Oft unsichtbar und schwer zu fassen – Wo ist der Arbeitgeber?

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 7/8 2021 der Zeitschrift express

„Der Arbeitgeber“ ist ein beliebtes Feindbild: Machtverliebt und narzisstisch regiert er sein Unternehmen nach patriarchalen und antidemokratischen Wertvorstellungen. Historisches Beispiel par excellence ist Friedrich Krupp, der die Rede vom „Herr-im-Haus“ prägte. Mittlerweile kommen einem Namen wie Clemens Tönnies oder Dietrich Mateschitz in den Sinn; Berliner*innen erinnern sich vielleicht auch noch an Harald Ehlert von der Treberhilfe.

Der Herr-im-Haus-Standpunkt ist heute zunehmend im Rückzug. Doch Vorsicht: In der Regel ist es ein Pseudo-Rückzug. Die Arbeitgeberseite wurde nicht etwa eines Besseren belehrt, sondern „der Arbeitgeber“ ist schlichtweg nicht mehr im Haus. Arbeitgeber*innen als Organisationsmacht machen sich heutzutage häufig unsichtbar, verstecken sich und werden durch undurchsichtige Entscheidungs-Netzwerke ersetzt. Ergebnis: Betriebliche Interessenvertretungen finden keine*n klare*n Gegenspieler*in und Verhandlungspartner*in mehr vor. Für die wirksame Arbeit von Betriebs- und Personalräten ist das ein großes Problem.

Neu ist es allerdings nicht: Vor genau 20 Jahren hatte der damalige Präsident des Bundesarbeitsgerichts Helmut Wißman in einem immer noch lesenswerten Artikel[1] dieses Problem und seine häufigsten Erscheinungsformen bereits eindeutig benannt.

Offensichtlichstes Beispiel: Leiharbeit

Im Bereich der Leiharbeit ist die Arbeitgeberfunktion zwischen dem Verleiher und dem Entleiher aufgeteilt. Bestimmte Fragen der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten kann nur der Betriebsrat nur im Entleihbetrieb regeln, andere dagegen nur im Verleihbetrieb. Vorausgesetzt, dass beide Betriebe überhaupt mitbestimmt sind, werden die jeweiligen Gremien immer an Grenzen stoßen und wichtige Fragen nicht mitregeln können. Das ist besonders deshalb problematisch, weil Leiharbeiter*innen nur Mitglied im BR des Verleihbetriebes werden können.

Die Krux von Werkverträgen

Noch schwieriger ist es bei Werkvertragskonstruktionen, in denen die Beschäftigten eines*r Arbeitgebers*in im Rahmen von Onsite-Werkverträgen in anderen Unternehmen arbeiten. Die Arbeitgeberfunktion des übernehmenden Unternehmens wird meist explizit ausgeschlossen. Die Verantwortung verbleibt komplett bei dem*der Vertragsarbeitgeber*in. Diese*r ist aber gar nicht anwesend und oftmals nur im Moment der Vertragsunterzeichnung sichtbar. Vor Ort sind die Beschäftigten dann ganz auf sich gestellt. Eine Untersuchung ergab, dass 45 Prozent der Onsite-Beschäftigten ihre Weisungen arbeitsvertragswidrig vom Werkbesteller bekommen, in 19 Prozent der Betriebe sogar ausschließlich von diesem[2]. Solche Konstruktionen finden sich häufig in verarbeitenden Betrieben. Im letzten Jahr wurde vor allem über die Werkvertragskonstruktionen in der Fleischindustrie gesprochen. Aber auch in anderen Branchen existieren solche Beschäftigungsverhältnisse – zum Beispiel an Berliner Regelschulen, wo Schulassistenzen, Lehrkräfte für Lernförderungen und Erzieher*innen von externen Trägern entsandt werden. Die Träger üben ihr Weisungsrecht kaum oder gar nicht aus, sie haben ja auch keinen Einfluss auf die Organisation der Schulen. Die bei den Trägern gegründeten Betriebsräte haben deshalb enorme Probleme, die Arbeitsbedingungen ihrer an die Schulen entsandten Kolleg*innen mitzubestimmen.

Wirrwarr der Verantwortlichkeiten

Die Beispiele, die Wißman vor 20 Jahre erörterte, haben gemeinsam, dass der*die Arbeitgeber*in des einen Betriebes die Weisungsaufgaben an andere Stellen abgibt. Aber auch innerhalb desselben Betriebes werden die Strukturen immer unübersichtlicher. Im Einzelhandel soll fast immer die örtliche Leitung, die Marktleiterin oder der Store Manager – die Arbeitgeberrolle gegenüber dem Betriebsrat einnehmen. In Wirklichkeit haben sie aber nur sehr beschränkte Befugnisse. Elementare unternehmerische Entscheidungen, wie Zielvorgaben, Budget oder Personalplanung, werden nicht von den Leitungskräften vor Ort getroffen. Sie müssen sich bei den jeweils höheren Stellen rückversichern.

Unklarheiten sind kein Zufall, sondern Machtstrategie

Wißman lag falsch darin anzunehmen, dass es sich bei den genannten Problemen um eine natürliche Entwicklung unternehmerischen Agierens handelt. Wenn Unternehmen outsourcen und spezifische Leitungsstrukturen entwickeln, haben sie auch das Betriebsverfassungsgesetz im Blick. Die Aufspaltung und Zersplitterung der Arbeitgeberfunktion ist oft genug bewusste Machtstrategie der Unternehmen. Es ist eine perfide Form der Behinderung der Betriebsratsarbeit, wenn dem Betriebsrat nicht der*die eigentliche Entscheidungsträger*in als Ansprechpartner*in zur Verfügung steht.

