Wieviel Geheimrat muss Betriebsrat?

Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, Nichtöffentlichkeit, Vertraulichkeit – das klingt, als wären Betriebsräte per Gesetz dazu verpflichtet, über den Großteil ihrer Tätigkeit zu schweigen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Geheimhaltungspflicht wird in der Praxis oft überschätzt. Eine fundierte Informationspolitik gehört zum Kern basisnaher Betriebsratstätigkeit.

Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse

Die Geheimhaltungspflicht ist in § 79 BetrVG abschließend geregelt und gilt für Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse. Sie gilt nie gegenüber Mitgliedern des Betriebsrates, des Gesamtbetriebsrates, des Konzernbetriebsrats und allen weiteren, in Satz 4 aufgezählten innerbetrieblichen Institutionen. Damit ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis vorliegt, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Ist nur eine der Bedingungen nicht erfüllt, so liegt kein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis vor – und somit auch keine Geheimhaltungspflicht. Der Gesetzgeber stellt hier hohe Anforderungen, die selten erfüllt sind.

Die geheimzuhaltenden Tatsachen:

  1. … müssen wettbewerblich relevant im Zusammenhang mit dem technischen Betrieb oder der wirtschaftlichen Betätigung des Unternehmens sein.
  2. … dürfen nicht offenkundig sein. Sind sie einem größeren Kreis bekannt oder ist es problemlos möglich, an die Informationen zu gelangen, so sind diese kein Geheimnis, und die Geheimhaltungspflicht ist hinfällig.
  3. … müssen von der*dem Arbeitgeber*in explizit als „geheimhaltungsbedürftig“ bezeichnet werden – und nicht etwa nur als „vertraulich“.
  4. … müssen sich durch ein „berechtigtes wirtschaftliches Interesse“ des*der Arbeitgebers*in an der Geheimhaltung auszeichnen. Das ist der Fall, wenn eine Veröffentlichung einen Nachteil oder den Verlust eines Vorteils gegenüber der Konkurrenz zur Folge hätte.

Von der Pflicht zu Geheimhaltung ist ein gesetzeswidriges Verhalten immer ausgeschlossen. Das bedeutet, dass Arbeitszeitverstöße, Steuerhinterziehung, Unterschlagung von Sozialversicherungsbeiträgen etc. der Sache nach keine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sein können – auch wenn die*der ein oder andere Arbeitgeber*in das vielleicht gerne so hätte. Genauso wenig fallen die Folgen von unternehmerischen Maßnahmen für die Belegschaft darunter. Beruft sich ein*e Arbeitgeber*in hier auf die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, so hat er*sie meist schlichtweg kein Interesse daran, die Belegschaft zu informieren, da diese sich ja wehren könnte.

 „Nichtöffentlichkeit“ – ein missverstandener Begriff

Die Annahme einer weitreichenden Verschwiegenheitsverpflichtung resultiert oft aus einer Fehlinterpretation des Begriffs „nichtöffentlich“. In § 30 BetrVG und § 42 (1) BetrVG wird auf diesen Begriff Bezug genommen und die Nichtöffentlichkeit von Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen geregelt. Der Begriff Nichtöffentlichkeit bezieht sich ausschließlich auf den Kreis zugelassener Teilnehmer*innen zu Betriebsversammlung und Betriebsratssitzung. Bei Nichteinhaltung hat dies u. U. Folgen für die Wirksamkeit von Beschlüssen auf Betriebsratssitzungen. Nichtöffentlichkeit bedeutet kein Redeverbot über die Inhalte von Betriebsratssitzungen oder Betriebsversammlungen! Im Gegenteil! Es ist die Pflicht eines Betriebsrates, die Belegschaft so umfassend wie möglich zu informieren. Gleichzeitig stärkt eine umfassende Informationspolitik das Vertrauensverhältnis zwischen Betriebsrat und Belegschaft.

Worüber darf berichtet werden?

Betriebsratsmitglieder dürfen über fast alles berichten. Die einzigen Einschränkungen betreffen:

  • Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nach § 79 BetrVG
  • Vertrauliche personelle Angelegenheiten gemäß
    • 82 (2) BetrVG Begleitung von Entgeltverhandlungen von Arbeitnehmer*innen
    • 83 (1) BetrVG Begleitung von Arbeitnehmer*innen bei Einsicht in die Personalakte
    • 99 (1) BetrVG Persönliche Verhältnisse und Angelegenheiten von Arbeitnehmer*innen im Rahmen personeller Einzelmaßnahmen
  • Informationen, die dem Datenschutz unterliegen. Die Datenschutzgrundverordnung muss also beachtet werden.

