allerdings nur in den Kernbereichen. Beim Treiben, bei Reinigungsarbeiten und anderen Hilfsätigkeiten wird sich weiterhin Werkvertragsbeschäftigung unter inakzetablen Bedingungen finden lassen.

Auch in anderen Branchen zeigen sich Ungleichheiten bezüglich der Beschäftigungsverhältnisse, zum Beispiel an staatlichen Schulen in Berlin: Hier arbeiten verbeamtete Lehrer:innen neben angestellten Lehrer:innen und Referendar:innen. Über ein festes Budget können Schulen außerdem externe Aushilfslehrer:innen anstellen. Schon lange arbeiten Schulen überdies mit privaten Agenturen zusammen, die Lernförderlehrer:innen, Schulassistent:innen sowie Lehrkräfte für regulären Unterricht an die Schulen entsenden. Die schulische Hierarchie dieser verschiedenen Gruppen lässt sich ziemlich genau an den unterschiedlichen Entgelten nach unten durchdeklinieren.

Die Beispiele ließen sich sicherlich für jede Branche beliebig fortsetzen. Auch über die Unterschiede zwischen Teilzeit und Vollzeit, befristeten und unbefristeten Arbeitsverträgen sowie Praktikant:innen, 1-Euro-Jobber:innen und Solo-Selbstständigen im Betrieb müsste gesprochen werden. Schon Marx beschrieb solche Differenzierungsprozesse. Ihm war klar, dass „die vom Kapital eingeführte und stets vergrößerte Teilung der Arbeit die Arbeiter [zwingt] sich […] Konkurrenz zu machen“.[3] Eine nach Entgelt und Beschäftigtenstatus diversifizierte Belegschaft zu haben, ist im Interesse der Arbeitgeber:innen. Denn sie erschwert den Zusammenschluss der Beschäftigten untereinander und erhöht die Flexibiliät der Unternehmen.

Weitere Gründe für Belegschaftsspaltungen

Nicht nur das reine Beschäftigungsverhältnis spaltet die Belegschaften:

  • Frauen verdienen im Vergleich zu Männern immer noch 18 Prozent weniger, und  in Bezug auf Arbeitszeit, Aufstiegschancen und Betriebskultur finden sie meist schlechtere Bedingungen vor als ihre männlichen Kollegen.
  • Menschen mit transnationalen Backgrounds oder Nichtmuttersprachler:innen machen Ausgrenzungserfahrungen und haben einen erschwerten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.
  • In manchen Branchen fühlen sich Beschäftigte in ihrem Betrieb aufgrund der bloßen Tatsache ausgeschlossen, dass sie über wenige oder keine Englischkenntnisse verfügen.
  • Neben Geschlecht, Herkunft und Sprache spielt auch das Alter eine wichtige Rolle.
  • Nicht zuletzt wirkt sich die absolvierte Ausbildung auf die Höhe des individuellen Verdienstes aus.

In der Corona-Pandemie müssen viele Beschäftigte darüber hinaus noch eine andere, ganz konkrete Spaltungserfahrung machen: Die Arbeit im Homeoffice führt dazu, dass sich viele Kolleg:innen gar nicht mehr begegnen. Der Betrieb als sozialer Raum verschwindet mitunter vollständig. Übrig bleibt nur der formale Arbeitszusammenhang.

Eine zentrale Frage für jeden Betriebsrat

Wenn all das letztlich nur dem*der Arbeitgeber:in dient, müsste es dann nicht die zentrale Aufgabe des Betriebsrates als Interessenvertretung der gesamten Belegschaft sein, die Einheit und damit – in der marxschen Sprache – die Koalition der Kolleg:innen zu schützen und zu fördern? In der Liste der allgemeinen Aufgaben des Betriebsrates in § 80 BetrVG sucht man eine solche Aufgabe leider vergebens. Der Betriebsrat soll aber die tatsächliche  Gleichstellung der Geschlechter fördern (§ 80 Abs. 1 Nr. 2a), die Eingliederung schwerbehinderter Menschen (§ 80 Abs. 1 Nr. 4), die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer:innen (§ 80 Abs. 1 Nr. 6) sowie die Integration ausländischer Arbeitnehmer:innen (§ 80 Abs. 1 Nr. 7). In § 75 wird ihm außerdem aufgetragen, dass jede Benachteiligung unterbleibt und die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer:innen gefördert wird.

Will der Betriebsrat sich aktiv um die Einheit der Belegschaft bemühen, kann er sich also auf einige Stellen im BetrVG stützen. Nirgends wird er dagegen die Vorgabe finden, sich nur um die – wie auch immer geartete – Kernbelegschaft kümmern zu sollen. Die Möglichkeiten, sich aktiv um die Interessen von Leiharbeits- und Werkvertragsbeschäftigten im Betrieb zu bemühen, haben wir bereits in einer vergangenen Folge diskutiert.

Konkrete Maßnahmen für die Einheit der Belegschaft

Am Anfang sollte eine Analyse des eigenen Betriebes stehen: Aus welchen verschiedenen Gruppen besteht Eure Belegschaft? Welche Bedingungen spalten sie, und welche bringen sie zusammen? Dies kann von Betrieb zu Betrieb sehr unterschiedlich sein. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Mitglieder des Betriebsrates nicht alle Spaltungslinien kennen. Nicht alle Gruppen sind immer auch selbst im Gremium vertreten. Über die Möglichkeit aus § 80 Abs. 2 Satz 4 könnt Ihr mit einzelnen Vertreter:innen der verschiedenen Gruppen sprechen und Euch informieren lassen.

Oft übersehen wird die Vorgabe in § 15 Abs. 1 BetrVG, wonach der Betriebsrat sich möglichst aus Arbeitnehmer:innen der einzelnen Organisationsbereiche und der verschiedenen Beschäftigungsarten zusammensetzen soll. Wenn das bei Euch nicht der Fall sein sollte, könnt Ihr über die Heranziehung betrieblicher Sachverständiger und Nicht-BR-Mitglieder im Wirtschaftssausschuss weitere Kolleg:innen an der BR-Arbeit teilnehmen lassen. Partizipativ gestaltete Betriebsversammlungen, kollektive Sprechstunden und Betriebsbegehungen sind weitere Möglichkeiten, um alle Kolleg:innen zur Mitarbeit einzuladen und direkt von ihnen selbst zu hören.

Aktuell müssen sich viele Betriebsräte am dringlichsten um die Spaltung durch das Homeoffice kümmern. Die Methoden dazu müssen meist erst noch entwickelt und erprobt werden. Der Betriebsrat sollte sich nicht von vermeintlich fehlenden Mitbestimmungsrechten abschrecken lassen. Um neuen Problemen zu begegnen, müssen unweigerlich neue Lösungen gefunden werden. Virtuelle Betriebs- und Abteilungsversammlungen sind nur eine Möglichkeit, der Vereinzelung entgegenzuwirken. Sobald es epidemiologisch wieder möglich ist, könnte ein Rückkehrrecht in den Betrieb bzw. lediglich anteilige Arbeit im Homeoffice eingefordert werden. Über Betriebsvereinbarungen lassen sich Präsenzmeetings zu festen Zeiten oder Themen festschreiben. Auch betriebliche Veranstaltungen und soziale Events während der Arbeitszeit können geregelt werden – alles, was dazu beiträgt, den Betrieb als sozialen Raum zu erhalten oder wiederzubeleben.  

Neben der aktiven Partizipation der Verterter:innen verschiedener Gruppen ist es natürlich genauso wichtig, dass sich die Interessen aller Gruppen auch in Eurer konkreten Mitbestimmungsarbeit wiederfinden. Hier sind Abwägungsfragen notwendig. Das ist kein leichtes Geschäft, aber für leichte Geschäfte ist man ja auch nicht Betriebsrat geworden. Glaubt man Friedrich Engels, bleibt dies die wichtigste Aufgabe der Arbeiter:innenbewegung, denn „die Herrschaft der Bourgeosie beruht nur auf der Konkurrenz der Arbeiter unter sich. […] Der Arbeiter kann die Bourgeoisie und mit ihr die ganze bestehende Einrichtung der Gesellschaft an keinem wunderen Fleck angreifen als an diesem.“[4]


[1] MEW 4, Das Elend der Philosophie S. 180

[2] MEW 4, Das Elend der Philosophie S. 181

[3] MEW 6, Lohnarbeit und Kapital S. 420

[4] MEW 2, Die Lage der arbeitenden Klasse in England S. 436

Im Steinbruch der Betriebsverfassung – Debatten um Gesetzesänderungen für Betriebsräte

Wie können Betriebsräte die bestehende Rechtslage im Sinne einer belegschaftsnahen und wirksamen Interessenvertretung nutzen? Darum geht es in dieser Reihe.

Betriebsräte können es sich nicht leisten, auf hilfreiche Gesetzesänderungen zu warten. Sie müssen mit den Mitteln arbeiten, die ihnen aktuell zur Verfügung stehen. Zum Ende dieses Jahres lohnt es sich dennoch, einen Blick sowohl auf laufende als auch auf vergangene Diskussionen zur Überarbeitung des Betriebsverfassungsgesetzes zu werfen.