Betriebsräte werden gewählt, um die Weisungen und Entscheidungen ihres Gegenübers mitzubestimmen. Je weniger Entscheidungsmacht dieses Gegenüber hat, desto schwächer ist auch der Zugriff des Betriebsrates. Es ist ein kalkulierter Schachzug von Unternehmen, dem Betriebsrat Personen aus der mittleren oder unteren Führungsebene als Ansprechpartner*innen zur Verfügung zu stellen. Genauso gering wie deren Einfluss bleibt damit auch der Einfluss des BR. Solche Personen dienen dem Unternehmen als Prellbock: Sie fangen Konflikte auf den unteren Ebenen ab und verhindern, dass höhere Entscheidungsebenen sich damit beschäftigen müssen.

Herausfordernd, aber machbar: Gegenstrategie entwickeln

Was können Betriebsräte tun, wenn der*die Arbeitgeber*in „verschwindet“? Rechtlich ist der Weg schwierig. Die meisten Kommentare beziehen sich immer noch auf ein Urteil des BAG aus dem Jahr 1991[3], wonach der Arbeitgeber sich je nach Mitbestimmungstatbestand und Beratungsstand durch unterschiedliche Personen vertreten lassen kann. Diese müssen zwar kompetent, aber nicht unbedingt auch selbst entscheidungsbefugt sein. Wenn der*die Arbeitgeber*in sich hier grob falsch verhalten sollte, könnte dies zwar eine Pflichtverletzung nach § 23 Abs. 3 BetrVG darstellen. Ein solches Verfahren vor dem Arbeitsgericht zu führen, ist dem Betriebsrat aber meist nicht zu empfehlen. Nicht nur, weil es langwierig wäre. Es würde außerdem bedeuten, dass der Betriebsrat die Kommunikation mit Ansprechpartner*innen verweigert und dabei riskiert, eigene Mitbestimmungsprojekte zu verzögern. Es ist gerade der Betriebsrat, der auf die Kommunikation mit der Leitung angewiesen ist.

Analyse, Flexibilität und Durchhaltevermögen

Es gibt Betriebsräte, die die Organisation ihres Unternehmens sehr genau beobachten und dadurch gut verstehen, welche Personen für welche Entscheidungen zuständig sind. Je nach Mitbestimmungstatbestand sucht man sich dann den*die entsprechende*n Ansprechpartner*in. Das kann die örtliche Leitung sein, die Regionalleitung, die Deutschlandführung oder sogar Abteilungen in der ausländischen Zentrale des Unternehmens. Diese Strategie ist vielversprechend, aber auch sehr voraussetzungsreich. Die jeweiligen Personen werden sich als „nicht zuständig“ erklären und versuchen, den Betriebsrat abzuwimmeln. Der Betriebsrat muss hier Durchhaltevermögen beweisen und dranbleiben. Die Struktur wird sich gegen solche Versuche wehren. Ein Beispiel aus eigenem Erleben: Es ist kein Zufall, dass die erste und einzige Abmahnung, die gegen mich als aktiven Betriebsrat ausgesprochen wurde, damit begründet wurde, dass ich meine Kompetenzen überschätzt und die falsche Person angesprochen hätte. Je heftiger die Reaktion, desto sicherer kann man sich sein, dass man an der richtigen Stelle nachgefragt hat. Selbstverständlich war eine solche Abmahnung rechtswidrig. Es ist das Recht des Betriebsrates, sich um die Erfüllung seiner Unterrichtungs- und Beratungsrechte zu kümmern.

Teilweise fordern Betriebsräte auch, dass ihre örtliche Leitung mehr Macht bekommt. Damit würde auch wieder der Einfluss des Betriebsrates steigen, denn er wäre wieder näher dran an den mitbestimmungsrelevanten Entscheidungen. Es könnte für den Betriebsrat Sinn ergeben, mit der oft ungeliebten unteren und mittleren Führungsebene zusammenzuarbeiten. Die Interessen beider Gruppen überschneiden sich.

Denkbar ist auch die Gründung von alternativen, eventuell unternehmensübergreifenden Mitbestimmungsorganen nach § 3 BetrVG. Wißman konnte diese Option noch nicht diskutieren. Sie wurde erst kurz nach Erscheinen seines Artikels mit der letzten Reform des Betriebsverfassungsgesetzes geschaffen. Auch das ist ein weiter Weg, kann aber im Rahmen von Tarifverträgen erkämpft werden.

Für den Betriebsrat muss der erste Schritt immer darin bestehen, die eigene Unternehmensorganisation zu analysieren und sich zu fragen, ob der*die eigene Ansprechpartner*in wirklich „der Arbeitgeber“ ist. Falls er es nicht ist, dann muss sich der Betriebsrat genau diese Frage stellen: Wo ist der Arbeitgeber?


[1] Wißmann, Helmut: Die Suche nach dem Arbeitgeber in der Betriebsverfassung NZA 2001, 409.

[2] Hertwig, Markus, u. a.: Onsite-Werkverträge. Verbreitung und Praktiken im Verarbeitenden Gewerbe. WSI Mitteilungen 6/2015.

[3] BAG, Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 7 ABR 16/91