Taktisches Stillschweigen

Manchmal ist es aus taktischen Gründen ratsam, dass ein Betriebsrat über eine Angelegenheit zeitweise Stillschweigen bewahrt, beispielsweise wenn eine frühe Veröffentlichung der*dem Arbeitgeber*in nützen kann – das heißt aber nicht, dass hier eine rechtliche Verpflichtung besteht. Und es bedeutet auch nicht, dass einzelne Betriebsratsmitglieder eine Schweigepflicht gegenüber ihrem Gremium haben oder die Absprache zum Stillschweigen als eine Verpflichtung gegenüber der*dem Arbeitgeber*in betrachtet wird. Eine Ausnahme gilt selbstverständlich, wenn die verschwiegenen Äußerungen Straftaten darstellen, wie beispielsweise Verletzung von Privatgeheimnissen, Beleidigung oder Verleumdung. Weiterhin darf durch die Äußerung die Funktionsfähigkeit des Betriebsrates oder seine Arbeit nicht beeinträchtigt werden.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Weiter gilt für Betriebsratsmitglieder das Recht auf freie Meinungsäußerung. Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht dürfen Betriebsratsmitglieder über Beschlüsse berichten – auch wenn sie beispielsweise in einem bestimmten Punkt von der Mehrheit abweichend beschlossen haben oder wenn sie eine andere Position als das Gremium vertreten bzw. sich das Gremium ihren Vorschlägen nicht anschließen wollte. Genauso wenig gilt eine Schweigepflicht, wenn ein Betriebsratsgremium gegen das Betriebsverfassungsgesetz verstößt und sich einzelne Betriebsratsmitglieder deshalb an einen Rechtsbeistand wenden und die Angelegenheit gegenüber Belegschaft und Gewerkschaft öffentlich machen möchten.

Schweigepflicht ist eher die Ausnahme

Wenn Ihr unsicher seid, ob ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis vorliegt, holt Euch Rat bei einer Gewerkschaft oder einem Rechtsbeistand. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Schweigepflicht rechtlich gesehen in der Betriebsratsarbeit eher die Ausnahme ist und im Sinne einer basisnahen Betriebsratsarbeit auch nicht zur Regel werden sollte. Das Bundesarbeitsgericht stellte bereits 1967 fest: „Im Allgemeinen besteht keine Pflicht der Betriebsratsmitglieder, über den Verlauf von Betriebsratssitzungen Stillschweigen zu bewahren. Eine solche Schweigepflicht ist vielmehr nur bei Vorliegen besonderer Umstände zu bejahen.“ https://www.jurion.de/urteile/bag/1967-09-05/1-abr-1_67/

Quellen:

http://www.sapler.igm.de/static/demokratie/079_BetrVG_Geheim_BR.pdf

https://msgler.verdi.de/der-betriebsrat/++co++b9473e36-3e0d-11e3-882f-52540059119e

https://betriebsgruppe-vattenfall.gewerkschaftverwaltungundverkehr.de/2017/10/14/ist-der-betriebsrat-ein-geheimrat/

https://www.bund-verlag.de/aktuelles~7-fragen-zur-geheimhaltungspflicht~

Die Wahl der Schwerbehindertenvertretung – Eine wichtige Ergänzung für die betriebliche Mitbestimmung

Vertrauenspersonen für schwerbehinderte Beschäftigte gibt es in Deutschland fast so lange wie Betriebsräte. Vertrauenspersonen fördern die Eingliederung schwerbehinderter Menschen im Betrieb und vertreten deren Interessen gegenüber der*dem Arbeitgeber*in.

Die Turnuswahlen im Oktober und November letzten Jahres haben viele Betriebe genutzt, um bei sich das erste Mal eine Schwerbehindertenvertretung (SBV) zu installieren. Schon ab fünf schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten ist eine SBV zu wählen. Kleinere Betriebe können mit anderen Betrieben zusammengeschlossen werden, so dass in sehr vielen Betrieben die Wahl einer SBV möglich ist. Zudem haben Betriebsräte nach § 176 SGB IX die Pflicht, auf die Wahl einer Vertrauensperson hinzuwirken.

Sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, sollten in allen Betrieben Schwerbehindertenvertretungen gewählt werden. Sie sind ein wichtiger Teil der betrieblichen Mitbestimmung, schützen die Rechte schwerbehinderter Menschen und tragen zu einem gesünderen Arbeitsumfeld für alle Beschäftigten bei.

Die Wahl einer SBV unterscheidet sich nur in wenigen Punkten von der Wahl des Betriebsrates. Wenn Ihr schon mal eine BR-Wahl organisiert habt, sollte die SBV-Wahl für Euch kein Problem darstellen. Worin bestehen die wesentlichen Unterschiede?

 

Wer darf wählen?

Das aktive Wahlrecht haben nur die schwerbehinderten und gleichgestellten Beschäftigten im Betrieb. Dies ist der wichtigste Unterschied zur BR-Wahl. Die SBV vertritt die Interessen der Schwerbehinderten und ist deswegen nur von Ihnen zu wählen. Übrigens haben auch schwerbehinderte leitende Angestellte und schwerbehinderte Beschäftigte unter 18 Jahren das aktive Wahlrecht.

Im Gegensatz dazu dürfen sich auch nicht-schwerbehinderte Beschäftigte als Kandidat*innen für die SBV aufstellen lassen. Das passive Wahlrecht haben alle Betriebsangehörigen – hiervon werden leitende Angestellte und die*der Integrationsbeauftragte des*der Arbeitgebers*in allerdings ausgenommen.

 

Wie ist es mit den Stellvertreter*innen?

Die Stellvertretung der Vertrauensperson wird in einem eigenen Wahlgang gewählt. Im Gegensatz zur BR-Wahl werden Kandidat*innen mit zu wenigen Stimmen also nicht automatisch Ersatzmitglieder, sondern müssen dafür extra kandidieren. Die Stellvertretung der SBV ist ein eigenes Amt. In Betrieben mit über 100 Schwerbehinderten kann die Stellvertretung sogar mit eigenen Aufgaben betraut werden. Der Wahlvorstand (WV) kann darüber entscheiden, wie viele Stellvertreter*innen gewählt werden. Sollten alle Stellvertreter*innen ausgeschieden sein, ist auch eine Nachwahl der Stellvertretung möglich.