Aktuelle Debatten um eine Aktualisierung des BetrVG

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vom März 2018[1] enthält einige diesbezügliche Vorhaben. Nach langem Warten mehren sich die Hinweise, dass das Bundesarbeitsministerium in Kürze einen Entwurf für ein so genanntes „Betriebsrätestärkungsgesetz“ vorlegen wird. Leider sind davon keine grundlegenden Verbesserungen zu erwarten. Neben einer Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens auf Betriebe mit bis zu 200 wahlberechtigten Arbeitnehmer*innen ist lediglich eine Stärkung des Initiativrechts für Betriebsräte bei der betrieblichen Weiterbildung vorgesehen. Ein zwingendes Mitbestimmungsrecht bei Weiterbildungen soll es aber nicht geben. Statt der Einigungsstelle ist ein „Moderator“ vorgesehen – ein Einigungszwang besteht jedoch nicht .

Auch wenn die Große Koalition nicht viel vorlegen wird, scheint das Thema betriebliche Mitbestimmung an Fahrt aufzunehmen. Im November hat die SPD-Fraktion ein Positionspapier zur Mitbestimmung[2] vorgestellt. Es enthält die Forderungen, die gegen den Willen der CDU/CSU nicht umgesetzt werden konnten, darunter: eine nicht weiter ausgeführte Neudefinition des Betriebs- und Arbeitnehmerbegriffes, eine zusätzliche Vereinfachung des Wahlverfahrens, Mitbestimmung beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz, erleichterte Beratung durch Sachverständige und ein Initiativrecht für Gesundheits- und Präventionsfragen. Interessant ist auch die Idee, betriebliche und gewerkschaftliche Mitbestimmung als verpflichtenden Teil in die schulischen Rahmenpläne zu integrieren.

Die Grünen haben dieses Jahr bereits zwei Anträge[3] vorgelegt, in denen sie erfreulich weitgehende Forderungen zum Update des Betriebsverfassungsgesetzes formulieren. Es soll neue, erzwingbare Mitbestimmungsrechte bei der qualitativen Personalentwicklung und Personalplanung, der Arbeitsintensität, beim Homeoffice, bei der Erreichbarkeit, der Gleichstellung von Mann und Frau sowie bei der unternehmensweiten Klimabilanz geben. Auch ein Veto-Recht beim Einsatz von Werkvertragsbeschäftigten und digitale Zugangsrechte sind enthalten.

Die Linksfraktion arbeitet aktuell an einem umfassenden Konzept zur Reform des gesamten Betriebsverfassungsgesetzes (an dem der Autor teilweise beteiligt ist). In der Vergangenheit hatten die Linken bereits Forderungen vertreten, die mittlerweile von anderen Parteien übernommen wurden.[4]

Auch bei der IG Metall soll das Thema betriebliche Mitbestimmung in Zukunft wieder eine größere Rolle spielen. Nachdem man sich in den letzten Jahren mit Korrekturvorschlägen begnügt hatte, soll es nun die Runderneuerung statt des Facelifts sein. Ideengeber ist hier wohl Thomas Klebe, der im Mai dieses Jahres eine Reihe von Vorschlägen für eine Mitbestimmung 2030 entworfen hatte.[5] Neu dabei sind unter anderem: ein erzwingbarer Interessenausgleich bei Betriebsänderungen, ein Initiativrecht beim Umweltschutz und eine Reihe von Regelungen, die die Mitbestimmung in transnationalen Unternehmen erleichtern soll.

Ob und inwiefern sich einige dieser Forderungen zukünftig wirklich im Betriebsverfassungsgesetz wiederfinden werden, hängt wohl vom Ausgang der nächsten Bundestagswahl ab. Es ist aber sinnvoll, nicht nur in die Zukunft, sondern auch in die Vergangenheit zu schauen. Debatten um die Betriebsverfassung werden schließlich nicht erst seit gestern geführt. Dennoch orientieren sich alle vorliegenden Entwürfe am bestehenden Betriebsverfassungsgesetz. Die letzte große Novellierung aus dem Jahr 2001 ist das Ergebnis eines politischen Aushandlungsprozesses, der zu Recht von vielen abgelehnt wird. Warum sollte man sie dann als Gesprächsgrundlage akzeptieren?

Ein Blick zurück nach vorn

Die damalige Debatte wurde vom DGB mit einem umfassenden, eigenen Gesetzentwurf begleitet.[6] Am Ende konnten sich die Gewerkschaften damit zwar nicht durchsetzen, aber das bedeutet nicht, dass jene Forderungen nur noch von historischem Interesse sind. Im Gegenteil: Sie gehen in vielen Punkten über jetzige Entwürfe weit hinaus. Wolfgang Däubler hat sie deshalb als Steinbruch bezeichnet, aus dem man sich auch heute noch mit guten Ideen bedienen könne.[7] Vor allem für die Diskussion innerhalb der Gewerkschaften ist es wichtig, sich klar zu machen, dass der gewerkschaftliche Mainstream in der Vergangenheit progressiver war als heute.

Der DGB-Entwurf sah unter anderem vor:

Wahl von Betriebsräten:

Schon ab 3 Arbeitnehmer*innen (AN*) sollte ein Betriebsrat gewählt werden. Ein vereinfachtes Wahlverfahren war für bis zu 100 Arbeitnehmer*innen obligatorisch vorgesehen. Es war tatsächlich vereinfacht, der Betriebsrat sollte nämlich auf einer einzigen Wahlversammlung gewählt werden. Für die Einladung zur Wahlversammlung in Betrieben ohne Betriebsrat sollte bei bis zu 100 AN* eine einzige Person ausreichen. Betriebe ohne Betriebsrat hätten sich zudem in ein von den Berufsgenossenschaften geführtes Verzeichnis eintragen müssen.

Arbeit von Betriebsräten:

BR-Mitglieder sollten von der betrieblichen Tätigkeit freigestellt werden, sofern sie dies selbst als erforderlich ansehen. Schulungen hätten nicht mehr zwingend „erforderlich“, sondern lediglich „geeignet“ sein müssen, um die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers auszulösen – auch für alle Ersatzmitglieder. Beides eine erhebliche Erleichterung für Betriebsräte. Zusätzlich war der Austausch von Betriebsräten verschiedener Betriebe und Unternehmen explizit vorgesehen.

Mitbestimmung des Betriebsrates:

Der Betriebsrat sollte ein umfassendes, erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei allen sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten haben. Dies beinhaltete natürlich auch ein Initiativrecht des Betriebsrates in all diesen Fragen, verbunden mit der sinnvollen Regelung, dass der Betriebsrat zuerst einen schriftlichen Vorschlag vorlegen sollte. Im Ergebnis wären Betriebsräte weitaus einflussreicher gewesen, als es alle aktuellen Forderungen vorsehen. Bei personellen Einzelmaßnahmen beispielsweise hätte es nicht einfach nur ein Veto-Recht oder gebundene Mitbestimmung gegeben, sondern ein volles, erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei allen Einstellungen und Versetzungen.

Auch ein volles Mitbestimmungsrecht beim Umweltschutz wurde damals gefordert; dies hätte dem Betriebsrat ein allgemeines umweltpolitisches Mandat gegeben. Hier waren auch die Grünen 1987[8] weiter, als sie es heute sind: Sie forderten ein Mitbestimmungsrecht in allen die Umwelt betreffenden Angelegenheiten, insbesondere bei Maßnahmen, die über gesetzliche und behördliche Mindeststandards hinausgehen.

Die damaligen Entwürfe haben eine ausführlichere Würdigung verdient, als sie im Rahmen dieser kleinen Zusammenfassung möglich ist. Für die kommenden Debatten um die Mitbestimmung sollten sie von allen Beteiligten gelesen und diskutiert werden. Will man hinter die damaligen Forderungen zurückfallen, muss man Folgendes nachvollziehbar erklären können: Was konkret hat sich in den Betrieben mittlerweile derart geändert, dass infolgedessen eine verbesserte Arbeitsgrundlage und mehr Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte nicht mehr nötig sind? Aus welchen Gründen sollte das, was 1998 bereits Beschlusslage war, heute nicht mehr gefordert werden?

Das Entscheidende bleibt weiterhin die betriebliche Praxis. Durch das Rütteln von Betriebsräten an allen Seiten der bestehenden Betriebsverfassung wird am deutlichsten, wo genau gesetzlicher Neuregelungsbedarf besteht und wie dringend er ist.


[1] Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode – Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land.

[2] Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion: Mehr Mitbestimmung und mehr Teilhabe – 100 Jahre Betriebsverfassung und Schwerbehindertenrecht. 27. Oktober 2020.

[3] Drucksache 19/16843 Digitalisierung – Update für die Mitbestimmung und Drucksache 19/17521 Mehr Sicherheit für Beschäftigte im Wandel.

[4]  z. B. Drucksache 18/5327 Die Wahl von Betriebsräten erleichtern und die betriebliche

Interessenvertretung sicherstellen.

[5] Thomas Klebe: Betriebsverfassung 2030: Zukunftsanforderungen und Weiterentwicklung. In: Arbeit und Recht 5/2020.

[6] Vorschläge des DGB zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes. 1998.

[7] Vgl. Wolfgang Däubler, Michael Kittner: Geschichte der Betriebsverfassung. 2020.

