Mitbestimmung in der „Corona-Krise“ – aktuelle Aufgaben des Betriebsrats bei der Pandemieplanung

Eigentlich war dieser Beitrag schon fertig: Wir wollten Euch an dieser Stelle ein paar Hinweise dazu geben, welche Mitbestimmungsrechte Betriebsräte bei der betrieblichen Pandemieplanung haben und Euch ermuntern, frühzeitig mit der Arbeitgeberseite darüber zu sprechen. Zu dieser Zeit gab es die ersten Corona-Infizierten in mehreren westlichen Bundesländern, Schulschließungen erschienen als möglich, aber nicht wahrscheinlich, und Ausgangssperren als undenkbar – das war vor zwei Wochen. Die Wucht und Geschwindigkeit der Ereignisse hat uns seitdem überrollt. Wir befinden uns in einer beispiellosen Situation, für die es keine Blaupause und keinen Ratgeber geben kann. Rat braucht es trotzdem – wir versuchen es, so gut, wie dies unter den gegenwärtigen Bedingungen möglich ist.

 

Ihr als Betriebs- und Personalräte steht vor der besonderen Herausforderung, diese Ausnahmesituation gemeinsam mit der Arbeitgeberseite zu organisieren und zu meistern. Es ist wichtig, dass jetzt alle erforderlichen Maßnahmen so schnell wie möglich vorgenommen werden. Genauso wichtig ist aber auch, dass die betroffenen Menschen diese Maßnahmen akzeptieren und als angemessen empfinden können. Akzeptanz kann vor allem dadurch erreicht werden, dass jegliche Maßnahmen einschließlich der Beweggründe transparent dargestellt werden und die Entscheidungen einem demokratischen Prozess unterliegen. Die gesellschaftlichen Verwerfungen, die der Corona-Virus in Ländern mit großen Demokratiedefiziten verursacht hat, machen dies deutlich. In Betrieben gilt dies genauso wie in der Gesamtgesellschaft. Notsituationen dürfen nicht dazu führen, dass demokratische Prozesse ausgesetzt werden, damit vermeintlich ‚unbürokratisch‘ gehandelt werden kann. Jetzt ist nicht die Zeit, um auf die betriebliche Mitbestimmung zu verzichten, im Gegenteil. Alle betrieblichen Interessenvertretungen sind nun besonders gefordert, um die wichtigen Schritte zur Eindämmung der Corona-Pandemie zügig, aber dennoch demokratisch umzusetzen.

 

Pandemieplanung – Mitbestimmung des Betriebsrats zwingend

Ihr werdet in Euren Betrieben aktuell vor zahlreichen, meist sehr unterschiedlichen Problemen stehen. Es ist davon auszugehen, dass bei den allermeisten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stehenden Maßnahmen ein Mitbestimmungsrecht bzw. mindestens ein Beratungs- und Informationsrecht der Betriebs- und Personalräte zu beachten ist. So hatte zum Beispiel der Betriebsrat der Duty-Free-Shops an den Berliner Flughäfen per einstweiliger Verfügung Anfang März erstreiten können, dass die VerkäuferInnen die Möglichkeit haben, bei der Arbeit Mundschutz und Handschuhe zu tragen. Dies unterliegt der Mitbestimmung bei Fragen der Ordnung des Betriebes aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Entgegen dem offiziellen Handbuch „Betriebliche Pandemieplanung“[1] muss sich der Betriebsrat nicht mit dem Abschluss einer freiwilligen Betriebsvereinbarung gemäß § 88 BetrVG begnügen. Vielmehr ist der Pandemieplan als solcher als Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG zu verstehen, der nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG insgesamt zwingend mitzubestimmen ist.[2] Das bedeutet, dass der Betriebsrat auch ein Initiativrecht hat und die Arbeitgeberseite zum Abschluss einer „Betriebsvereinbarung-Pandemieplanung“ oder der Aktualisierung einer bestehenden Betriebsvereinbarung auffordern kann. Im Folgenden ein paar Hinweise zu den vermutlich drängendsten Fragen:

 

Homeoffice – kein rechtsfreier Raum

Vermutlich haben einige von Euch in der Vergangenheit bereits die Einrichtung von sogenannten Telearbeitsplätzen gefordert und sind bei der Arbeitgeberseite damit auf taube Ohren gestoßen. Nun soll dagegen alles schnell gehen. Der Arbeitgeber kann jedoch nicht einseitig die Arbeit im Homeoffice anweisen. Es bedarf dafür einer Rechtsgrundlage. Sollte diese nicht in Tarifverträgen oder den individuellen Arbeitsverträgen gegeben sein, so braucht es eine Betriebsvereinbarung, in der Ihr mit dem Arbeitgeber die Ausgestaltung der Telearbeit regelt. Darüber hinaus sind Wechsel ins Homeoffice immer als mitbestimmungspflichtige Versetzungen anzusehen.[3]

Auch im Homeoffice gelten die Arbeitsschutzregeln des Arbeitszeitgesetzes weiter und der Arbeitgeber hat darauf zu achten, dass die KollegInnen Ruhepausen und -zeiten einhalten sowie das die Arbeitszeit ordentlich erfasst und eine Entgrenzung der Arbeit verhindert wird. Genau wie bei der Arbeit im Betrieb hat auch im Homeoffice der Betriebsrat bei der Lage der täglichen Arbeitszeit mitzubestimmen.

Der Arbeitgeber hat entsprechend § 1 Abs. 3 der Arbeitsstättenverordnung auch bei Heimarbeitsplätzen eine Gefährdungsbeurteilung und eine Erstunterweisung durchzuführen und insbesondere auf die Bestimmungen für Bildschirmarbeitsplätze zu achten. Selbstverständlich trägt der Arbeitgeber die Kosten für alle Arbeitsmittel und auch für etwaige zusätzliche Ausgaben z.B. für Strom und Internet.

Neben der Ausgestaltung der Telearbeit sollte der Betriebsrat auch darauf achten, wer im Homeoffice tätig werden darf, bzw. muss, und wer nicht. Die Auswahl sollte sachgemäß erfolgen. Angesichts der aktuellen Lage sollten zuerst für Risikogruppen Homeoffice Arbeitsplätze eingerichtet werden.

 

Kurzarbeit – wie und für wen?

Kurzarbeit bedeutet die befristet Absenkung der vereinbarten Wochenarbeitszeit. Gleichzeitig vermindert sich damit auch der Gehaltsanspruch der ArbeitnehmerInnen. Wie beim Homeoffice kann der Arbeitgeber nicht einseitig Kurzarbeit anweisen, er braucht dazu vielmehr die Zustimmung des Betriebsrates und eine Betriebsvereinbarung als Rechtsgrundlage. Der Betriebsrat kann aber auch seinerseits den Arbeitgeber zur Einrichtung von Kurzarbeit auffordern, um Personalabbau zu verhindern. In Betriebsvereinbarungen kann der Betriebsrat Beginn, Umfang und Dauer der Kurzarbeit mitbestimmen und wer davon betroffen ist. So könnten Arbeitgeber auf die Idee kommen, für alle Risikogruppen  wie KollegInnen ab 60 Jahren oder mit bestimmten Vorerkrankungen Kurzarbeit Null anweisen zu wollen, was wohl eine ungerechtfertigte Diskriminierung darstellen würde.

Der Betriebsrat sollte auch regeln, dass Kurzarbeit nur angewiesen werden kann, wenn gleichzeitig Kurzarbeitergeld vom Arbeitgeber beantragt und auch bewilligt wird. Kurzarbeitergeld ist eine staatliche Sozialleistung, die 60 Prozent) bzw. 67 Prozent (für Personen mit Kinderfreibeträgen) des Lohnausfalls ausgleicht. Sie ist geregelt in §§ 95ff SGB III. Die Leistung wird den ArbeitnehmerInnen ausgezahlt, ist aber eigentlich eine Unterstützung für die Unternehmen, ohne die sie nicht in der Lage wären, das Instrument Kurzarbeit anzuwenden.