 

Gibt es ein vereinfachtes Wahlverfahren?

Für Betriebe mit weniger als 50 schwerbehinderten Beschäftigten ist ein vereinfachtes Wahlverfahren vorgesehen. Im Unterschied zur BR-Wahl stellt dieses Verfahren wirklich eine Vereinfachung dar. Die Bestellung eines WV, Wahlausschreiben, Wählerliste und schriftliche Wahlvorschläge werden nicht benötigt. Die SBV und ihre Stellvertretung werden auf einer Wahlversammlung mittels eines*r Wahlleiters*in gewählt. Der Betriebsrat kann die Wahlberechtigten zu dieser Versammlung einladen, so dass in kleineren Betrieben innerhalb kürzester Zeit eine SBV installiert werden kann.

Das förmliche Wahlverfahren dauert etwas länger – es sind dieselben Fristen zu beachten wie beim normalen Wahlverfahren des BR. Um den Kolleg*innen unnötige Wege zu ersparen, kann der Wahlvorstand hier aber für alle Beschäftigten die Briefwahl beschließen.

Eine SBV auch in Eurem Betrieb zu installieren, ist also keine große Hürde. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter hat hierzu überdies ein hilfreiches Arbeitsheft herausgegeben.[1] Und natürlich stehen wir Euch als Recht und Arbeit bei allen Fragen zur Wahl einer SBV jederzeit zur Seite.

 

 

 

 

[1] https://www.integrationsaemter.de/wahl/484c/index.html

Über welches Grundlagenwissen muss jedes BR-Mitglied verfügen?

Das Betriebsverfassungsgesetz regelt in § 37 Abs. 6, dass BR-Mitglieder für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellt werden müssen, sofern Inhalte vermittelt werden, die für die Arbeit im Betriebsrat erforderlich sind. § 40 BetrVG regelt weiter, dass die Arbeitgeberin die Kosten für diese Seminare zu übernehmen hat. Der Schulungsanspruch des Betriebsrates ist ein wichtiger Bestandteil der Betriebsverfassung. Betriebsräte sind keine technokratischen, sondern politische Gremien. Ihre Mitglieder werden nicht aufgrund besonderen Sachverstands gewählt, sondern weil die Kolleg*innen ihnen am ehesten zutrauen, ihre Interessen im Betrieb zu vertreten. BR-Mitglieder sind deswegen fast immer juristischen Laien. Das ist kein Mangel, sondern Teil der Idee betrieblicher Mitbestimmung. Umso wichtiger ist es, dass sie durch Schulungen in die Lage versetzt werden, die komplexen Fragen der BR-Arbeit bewältigen zu können. Schulungen helfen den Betriebsratsmitgliedern, gegenüber der Arbeitgeberin „intellektuelle Waffengleichheit“ herzustellen und auf Augenhöhe über alle betrieblichen Themen diskutieren und verhandeln zu können.

Aus dem Recht auf Schulungen wird damit auch eine Pflicht zur Schulung. Wie in allen anderen Bereichen, müssen sich auch BR-Mitglieder ein entsprechendes Wissen und Handwerkszeug aneignen, um in der Lage zu sein, ihre Aufgaben fach- und sachgerecht erfüllen zu können. Die Übernahme des BR-Amtes ist eine Verantwortung, der man nur dann gerecht werden kann, wenn man über das nötige Fach- und Methodenwissen verfügt. Sollten sich BR-Mitglieder konsequent weigern, an Schulungen teilzunehmen, kann dies sogar eine grobe Pflichtverletzung nach § 23 darstellen.[1]

Erforderliche Grundkenntnisse | Spezialkenntnisse

Aber welche Schulungen sind erforderlich? Diese Frage spielt in der betrieblichen Praxis eine wichtige Rolle. Die Rechtsprechung hat hier die hilfreiche Unterscheidung zwischen Grund- und Spezialkenntnissen entwickelt. Die Teilnahme an einer Schulung, auf der Spezialkenntnisse vermittelt werden, muss durch den Betriebsrat begründet werden. Er muss darlegen, dass das Thema aktuell ist oder in naher Zukunft im Betrieb relevant werden wird und das zu entsendende BR-Mitglied mit dem jeweiligen Thema betraut ist oder sein wird. Für Grundlagenschulungen muss die Erforderlichkeit hingegen nicht begründet werden. Jeder Betriebsrat hat ohne die Prüfung der konkreten betrieblichen Umstände immer Anspruch darauf, dass alle seine Mitglieder alle Grundlagenschulungen besuchen können.

Die Kenntnisse, die in Grundlagenschulungen vermittelt werden, sind also so wichtig und fundamental für die Arbeit im Betriebsrat, dass man ohne sie kaum in der Lage ist, sein Amt adäquat auszufüllen. Jedes Mitglied sollte sich diese Kenntnisse deswegen so schnell wie möglich aneignen. Sie sind die Grundlage dafür, der Verantwortung des BR-Amtes tatsächlich gerecht werden zu können.

Neben dem Betriebsverfassungsrecht gehören zu den Grundlagen vor allem auch Kenntnisse des allgemeinen Arbeitsrechts. Das individuelle Arbeitsrecht ist mit dem Betriebsverfassungsrecht in vielfacher Weise verwoben. Nicht nur im Rahmen seiner allgemeinen Überwachungspflicht (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) und der Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen (§ 99 BetrVG), sondern auch bei seinen Unterstützungsaufgaben (§ 82 Abs. 2 Satz 2, § 83 Abs. 1 Satz 2, § 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) und der Mitbestimmung bei sozialen Angelegenheiten (§ 87 BetrVG), hat der Betriebsrat quasi ständig mit dem Arbeitsrecht zu tun.[2] Es wäre fahrlässig, sich diesen Aufgaben zu stellen, ohne über das entsprechende Basiswissen zu verfügen.