[8] Drucksache 11/3630.

Ein neues Gesetz zur Stärkung von Betriebsräten

Kurz vor Weihnachten hat das Bundesarbeitsministerium den Referentenentwurf für ein so genanntes Betriebsrätestärkungsgesetz vorgelegt. Der Entwurf befindet sich gerade in der Ressortabstimmung. Sicherlich werden aus dem Justiz-, dem Innen- und vor allem dem Wirtschaftsministerium noch Änderungswünsche kommen. Die Initiative geht zurück auf eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag, die im Kern Vereinfachungen im Wahlverfahren und die Ausweitung von Beratungs- und Mitbestimmungsrechten in der beruflichen Bildung vorsieht. Die überschießenden Teile der SPD-Initiative können von der CDU/CSU ohne große inhaltliche Begründungen, also rein formal, zurückgewiesen werden.

Welche Änderungen sieht der Referentenentwurf vor und was ist von ihnen zu halten?

Erleichterung von Betriebsratswahlen

Betriebsratswahlen und Betriebsratsgründungen sollen erleichtert werden: Das vereinfachte Wahlverfahren wäre nun in Betrieben mit bis zu 100 Arbeitnehmer*innen obligatorisch und bei bis zu 200 Arbeitnehmer*innen optional. Vorher betrugen die Grenzen 50 und 100 Arbeitnehmer*innen. Außerdem sollen in Betrieben mit bis zu 100 Arbeitnehmer*innen die Vorgaben für Stützunterschriften gesenkt werden. Bei bis zu 20 Arbeitnehmer*innen würde auf Stützunterschriften gänzlich verzichtet werden.

Zusätzlich soll die Wahlanfechtung erschwert werden: Haben Wahlberechtigte vor der Wahl keinen Einspruch gegen die Wählerliste eingelegt, dürften sie die Wahl im Nachhinein nicht mehr anfechten. Genauso dürfte die Arbeitgeberin keine Wahlanfechtung aufgrund von Fehlern in der Wählerliste beantragen, wenn die Fehler auf falschen Angaben von ihr selbst beruhen.

Kritische Einordnung der geplanten Änderungen

Es handelt sich um jeweils sinnvolle Änderungen. Aber es wäre falsch, sich zu viel von ihnen zu versprechen. Schon jetzt nutzen nur 50 Prozent der Betriebe mit 50 bis 100 Arbeitnehmer*innen das vereinfachte Wahlverfahren. Es ist zwar wesentlich schneller als das normale Wahlverfahren, aber nicht unbedingt einfacher. Für den Wahlvorstand stellt es meist eine größere Herausforderung dar: Rückwärtsberechnen von Fristen, nachträgliche schriftliche Stimmabgabe und kürzere Vorbereitungszeiten. Im zweistufigen Wahlverfahren besteht darüber hinaus keine Möglichkeit, eine Wahlvorstandsschulung zu besuchen.

Wenn das vereinfachte Wahlverfahren ausgebaut werden soll, warum hält man dann weiterhin daran fest, dass der Wahlvorstand bei der optionalen Anwendung die Zustimmung der Arbeitgeberin braucht? Dadurch kann die Arbeitgeberin direkten Einfluss auf das Wahlverfahren nehmen. Aus gutem Grund ist sie in keiner anderen Weise an den Betriebsratswahlen beteiligt – warum also an dieser Stelle? Nicht selten nutzen Arbeitgeberinnen diese Möglichkeit auch aus, um die Arbeit der Wahlvorstände zu behindern.

In kleineren Betrieben ist das Sammeln von Stützunterschriften nur eine Formalie, weil es meist ausreicht, wenn die Kandidat*innen sich selbst stützen. Man kann also auch darauf verzichten, ohne die Akzeptanz der BR-Wahlen zu gefährden.

Auch die Klarstellungen bei der Wahlanfechtung gehen in die richtige Richtung. Wirklich hilfreich wäre es aber gewesen, der Arbeitgeberin das Recht der Anfechtung von Betriebsratswahlen zu entziehen, wenn sie zuvor ihren Pflichten zur Zuarbeit des Wahlvorstandes nicht nachgekommen ist. Dasselbe könnte gelten, wenn der Betriebsrat glaubhaft machen kann, dass die Arbeitgeberin zuvor versucht hat, die Wahlen zu behindern oder zu verzögern. Dies würde die Dynamik der Wahldurchführung erheblich zum Positiven verändern. Ein großes Problem besteht oft darin, dass die Arbeitgeberin dem Wahlvorstand Informationen über das Personal, Computer, Räume oder auch nur Umschläge und Briefmarken nicht oder nur verzögert zur Verfügung stellt und damit die Wahldurchführung erheblich verzögern kann.

Insgesamt ist von diesen Änderungen nicht zu erwarten, dass sie zur größeren Verbreitung von Betriebsräten beitragen werden. Ein wichtiges Zeichen ist jedoch der geplante Schutz von Wahlinitiator*innen. Kolleg*innen, die zur ersten Betriebsratswahl einladen oder andere Vorbereitungshandlungen unternommen haben, sollen schon vor Beginn der eigentlich BR-Wahl unter den außerordentlichen Kündigungsschutz fallen. In der Praxis werden solche Kündigungen zwar nicht überaus häufig ausgesprochen. Aber alle Kolleg*innen, die eine erstmalige Betriebsratswahl initiieren, berichten von Unsicherheiten und Befürchtungen, die diesen Prozess begleiten. Es kann nur von Vorteil sein, wenn der Gesetzgeber auf diesem Wege signalisiert, dass die Gründung von Betriebsräten gewollt ist und besser geschützt wird.

Virtuelle Betriebsratssitzungen

Die im Zuge der Corona-Krise befristet eingeführte Möglichkeit der Beschlussfassung per Video- oder Telefonkonferenz soll verstetigt werden. Der Normallfall „BR-Sitzungen in Präsenz“ wird dafür explizit festgeschrieben. Darüber hinaus muss der Betriebsrat für Beschlussfassungen im Rahmen von virtuellen oder hybriden Sitzungen seine Geschäftsordnung entsprechend ändern. Auch dann kann ein Viertel der BR-Mitglieder der Einberufung einer virtuellen Sitzung noch widersprechen.

Kritische Einordnung

Virtuelle Betriebsratssitzungen werden von vielen BR-Kolleg*innen und den Gewerkschaften als sehr problematisch angesehen. Tatsächlich waren es die Arbeitgeberverbände, die eine solche Möglichkeit bereits vor der Pandemie gefordert hatten. Dennoch erscheint die vorgeschlagene Regelung angemessen. Denn Präsenzsitzungen werden ausreichend geschützt, und Gremien, für die virtuelle Beschlussfassungen tatsächlich hilfreich sind, können diese individuell für sich regeln und nutzen.

Datenschutz

Nicht erst mit virtuellen BR-Sitzungen hat die Frage des Datenschutzes im BR-Büro an Bedeutung gewonnen. Der Betriebsrat soll nun explizit auf seine Pflichten zur Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorschriften hingewiesen werden. Gleichzeitig wird klargestellt, dass auch bei der Datenverarbeitung durch den Betriebsrat der Arbeitgeber der Verantwortliche im Sinne der DSGVO ist.

Sachverständige

Die Hinzuziehung von Sachverstand soll künftig immer dann erforderlich sein, wenn es um Fragen von Informations- und Kommunikationstechnik (IuK-Technik) geht. Damit könnten Betriebsräte jederzeit eine*n Sachverständige*n zu Digitalfragen heranziehen und müssten sich mit der Arbeitgeberin lediglich über Person und Kosten abstimmen.

Kritische Einordnung

Grundsätzlich ist das sehr positiv. Betriebsräte brauchen mehr Unterstützung durch Expert*innen und Berater*innen, müssen dafür aber meist lange kämpfen. Aber ist es gerechtfertigt, IuK-Technik gegenüber allen anderen Mitbestimmungstatbeständen, wie zum Beispiel Arbeits- und Gesundheitsschutz oder Arbeitszeit, herauszuheben? Es wird dazu führen, dass Betriebsräte sich vorrangig mit diesen Fragen beschäftigen werden, weil es sehr wertvoll ist, Sachverstand an seiner Seite zu haben. Gleichzeitig sind IuK-Fragen meist Themen, die keinen großen Widerhall in der Belegschaft finden. Auch im Gremium selbst sind häufig nicht alle Mitglieder dafür zu begeistern. Dies könnte zur Folge haben, dass sich Betriebsräte noch weiter professionalisieren und einzelne Interessierte zusammen mit Sachverständigen Betriebsvereinbarungen aushandeln, die zwar positive Veränderungen für die Belegschaft bringen, aber die Kolleg*innen nicht wirklich mitreißen. Der Betriebsrat wird dann noch mehr zum Spezialgremium, und beteiligungsorientiertes Arbeiten tritt eher in den Hintergrund.

Auch wenn Digitalthemen massiv an Bedeutung im betrieblichen Alltag gewonnen haben und unbedingt stärker mitbestimmt werden müssen, sind sie nicht per se wichtiger als andere Fragen. Die Hinzuziehung von Sachverständigen sollte insgesamt erleichtert werden. Der Betriebsrat muss sich zu jedem Thema beraten lassen können. Im Zweifelsfall könnte die Arbeitgeberin die Möglichkeit haben, die Beauftragung des Betriebsrates im Rahmen einer Einigungsstelle überprüfen zu lassen. So würde es auch weiterhin der Entscheidungsfindung im Gremium überlassen bleiben, mit welchen Themen der Betriebsrat sich vorrangig befasst.