Das im Eiltempo von Bundestag und Bundesrat verabschiedete „Arbeit-von-Morgen-Gesetz“ von Anfang März 2020 ermöglicht es der Regierung, Verordnungen zu erlassen, die den Bezug von Kurzarbeitergeld vereinfachen werden. Vorher musste mindestens ein Drittel der ArbeitnehmerInnen eines Betriebes von der Kurzarbeit betroffen sein, nun werden zehn Prozent ausreichen. Auch müssen vor dem Bezug des Kurzarbeitergeldes keine Arbeitszeitkonten mehr abgebaut werden und dem Arbeitgeber kann sein Sozialversicherungsanteil ganz oder teilweise erlassen werden. Außerdem können nun auch Verleihbetriebe Kurzarbeitergeld für LeiharbeiterInnen beantragen.

 

Beschlussfähigkeit des Betriebsrates– ohne Sitzung?

Als Gremium selbst werdet Ihr vor der Herausforderung stehen, die eigene Beschlussfähigkeit aufrecht zu erhalten. Zwar sind arbeitgeberseitige Verbote von Dienstreisen und Meetings für die betriebliche Interessenvertretung nicht bindend, aber angesichts der aktuellen Lage ist sind solche Reisen und Treffen nicht ratsam. Außerdem werden jetzt oder in Zukunft womöglich BR-Mitglieder aufgrund von Quarantäne oder Arbeitsunfähigkeit ausfallen.

Beschlüsse können nach § 33 Abs. 1 BetrVG nur auf ordentlichen Sitzungen mit Anwesenheit geschlossen werden. Beschlüsse im Umlaufverfahren fallen damit aus. Denkbar wäre es jedoch, Beschlüsse auf Videokonferenzen zu fassen. Zahlreiche Veranstaltung, Meetings, Seminare und anderes wird aktuell auf solche Plattformen verschoben, warum nicht also auch die Betriebsratssitzung inklusive der Beschlussfassung? Arbeitnehmernahe KommentatorInnen haben dies bis jetzt immer ausgeschlossen, um die reguläre Betriebsratssitzung als wichtigen Ort des Austausches und der Diskussion zu schützen. Das Hauptargumente war dabei, dass auf einer Sitzung per Videokonferenz nicht gewährleistet werden kann, dass keine unbefugten Dritten zuhören. Die derzeitige Situation konnte jedoch von niemandem vorausgesehen werden, weshalb Videokonferenzen für die Beschlussfassung zu empfehlen sind. Der Betriebsrat sollte sich dabei an die Vorgaben des Europäischen Betriebsrätegesetzes (EBRG) halten, das seit 2017 in § 41a Videokonferenzen für Seebetriebsräte im Ausnahmefall gestattet. Der Betriebsrat muss dabei erstens seine Geschäftsordnung entsprechend anpassen und zweitens sicherstellen, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis bekommen können. Wie in einer regulären Sitzung ist die Anwesenheit entsprechend zu protokollieren und die Schwerbehindertenvertretung sowie die Jugend- und Auszubildendenvertretung sind einzuladen. Es besteht dabei zwar keine absolute Rechtssicherheit, aber in der jetzigen Situation wird der Betriebsrat auf dieses Instrument zurückgreifen müssen.

Redaktionsschluss für diesen Artikel war der 19. März. Wenn Ihr ihn diese Zeilen lest, wird sich sicherlich bereits einiges schon wieder verändert haben. Wir führen eine kommentierte Linkliste, die wir ständige aktualisieren und mit der wir Euch hoffentlich etwas unterstützen können. http://b.rechtundarbeit.net/2020/03/16/mitbestimmung-in-der-corona-krise/.

 

[1] Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Handbuch Betriebliche Pandemieplanung. Stuttgart 2010.

[2] Kiesche, Eberhardt: Betriebliche Pandemieplanung und die Rolle der IKT. Computer und Arbeit 12/2009.

[3] LAG Düsseldorf, Urteil vom 10.09.2014 – 12 Sa 505/14.