Entsprechendes gilt auch für den Bereich des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung. Durch das BetrVG und eine Vielzahl anderer gesetzlicher Bestimmungen ist eine ständige Beteiligung des Betriebsrates in allen Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes angeordnet. Diese Aufgaben nimmt der Betriebsrat also nicht nur ab und zu wahr, sondern es handelt sich um eine Konstante, die sich durch die gesamte Arbeit des Gremiums zieht. Insofern ist auch hier eine Schulung aller BR-Mitglieder erforderlich.

Welche Schulungen Grundlagenwissen vermitteln, ist Gegenstand einer anhaltenden Diskussion. Die betrieblichen Gegebenheiten verändern sich und werden immer komplexer – und damit auch die Aufgaben der Betriebsräte. Auch gesetzliche Änderungen erweitern den Zuständigkeitsbereich der Gremien. So sollten auch Themen wie Beschäftigungssicherung und Beschäftigungsförderung, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), der im Betrieb geltende Tarifvertrag und der Datenschutz im Betrieb und BR-Büro unter das jeder Zeit erforderliche Grundwissen fallen.[3]

Spezialseminare umfassen eine große Bandbreite verschiedener anderer Themen sowie Vertiefungswissen. Um konkrete Fragen im Betrieb sachgerecht bearbeiten zu können, sind gezielt ausgewählte Spezialseminare unabdingbar. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es in vielen Gremien Mitglieder gibt, die sich noch nicht einmal das erforderliche Grundlagenwissen angeeignet haben. Im Sinne einer erfolgreichen und verantwortungsvollen BR-Arbeit sollte dies geprüft und gegebenenfalls so schnell wie möglich nachgeholt werden.

Grundlagenschulungen Spezialschulungen
Betriebsverfassungsrecht Verschiedene Arbeitszeit- und Entlohnungsmodelle
Arbeitsrecht Berufsbildung
Arbeits- und Gesundheitsschutz „Burn-Out“
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Frauenförderung und Gleichstellung
Im Betrieb geltender Tarifvertrag Suchtprävention
Datenschutz EDV in der BR-Arbeit
  u. v. a. …

 

 

[1] GK-BetrVG – Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz § 37 Rn. 171.

[2] Vgl. u. a. auch Bundesarbeitsgericht

Beschl. v. 16.10.1986, Az.: 6 ABR 14/84

[3] Vgl. jeweils Däubler BetrVG § 37 Rn. 112ff.

Die Geschäftsordnung des Betriebsrates – Basis und Handlungssicherheit für alle Gremien

Eine lesenswerte Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2007[1] hatte ergeben, dass zwar viele Betriebsräte über eine Geschäftsordnung verfügen, die meisten jedoch eine der zahlreich im Internet verfügbaren Vorlagen verwendet haben. Diese Vorlagen geben meist nur ohnehin geltende Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes wieder und helfen dem Betriebsrat deswegen kaum, die Arbeit des eigenen Gremiums individuell zu gestalten. Das Ergebnis ist, dass die meisten Geschäftsordnungen als solche wenig genutzt werden. Daneben existieren häufig mündliche Vereinbarungen und Routinen, die die BR-Arbeit zwar prägen, aber nie schriftlich fixiert wurden.

Wir möchten hier nachdrücklich dafür werben, dass sich alle Betriebsräte eine schriftliche Geschäftsordnung geben, wie es in § 36 BetrVG vorgesehen ist. Dies ist jedoch nicht damit getan, eine Vorlage zu verabschieden, sei sie auch noch so gut. Vielmehr sollte das gesamte Gremium einen Diskussions- und Findungsprozess starten, in dem gemeinsam erarbeitet wird, welche Regelungen für die eigene Arbeit hilfreich und sinnvoll sind. Was braucht Ihr als Betriebsrat im konkreten Umfeld Eures Betriebes, um gut zusammen arbeiten zu können? Dieses gemeinsame Besprechen, Diskutieren und Verhandeln über die eigene Geschäftsordnung muss der Kern jedes Regelwerks sein.

Was ist das Ziel einer Geschäftsordnung?

Der Betriebsrat ist ein demokratisches ­– und kein technokratisches – Gremium. Das bedeutet, dass es nicht darum geht, die einzig wahre, “richtige” Entscheidung zu fällen. Denn was die „richtige“ Entscheidung ist, hängt immer von jeweiligen Interessen, Meinungen und Neigungen ab. Vielmehr geht es darum, Entscheidungen zu treffen, an deren Entstehung sich möglichst alle Mitglieder des Gremiums in gleicher Weise beteiligen konnten. Auf dem Weg dorthin wird es Diskussionen, Auseinandersetzungen und vielleicht sogar Streitigkeiten geben. Das darf auch so sein. Schließlich handelt es sich um politische Entscheidungen, um die verhandelt und gerungen werden muss. Wichtig ist dabei jedoch, dass interne Diskussionen fruchtbar bleiben und die Arbeit des BR nicht lähmen, so dass der Betriebsrat trotz unterschiedlicher interner Positionen nach Außen immer aktiv und handlungsfähig ist. Das Betriebsverfassungsgesetz versammelt hier bereits eine Reihe von hilfreichen Regelungen, um dies zu ermöglichen. Je nach betrieblicher Situation kann es jedoch sinnvoll sein, diese Regelungen noch durch eigene Vorgaben zu ergänzen – und hier kommt die Geschäftsordnung ins Spiel.