Mobile Arbeit

Es soll ein neues Mitbestimmungsrecht bei “der Ausgestaltung von mobiler Arbeit” geben. Das ist sehr zu begrüßen. Bisher mussten Betriebsräte sich auf die verschiedenen anderen Tatbestände beziehen und sich Mitbestimmung bei mobiler Arbeit selbst zusammenbauen. Die Neuregelung wird einiges erleichtern und zugleich der Tatsache gerecht werden, dass mobile Arbeit in Zukunft noch wesentlich verbreiteter werden wird und unbedingt geregelt und mitbestimmt gehört. Zudem umfasst mobiles Arbeiten nicht nur Homeoffice, sondern alle Tätigkeiten, die mittels Kommunikationstechnologie außerhalb der eigentlichen Betriebsstätte stattfinden. Eine sichere Beurteilung dieses neuen Mitbestimmungstatbestandes ist erst dann möglich, wenn nach der Ressortabstimmung klar ist, was das Mitbestimmungsfeld „mobile Arbeit“ konkret beinhaltet und welche Rechte der Betriebsrat dabei hat.

Berufsbildung

Auch bei der Berufsbildung soll das Mitbestimmungsrecht gestärkt werden. Maßnahmen der Berufsbildung könnten demnach nun auch in der Einigungsstelle verhandelt werden. Allerdings soll die Einigungsstelle hier keinen Spruch fällen dürfen. Das bedeutet, dass die Arbeitgeberin jeden Vorstoß am Ende einfach ignorieren könnte. Mitbestimmung bei der Berufsbildung spielt aktuell noch eine vergleichsweise kleine Rolle bei der Arbeit von Betriebsräten. Es ist nicht ersichtlich, warum man hier kein umfassendes Mitbestimmungsrecht zulassen sollte. Rechtspolitisch fahrlässig ist es, dass hier eine Schneise für eine „Einigungsstelle light“ geschlagen wird.

Fazit

Die geplanten Änderungen gehen zwar in die richtige Richtung, aber keineswegs weit genug. Es sind lediglich kleinere Korrekturen eines Systems, das Betriebsräte weiterhin als zusätzlichen Produktionsfaktor sieht. Das Gesetzesvorhaben muss von Betriebsräten und Gewerkschaften kritisch begleitet werden. Sinnvolle Änderungen sollten umgesetzt werden. Wichtiger bleibt aber, eine progressive und beteiligungsorientierte Mitbestimmungspraxis zu pflegen und damit die demokratische Idee der Betriebsräte weiter zu stärken. Die Diskussion dazu beginnt jetzt wieder neu.

Gesundheitsschutz im Homeoffice – am Beispiel der Belastungen durch häufige Videokonferenzen

Am 20. Januar 2021 hat die Bundesregierung die neue SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung beschlossen. Nach zehn Monaten “epidemischer Lage von nationaler Tragweite” und einer Fülle von Corona-Rechtsakten ist dies die erste verpflichtende, nationale Regelung für Betriebe. Die Infektionsprophylaxe am Arbeitsplatz wurde bis dato allein den Arbeitgebern überlassen. Dabei wissen wir, dass Gesundheitsschutz dort in keinen guten Händen ist: Bereits vor der Pandemie haben nur fünf Prozent eine umfassende Gefährdungsbeurteilung durchgeführt. Aktuell geben 20 Prozent der Unternehmen selbst an, gar keine Corona-Maßnahmen im Betrieb umzusetzen.[1]

Auch die nun beschlossene Verordnung bleibt wirtschaftsfreundlich. Im Zentrum steht die Pflicht des Arbeitgebers, im Falle von Büroarbeit Homeoffice anzubieten. Das ist an sich sinnvoll. Homeoffice ist eine effektive Maßnahme im Kampf gegen Corona. Gleichzeitig arbeiten jedoch nur ca. 50 Prozent der Beschäftigten in einer Bürotätigkeit.[2] Auch für die andere Hälfte der arbeitenden Bevölkerung müssen infektionsschutzgerechte Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.

Aber auch Homeoffice selbst ist keine unproblematische Beschäftigungsform. Damit die Arbeit von zu Hause gesundheitsgerecht gestaltet werden kann, sind sowohl technische als auch organisatorische und personelle Voraussetzungen zu erfüllen. Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten im Zuge der Pandemie ins Homeoffice geschickt haben, haben sich meist keine Gedanken darüber gemacht. Sie konnten sich diesbezüglich auf die Dringlichkeit der Pandemie berufen. Sofern die Arbeitsleistung weiter erbracht wird, sehen sie wohl auch keinen Anlass, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen – ein leider bekanntes Phänomen. Im Zuge der Pandemie etablieren sich dadurch problematische Arbeitsbedingungen, die die Corona-Zeit zu überdauern drohen. Hier sei nur ein Beispiel besprochen: Videokonferenzen.

Besprechungen und Konferenzen online durchzuführen, verringert nicht nur Kontakte im Betrieb und macht Homeoffice meist erst möglich, es erspart auch Anreisekosten und erhöht das Tempo von internen und externen Absprachen. Videokonferenzen dienen der Effizienzsteigerung und sind auch jenseits der Pandemie interessant für Unternehmen. Bereits nach dem ersten Lockdown gaben 93 Prozent der Unternehmen an, dass sie im Zuge der Corona-Krise bei der Kommunikation vermehrt auf Videokonferenzen setzen.[3]

Was ist „Zoom-Fatigue“?

Bereits im September 2020 erschien die erste deutsche Studie, die das Phänomen „Zoom-Fatigue“ nachwies. „Zoom-Fatigue“ meint die besondere Erschöpfung, die Menschen empfinden, wenn sie längere Zeit in Videokonferenzen zugebracht haben. Fast 60 Prozent der Befragten Büroarbeiter*innen berichteten von Konzentrationsschwäche, Ungeduld, Kopfschmerzen, Gereiztheit, Schlafstörungen sowie Sehstörungen und Rückenschmerzen.[4]  Zoom-Fatigue wird noch erforscht. Einig ist man sich jedoch darin, dass Videokonferenzen im Vergleich zu Präsenzmeetings deutliche Unterschiede aufweisen. Die gesamte Kommunikation findet über ein Medium statt. Was ich sehe und höre, ist nicht mein Gegenüber, sondern eine Reihe von audio-visuellen Zeichen, die lediglich auf die andere Person verweisen. Normalerweise befinden sich alle Gesprächsteilnehmer*innen auch körperlich im selben Raum und können neben verbalen Äußerungen ein breites Spektrum non-verbaler Signale wahrnehmen, um sich kommunikativ zu orientieren. Viele dieser Signale fallen bei virtuellen Treffen weg oder sind gestört; direkter Augenkontakt ist nicht möglich, Hörersignale sind meist stumm gestellt. Aus diesen Gründen sind wir automatisch hyperfokussiert auf die wenigen Zeichen, die uns zur Verfügung stehen. Gleichzeitig sehen wir nicht nur ein Gegenüber, sondern viele Gesprächsteilnehmer*innen auf einmal, inklusive uns selbst. Dadurch besteht die Gefahr der Überstimulierung, die nicht selten umschlägt in Abgelenkt-Sein. Videokonferenzen laden dazu ein, nebenbei noch andere Sachen zu tun: im Netz recherchieren, E-Mails checken etc.[5]

Hinzu kommt, dass sich bei Online-Meetings meist eine andere Form der Gesprächskultur etabliert hat. Es wird wesentlich stringenter und zur Sache diskutiert. Small Talk fällt oft vollständig weg (obwohl er eine wichtige soziale Funktion erfüllt). Die Teilnehmer*innen reagieren viel sensibler auf Unterbrechungen und Störungen. Insgesamt herrscht eine strengere Gesprächsdisziplin. Weil es effizient erscheint, werden Videokonferenzen meist eng hintereinander getaktet. Weder zwischen noch während der Meetings sind Pausen eingeplant.

Was tun gegen Zoom-Fatigue?

Wenn tägliche mehre Stunden Videokonferenzen zum Arbeitsalltag werden, bringt dies nachgewiesene Belastungen mit sich. Allerdings kann diesen Belastungen leicht begegnet werden:

Technische Maßnahmen:

Alle beschriebenen Probleme werden durch knackende Mikrofone, körnige Kamerabilder und flackerndes Internet noch weiter verstärkt. Mangelnde technische Ausstattung schadet nicht nur dem*der Nutzer*in, sondern auch allen anderen Teilnehmer*innen. Es muss Sache des Arbeitgebers sein, angemessene Technik für Videokonferenzen zur Verfügung zu stellen und diese regelmäßig zu warten.  Im Betrieb und im Homeoffice sollte mit jedem*jeder Beschäftigten der Videoarbeitsplatz von einer sachkundigen Person technisch eingerichtet werden.