Was kann in einer Geschäftsordnung geregelt werden?

  • Deklaratorische Inhalte, also Fragen, die im BetrVG bereits zwingend geregelt sind, die aber in der Geschäftsordnung noch einmal wiederholt werden. Der Vorteil: Dies führt allen Mitgliedern des Gremiums sämtliche Vorgaben klar vor Augen. Im Mittelpunkt sollten aber die vom Gremium selbst erarbeiteten Regeln stehen. Wie bereits erwähnt, basieren die meisten Vorlagen auf eben solchen deklaratorischen Inhalten, was auch zu erwarten ist, denn Außenstehende können die besonderen Erfordernisse einzelner Gremien nicht kennen.

Der Betriebsrat kann im Übrigen in der Geschäftsordnung nicht von jenen Regelungen abweichen, die im BetrVG bereits zwingend festgeschrieben sind.

  • BR-Sitzungen: Wann finden die regelmäßigen BR-Sitzungen statt, wann und wie soll dazu eingeladen werden und in welcher Form? Wann und wie müssen sich BR-Mitglieder abmelden, falls sie verhindert sind? Gibt es feste Tagesordnungspunkte? Wie kann die Tagesordnung verändert oder ergänzt werden? Wer darf an der Sitzung teilnehmen, und wie verhält es sich mit dem Einladen von Gästen?
  • Vertretung: Was passiert, wenn sowohl Vorsitz als auch die Stellvertretung verhindert sind? Eine ausreichende Liste von Stellvertreter*innen sollte festgelegt werden.
  • Sitzungsordnung: Wer hat wann Rederecht? Gibt es eine Redner*innenliste? Ist die Redezeit festgelegt? Wie wird abgestimmt? Gibt es vielleicht Verhaltensregeln für die BR-Sitzung in Bezug auf Redeverhalten, Essen während der Sitzung, Nutzung des Smartphones etc.? Wie sind Pausen geregelt?
  • Was ist unter „laufenden Geschäften“ zu verstehen? Welche Handlungen kann der*die Vorsitzende in alleiniger Verantwortung ausführen, und was unterliegt der Aufsicht und dem Beschluss des gesamten Gremiums?
  • Schriftführung: Wer übernimmt die Schriftführung und Protokollerstellung? Nach welchem System wird protokolliert? Wie werden die Unterlagen des BR sortiert und verwahrt? Wer hat wann Zugriff auf diese Unterlagen?
  • Ausschüsse: Welche Ausschüsse gibt es? Wie setzen sich diese zusammen und welche Aufgaben bearbeiten sie?
  • Wie versteht der Betriebsrat die ihn und seine Mitglieder betreffende Verschwiegenheitspflicht und die Achtung des Datenschutzes bei der Verarbeitung von personenbezogenen Daten im Gremium? Welche konkreten Maßnahmen werden jeweils unternommen, um beides zu gewährleisten?
  • Integration aller BR-Mitglieder: Wie geht der Betriebsrat mit Mitgliedern verschiedenen Geschlechts und Alters, verschiedener Herkunft, Religion und Muttersprachen um? Was unternimmt der BR, um auch Mitglieder mit Kindern oder Pflegeverpflichtungen, körperlich beeinträchtigte und nicht neurotypische BR-Mitglieder problemlos in die Arbeit des Gremiums zu integrieren? Welche Maßnahmen werden getroffen, um einen Konflikt zwischen regulärer Arbeits- und Betriebsratstätigkeit zu verhindern?

Ganz hervorragend ist es, wenn das Gremium ein eigenes Programm und Selbstverständnis als Betriebsrat entwirft und dieses als Präambel der Geschäftsordnung voranstellt.

Was nebensächlich ist, ist die sprachliche Gestaltung der Geschäftsordnung. Nicht alle Regelungen müssen in juristischer Sprache gefasst sein. Wichtig ist, dass Ihr als Gremium versteht, was Ihr regeln wollt und warum. Wenn Ihr die Möglichkeit habt, ist es sicherlich dennoch hilfreich, Eure fertige Geschäftsordnung einem*r Rechtsanwält*in zu zeigen und mit ihm*ihr zu diskutieren.

[1] Martin Renker: Geschäftsordnung von Betriebs- und Personalräten. Analyse und Handlungsempfehlungen. Frankfurt am Main: 2007. Online abrufbar unter: https://www.boeckler.de/pdf/p_mbf_bvd_go_br_u_personalraeten.pdf

Erstes R+A Netzwerktreffen

Am 5. September 2018 fand das erste R+A Netzwerk- und Orientierungstreffen für Betriebsräte aus dem Textileinzelhandel statt. Die Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Soziales hatte die 3,5-stündige Veranstaltung zuvor als Schulungsveranstaltung nach dem Bildungsurlaubsgesetz sowie nach § 37 Abs. 7 Betriebsverfassungsgesetz anerkannt.

Kreis der Teilnehmer*innen und Schwerpunktthema

Es nahmen über 20 Betriebsratsmitglieder von großen Textilkonzernen wie Footlocker, Uniqlo, Zara, H&M und Weekday teil. In einer ausführlichen Vorstellungsrunde berichteten die einzelnen Betriebsräte von der Situation in ihren Betrieben – von Problemen, mit denen sie zu kämpfen haben und von Erfolgen, die sie verzeichnen konnten. Dabei wurde klar: Alle anwesenden Unternehmen sind von geplanten oder bereits vollzogenen Betriebsänderungen und Betriebsschließungen betroffen. Dies war das Schwerpunktthema des ersten Netzwerktreffens.

Vortrag 1: Langfristige Vorbereitung auf Betriebsänderungen

Rechtsanwalt Priyanthan Thilagaratnam schilderte in einem kurzen Inputvortrag verschiedene Möglichkeiten, wie Betriebsräte sich bereits vor der offiziellen Unterrichtung der*des Arbeitgeber*in auf Betriebsänderungen vorbereiten und ein Frühwarnsystem installieren können. Leider halten sich die meisten Arbeitgeber*innen nicht an die Vorgaben des BetrVG und informieren Betriebsräte viel zu spät, was ein proaktives Vorgehen der Betriebsräte noch viel wichtiger macht. Die Vorschläge des Rechtsanwalts wurden positiv aufgenommen. In der anschließenden Diskussion stellte sich jedoch heraus, dass das unternehmerische Vorgehen der Textilkonzerne oft unverständlich ist und teilweise trotz gegenteiliger Indikatoren Betriebsschließungen angekündigt werden.

Vortrag 2: Das Geschäftsmodell „Fast Fashion“

Im zweiten Vortrag des Tages erläuterte René Kluge, dass diese irrational erscheinende Unternehmenspraxis auf das besondere Geschäftsmodell „Fast Fashion“ zurückgeführt werden könnte. Fast Fashion als Managementkonzept wurde Ende der 1970er Jahre durch die Firma Inditex (die Konzernmutter des Zara-Labels) entwickelt und sehr schnell von H&M und später auch von Uniqlo übernommen und weiterentwickelt. Es basiert auf einem geschickten Ausnutzen globaler Unterschiede in Bezug auf Einkommens- und Arbeitsschutzstandards. Mittels eines engen Logistiknetzes sind die Unternehmen in der Lage, in so genannten Billiglohnländern zu produzieren und ihre Waren zu verhältnismäßig günstigen Preisen anzubieten. Zentral ist auch der breite Einsatz von Informationstechnologien, um ein konstantes Erfassen und Auswerten aller Absatzzahlen zu ermöglichen. Dadurch sind die Unternehmen permanent in der Lage, die exakte Nachfrage zu bestimmen und zu prognostizieren, so dass in kürzester Zeit genau die Kleidung entwickelt und produziert werden kann, die auch gekauft wird. Alle Unternehmen eint überdies, dass sie fast alle Unternehmensteile in das Hauptunternehmen integriert haben: Bis hin zum Verkauf in den einzelnen Läden werden die meisten Aspekte ihrer Unternehmenstätigkeit – wie Entwicklung, Marketing, Logistik und Vertrieb – zentral gesteuert. Ein Blick auf die Unternehmenszahlen zeigt, dass es sich um wirtschaftlich überaus erfolgreiche Konzerne mit einem weltumspannenden Ladennetzwerk handelt.

Diskussion, Praxisabgleich und Auswertung

Nach diesen thematischen Ausführungen entstand eine lebhafte Diskussion, in der die Betriebsräte kritische Bemerkungen zum Thema machten und vielfältige Praxiserfahrungen einbrachten. Vor allem wurde darüber diskutiert, ob H&M das Konzept „Fast Fashion“ immer noch erfolgreich betreibt oder ob es hinsichtlich Geschwindigkeit und Kundennähe nicht gerade immer weiter ins Hintertreffen gerät. Auch der Anteil, den das Online-Geschäft am Gesamtumsatz tatsächlich hat, wurde skeptisch hinterfragt. Die Integration des Online-Handels scheint vor allem bei H&M nur sehr schleppend voranzugehen. Zwar ist es vor allem das Unternehmen H&M, über das momentan häufig negativ berichtet wird, aber auch die Betriebsräte der anderen Unternehmen berichteten davon, trotz erfolgreicher Geschäftszahlen von drohenden Betriebsschließungen betroffen zu sein. Die Zusammensetzung der Verkaufsläden dieser Unternehmen in allen deutschen Städten ist ständigen Veränderungen und „Optimierungsprozessen“ unterlegen – eine Tatsache, die die Unternehmen in ihren Geschäftsberichten selbst anerkennen.

Selten in den Fokus gerät daneben das Problem, dass durch die starke zentrale Lenkung dieser Unternehmen die örtlichen Filialleitungen meist nur geringen Einfluss auf Ausstattung und Abläufe haben und damit oft nicht die richtigen Ansprechpartner*innen für die Betriebsräte sind. Für die Gremien bedeutet dies nichts anderes als eine Einschränkung ihrer Mitbestimmungsrechte. Die BR-Arbeit in Unternehmen ist dadurch sehr beschwerlich und alle Erfolge müssen mühsam erkämpft werden.

Wenn über den Textileinzelhandel im Allgemeinen und Fast Fashion im Besonderen geschrieben und gesprochen wird, kommt die Perspektive der Arbeitnehmer*innen und Betriebsräte meist nur am Rande oder gar nicht vor. Doch die dort beschäftigten Kolleg*innen verfügen aufgrund ihrer langjährigen Arbeitserfahrung über viel Hintergrundwissen, von dem auch wissenschaftliche Betrachtungen profitieren könnten. Es wurde angestrebt, im Rahmen von Arbeiter*innenforschungsgruppen dieses Wissen gemeinsamen zu sammeln und anderen Gremien zugänglich zu machen.