Organisatorische Maßnahmen:

Es braucht eine Obergrenze von Online-Meetings pro Tag und eine maximale Länge der Konferenzen. Zwischen und während der Konferenzen müssen angemessene Pausen eingeplant werden. Leitende Angestellte und alle Beschäftigten, die Videokonferenzen einberufen, müssen auf diese Vorgaben hingewiesen und für die auftretenden Belastungen sensibilisiert werden. Auch sollte intern besprochen und festgelegt werden, welche Art von Meetings im Rahmen von Videokonferenzen stattfinden können und welche Gespräche nur Präsenztreffen vorbehalten sein sollen.

Auch müssen Arbeitszeiten und Aufgabenlast der Beschäftigten so gestaltet sein, dass sie zu bewältigen sind, ohne während der Videokonferenz an anderen Aufgaben arbeiten zu müssen. Meist nehmen an Online-Meetings zu viele Personen teil, die nicht unbedingt beteiligt werden müssten. Eine Videokonferenz auszusetzen, ist manchmal die beste Methode, um Belastungen zu vermeiden.

Personelle Maßnahmen:

Die Qualität von Videokonferenzen hängt stark von der Moderation ab. Diese folgt bei Online-Meetings anderen Regeln als bei Präsenzveranstaltungen. Alle Moderator*innen sollten die Möglichkeit bekommen, sich für Online-Meetings schulen zu lassen, in denen wichtige Fragen geklärt werden, z. B.: Wie kann ich durch entsprechende Gesprächsführung die Konferenz für alle Beteiligten angenehmer machen? Wie können Räume für Small Talk und zwischenmenschlichen Austausch geschaffen werden?

Keine dieser Maßnahmen ist besonders aufwendig, keine würde die betrieblichen Abläufe stören. Im Gegenteil: Vermutlich würden Arbeitsabläufe und Effizienz sogar davon profitieren. Dennoch finden sich aktuell wohl in kaum einem Betrieb vergleichbare Regelungen.

Betriebs- und Personalräte können und sollten aktiv werden

Auch bei diesem Thema bleibt es an den Betriebs- und Personalräten, gemeinsam mit den Kolleg*innen entsprechende Maßnahmen zu entwickeln und einzufordern. Wenn Staat und Arbeitgeber den betrieblichen Gesundheitsschutz ignorieren, müssen die Beschäftigten ihn selbst in die Hand nehmen. Schließlich steht die eigene Gesundheit auf dem Spiel. Wir können nicht zulassen, dass unternehmerische Interessen über der Gesundheit der Kolleg*innen stehen – auch dann nicht, wenn es um die vermeintlich kleine Frage von Zoom-Fatigue geht.

Betriebsräte fragen sich eventuell, ob sie hier überhaupt mitbestimmen können. Nun, die erste Frage muss sein, ob der Betriebsrat mitbestimmen will. Wenn ja, kann er sich immer einmischen und beim Arbeitgeber auf Abhilfe drängen. Zuerst ist jedoch zu prüfen, ob der Arbeitgeber versucht hat, sich mit dem Betriebsrat über die Einführung von Videokonferenzen und die Auswirkungen auf die Beschäftigten zu beraten. Präsenz- durch Online-Meetings zu ersetzen, ist nämlich offensichtlich ein neues Arbeitsverfahren nach § 90 Nr. 3 BetrVG. Aber auch jenseits dessen bestehen klare Mitbestimmungsmöglichkeiten aufgrund der hier greifenden Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, technischer Überwachungseinrichtungen und der Arbeitszeit.

Zu diesem Thema bieten wir aktuell ein kostenloses Online-Seminar an:

Sicheres und gesundes Arbeiten in der Corona-Pandemie

Donnerstag, 25. Februar 2021 14:30 bis 16:00 Uhr

Anmeldung zur Zoom-Veranstaltung über diesen Link.


[1] Vgl. Strobel/Kluge: In Betrieb und Parlament für gesunde Arbeit kämpfen. Februar 2021, in: https://www.betriebundgewerkschaft.de/in-betrieb-und-parlament-fuer-gesunde-arbeit-kaempfen/.

[2] Vgl. Kleine Anfrage „Büroarbeit und körperliche Gesundheit“ (BT-Drs. 19/23247) von Jutta Krellmann u.a. und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

[3] Vgl. Fraunhofer-Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation IAO: Arbeiten in der Corona-Pandemie – Auf dem Weg zum New Normal.

[4] Rump/Brandt: Zoom-Fatigue, September 2020. Institut für Beschäftigung und Employability.

[5] Vgl. Lepschy: Videokonferenz – Sprechwissenschaftliche Analyse eines viralen Phänomens. In: sprechen. Zeitschrift für Sprechwissenschaft, Heft 70, 2020.

Neue Kandidat*innen für den Betriebsrat gewinnen – Sechs Ideen, wie es gelingen kann

In manchen Betrieben sind Betriebsratswahlen und Listenplätze hart umkämpft. Jede*r will in den Betriebsrat, weil es eine tolle Sache ist. In anderen Betrieben wiederum scheitern Wahlen nicht selten daran, dass sich keine Kandidat*innen finden lassen. Gremien verschwinden wieder oder werden erst gar nicht gegründet. Dies hat vor allem damit zu tun, wie tief Mitbestimmung in der betrieblichen Sozialordnung, der Betriebskultur verankert ist.

Der Wahlvorstand, Vertrauensleute, der amtierende Betriebsrat und einzelne Beschäftigte können und sollten dazu beitragen, dass sich möglichst viele Personen für BR-Wahlen aufstellen lassen. Hier sind sechs Ideen, wie Ihr neue Kandidat*innen für Euren Betriebsrat gewinnen könnt. Das Wichtigste zuerst:

  1. Macht auf allen Kanälen Werbung!

Der Wahlvorstand bzw. der Betriebsrat sollte alle denkbaren Kommunikationswege nutzen, um unter den Kolleg*innen die Information zu verbreiten, dass ein neuer Betriebsrat gewählt wird. Die Wahlordnung sieht vor, ein Wahlausschreiben auszuhängen und gibt auch den notwendigen Inhalt dafür vor. Jeder Wahlvorstand muss das also selbstverständlich tun. Nüchtern betrachtet wird aber kaum jemand dieses Wahlausschreiben lesen. Umso wichtiger ist es, zusätzlich über andere Kanäle zu informieren. Hier kann der WV dann auch konkret dazu aufrufen, für den Betriebsrat zu kandidieren.

Welche Verbreitungsmöglichkeiten könnt Ihr außerdem nutzen?

  • Das schwarze Brett: Hier solltet Ihr nach Möglichkeit kein DIN A4-Blatt mit Schriftgröße 11 aufhängen. Größere Formate, bunte Farben, handgeschriebene Texte, aufgeklebte und individuell gestaltete Elemente – alles, was Aufmerksamkeit erzeugt, neugierig macht, interessant oder auch lustig ist, führt dazu, dass Euer Aushang gelesen wird!
  • Auf Betriebsversammlungen kann der Wahlvorstand einen eigenen Tagesordnungspunkt bekommen. Wenn es keinen Betriebsrat gibt, kann man den AG trotzdem bitten, eine Personalversammlung einzuberufen oder dem Wahlvorstand auf Meetings ein eigenes Zeitfenster zur freien Gestaltung einzuräumen. Wichtig ist, dass der Wahlvorstand ungestört berichtet, ohne Einmischung des Arbeitgebers. Mit Hilfe der Gewerkschaft oder ganz privat können auch Treffen außerhalb der Arbeitszeit organisiert werden. Dort wird zwar nie die gesamte Belegschaft erscheinen, trotzdem werden die Informationen viele Leute erreichen.
  • Intranet und interne Maillisten dürfen genauso bespielt werden. Der Wahlvorstand kann auch hier einen eigenen Bereich haben und/oder den Aushang des Wahlausschreibens durch E-Mails flankieren.
  • Warum sollte der Wahlvorstand nicht auch Messengerdienste, wie WhatsApp, Threema, Signa etc. nutzen?! In vielen Betrieben werden unter den Beschäftigten Messengergruppen informell organisiert und genutzt. Natürlich muss man davon ausgehen, dass auch Dritte diese Informationen mitlesen. Aber so ist es auch bei anderen Kommunikationswegen. Wenn viele Kolleg*innen über Messenger kommunizieren, dann sollte der Wahlvorstand auch hier aktiv werden, um auf die Wahl und die Möglichkeit zu kandidieren hinzuweisen. Trotz aller Kommunikationswege, die zur Verfügung stehen, lautet die wirkungsvollste Methode immer noch:

  1. Sucht das persönliche Gespräch.

Sprecht all jene Personen im Betrieb persönlich an, die Ihr Euch gut im Betriebsrat vorstellen könnt. Ermuntert Eure Kolleg*innen, das ebenfalls zu tun. Auf diese Weise werden sicherlich einige neue Kandidat*innen entdeckt. E-Mails und Aushänge werden von vielen Kolleg*innen – trotz aller Mühe, die Ihr investiert – im betrieblichen Alltag oft doch nicht gelesen. Wenn Ihr jemanden direkt ansprecht, könnt Ihr Euch hingegen sicher sein, dass Ihr auch gehört werdet. Im persönlichen Gespräch spürt Ihr außerdem sofort, wie die*der Angesprochene reagiert, welche Bedenken oder Einwände er*sie möglicherweise hat. Ihr habt dann sofort die Chance, darauf einzugehen. Das erfordert:

  1. Nehmt die Bedenken der Kolleg*innen ernst.

Eure Kolleg*innen werden Euch vielleicht erzählen, was sie daran hindert, für den Betriebsrat zu kandidieren. Ihr solltet diese Bedenken unbedingt ernst nehmen und berücksichtigen. Es geht in diesen Gesprächen nicht darum, jemanden von etwas zu überzeugen, dass er*sie eigentlich gar nicht will. Davon hätte niemand etwas, weder der*die potentielle Kandidat*in, noch das zukünftige Gremium. Es gibt gute Gründe, warum jemand glaubt, dass Betriebsratsarbeit nicht in sein*ihr Leben passt. Vielleicht ist er*sie mit Betreuungsaufgaben, Kindern, Pflege, Studium, Zweitjob, Selbstständigkeit etc. zeitlich und gedanklich stark eingebunden. Vielleicht gibt es auch betriebliche Gründe: Befristung, Aufstiegswünsche, bestehende Konflikte oder Angst vor Konflikten, betriebliche Tätigkeiten, die auf den ersten Blick nicht mit der BR-Arbeit zusammengehen wollen etc. Mit Eurem Wissen über die BR-Arbeit könnt Ihr die jeweiligen Bedenken gemeinsam besprechen. Gut möglich, dass Ihr dabei feststellt, dass sie unbegründet sind oder dass der neu gewählte Betriebsrat ihnen gut begegnen kann. Vielleicht stellt Ihr aber auch gemeinsam fest, dass es tatsächlich schwierig wäre, wenn er*sie im Gremium wäre. In diesem Fall ist es ehrlich und fair, von einer Kandidatur abzuraten. Für den Betriebsrat zu kandidieren, muss aber keine unverrückbare Lebensentscheidung sein. Ihr könnt den Kolleg*innen die Entscheidung leichter machen, indem Ihr Folgendes berücksichtigt:

  1. Hängt die Hürde nicht so hoch.

Eine Kandidatur für den Betriebsrat darf wohlüberlegt sein. Aber sie ist keine Entscheidung für den Rest des Arbeitslebens. Nach der Wahl springen in den ersten Wochen und Monaten üblicherweise immer ein paar BR-Mitglieder wieder ab, weil sie gemerkt haben, dass es doch nichts für sie ist. Gerade deshalb braucht man viele Kandidat*innen. Wenn die Kolleg*innen um diese Ausstiegsmöglichkeit wissen, senkt das die Hürde für eine Kandidatur. Oft wird auch gefragt, ob man als Ersatzmitglied kandidieren kann. Im Gegensatz zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung, geht dies beim Betriebsrat nicht. Es ist aber absolut legitim, wenn man die Belegschaft darüber informiert, dass ein*e bestimmte*r Kandidat*in den Betriebsrat am liebsten als Ersatzmitglied unterstützen möchte. Die Kolleg*innen sollten diese Person dann am besten nicht wählen. Er*Sie wählt sich allerdings selbst, so dass er*sie im Ergebnis mit einer Stimme als Ersatzmitglied gewählt wird. Bei Listenwahl kann er*sie natürlich auf einem hinteren Platz kandidieren. Wenn alle Beteiligten Bescheid wissen, ist dies eine viel bessere und fairere Variante, als wenn sich jemand mit vielen Stimmen ins Gremium wählen lässt und nach kurzer Zeit wieder verschwindet. Möglicherweise wollte die Person nur vom außerordentlichen Kündigungsschutz profitieren. Das ist nicht so schön. Trotzdem spricht nichts dagegen, dass Ihr auch die individuellen Vorzüge einer Kandidatur klar benennt:

  1. Weist auf die persönlichen Vorteile hin.

Es ist absolut in Ordnung, auf die subjektiven Vorteile einer Kandidatur hinzuweisen. Betriebsratsarbeit soll weder Nach- noch Vorteile für die BR-Mitglieder bedeuten. Dennoch bringt die Amtsübernahme Dinge mit sich, die viele Betriebsräte als positiv und reizvoll empfinden: der außerordentliche Kündigungsschutz; die Möglichkeit, an Schulungen teilzunehmen und sich weiterzubilden; das Unternehmen ganz neu kennenzulernen und Abwechslung von der normalen arbeitsvertraglich geregelten Tätigkeit zu haben. Viele Kolleg*innen wissen vielleicht auch gar nicht, dass sie sich für die BR-Tätigkeit freistellen lassen können und diese Arbeit nicht in ihrer Freizeit leisten müssen. Am interessantesten ist es natürlich, dass man als Betriebsrat Einfluss auf die Organisation und die Bedingungen der Arbeit nehmen und direkt versuchen kann, eigene Verbesserungsideen umzusetzen. Deswegen ist besonders wichtig:

6. Stellt die Mitbestimmungsmöglichkeiten des Betriebsrats heraus.

Natürlich ist es attraktiv, wenn man erfährt, dass man als BR die Möglichkeit hat, die Arbeitsbedingungen im Unternehmen tatsächlich zu verändern und Ideen für Verbesserungen in die Tat umsetzen kann. Fragt Euch, was der Betriebsrat, speziell in Eurem Unternehmen, alles tun bzw. bewirken könnte: Ist es bei Euch vielleicht besonders spannend, dass die Personaleinsatzpläne mitbestimmungspflichtig sind? Oder die Urlaubspläne? Vielleicht beschweren sich die Kolleg*innen schon lange über den löchrigen Datenschutz oder veraltete Bürostühle? Bei den meisten Fragen hat der Betriebsrat die Möglichkeit, direkt einzugreifen. Viele Kolleg*innen werden das so genau nicht wissen. Erzählt es ihnen,  dann kriegen sie von ganz allein Lust auf die Betriebsratsarbeit.

In jedem Fall solltet Ihr die positiven Seiten der BR-Arbeit betonen. Wenn es in der Vergangenheit mal Probleme in der Kommunikation mit dem Arbeitgeber gab, so sollte das nicht verschwiegen werden. Aber wenn Ihr Kolleg*innen für das Amt des Betriebsrates gewinnen wollt, dann ist es sinnvoll und legitim, als erstes von Euren Erfolgen zu berichten. Immerhin seid Ihr ja selbst im Betriebsrat und überzeugt von Eurer Arbeit. Also: Warum seid Ihr im Betriebsrat? Was fasziniert Euch an der Arbeit? Was macht Euch besonderen Spaß? Was motiviert Euch? Erzählt den Kolleg*innen davon, und Eure Euphorie wird überspringen.

Betriebsräte für den Klimaschutz

Vor einem Jahr wurde das Bundes-Klimaschutzgesetz verabschiedet. Als Rahmengesetz bindet es jedoch ausschließlich die öffentliche Hand. Es fehlt weiterhin an Gesetzen oder Verordnungen, die alle privaten Unternehmen zum Klimaschutz verpflichten. Dabei erfolgte bereits im Jahr 2001 ein wichtiger Schritt: Umweltschutz wurde zu einer der allgemeinen Aufgaben des Betriebsrates erklärt. Die Idee dahinter war, das Wissen der Beschäftigten zu nutzen, um Umweltbelastungen, die vom Betrieb ausgehen, zu vermeiden.[1]

 

Nach zwanzig Jahren muss man jedoch konstatieren, dass das weitestgehend erfolglos blieb. Für die Arbeit der allermeisten Gremien spielt betrieblicher Umweltschutz keine große Rolle: Während sich über 70 % aller Betriebsräte mit Arbeitszeitkonten und Datenschutz beschäftigen, gaben bei der WSI-Betriebsrätebefragung 2017 nur 17 % an, Betriebsvereinbarungen zum Umweltschutz abgeschlossen zu haben.[2] Es sind keine Arbeitsgerichtsverfahren zu Betriebsvereinbarungen zum betrieblichen Umweltschutz dokumentiert.[3]

In Anbetracht der dramatischen Lage können wir es nicht hinnehmen, dass Klimaschutz in der betrieblichen Mitbestimmung keine Rolle spielt. Es ist essenziell, auch und gerade Betriebsräte als Akteure des ökologischen Wandels zu gewinnen.

 

Dafür brauchen Betriebsräte unbedingt ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei Maßnahmen des betrieblichen Umweltschutzes, insbesondere des Klimamanagements. Nur dann sind sie in der Lage, Konzepte und Maßnahmen auf Augenhöhe mit der Unternehmensleitung zu verhandeln und im Betrieb umzusetzen. Problem: In der laufenden GroKo-Legislatur wird es eine dementsprechende Gesetzesänderung nicht geben. Doch wir können es uns nicht leisten, mit dem Klimaschutz bis zu günstigeren politischen Konstellationen zu warten. Auch ohne volles Mitbestimmungsrecht hat der Betriebsrat bereits jetzt zahlreiche Möglichkeiten, sich beim betrieblichen Umweltschutz einzumischen. Betriebsräte sollten diese Optionen in jedem Fall nutzen, weil sie damit die besten Argumente für einen Ausbau der Mitbestimmung in Umweltfragen liefern.

 

Was der Betriebsrat aktuell tun kann

 

Nach § 80 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gehört es zu den allgemeinen Aufgaben des Betriebsrates, Maßnahmen des betrieblichen Umweltschutzes zu fördern. In § 89 Abs. 1 Satz 1 BetrVG wird dies durch eine Verpflichtung ergänzt, sich dafür einzusetzen, dass die Vorschriften über den betrieblichen Umweltschutz durchgeführt werden. Der Betriebsrat ist also bereits klar mandatiert, sich im Betrieb für Umweltschutz zu engagieren. Aber was bedeutet betrieblicher Umweltschutz hier genau? § 89 Abs. 3 BetrVG liefert hierfür sogar eine Legaldefinition, die aber den eigentlichen Begriff des „Umweltschutzes“ zirkulär ungeklärt lässt. Vereinfacht kann man deswegen sagen, dass der Betriebsrat sich zu allen Fragen äußern kann, die man landläufig mit Umweltschutz verbindet, solange sie etwas mit dem eigenen Betrieb zu tun haben. Der Klimawandel bzw. die durch den eigenen Betrieb verursachte Emission von Treibhausgasen gehört allemal dazu.[4]

Der Betriebsrat hat demnach auch das Recht, sich angemessen über die Frage des betrieblichen Klimaschutzes zu informieren. Er kann von der Arbeitgeberin Informationen anfordern, externe und interne Sachverständige befragen und sich im Rahmen von Betriebsbegehungen selbst ein Bild machen. Auch hat er nach § 37 Abs. 6 BetrVG das Recht, Schulungen zu diesem Thema zu besuchen.

 

Über die Informationsbeschaffung hinaus kann der Betriebsrat selbst aktiv werden und bei der Arbeitgeberin auf die Umsetzung klimaschonender Maßnahmen hinwirken. Das können kleine Schritte sein, wie zum Beispiel wassersparendes Verhalten beim Nutzen der betrieblichen Sanitäranlagen oder der Verzicht auf Einweggeschirr in der Kantine. Bei diesen Maßnahmen würde ihm sogar ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 8 BetrVG zukommen. Häufig wird auch über Job-Tickets gesprochen, die die Arbeitgeberin zur Verfügung stellt, um den Umstieg vom PKW auf den ÖPNV zu unterstützen. Vielleicht kann man auch gleich Betriebsfahrräder für den Arbeitsweg oder für Transferfahrten zwischen Betriebsstätten anschaffen. Noch wichtiger wären verbindliche Richtlinien für Dienstreisen. So hat zum Beispiel die Universität Potsdam durch eine interne Regelung sichergestellt, dass bei erforderlichen Reisen von unter 1.000 km grundsätzlich auf Flüge verzichtet wird.

Die vom Betriebsrat angestrebten Änderungen können auch tiefgreifender sein: Aus welchen Quellen bezieht der Betrieb seine Energie? Ist ein Wechsel zu Strom aus erneuerbaren Energien oder der Einbau von Photovoltaik-Anlagen möglich? Auch die konkreten Produkte und angebotenen Dienstleistungen können entlang der gesamten Wertschöpfungskette auf Klimafreundlichkeit hinterfragt werden.

 

Langfristig geht noch mehr

 

Perspektivisch werden einzelne Maßnahmen nicht ausreichen. Vielmehr muss der Betriebsrat darauf drängen, dass das Unternehmen ein nachhaltiges Klimaschutzmanagement etabliert. Das Carbon Disclosure Project (CDP) hat dafür Konzepte entworfen. Das CDP ist eine gemeinnützige Organisation, die dafür wirbt, dass Unternehmen ihre Treibhausgasemissionen veröffentlichen. Nach ihren Vorgaben muss zuerst eingeschätzt werden, welche Risiken sich durch den Klimawandel für das Unternehmen ergeben und welche Chancen durch den ökologischen Umbau. Danach gilt es, systematisch alle Treibhausgasemissionen zu erfassen, die das Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette produziert. Für diese Art von „Carbon Accounting“ sollte externer Sachverstand hinzugezogen werden. Im dritten Schritt müssen dann konkrete Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen verbunden mit kurz-, mittel- und langfristigen Zielen definiert werden. Im letzten Schritt ist der Klimaschutz in der Unternehmensorganisation zu etablieren, damit die Einhaltung der Ziele auch überwacht wird. Dies kann durch eine Klimabeauftragte oder einen unternehmensweiten Klimarat geschehen, an dem der Betriebsrat natürlich beteiligt ist.[5]

Zumindest die Möglichkeit, freiwillige Betriebsvereinbarungen mit diesen Inhalten abzuschließen, steht dem Betriebsrat nach § 88 Nr. 1a BetrVG jederzeit offen.

 

Beleben kann der Betriebsrat das Thema Klimaschutzmanagement, indem er über den Wirtschaftsausschuss entsprechende Informationen anfordert. Nach § 106 Abs. 3 Nr. 5a BetrVG gehören Fragen des betrieblichen Umweltschutzes ausdrücklich zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten, zu denen sich der Wirtschaftsausschuss vom Unternehmer beraten lassen kann. Nicht selten führt dies dazu, dass das Unternehmen zum ersten Mal selbst über diese Fragen nachdenken und Informationen erheben muss.

 

Um das Thema in die betriebliche Diskussion zu bringen, kann der Betriebsrat die Arbeitgeberin nach § 43 Abs. 2 BetrVG dazu auffordern, auf der Betriebsversammlung einen mündlichen Bericht über den betrieblichen Umweltschutz zu geben. Das bietet Kolleg*innen die Möglichkeit, Fragen zu stellen, Hinweise zu geben und Ideen einzubringen. Der Betriebsrat könnte auch eine ganze Betriebsversammlung nur diesem Thema widmen.

 

Erzwingbares Mitbestimmungsrecht ist das Ziel

 

Trotz aller derzeitigen Handlungsspielräume ist eines klar: Es bedarf dringend einer Gesetzesänderung, die dem Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht beim betrieblichen Umweltschutz gibt. 2001 hatte man darauf verzichtet, weil man befürchtete, die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Arbeitgeberin zu gefährden. Ein weiteres Gegenargument lautete: Wenn man den Betriebsrat zur betrieblichen „Umweltpolizei“ macht, führt dies zu einem Interessenkonflikt des Gremiums. Liegt hier vielleicht der Hase im Pfeffer? Wie entscheiden sich Betriebsräte, wenn es um Klimaschutz auf der einen und wirtschaftliche Interessen des eigenen Unternehmens auf der anderen Seite geht? Betriebsräte sind die natürliche Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten, aber können sie diese Rolle auch für das Klima einnehmen? Vor der Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes im letzten Jahr hatte Bernd Osterloh die Klimapolitik der Bundesregierung noch als Gefahr für den Industriestandort Deutschland bezeichnet. Vielleicht ist auch anderen Betriebsräten „das Hemd näher als der Rock“? So erklärte es ein BR-Vorsitzender, dessen Unternehmen an der Herstellung von Produkten für Kernkraftwerke beteiligt war, 1979 auf einer Pro-Atomenergie-Veranstaltung.

 

Klimaschutz hat breite gesellschaftliche Rückendeckung. Es gehört zum Prinzip der betrieblichen Mitbestimmung, dass gesellschaftliche Auseinandersetzungen in den betrieblichen Raum getragen und dort verhandelt werden sollen. Falls sich fortschrittliche, klimabewusste Kräfte in den Betriebsräten nicht durchsetzen können, dann ist das als Ergebnis innerbetrieblicher Demokratie zu akzeptieren. Doch erst einmal müssen diese Diskussionen überhaupt geführt werden. Betriebsräten kritische Auseinandersetzungen und eventuelle Interessenkonflikte nicht „zumuten“ zu wollen, ist lediglich ein Vorwand, um ihnen die nötigen Mitbestimmungsrechte zu verwehren.

[1] Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes Bundestags-Drucksache 14/5741, S. 26.

[2] Baumann, Helge, et. al.: Betriebsvereinbarungen 2017. Verbreitung und Trendthemen. WSI Policy Brief 05/2018.

[3] Vgl. Däubler, Wolfgang: Klimawandel – Ein Thema für den Betriebsrat? NZA 2020, S. 1155.

[4] Vgl. ebenda, S. 1156.

[5] Vgl. die Ideen in der vom CDP, WWF und anderen Organisationen herausgegeben Broschüre: Unternehmerisches Klimamanagement entlang der Wertschöpfungskette – eine Sammlung guter Praxis –.

Wie können Präsenzseminare unter Corona-Bedingungen stattfinden? – Das R+A Hygienekonzept

Online-Seminare haben viele Vorteile und eignen sich durchaus als Wissensvermittlung für die Betriebsratsarbeit. Aber sie können das Lernerlebnis von Präsenzseminaren, vor allem das gemeinsame Anwenden erlernter Methoden, nicht ersetzen. Präsenzveranstaltungen können auch in der Corona-Zeit stattfinden, es muss jedoch eine Reihe von Dingen berücksichtigt werden. Beim persönlichen Zusammenkommen von Menschen ist immer Achtsamkeit erforderlich. Das wird sicherlich noch eine Weile so sein.

Wie organisieren wir als Recht und Arbeit während der Corona-Zeit unsere Präsenzseminare? Wir stellen Euch hier unser Hygienekonzept vor. Auch für die Organisation des Infektionsschutzes in Eurem Betrieb werdet Ihr vielleicht ein paar Ideen finden.