Insgesamt bewerteten alle Beteiligten die bei einem gemeinsamen Snack ausklingende Veranstaltung als sehr erfolgreich. Das nächste Netzwerktreffen für den Textileinzelhandel findet am 09. Januar 2019 statt.

Ausländer*innen in die Gremien!

Am 24. September wurde in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt. Laut Bundeswahlleiter hatten 61,5 Millionen Menschen an diesem Tag das aktive Wahlrecht. Nach letzten Daten leben in Deutschland jedoch 80,6 Millionen Menschen. Was ist also mit den über 19 Millionen Menschen, die hier leben, aber nicht wählen durften? Die größte Gruppe unter Ihnen bilden die unter 18-Jährigen. Aber auch Menschen, die einen gesetzlichen Betreuer in allen Angelegenheiten haben, dürfen nicht mehr wählen. In seltenen Fällen kann jemandem auch aufgrund einer Straftat das Wahlrecht entzogen werden.

Der Blog wahllos.de schätzt jedoch, dass es auch 6,4 Millionen Nicht-EU-Ausländer*innen in Deutschland gibt.[1] Sie dürfen nicht wählen, weil sie keine deutsche Staatsangehörigkeit haben. Die allermeisten von ihnen leben dauerhaft in Deutschland, haben ihren Lebensmittelpunkt hier, arbeiten, zahlen Steuern und nehmen auch sonst am gesellschaftlichen Leben teil. Aufgrund der Kopplung des Wahlrechts an die Staatsangehörigkeit dürfen sie jedoch nicht mitentscheiden, welche Parteien in den nächsten Jahren im Bundestag vertreten sein werden und welche Ausgaben mit den geleisteten Steuern getätigt werden.

In der Geschichte der BRD waren immer nur 68% bis 76% der Bevölkerung auch tatsächlich wahlberechtigt[2] und bei jeder Wahl verzichten 10% bis fast 30% der Wahlberechtigten auf die Ausübung dieses Rechts und gehen nicht zur Wahl. Dennoch ist es ein Problem für eine Demokratie, wenn sie so vielen Menschen strukturell die Partizipation verweigert. Wenn eine Demokratie sich als Demokratie ernst nimmt, dann kann man das so genannte „Wahlvolk“ nicht einfach auf den abstrakten Begriff der Staatsangehörigkeit reduzieren, sondern muss alle Menschen beteiligen, die hier leben.

Das Wahlrecht wird sich aber so schnell nicht ändern. Dafür ist der politische Mainstream immer noch zu sehr der Meinung, das Wahlrecht müsse man sich verdienen und nur ein „echter“ Deutscher, also einer mit Staatsangehörigkeit, dürfe auch wählen gehen. Die ehemalige rot-grüne-Regierung in Nordrhein-Westfalen wollte ein Ausländer*innenwahlrecht, zumindest für Kommunalwahlen festlegen, war damit aber vor kurzem erst gescheitert.[3]

Wenn man aber an andere Partizipationsmöglichkeiten denkt, dann fällt auf, dass das Betriebsverfassungsrecht in Deutschland lebende Ausländer*innen nicht in der Weise diskriminiert, wie es das Bundeswahlgesetz tut. Bei Betriebsratswahlen ist weder das aktive, noch das passive Wahlrecht die Staatsbürgerschaft gekoppelt. Für das Betriebsverfassungsrecht ist es egal, wo jemand herkommt, wichtig ist nur, dass er*sie Arbeitnehmer*in im Betrieb bist. Es gibt sogar einige Regelungen, die Ausländer*innen die Ausübung ihrer Beteiligungsrechte erleichtern sollen, zum Beispiel die Pflicht der Arbeitgeber*innen die Kosten für  Übersetzungen und Dolmetscher*innen für nicht-deutsch-Muttersprachler*innen zu tragen (§ 40 BetrVG), oder die Pflicht des Wahlvorstandes Arbeitnehmer*innen, die der deutsche Sprache nicht mächtig sind über das gesamte Wahlverfahren in geeigneter Weise und ggf. sogar in ihrer Muttersprache vorab zu informieren (§ 2 Abs. 5 WO) oder auch das allgemeine Diskriminierungsverbot in § 75 BetrVG. Der Betriebsrat hat nach § 80 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG die Aufgabe die Integration ausländischer Arbeitnehmer*innen im Betrieb zu fördern. Dazu muss auch die Integration in die betrieblichen Interessenvertretungsgremien gehören.

In Deutschland lebende Ausländer*innen sollten deswegen dazu eingeladen werden sich in Betriebsversammlungen, bei den Betriebsratswahlen, im Wahlvorstand und im Betriebsrat aktiv an der Betriebspolitik zu beteiligen. Es handelt sich um Kolleg*innen, denen durch das Betriebsverfassungsrecht die Möglichkeit der aktiven Partizipation und Einflussnahme auf ihre täglichen Lebensbedingungen gegeben wird. Eine Möglichkeit, die ihnen das Bundeswahlgesetz leider immer noch verwehrt.