Einhaltung der Eindämmungsverordnungen

Die meisten unserer Seminare finden in Berlin statt, weswegen wir vor jeder Schulung die aktuelle Version der Berliner Eindämmungsverordnung[1] prüfen und genau beachten. Hier ist unter anderem vorgeschrieben, dass bei allen Veranstaltungen ein individuelles Schutz- und Hygienekonzept erstellt werden muss. Sowohl die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts[2] als auch die der Arbeitsschutzaufsichten sollen berücksichtigt werden. Auch Abstandsregeln und das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen sind geregelt. Die Maximalanzahl von Teilnehmer*innen bei beruflichen Veranstaltungen in geschlossenen Räumen ist derzeit auf 20 festgelegt. Diese Gruppengröße wird bei unseren Seminaren immer unterschritten.

Die allermeisten Vorgaben betreffen das Verhalten im privaten und öffentlichen Raum. Für den Infektionsschutz bei beruflichen Veranstaltungen sind vergleichsweise wenige Regelungen getroffen. Umso wichtiger ist es, diese Vorgaben genau einzuhalten.

Die Verordnungen der Bundesländer unterscheiden sich voneinander. Prüft also zur Sicherheit auch die Verordnung Eures eigenen Bundeslandes.

Abstandsgebot

Das Abstandsgebot von mindestens 1,5 m gilt auch für unsere Seminare. Wir halten es ein, indem wir bei Tagungshotels größere Räume als sonst buchen, dabei orientieren wir uns an der Mindestfläche von 10 qm/Person aus der Corona-Arbeitsschutzpauschale – unsere Tagungspauschale hat sich trotzdem nicht erhöht. Bei Inhouse-Seminaren sprechen wir die Raumfrage mit dem jeweiligen Betriebsrat vorher ab. Auch die Sitzordnung und die Anordnung der Tische müssen entsprechend angepasst werden. Dadurch sind während des Seminars alle etwas weiter voneinander entfernt, was aber dem Erfolg des Seminars unserer Erfahrung nach nicht schadet.

Mund-Nasen-Bedeckung

In den Räumen der Veranstaltungsorte gilt überall eine Maskenpflicht, dies ist auch in der Berliner Eindämmungsverordnung so festgeschrieben. Am Sitzplatz, während des Seminars, muss jedoch keine Maske getragen werden. Wir haben uns aber seid November mit allen Teinehmer*innengruppen darauf geeinigt, dass alle – auch die Referent*innen immer eine Maske tragen. Sollten wir aber Gruppenübungen im Seminarraum bzw. Partner*innenarbeit machen, tragen alle Teilnehmer*innen in jedem Fall ihren Mund-Nasen-Schutz. Wir achten darauf, dass diese Übungen nicht zu lange dauern, so dass auch die Masken nicht zu lange getragen werden müssen. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) empfiehlt Tragezeitbegrenzungen und Erholungspausen entsprechend der DGUV-Regel 112-190 wie bei filtrierenden Halbmasken. Demnach sollten die Masken nur maximal 2 Stunden getragen werden, mit einer Erholungsdauer von 30 Minuten.

Lüften

Seitdem bekannt ist, dass sich das Coronavirus auch über so genannte Aerosole verbreiten kann, hat Lüften eine große Bedeutung bei allen Treffen in Innenräumen und damit auch bei unseren Seminaren. Als Gradmesser für die Aerosolbelastung dient die Co2-Sättigung im Raum. Wir benutzen bei allen Seminaren ein Co2-Messgerät, um durch permanente Prüfung sicherstellen zu können, dass wir zu jeder Zeit unter dem Richtwert der Sars-Cov-2-Arbeitsschutzregel[3] von 1.000 ppm bleiben. Zu Beginn des Seminars nutzen wir außerdem die Lüftungs-App der DGUV[4], um zusammen mit den Teilnehmer*innen einen Lüftungsplan für das Seminar zu erstellen. Hier kommt es auf die Größe des Raumes, die Anzahl der Teilnehmer*innen und die Möglichkeit der Frischluftzufuhr an. Bis jetzt konnten wir damit immer unter 800 ppm und bei größeren Räumen sogar deutlich darunterbleiben.

Regelmäßiges Lüften von Arbeitsräumen war auch vor Corona schon wichtiger Teil des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Die Technische Regel ASR A3.6 “Lüftung” empfiehlt, Büroräume nach 60 min und Konferenzräume nach 20 Minuten zu lüften. Die Luftqualität sollte grundsätzlich der Außenluft entsprechen. In weniger stickigen und feuchten Räumen lässt es sich wesentlich besser arbeiten.[5]

Häufiges Lüften bedeutet nicht unbedingt, dass es in den Seminarräumen sofort sehr kalt werden muss. Da kalte Luft wesentlich schneller zirkuliert als warme Luft, reichen oft kurze Lüftungsintervalle schon aus. Für den Sommer empfiehlt die ASR A3.6 Stoßlüften von 10 Minuten, im Winter reichen jedoch schon 3 Minuten aus.

Das Hermann-Rietschel-Institut der TU Berlin führt einen lesenswerten Blog speziell zur Virenbelastung über Raumluft und die möglichen Gegenmaßnahmen.[6]

Symptome und Anwesenheit

Wenn angemeldete Teilnehmer*innen einschlägige Symptome wie Husten, Fieber, Geruchs- oder Geschmacksstörungen haben sollten, bitten wir sie, nicht zum Seminar zu erscheinen. Alle Teilnehmer*innen halten sich sehr verantwortungsvoll an diese Regeln, weswegen wir noch nie jemanden nach Hause schicken mussten. Wer aufgrund von Krankheit oder Corona-Symptomen nicht zum Seminar oder zu einzelnen Tagen kommen konnte, erhält von uns die Möglichkeit, diese Tage beim nächsten Termin ohne zusätzliche Seminarkosten nachzuholen (nur die Tagungspauschale muss der AG noch einmal bezahlen). Es ist zwar sehr schade, wenn jemand Seminarzeiten verpasst, aber so können wir zumindest sicherstellen, dass der- oder diejenige die Inhalte ohne große Probleme nachholen kann.

Auch wenn unsere Referent*innen Symptome haben sollten, werden sie nicht zum Seminar erscheinen, um niemanden zu gefährden. Wir sprechen dann kurzfristig mit den Teilnehmer*innen und finden entweder gemeinsam einen neuen Termin oder entscheiden zusammen, den Tag als Online-Seminar zu gestalten.

Sobald Antigen-Schnelltests zugelassen und in hoher Qualität verfügbar sind, werden wir allen Teilnehmer*innen zusätzliche solche Tests zur freiwilligen, zusätzlichen Prophylaxe zur Verfügung stellen.

Corona-Fälle und Nachverfolgung

Bisher hatten wir noch keine Corona-Fälle im Zusammenhang mit unseren Seminaren. Sollte es jedoch einmal dazu kommen, werden wir mit den zuständigen Gesundheitsämtern zusammenarbeiten und die Kontaktinformationen, die in unseren Anwesenheitslisten eingetragen sind, den Ämtern (ausschließlich) zum Zwecke der Kontaktnachverfolgung zur Verfügung stellen. Auch das ist in der Eindämmungsverordnung so geregelt.

Online-Seminare

Bei Inhouse-Seminaren mit ausschließlich Teilnehmer*innen eines Gremiums können wir auch von vornherein eine Online-Variante vereinbaren.  Wir verwenden dafür verschiedene Plattformen. Die Erfahrung zeigt, dass ein voller Seminartag mit acht Stunden online nicht zu empfehlen ist. Anders als bei Präsenzseminaren kann man sich bei Videokonferenzen nicht über einen so langen Zeitraum konzentrieren und fühlt sich danach oft übermäßig belastet. Hierzu gibt es bereits die ersten Studien[7]. Wir planen Online-Seminare deswegen in mehreren Blöcken von insgesamt maximal einem halben Seminartag – mit kurzen Bildschirmpausen nach maximal 45 Minuten. Den genauen Ablauf besprechen wir aber im Voraus immer gemeinsam mit dem Gremium.

Auch und gerade in der Corona-Zeit muss Eure Betriebsratsarbeit weitergehen können, und dazu gehören selbstverständlich auch Schulungen. Wenn man sich gemeinsam konsequent an die rechtlichen Vorgaben und wissenschaftlichen Empfehlungen hält, sind auch Präsenzschulungen in sicherer Form weiterhin möglich. Wir nehmen den Infektionsschutz sehr ernst und aktualisieren dieses Hygienekonzept ständig. Hinweise und Wünsche von Euch nehmen wir gerne auf.

[1] https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/

[2] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/nCoV_node.html;jsessionid=6AD6EC64D2A0C64F1298E70F1D95E613.internet061

[3] https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/AR-CoV-2/AR-CoV-2.html

[4] https://www.dguv.de/de/mediencenter/pm/pressearchiv/2020/quartal_1/details_1_377742.jsp

[5] https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/ASR/ASR-A3-6.html

[6] https://blogs.tu-berlin.de/hri_sars-cov-2/

[7] https://www.ibe-ludwigshafen.de/zoom_fatigue/