René Kluge, ehem. BR-Vorsitzender Autismus Deutschland und tandem Autismus. Geschäftsführer R+A Recht und Arbeit GmbH

 

[1] http://wahllos.de/nicht-deutsch-genug-zum-waehlen/static,Akin_de.htm

[2] http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/bundestagswahlen/55604/wahlberechtigte-1949-2009

[3] http://www.n-tv.de/politik/NRW-aendert-Wahlgesetz-nicht-article19747644.html

Student*innen als Betriebsratsmitglieder und ihr Status in der gesetzlichen Krankenversicherung

Nach den Zahlen der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks arbeitet immer noch eine hohe Zahl von Student*innen, nämlich mittlerweile ganze 68% nebenbei, um sich ihr Studium ganz oder teilweise zu finanzieren. Der deutsche Staat unterstützt solche Finanzierungsmodelle indem er Student*innen von der Arbeitslosenversicherungs-, der Pflegeversicherungs- und auch der Krankenversicherungspflicht (letzteres § 6 SGB V) befreit hat. Als Arbeitnehmer*innen müssen Student*innen also weniger Sozialabgaben zahlen und auch die Arbeitgeber*in hat bei ihnen weniger Lohnnebenkosten.

Um nun aber in den Genuss dieses Vorteils zu kommen, reicht es nicht aus, einfach nur an einer Hochschule immatrikuliert zu sein, man muss auch „dem Erscheinungsbild nach“ ein*e Student*in sein. So zumindest formulierte es das Bundessozialgericht (BSG) in seinem abschließenden Urteil in dieser Sache im Jahr 2003 (Urteil vom 11. 11. 2003 – B 12 KR 24/03 R). Das bedeutet, man muss nicht nur eingeschrieben sein, sondern auch wirklich studieren. Das pragmatische Kriterium des BSG ist, dass man maximal 20 Stunden in der Woche arbeiten darf und den Rest der Zeit für sein Studium aufwenden muss. Liegt die Arbeitszeit aber zum Beispiel in den Abend- und Nachtstunden oder in den Semesterferien, so müssen diese 20h/Woche nicht so streng beachtet werden. Hieran erkennt man schon, dass es dem Gericht daran gelegen war eine praxisnahe Regelung zu finden und die Versicherungsfreiheit nur dann abzuerkennen, wenn der Umfang der Tätigkeit es gar nicht mehr zulässt tagsüber Seminare und Vorlesungen zu besuchen und man eigentlich keinem geregelten Studium mehr nachgeht.

Was ist nun aber, wenn eine Studentin in ihrem Betrieb in den Betriebsrat gewählt wird und aufgrund von Betriebsratstätigkeit eine Arbeitszeit von 20h in der Woche übersteigt? Diese Frage erreicht uns als Seminaranbieter natürlich immer wieder im Zusammenhang mit dem Besuch von Seminaren die ja oft eine gesamte Vollzeitwoche beanspruchen. Unserer Kenntnis nach gibt es zu dieser Frage bisher kein gerichtliches Urteil. Wir haben deswegen die großen Krankenversicherungsträger in Deutschland befragt. Sie haben uns einhellig bestätigt, dass es sich bei Betriebsratstätigkeit um einen Ausnahmefall handelt, der keinen Einfluss auf die Versicherungsfreiheit von Student*innen hat. Entscheidend ist hier das zu Grunde liegende Arbeitsverhältnis. Betriebsratstätigkeit ist ein Ehrenamt. Betriebsratsarbeit wird deswegen zwar wie Arbeitszeit vergütet, ist aber keine im engeren Sinne. Im Übrigen gelten für teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder ja auch die Regelung des § 37 Abs. 3 BetrVG, wonach solchen BR-Mitgliedern ein Freizeitanspruch entsteht, wenn sie BR-Tätigkeit außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit geleistet haben.

Prinzipiell ist es so, dass es die Pflicht der Arbeitgeber*in ist, die Einhaltung der Sozialversicherungspflicht im Betrieb zu überwachen und die entsprechenden Beiträge an die Träger abzuführen. Ihr als Betriebsratsmitglieder müsst Euch um diese Sachlage erst einmal keine Gedanken machen. Ihr müsst auch selbst keine Anzeige bei Eurer Krankenkasse machen oder ähnliches. Wäre die Arbeitgeber*in der Meinung, dass keine Versicherungsfreiheit mehr besteht, so müsste sie dies selbst bei der Krankenkasse anzeige. Das würde allerdings bedeuten, dass für die Arbeitgeber*in selbst die Lohnnebenkosten steigen würden. Dies ist vielleicht auch der Grund, warum uns die Krankenkassen berichteten, dass sie bis jetzt noch von keiner derartigen Anzeige gehört hätten.

Neben vielen anderen Gesetzen und Verordnungen haben die Arbeitgeber*innen vor allem auf die korrekte Abfuhr der Sozialabgaben zu achten. Nicht selten nutzen sie diese Pflicht jedoch, um Arbeitnehmer*innen und Betriebsräte mit zweifelhaften Forderungen zu begegnen die auf unklarem oder falschem Verständnis der Gesetzes- und Sachlage basieren. Auch im Falle des Datenschutzes begegnet uns dies immer wieder. Bitte lasst Euch davon nicht irritieren. Prüft die Sachen lieber selbst oder lasst sie von jemandem prüfen. Obwohl es von ihnen erwartet werden kann, sind die meisten Arbeitgeber*innen und Personalabteilungen nicht mit allen gesetzlichen Regelungen wirklich gut vertraut.

Wenn Ihr aber ganz konkret das Problem habt, ein Seminar bei uns besuchen zu wollen, in der fraglichen Woche aber zum Beispiel auch eine Uni-Veranstaltung oder eine Prüfung habt, dann meldet Euch einfach bei uns und wir finden eine Lösung.